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Chi|na ['ç… , südd., österr.: 'k… ]; -s:
Staat in Ostasien.
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I China
China
China
Fläche: 9,6 Mio. km2
Einwohner: (2000) 1 265,8 Mio.
Hauptstadt: Peking
Amtssprache: Chinesisch
Nationalfeiertag: 1. 10.
Währung: 1 Renminbi ¥uan (RMB. ¥) = 10 Jiao = 100 Fen
Zeitzone: 1900 Peking = 1200 MEZ
[ç-], amtlich chinesisch in lateinischen Buchstaben Zhonghua Renmin Gongheguo [dʒ-], deutsch Volksrepublik China, Staat in Ostasien, 9,6 Mio. km2, (2000) 1 265,8 Mio. Einwohner, der drittgrößte und volkreichste Staat der Erde, mehr als 17-mal so groß wie Frankreich; erstreckt sich vom Amurknie im Norden bis zur Südküste der Insel Hainan über eine Luftlinie von rd. 4 050 km Länge und von den Tarimquellen im Pamir bis zur Yalumündung ins Gelbe Meer an der Grenze zu Nord-Korea über eine Entfernung von 4 400 km. Im Osten grenzt China an die Randmeere des Pazifischen Ozeans (Gelbes Meer, Ostchinesisches, Südchinesisches Meer), im Nordosten an Nord-Korea und Russland, im Norden an die Mongolei, im Nordwesten an Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan, im Westen an Afghanistan (Wakhan), Pakistan und Indien, im Süden an Nepal, Bhutan, Indien, Birma, Laos und Vietnam. Im Südchinesischen Meer beansprucht China vier kleinere Inselgruppen (Pratas-, Spratly-, Paracelinseln, Macclesfield-Bank); im Ostchinesischen Meer betrachtet die Volksrepublik China die Insel Taiwan als eine ihrem Staatsgebiet zugehörige Provinz. Hauptstadt ist nach 21-jähriger Unterbrechung seit 1949 wieder Peking (vorher Nanking). Rd. 92 % der Einwohner sprechen Chinesisch (zahlreiche Dialekte), die übrigen 8 % der nicht zu den Han gehörenden Chinesen verwenden Sprachen nationaler Minderheiten wie Uigurisch, Tibetisch und Mongolisch. Währungseinheit: 1 Renminbi ¥uan (RMB. ¥) = 10 Jiao = 100 Fenische Zeitzone: Chinazeit (1900 Peking = 1200 MEZ).
Staat und Recht:
Die im Dezember 1982 vom Volkskongress verabschiedete Verfassung (mehrfach, zuletzt 1999, modifiziert) knüpft an die Verfassung von 1954 an und soll dem von der jetzigen politischen Führung eingeschlagenen Kurs der Modernisierung staatsrechtlichen Ausdruck verleihen. Die Wiederangleichung an die Verfassung von 1954 betrifft v. a. die konkreten Bestimmungen über die Struktur und die Befugnisse der Verfassungsorgane, der regionalen Verwaltungsinstanzen und des Justizapparats. Eine unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zu wertende Weiterentwicklung stellt die Verfassungs- und Rechtsbindung aller gesellschaftlicher Organisationen (einschließlich der KPCh) dar.
Gemäß Art. 1 ist die Volksrepublik China ein sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes. Leitprinzipien sind die herkömmlichen vier Grundsätze: sozialistischer Weg, demokratische Diktatur des Volkes, Marxismus-Leninismus und Führungsmonopol der KPCh. Die 1993 geänderte Präambel definiert die Regierungsordnung als System der Mehrparteienkooperation und der politischen Konsultation unter Führung der KPCh.
Oberstes Staats- und Legislativorgan ist der auf 5 Jahre indirekt gewählte Nationale Volkskongress, dessen rd. 3 000 Abgeordnete von den Parlamenten der Provinzen, autonomen Gebiete und regierungsunmittelbaren Städte sowie von den Armeeeinheiten gewählt werden. Der Nationale Volkskongress ist zuständig für die Gesetzgebung (einschließlich Bestätigung des Staatshaushalts und des Volkswirtschaftsplans), die Ernennung des Ministerpräsidenten und des Staatsrates. Darüber hinaus kann er die Zuständigkeit für Staatsaufgaben jeglicher Art an sich ziehen. Zwischen den nur einmal jährlich stattfindenden Sitzungsperioden führt ein Ständiger Ausschuss (154 Mitglieder), der zunehmend den Charakter einer effizienten parlamentarischen Körperschaft annimmt, seine Geschäfte.
Staatsoberhaupt ist der vom Nationalen Volkskongress für 5 Jahre gewählte Präsident. Er nimmt im Wesentlichen repräsentative Aufgaben wahr. Der Oberbefehl über die Streitkräfte liegt bei der Zentralen Militärkommission, de facto unterstehen sie jedoch der Militärkommission der KPCh unter Führung des Generalsekretärs der Partei.
Zentrales Exekutivorgan ist der Staatsrat (Regierung), der sich aus dem Ministerpräsidenten, seinen Stellvertretern, den Minister und Kommissionsvorsitzenden sowie den Präsidenten der Zentralbank und des Rechnungshofes zusammensetzt. In seiner Eigenschaft als zentrale Volksregierung leitet er die Verwaltung der Volksrepublik China und ist richtungweisend für die Verwaltungen der örtlichen Staatsorgane. Er erlässt Verordnungen und Beschlüsse, erstellt den Volkswirtschafts- und Haushaltsplan und nimmt im Übrigen alle Aufgaben wahr, die ihm der Volkskongress überträgt. Als permanentes Arbeitsgremium der Regierung fungiert die Ständige Konferenz des Staatsrates.
Die Verfassung enthält eine Aufzählung von Grundrechten und -pflichten unterschiedlicher Art sowie gewisse Formen der Kontrolle der staatlichen Verwaltung. Dem Grundrechtskatalog ist ein allgemeiner Gleichheitssatz vorangestellt; es besteht aktives und passives Wahlrecht unabhängig von Geschlecht, Religion, Bildungsstand u. Ä. Ein Vorschlagsrecht für die Kandidatenlisten haben neben der KPCh und den Organisationen der Einheitsfront auch Gruppen von mindestens drei Bürgern. Die Stimmabgabe erfolgt in »anonymer Stimmzettelabgabe«. Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Religionsfreiheit sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung sollen gewährleistet werden, sofern sie den Interessen des Staates, der Gesellschaft und des Kollektivs sowie den Freiheiten und Rechten anderer Bürger nicht widersprechen. In der Praxis sind diese Grundrechte jedoch in hohem Maße eingeschränkt. Dem Recht auf Arbeit entspricht eine Pflicht hierzu. 1993 wurden die in den 70er-Jahren eingeleiteten Wirtschaftsreformen und die Öffnung nach außen in der Verfassung verankert und die sozialistische Marktwirtschaft als Staatsziel benannt. Die Verfassung umschreibt die grundlegenden Strukturen des Wirtschafts- und Eigentumssystems (Staats-, Genossenschafts- und Individualbereich), enthält einen Hinweis auf die Funktionen des Marktes und gestattet ausländische Direktinvestitionen sowie andere Formen der wirtschaftlichen Kooperation.
Parteien:
Einzige Partei von Bedeutung ist die Kommunistische Partei Chinas (KPCh), deren führende Rolle nach wie vor in der Verfassung fixiert ist. Sie ist nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus organisiert und übt über die enge (auch personelle) Verquickung von Partei und Staat ihre Führungs- und Kontrollfunktion auf allen Ebenen der Gesellschaft aus. Die zugelassenen kleinen »demokratischen« Parteien verfügen über wenig Einfluss.
Die seit 1925 im (der KPCh nahe stehenden) Allchinesischen Gewerkschaftsbund zusammengefassten Gewerkschaften wurden, mit Ausnahme der von der KPCh beherrschten Gebiete, Ende der 1920er-Jahre durch Chiang Kai-shek zerschlagen, 1948 wurden sie nach sowjetischem Vorbild neu aufgebaut. Während der Kulturrevolution waren die Gewerkschaften lahm gelegt und reorganisierten sich erst 1978 wieder. Die im Dachverband All-China Federation of Trade Unions zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften setzen sich v. a. für die Steigerung von Produktion und Arbeitsproduktivität ein. Weitere Aufgaben sind die Überwachung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Fortbildung der Arbeiter und der Kampf gegen Bürokraten. In den Betrieben ist der gesamte Sozialbereich den Gewerkschaften anvertraut. 1989 entstand als Vertreter einer neuen Gewerkschaftsbewegung in China die Workers' Autonomous Federation.
Das Wappen zeigt das »Tor des Himmlischen Friedens«, überhöht von einem großen Stern (Symbol für die Kommunistische Partei) und vier kleinen (Symbol für die Klassen: Arbeiter, Bauern, Kleinbürger und patriotische Kapitalisten); alles innerhalb einer Umrahmung aus Reis und Weizen, die Landwirtschaft symbolisieren, sowie einem mit roten Bändern dekorierten Zahnrad (Symbol für den industriellen Fortschritt).
Nationalfeiertage:
Territorial ist China in 22 Provinzen, fünf autonome Gebiete (darunter Tibet) und vier regierungsunmittelbare (provinzfreie) Städte im Rang einer Provinz (Peking, Schanghai, Tientsin, Chongqing) gegliedert. Innerhalb der Provinz bestehen Kreise, Städte und Gemeinden als lokale Verwaltungseinheiten. Wegen der Aufsichtsbefugnis der jeweils umfassenderen Gebietsverwaltung über die in ihrem Gebiet gelegenen kleineren Verwaltungseinheiten haben diese nur eine sehr begrenzte Zuständigkeit. In den Provinzen und den nachgeordneten Verwaltungsebenen existieren lokale Volkskongresse als Volksvertretungsorgane und Volksregierungen, deren Mitglieder formal von den jeweiligen Volkskongressen gewählt, de facto von den Komitees der KPCh bestimmt werden.
China verfügt über eine Jahrhunderte währende Rechtskultur. Kodifiziert wurde aber vorwiegend das Strafrecht, das weitgehend als Synonym für Recht schlechthin erachtet wurde. Im Zivilrecht herrschte Gewohnheitsrecht. Abendländisches Rechtsdenken drang vor Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nach China vor. Ab 1904 entstand allmählich ein modernes Handels- und Gesellschaftsrecht nach englischem Muster sowie eine unabhängige Gerichtsbarkeit. In den 1930er-Jahren erhielt China ein vollständiges Rechtssystem nach japanisch-deutschem Vorbild, 1947 eine Verfassung. Dieses Recht, später weiter modernisiert, gilt zum Teil noch heute auf Taiwan. Die Volksrepublik China hob dieses Recht jedoch 1949 auf und erließ bis 1978 kein Prozess-, Zivil- und nichtpolitisches Strafrecht; Gerichte sollten v. a. Konterrevolutionäre aburteilen. Juristen wurden kaum noch, ab 1966 gar nicht mehr ausgebildet.
Seit 1979 wird der Aus- und Aufbau einer Rechtsordnung und des Justizsystems systematisch betrieben. Neben Organisationsgesetzen zu den Verfassungsorganen wurden umfangreiche Gesetzbücher erlassen oder revidiert: das StGB und die StPO (1979), die ZPO (1982), das Ehegesetz (1980), das Wirtschaftsvertragsgesetz (1981), die Allgemeinen Regeln des Zivilrechts (1986). Die Strafjustiz unterliegt jedoch weiterhin politischem Einfluss; so kann beispielsweise die Todesstrafe schon bei Eigentumsdelikten verhängt werden. Daneben hat die Reform des Wirtschaftssystems zahlreiche Gesetze und Gesetzentwürfe v. a. im Bereich des Gesellschafts-, Arbeits-, Wettbewerbs- und Insolvenzrechts sowie des gewerblichen Rechtsschutzes hervorgebracht, so u. a. das Unternehmensgesetz (1988), das Seehandelsgesetz (1991) oder das Arbeitsgesetz (1994). Das Gerichtswesen ist untergliedert in örtliche und besondere Volksgerichte; seit 1949 besteht in Peking der Oberste Volksgerichtshof als höchstes staatliches Gericht, das auch die Rechtsprechung der unteren Gerichte überwacht. - In Hongkong (ab 1997 chinesisch) und Macao (ab 1999 chinesisch) besteht weiterhin englisches beziehungsweise portugiesisches Rechtssystem.
Die Gesamtstärke der Wehrpflichtarmee (Dienstzeit beim Heer zwei bis vier Jahre in Abhängigkeit von Dienstgrad und Truppenteil, bei der Luftwaffe vier Jahre und der Marine fünf Jahre) beträgt etwa 3,1 Mio. Mann (eine Reduzierung auf 2,5 Mio. Mann ist geplant), die der paramilitärischen Miliz rd. 4 Mio. Mann. Das Heer (rd. 2,4 Mio. Soldaten) umfasst in 24 Armeen zusammengefasste Großverbände mit 80 Infanterie-, 10 Panzer-, 10 Artillerie- und drei Flugabwehrdivisionen sowie einer größeren Anzahl selbstständiger Brigaden und Regimenter aller Truppengattungen. Die Luftwaffe hat 370 000 Soldaten (einschließlich 90 000 Mann der strategischen Streitkräfte und 220 000 Mann Luftverteidigungskräfte), die Marine 340 000 Soldaten (einschließlich jeweils 38 000 Mann Marinefliegerkräfte und Marineinfanteristen). Die Ausrüstung besteht vorwiegend aus älterem Material sowjetischer Herkunft (zum Teil auch in Lizenz gebaute Muster) und einigen neueren Entwicklungen. Im Einzelnen sind u. a. zu nennen: etwa 10 000 Kampfpanzer (sowjetische T-55, T-62 und T-80, chinesische T-59 und T-69), 120 mittlere Bomber H-6, 450 leichte Bomber H-5, 500 Jagdbomber Q-5, etwa 4 000 Jagdflugzeuge (überwiegend MiG-19, daneben MiG-21 und Su-27), 19 Zerstörer, 90 konventionelle U-Boote, zwei U-Boote mit ballistischen Atomraketen sowie etwa 980 Kleine Kampfschiffe. An landgestützten strategischen Kernwaffen verfügt China über 14 Interkontinental- und 90 Mittelstreckenraketen. - Das Land verwendet offiziell etwa 10 % der Staatsausgaben für die Verteidigung.
Landesnatur und Bevölkerung:
China ist ein Gebirgsland; nur 16 % des Landes liegen weniger als 500 m über dem Meeresspiegel, fast 20 % in Höhen von über 5 000 m über dem Meeresspiegel. Die Landfläche fällt in drei deutlich gegeneinander abgesetzten Stufen vom hoch gelegenen Westen zu den Ebenen im Osten ab. Das Hochland von Tibet und Qinghai ist die größte zusammenhängende Hochfläche der Erde mit einer Durchschnittshöhe von 4 000 m über dem Meeresspiegel; nur im Norden ist zwischen Kunlun Shan, Altun Shan und Nan Shan das wüstenartige Qaidambecken mit Höhen um 2 700 m über dem Meeresspiegel eingesenkt, östlich davon liegt der Qinghai Hu, der größte See Chinas, ein abflussloser Salzsee. Im Südwesten und Süden wird das Hochland vom Transhimalaja und Himalaja (beide durch das Tal des Tsangpo, Oberlauf des Brahmaputra, voneinander getrennt) begrenzt; im Himalaja, an der Grenze zu Nepal, erhebt sich der Mount Everest, mit 8 846 m über dem Meeresspiegel der höchste Berg der Erde. Nach Südosten fällt das Hochland mit dem Hengduan Shan zum Yunnan-Guizhou-Plateau ab.
Die zweite Landstufe, 1 000-2 000 m über dem Meeresspiegel, umfasst neben dem Yunnan-Guizhou-Plateau (mit Turm- und Kegelkarstlandschaften) das nördlich davon gelegene Sichuanbecken am Jangtsekiang (wegen des verbreiteten roten Sandsteins auch »Rotes Becken« genannt, eine der am dichtesten besiedelten Regionen Chinas) und im Norden die Lössebenen (etwa 400 000 km2), die Steppen und Wüsten (Gobi) der Inneren Mongolei; im Nordosten gehört auch der Große Chingan zu dieser Stufe, im Nordwesten in Sinkiang das Dsungarei- und das Tarimbecken (mit der Wüste Takla-Makan); beide werden durch den Tienschan voneinander getrennt, in dessen östlichen Ausläufern die Turfansenke liegt, mit 154 m unter der Meeresoberfläche eine der am tiefsten gelegenen Landflächen der Erde. Nord- und Südchina werden durch das Qinlinggebirge, einen östlichen Ausläufer des Kunlun Shan, getrennt.
Die dritte Landstufe bildet den am dichtesten besiedelten und wirtschaftlich am intensivsten genutzten Teil Chinas; sie erstreckt sich bis an die pazifische Küste und reicht von der nordostchinesischen Ebene (Mandschurei) über die vom Unterlauf des Hwangho durchströmte »Große Ebene« und das Tiefland am Mittel- und Unterlauf des Jangtsekiang bis zum südostchinesischen Bergland (Nanling und Wuyi Shan bis rd. 2 000 m über dem Meeresspiegel).
Das in zahlreichen Plateaus, Ebenen, Becken und zum Teil steil aufragende Gebirgszüge gegliederte Relief Chinas hat zur Isolierung vieler Räume beigetragen, die bis in die Gegenwart oft untereinander kaum Verbindung hatten. Geologisch betrachtet liegt in den Bergketten um das Hochland von Tibet junge Faltung und Bruchbildung vor, während es sich in den übrigen Bergländern um abgetragene Großrumpfschollen älterer Faltung und jüngerer Verstellung oder Verbiegung handelt. Die Gebirgsbewegungen sind noch nicht abgeschlossen, wie heftige Erdbeben, besonders an den Schollenrändern in den Provinzen Gansu, Shandong und Hebei, beweisen. Junge vulkanische Erscheinungen fehlen fast ganz, außer auf der Insel Hainan und im Norden von Nordostchina. Am Aufbau der Gebirge sind v. a. Sediment- und metamorphe Gesteine des Erdaltertums beteiligt, in Südchina von großen Granitstöcken durchsetzt.
Gewässernetz:
Weitgehend unabhängig von der Laufrichtung der Gebirge ist das Gewässernetz der von Westen nach Osten fließenden Ströme Amur, Hwangho, Jangtsekiang und Xi Jiang angelegt; mit großen Bogen und vielen Änderungen der Laufrichtung haben diese Flüsse zum Teil gewaltige Durchbruchstäler geschaffen (z. B. die Jangtseschluchten). Der rd. 6 300 km lange Jangtsekiang ist nach Amazonas und Nil der drittlängste Strom der Erde. Der Hwangho (4 845 km lang) strömt in tief eingeschnittenen Tälern durch die Lössgebiete des Nordens und führt bei seinem Eintritt in die »Große Ebene« eine Schlammfracht von jährlich fast 1 Mrd. m3 mit sich, was eine natürliche Erhöhung des Flussbettes und immer wieder Deichbrüche und plötzlichen Verlegungen des Flusslaufes zur Folge hat. Der Xi Jiang ist der Hauptfluss Südchinas; er mündet gemeinsam mit verschiedenen anderen Flüssen in einem Delta, dessen Hauptarm der Perlfluss bei Kanton ist. Die nach Süd- und Südostasien fließenden Ströme (Indus, Brahmaputra, Salweeen, Mekong) folgen jedoch der jungen Gebirgsfaltung des Himalaja und seiner Ausläufer. Die Verteilung des Oberflächenwassers ist regional und jahreszeitlich extrem unterschiedlich, die Entwicklung der Wasserbautechniken wurde daher zu einer zentralen Aufgabe in der Geschichte der chinesischen Zivilisation. - Die Küsten Südchinas und der im Norden gelegenen Halbinseln Liaodong und Shandong sind durch zahlreiche Buchten stark zergliedert, mit Steilküsten und vorgelagerten Inselfluren; die Küste nördlich des Jangtsekiang ist dagegen meist flach und hafenarm.
China erstreckt sich über mehrere Klimazonen vom winterkalten Nordosten (Mandschurei) und dem wüstenhaft trockenen Zentralasien bis in die heißfeuchten Randtropen im Südosten Im Winter sind die Temperaturgegensätze zwischen den einzelnen Regionen sehr groß (Kanton kältester Monat +15 ºC, Hulun Nur in der Inneren Mongolei —28 ºC), während sie im Sommer beinahe verschwinden; der Jahresgang der Temperatur ist im Süden viel weniger ausgeprägt als im Norden, wo unter dem Einfluss des Gebirgs- und Kontinentalklimas auch ein starker Tag-Nacht-Gegensatz der Temperaturen besteht. Die Niederschläge fallen hauptsächlich im Frühsommer, im Zusammenhang mit von Westen nach Osten ziehenden Tiefdruckstörungen, und im Spätsommer und Herbst bei den an der Küste gefürchteten tropischen Wirbelstürmen (Taifunen); eine sommerliche Trockenzeit trennt besonders in Zentralchina die beiden Regenzeiten. Das Winterhalbjahr ist in Nord- und Zentralchina trocken und wolkenarm; schwere Staubstürme wehen in dieser Zeit aus den trockenen Steppen und Lössgebieten südwärts, und Kältewellen erreichen, wenn auch durch die quer verlaufenden Gebirge gemildert, mitunter Südchina. Im Winter überwiegen Winde aus Norden und Nordwesten (Wintermonsun), im Sommer dagegen aus Süden und Südosten; dieser Sommermonsun ist jedoch an den (frontalen) Sommerregen kaum beteiligt. Die Niederschlagsmengen schwanken stark von Jahr zu Jahr, sodass Dürren wie auch Hochwasserkatastrophen nicht selten sind. Die höchsten Mengen fallen im Süden (Emei Shan 7 808 mm); die Durchschnittswerte liegen bei 750 mm jährlich im Südosten, bei weniger als 250 mm in Sinkiang.
Klima und Wasserhaushalt machen China von Natur aus zu einem Waldland; es besteht jedoch ein starker Gegensatz zwischen Ostchina und den Steppen und Wüsten der westlichen Landeshälfte. Die Vegetationsformen reichen vom tropischen Regenwald bis zu den Sandwüsten der Inneren Mongolei, von den Mangroveküsten der Insel Hainan bis zur alpinen Flora der Hochgebirge (besonders Himalaja); typisch für das mittlere China sind Lorbeer- und Bambuswälder. Auch in Ostchina wurde die natürliche Vegetation schon in früher Zeit in Weide- und Kulturland umgewandelt (v. a. in den Lössgebieten und im Lössschwemmland der »Großen Ebene«); damit wurde gerade in den Hauptsiedelgebieten die Bodenerosion (in Zusammenhang mit der Wasserverteilung) zu einem Jahrtausende währenden Problem. Die größten zusammenhängenden Waldflächen befinden sich heute noch im Nordosten im Großen und Kleinen Chingan. (Asien)
Von den Einwohnern des Landes sind über 90 % Chinesen (Han); diese gehören zur mongoliden Rasse und bilden eine Mischung aus nord-, mittel- und südsiniden Bestandteilen. Etwa 8 % der Bevölkerung zählen zu den nationalen Minderheiten, die jedoch über die Hälfte des Landes bewohnen und zum Teil in autonomen Regionen leben, in denen die Sprache der jeweiligen Minderheit auch als Amtssprache gilt. Offiziell sind derzeit 55 Minderheiten anerkannt, doch könnten in Zukunft durch veränderte ethnische Identifikation neue Gruppen hinzukommen. Die Bevölkerungsverteilung ist sehr ungleichmäßig, da rd. 90 % der Einwohner in den wirtschaftlich stärker entwickelten Gebieten Ost- und Nordostchinas leben. Die höchste Bevölkerungsdichte wiesen die Stadtprovinzen Schanghai (über 2 300 Einwohner/ km2), Tientsin (über 800 Einwohner/ km2) und Peking (über 700 Einwohner/ km2) sowie die Provinzen Jiangsu, Shandong und Henan auf. Am geringsten ist die Bevölkerungsdichte im autonomen Gebiet Tibet (2,0 Einwohner/ km2). In die städtischen Küstenregionen wanderten seit Mitte der 1980er-Jahre rd. 80 Mio. Menschen aus den ländlichen Gebieten, sodass hierdurch der Bevölkerungsdruck weiter verstärkt wurde. Der Anteil der ländlichen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung verringerte sich von (1952) 87,5 % auf (2000) 63,9 %. Von 1952 bis 2000 stieg die Bevölkerungszahl von 575 Mio. auf 1,266 Mrd. Menschen und hat sich damit innerhalb von fast 50 Jahren mehr als verdoppelt. Durch die Politik der Familienplanung konnte die natürliche Wachstumsrate der Bevölkerung reduziert werden (1970: 2,6 %; 2000: 1,0 %), doch ist die Geburtenkontrolle in ländlichen Gebieten wesentlich schwieriger durchsetzbar als in den Städten. Der Anteil der jungen Jahrgänge (0-14 Jahre) betrug 1990 27,7 %, während auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15-64) 66,5 % entfielen. Obwohl die alten Jahrgänge (65 Jahre und mehr) lediglich 5,6 % der Einwohner stellen, ist auch in China längerfristig mit einer Überalterung der Bevölkerung zu rechnen. Die jährlich mit rd. 12,8 Mio. Menschen wachsende Bevölkerung übt einen starken Druck auf die Versorgung mit Agrarprodukten aus. Der bedeutende Bevölkerungsanteil im erwerbsfähigen Alter zwingt die Regierung außerdem, ein hohes Wachstumstempo bei der Entwicklung der Wirtschaft zu verfolgen.
Exakte Angaben zur Religionszugehörigkeit sind nicht möglich. Nach Schätzungen sind über 70 % der Bevölkerung konfessionslos beziehungsweise Atheisten, rd. 20 % bekennen sich zum Taoismus und den traditionellen chinesischen Volksreligionen, rd. 6 % zum Buddhismus. Daneben gibt es rd. 20 Mio. mehrheitlich sunnitische Muslime und 13-17 Mio. Christen. Eine jüdische Gemeinde besteht seit 1945 nicht mehr, seit 1992 bemüht sich jedoch in Kaifeng eine kleine Gruppe (im eigenen Verständnis jüdische Nachkommen) um die staatliche Anerkennung als nationale Minderheit. Der Buddhismus ist v. a. in Nordwest- und Nordostchina (Sinkiang, Innere Mongolei, Heilongjiang) und in Tibet, der Islam in Nordwestchina (Sinkiang; Provinzen Qinghai und Gansu) verbreitet. Die traditionellen Volksreligionen (u. a. Ahnenverehrung, Verehrung von lokalen Göttern und Naturgottheiten) sind unter großen Teilen der ländlichen Bevölkerung verbreitet, wobei in der Frömmigkeitspraxis oft eine »Vermischung« mit Elementen des Taoismus und Konfuzianismus stattfindet. Die konfuzianische Ethik gilt heute als Ausdruck national chinesischer Identität und wurde nach Phasen antikonfuzianistischer Kampagnen immer wieder toleriert beziehungsweise staatlich gefördert, zuletzt Mitte der 1980er-Jahre. Christen finden sich - mit wachsender Tendenz - unter den akademisch ausgebildeten Bevölkerungsgruppen in den Städten.
Die Religionsfreiheit ist durch Art. 36 der Verfassung garantiert. Alle Religionsgemeinschaften unterliegen der Pflicht zur staatlichen Registrierung durch das »Büro für religiöse Angelegenheiten«. Die Religionsgesetzgebung (seit 1990 zum Teil neu geregelt) verpflichtet die Geistlichen aller Religionen zur Loyalität gegenüber dem Staat und verbietet ausdrücklich eine Beeinflussung der religiösen Tätigkeit durch das Ausland.
Nach der Gründung der Volksrepublik China initiierte der sozialistische Staat die Bildung landesweiter religiöser Vereinigungen: Chinesische Taoistische Vereinigung, protestantische Drei-Selbst-Bewegung (1950), Chinesischer Islamischer Gesellschaft (1952), Chinesische Buddhistische Vereinigung (1953) und Patriotische Vereinigung der Katholiken Chinas (1958). Über sie sollten die staatliche Religionspolitik durchgesetzt, die Religionsgemeinschaften kontrolliert und eigenständige Beziehungen mit dem Ausland (v. a. der christlichen Kirchen mit ihren Mutterkirchen) verhindert werden. Den schwersten Eingriff in das religiöse Leben bildete die Kulturrevolution, die massive Verfolgungen von Gläubigen und Geistlichen aller Religionen und die Schließung, Zweckentfremdung oder Zerstörung Tausender Tempel, Klöster, Kirchen und Gebetsstätten zur Folge hatte und zum Untergang der kleinen, in Nachfolge der russisch-orthodoxen Mission des 19. Jahrhunderts entstandenen Chinesischen Orthodoxen Kirche (1956 rd. 20 000 Mitglieder; heute [2001] nur noch eine Gemeinde [Harbin]) führte. Ende der 1970er-Jahre erfolgte eine Neubestimmung (»Liberalisierung«) der staatlichen Religionspolitik, die zu einer »religiösen Renaissance« in China führte. Seit 1979 wurden über 1 000 taoistische Klöster und Tempel, rd. 20 000 Moscheen und über 6 000 Kirchen wieder beziehungsweise neu eröffnet. Für muslimische Pilgergruppen wurde die Pilgerfahrt nach Mekka wieder möglich (jährlich etwa 2 000); 1989 wurde in Xi'an die erste islamische Universität Chinas eröffnet. Innerhalb der christlichen Kirchen sind seither die protestantischen Kirchen stark im Wachsen begriffen; Schätzungen gehen von 3-5 Mio. Mitgliedern (aber auch weit darüber hinaus) aus. 1980 schlossen sich vier protestantische Kirchen (Anglikaner, Baptisten, Methodisten, Presbyterianer) im »Chinesischen Christenrat« zusammen, der 1991 als Zusammenschluss der Evangelischen Christen Chinas in den Ökumenischen Rat der Kirchen aufgenommen worden ist. Die 10-12 Mio. katholischen Christen gehören nach wie vor zwei Kirchen an: der vom Staat kontrollierten »Unabhängigen Patriotischen (Nationalen-)Kirche« (1993 offiziell rd. 3,6 Mio. Mitglieder, 68 Bischöfe und 1 000 Priester) und der gegenüber dem Papst loyalen »Untergrundkirche« (geschätzt 300-400 Priester). Ausgenommen von der allgemeinen religionspolitischen Entwicklung ist nach wie vor der Buddhismus in Tibet, der als der das nationale und kulturelle (Selbst-)Bewusstsein der Tibeter integrierende Faktor seit Beginn der 1990er-Jahre wieder verstärkt restriktiver staatlicher Einflussnahme ausgesetzt ist.
Im Primarbereich sind fünf Jahre Grundschule zu absolvieren. Auf der Sekundarstufe gibt es »allgemein bildende«, »technische« und »pädagogische« Mittelschulen, die eine zwei- bis dreijährige Unterstufe und eine ebenfalls zwei- bis dreijährige Oberstufe anbieten. Theoretisch hat jedes chinesische Kind die Möglichkeit, eine mindestens achtjährige und maximal zehnjährige Schulbildung im Primar- und Sekundarbereich zu erhalten. Tatsächlich beendet aber nur noch rd. ein Drittel aller chinesischer Schüler die Grundschule, und nur etwas mehr als 10 % vollenden die Mittelschule. Die Gründe liegen u. a. in dem hohen Schulgeld (circa 5 % des durchschnittlichen Jahreseinkommens eines Bauern). Im Hochschulbereich, in dem während der Kulturrevolution (1966-69) Prüfungen und Graduierungen abgeschafft waren, wird ein erhöhtes Ausbildungsniveau angestrebt (Verlängerung der Studienzeit auf 4-6 Jahre). Die 1949 abgeschafften Magister- und Doktorexamen wurden 1981 wieder eingeführt. Die Analphabetenquote beträgt 17,1 %. Es bestehen über 1 000 Hochschuleinrichtungen, darunter rd. 30 allgemeinen Universitäten, sowie spezialisierte Universitäten, Fachhochschulen und Institute. Neben den allgemein bildenden Instituten gibt es berufsbildende Schulen der unterschiedlichsten Art sowohl für Erwachsene als auch für Jugendliche. Hochschuleingangsprüfungen sind verbindlich. In der Landeshauptstadt gibt es neben neun Akademien der verschiedenen Wissenschaften (bedeutendste ist die Chinesische Akademie der Wissenschaften mit 119 Forschungseinrichtungen) mehrere Universitäten (z. B. Peking-, Qinghua-, Volksuniversität), zahlreiche Hochschulen (davon etwa 20 Schwerpunkt- und mehrere Freizeithochschulen), Institute (besonders das Zentralinstitut für Nationalitäten und das Institut für fremdländische Sprachen) sowie Forschungseinrichtungen.
Zentrale Verwaltungsbehörden sind das Kulturministerium für die Presse sowie das Rundfunkministerium für Hörfunk und Fernsehen, zentrales Aufsichtsorgan ist die Propagandaabteilung des ZK der KPCh, jeweils mit ihren nachgeordneten und teilweise selbstständigen Behörden auf der Ebene der Provinzen bis hin zu den Gemeinden. Entsprechend gegliedert sind das Pressesystem und das Rundfunksystem. - Presse: In der Hauptstadt erscheinen: das Zentralorgan der KPCh »Renmin Ribao« (Volkszeitung) sowie ebenfalls mit hohen Auflagen (1,0 Mio. und höher) »Jiefangjun Bao« (Befreiungsarmee-Zeitung), die Kulturzeitung »Guangming Ribao« (Aufklärungszeitung), das Bauernblatt »Nongmin Ribao«, die Wirtschaftszeitung »Jingji Ribao«, ferner die englischsprachige »China Daily« (Auflage: 150 000). Das Stadtkomitee der KPCh gibt die »Beijing Ribao« (Pekinger Zeitung) mit dem Abendblatt »Wanbao« heraus. - Auch die Zeitungen anderer Großstädte haben hohe Auflagen; über 1 Mio. Auflage erreichen in Schanghai »Jiefang Ribao« (Befreiungszeitung), »Wenhui Bao« (Kulturspiegel-Zeitung) und »Xinmin Wanbao« (Abendzeitung Neues Volk), in Nanchang »Jiangxi Ribao«, in Guangzhou »Nanfang Ribao«, in Chengdu »Sichuan Ribao«. Wichtige Zeitschriften sind in Peking »Qiushi« (Wahrheitsstreben), »Banyue Tan« (Halbmonatliche Gespräche) und »Beijing Review« (Ausgaben in Deutsch, Englisch, Französisch, Japanisch und Spanisch) sowie in Shenyang »Shichang Zhoubao« (Wirtschaftswoche). - Die amtliche Nachrichtenagentur »Xinhua« (Neues China), gegründet 1937, Sitz Peking, mit Büros in allen Provinzhauptstädten und rd. 95 Auslandsbüros, verbreitet chinesische Inlandsdienste für die Medien und Auslandsdienste in fünf Sprachen. »Zhongguo Xinwen She« (Chinesische Nachrichtenagentur) beliefert chinesischsprachige Zeitungen und Zeitschriften im Ausland mit Inlandsnachrichten zu Propagandazwecken. - Rundfunk: Die »Zhongyang Renmin Guangbo Diantai« (Zentrale Volksrundfunkanstalt), Sitz Peking, verbreitet sechs Hörfunkprogramme in elf nationalen Sprachen. Die Provinzen, Städte und Kreise haben die Möglichkeit, eigene Sender mit eigenen Programmanteilen einzurichten. Der Auslandsdienst »Guoji Guangbo Diantai« (Internationale Rundfunkanstalt), gegründet 1947, sendet unter der Kennung »Radio Beijing« (Radio Peking) Programme in rd. 40 Sprachen, seit 1960 einen deutschen Dienst. Die »Zhongyang Dianshitai« (Zentrale Fernsehanstalt), Sitz Peking, gegründet 1959, verbreitet vier landesweite Programme. Selbstständige Fernsehanstalten der Provinzen, autonomen Gebiete und regierungsunmittelbaren Städte haben eigene Programme. Die Programmverteilung geschieht teilweise über eigene Fernmeldesatelliten.
Wirtschaft und Verkehr:
Das chinesischeWirtschaftssystem befindet sich seit Ende der 1970er-Jahre in einem tief greifenden Wandel, in dessen Mittelpunkt der Übergang von zentralen zu dezentralen Lenkungsmechanismen und eine Auffächerung der Eigentumsstruktur stehen. Seit 1992 heißt das Ziel der Reform der Wirtschaftsordnung »sozialistische Marktwirtschaft«. An die Stelle der administrativen Zuteilung von Gütern sind weitgehend Märkte und Preise getreten; Mitte der 90er-Jahre wurden 90 % der Konsumgüter und 85 % der Investitionsgüter auf Märkten und zu Marktpreisen gehandelt. Die verdeckte Privatisierung ist am stärksten in der Landwirtschaft vorangeschritten. An die Stelle der kollektiven Landwirtschaft ist eine Pachtwirtschaft auf Familienbasis mit langfristigen Nutzungsrechten am (kollektiveigenen) Boden getreten. Ein vertraglich festgelegter Anteil der landwirtschaftlichen Produktion muss zwar im Rahmen des Pachtsystems weiterhin an staatlichen Ankaufsstellen abgeliefert werden, doch haben die Bauern mehr Einfluss auf die Anbauentscheidungen, und die landwirtschaftlichen Investitionsgüter sind überwiegend in privatem Eigentum. Im städtischen Industriesektor hat die Zulassung von privaten und kollektiven Unternehmen sowie Unternehmen mit Auslandskapital ebenfalls zu einem Zurückdrängen des Staatssektors geführt. Nichtstaatliches Unternehmen erwirtschafteten mehr als die Hälfte der Industrieproduktion. Die Umwandlung der Staatsunternehmen in rentable und konkurrenzfähige Unternehmen ist mit der Einführung von Kapitalgesellschaften mit Trennung von Management- und Eigentumsrechten seit Anfang der 90er-Jahre beschleunigt worden. Um die soziale Stabilität aufrechtzuerhalten, werden die Anpassung der großen Staatsbetriebe und damit verbundene Massenentlassungen jedoch nur vorsichtig durchgeführt. Diese Unternehmen gelten als Rückgrat der sozialistischen Marktwirtschaft, die öffentliches Eigentum an den Großunternehmen voraussetzt. Eine Privatisierung dieser Betriebe ist vorerst nicht vorgesehen.
Eine klare Trennung von privatem und staatlichem Sektor ist oftmals nicht möglich, da ein dichtes Verflechtungs- und Beziehungsnetz zwischen staatlichen Funktionären und privaten Unternehmen besteht. Einerseits rekrutiert sich ein Großteil der heutigen Privatunternehmer und Manager staatseigener Unternehmen direkt aus dem Kaderapparat, andererseits haben Privatunternehmer zu den Bürokratien ein enges Beziehungsnetz aufgebaut, um sich vor politischer Diskriminierung und vor wirtschaftlichen Unwägbarkeiten der unvollkommen entwickelten Märkte zu schützen. Die Sicherung von Versorgungs- und Absatzkanälen für Kredite, Rohstoffe, Energie und Transportkapazitäten ist oftmals noch abhängig vom Wohlwollen der lokalen Bürokratie.
Die Dezentralisierung der wirtschaftlichen Entscheidungsrechte hat zu einer Veränderung im Bereich der staatlichen Planung geführt, die heute nur noch als Indikativplanung Rahmenrichtlinien und Prinzipien der Wirtschaftsentwicklung vorgibt. Im 9. Fünfjahresplan (1996-2000) sowie in der Langzeitplanung bis zum Jahr 2010 liegen die Schwerpunkte auf der Erhöhung der wirtschaftlichen Effizienz, Reform der Staatsbetriebe, Unterstützung der landwirtschaftlichen Entwicklung und auf Maßnahmen zur Reduzierung des Regionalgefälles. Bis zum Jahr 2010 wird eine Vervierfachung des Pro-Kopf-Bruttosozialprodukts gegenüber 1980 angestrebt. Nach dem Bruttosozialprodukt zählt China zwar noch zur Gruppe der Entwicklungsländer, doch einige Küstenregionen weisen inzwischen einen vergleichbar hohen Entwicklungsstand wie die ostasiatischen Schwellenländer auf. Mit dem offiziellen Beitritt der Volksrepublik China 2001 zur WTO (Welthandelsorganisation) ist nicht nur eine weitere Liberalisierung und Öffnung der Wirtschaft verbunden, sondern es wird gleichzeitig versucht, die einheimische Industrie durch entsprechende Maßnahmen, insbesondere die Abwendung negativer Folgen durch höhere Importe, zu schützen. Wirtschaftsbereiche wie die Landwirtschaft, die Kfz- und petrochemische Industrie, die Informations- und Kommunikationsbranche, die Textilindustrie und der Finanzbereich sollen vorerst einen gesonderten Schutz vor ausländischer Konkurrenz genießen.
Die Wirtschaftsstruktur hat sich seit Beginn der Wirtschaftsreformen insoweit verändert, als der Anteil des Primärsektors (Landwirtschaft) am Bruttoinlandsprodukt bis 1998 auf 18,0 % gesunken (1978: 28,1 %) und der Anteil des Tertiärsektors (Dienstleistungsbereich) auf 33,0 % gestiegen (1978: 23,7 %) ist; der Beitrag des Sekundärsektors (Industrie) blieb nahezu unverändert bei rd. 49 %. Im Primärsektor waren 1998 noch 49,8 % der Arbeitskräfte beschäftigt (1978: 70,5 %), im Sekundärsektor arbeiteten 23,5 % (1978: 17,4 %) und im Tertiärsektor stieg der Beschäftigungsanteil auf 26,7 % (1978: 12,1 %).
Mitte der 90er-Jahre waren 9,9 % der Gesamtfläche als Ackerland, 13,4 % als Waldfläche und 42 % als Weideflächen ausgewiesen; die restliche Gesamtfläche entfiel auf andere Nutzungsarten. Die relativ geringe landwirtschaftliche Nutzfläche und ein Anteil von nur 30 % ertragsstabiler Anbauflächen erschweren das Schritthalten der landwirtschaftlichen Produktionszuwächse mit der jährlich um fast 13 Mio. Einwohner wachsenden Bevölkerung. Durch ländliche Industrialisierung und Ausdehnung der Städte ist die Pro-Kopf-Anbaufläche zurückgegangen. Hierdurch wurden eine ständige Intensivierung der Anbaumethoden und ein steigender Kunstdüngereinsatz erforderlich. Unzureichende Investitionen in Be- und Entwässerungsanlagen, in die Melioration versalzter alkalischer und von Bodenerosion betroffener Böden sowie in Anlagen zum Überschwemmungsschutz schwächen die Fähigkeit für landwirtschaftliche Produktionssteigerungen.
Bedingt durch die Anhebung der landwirtschaftlichen Ankaufspreise und neue Einkommensmöglichkeiten für die Bauern aus ländlicher Industrie, Handel und Transport stieg das Pro-Kopf-Einkommen der Bauern in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre deutlich schneller als dasjenige der städtischen Bevölkerung. Aufgrund der Preissteigerung für landwirtschaftliche Produktionsgüter und Konsumgüter hat sich seit Ende der 1980er-Jahre dieser Trend wieder umgekehrt. Bis Mitte der 90er-Jahre weitete sich die Relation zwischen ländlichem und städtischem Durchschnittseinkommen auf 1 zu 2,5 aus (1978: 1 zu 1,7). Als Folge dieser Entwicklung nahm die Land-Stadt-Migration zu und umfasste 1995 rd. 80 Mio. Menschen.
Die wichtigsten Getreidearten sind Reis, Weizen und Mais, die rd. 60 % der Anbauflächen in Anspruch nehmen. In Südchina liegen 90 % der Reisanbaugebiete, die bei künstlicher Bewässerung bis zu drei Ernten ermöglichen. Der Schwerpunkt des Weizenanbaus liegt in Nordchina, obwohl Weizen und andere Getreidearten auch landesweit angebaut werden. Hauptanbaugebiete für Baumwolle sind die Nordwestprovinzen Sinkiang und Gansu sowie die Zentral- und Nordostprovinzen, insbesondere Hunan, Hubei, Zhejiang, Jiangxi und Liaoning. Bei der Produktion der wichtigsten landwirtschaftlichen Erzeugnisse gab es v. a. bei Getreide und zuckerhaltigen Pflanzen erneute Produktionseinbrüche, und die Baumwollernte lag unter dem Niveau von Anfang der 90er-Jahre. Durch die Bewirtschaftung auf Familienbasis und aufgrund der Marktanreize sind sowohl der Umfang als auch die Qualität der Viehzucht sowie der Fleisch- und Tierproduktion kontinuierlich gestiegen.
Trotz verstärkter Wiederaufforstungsbemühungen betrug der Anteil der Waldfläche nur 13,4 %. Die gesamte Waldfläche beläuft sich auf 128,6 Mio. ha; der Holzeinschlag umfasste ein Volumen von 61 Mio. m3.
Durch Einsatz moderner Fangmethoden stiegen die Anlandungen auf insgesamt 21,4 Mio; auf die Binnen- und Hochseefischerei entfielen Anteile von 12,4 Mio. t und 9,02Mio. t.
Ungünstige Rahmenbedingungen erschweren die Nutzung der reichen NE-Metallvorkommen. So liegen die meisten Vorkommen in abgelegenen Gebieten mit unzureichender Verkehrsanbindung, die Minen arbeiten wenig effizient, haben vielfach eine veraltete Ausstattung und zu viele Arbeitskräfte; Umweltaspekte werden kaum beachtet. Die Produktion der 10 wichtigsten NE-Metalle (Aluminium, Kupfer, Blei, Zink, Zinn, Titan, Nickel, Magnesium, Antimon und Quecksilber) belief sich auf 3,4 Mio. t und soll aufgrund des wachsenden Bedarfs, v. a. der Elektro- und Leichtindustrie sowie der Verpackungs- und Fahrzeugindustrie, um jährlich 7 % auf etwa 4,5-5,0 Mio. t erhöht werden. Als größter Produzent von Stein- und Braunkohle exportiert China im Durchschnitt rd. 20 Mio. t jährlich. Die meisten Wirtschaftssektoren sind durch eine hohe Abhängigkeit von Kohle gekennzeichnet. Trotz einer Produktion von 1 212 Mio. t Rohkohle war die Versorgung der Elektrizitätswerke nicht ausreichend, u. a. aufgrund unzureichender Eisenbahntransportkapazitäten. Die Erdölproduktion und Exploration neuer Erdölfelder hält mit der steigenden Nachfrage nach Erdöl nicht Schritt. Langfristig wird mit einer Erhöhung des chinesischen Anteils am Welterdölverbrauch von (1992) 4,1 % (2000: 6,6 %; bei einem Beitrag zur Weltproduktion von l4,5 %) auf 7,3 % (2010; bei einem Beitrag von 4,3 %) gerechnet.
Kohle ist mit einem Anteil von 77 % der wichtigste Energielieferant und wird es nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur auch langfristig bleiben. Bis zum Jahre 2010 wird eine Anteilsreduzierung auf 70 % erwartet. Engpässe in der Elektrizitätsversorgung führen oftmals zu Stromabschaltungen und Versorgungslücken. Durch eine stärkere Nutzung der Wasserkraft, die 1997 mit einer Vielzahl mittelgroßer Kraftwerke rd. 17 % zur Elektrizitätserzeugung beitrug, soll die Erzeugungskapazität erhöht werden. Diesem Ziel dient auch der 1994 begonnene Bau des »Drei-Schluchten-Staudamms« am mittleren Lauf des Jangtsekiang. Das gigantische Projekt, dessen Nutzen im In- und Ausland umstritten ist, sieht den Bau eines Staudamms von 185 m Höhe und fast 2 000 m Länge vor, durch den der Fluss zu einem See von bis zu 175 m Tiefe und 600 km Länge gestaut wird; als Kosten werden 30 Mrd. US-$ veranschlagt, die Umsiedlung von 1,3 Mio. Menschen ist dabei erforderlich.
Erdöl hat mit 19 % den zweitgrößten Anteil an der Energieversorgung Chinas.
Wachstumsimpulse für die Industrieentwicklung gingen in den letzten Jahren eher von der nichtstaatlichen Industrie aus, während die Staatsindustrie hohe Verluste aufwies. Die Industrieproduktion ist regional sehr unterschiedlich mit Konzentration in den Küstenprovinzen. Seit 1994 wird ein industriepolitisches Konzept verfolgt, das die rationale Verteilung von Industriezweigen zwischen den Regionen zum Ziel hat. Zur Anpassung der Industriestrukturen wird die Verlagerung von rohstoff- und arbeitsintensiven Industrien aus den Küstenprovinzen in die Zentral- und Westregion Chinas angestrebt. Auslandsunternehmen und ausländische Technologie tragen zur schnellen Modernisierung der chinesischen Industrie bei, insbesondere in der Elektronik-, Maschinenbau-, Automobil-, Chemie- und Textilindustrie. Wichtigste Standorte der Schwerindustrie sind die nordostchinesischen Provinzen sowie die Städte Schanghai, Tientsin, Peking und Wuhan. Die leichtindustrielle Produktion konzentriert sich in den südostchinesischen Küstenprovinzen, wobei v. a. auf die Provinzen Jiangsu und Zhejiang sowie die südchinesischen Provinzen Guangdong und Fujian durch die Ansiedlung von Auslandsunternehmen und die Entwicklung von ländlichen Industrieunternehmen hohe Anteile entfallen.
Die außenwirtschaftliche Öffnung setzte Anfang der 80er-Jahre mit der Bildung von Sonderwirtschaftszonen in den südlichen Küstenprovinzen ein, wo ausländischen Unternehmen, denen besondere Investitionsanreize eingeräumt werden, unter marktwirtschaftlichen Bedingungen für den Export produzieren können. Inzwischen gibt es außerdem 32 Wirtschafts- und Technologieentwicklungszonen sowie 52 nationale, unter direkter Schirmherrschaft der Zentralregierung stehende Entwicklungszonen für neue Technologien. Insgesamt wurden mehr als 900 Städten und Kreisen Sonderbedingungen für die außenwirtschaftliche Entwicklung zugestanden. Im Außenhandel erfolgte eine Einschränkung des staatlichen Außenhandels- und Devisenmonopols; die Zahl der Unternehmen im Außenhandel stieg von anfänglich 12 zentralstaatlichen Unternehmen auf rd. 7 000 Unternehmen. Die erfolgreiche Umsetzung der außenwirtschaftlichen Reformen im Zeitraum 1979-94 wird in der jährlich durchschnittlichen Zuwachsrate des Außenhandelsvolumens von 16,5 % und der Exporte von 17 % deutlich. China stieg inzwischen zu einer bedeutenden Welthandelsnation auf, war 1999 das neuntgrößte Exportland (1980: Platz 30) und trug mit 3,5 % zum globalen Exportvolumen bei. Mit einem Anteil der verarbeiteten Güter von 87 % im Jahre 1997 (1980: 47 %) veränderte sich die Exportgüterstruktur deutlich. Entscheidenden Einfluss auf diesen außenwirtschaftlichen Erfolg hatte die enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen Hongkong und der südchinesischen Provinz Guangdong, die zur »verlängerten Werkbank« Hongkonger Exportunternehmen wurde und mit einem Viertel zum Export beiträgt. Der Außenhandelserfolg wurde v. a. durch die Ansiedlung von sinoausländischen Jointventures unterstützt, deren Anteil am Export 1997 auf 41 % stieg. Investitionen aus der chinesischen Sonderwirtschaftszone Hongkong und den asiatischen Nachbarländern dominieren, insbesondere aus Taiwan, Süd-Korea und Japan. Chinas Außenhandel belief sich 2000 auf 225,1Mrd. US-$; die Handelsbilanz wies einen Überschuss von rd. 24,1 Mrd. US-$ auf. Auf der Einfuhrseite nahmen verarbeitete Waren (Elektrotechnik und Elektronik, chemische Erzeugnisse, Maschinen) 2000 den ersten Platz ein (74 %), bei den Exporten dominierten Elektroerzeugnisse, leichtindustrielle Produkte und Erzeugnisse der Textil- und Bekleidungsindustrie. Wichtigste Handelspartner waren 2000 auf der Import- und Exportseite (in %) die USA (9,9/20,9), Japan (18,4/16,7), Taiwan (11,3/2), Süd-Korea (10,3/4,5) und Deutschland (4,6/3,7).
Verkehr:
Das Verkehrsnetz hat mit der schnellen Wirtschaftsentwicklung nicht Schritt halten können, insbesondere hinsichtlich der Transportkapazitäten für Rohstoffe aus Nordostchina und den Zentralprovinzen in die dynamischen Küstenprovinzen im Osten. Der Norden und Nordosten sowie einige Regionen an der Ostküste sind relativ gut an das Schienennetz angeschlossen, während in Süd- und Westchina Eisenbahnstrecken fehlen. Der Ausbau der Nord-Süd-Eisenbahnverbindungen sowie die Anbindung der Zentral- und Westregion an das Straßennetz sind derzeit wichtige Projekte zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur. Die Straße als Verkehrsträger mit einem Netz von 1,2 Mio. km Länge leistete 1997 einen Beitrag zum Frachtvolumen von 517 Mrd. tk. Per Eisenbahn wurden 1997 1 310 Mrd. tk Frachtvolumen befördert. Obwohl das Schienennetz 66 000 km umfasst, sind nur knapp 20 % elektrifiziert. Es wird aber ständig wie auch das Straßennetz erweitert. Die Länge der schiffbaren Binnenwasserstraßen betrug 1996 rd. 110 800 km. Zwei Drittel dieser Wasserstraßen befinden sich im Bereich des Jangtsekiang- und Xi-Jiang-Flussbeckens. Wichtigste Häfen sind: Hongkong, Schanghai, Qinhuangdao, Ningbo, Kanton, Dalian, Tientsin, Tsingtau. Bedingt durch Treibsand und einen niedrigen Wasserstand, sind die Wasserwege nicht ganzjährig befahrbar. Die Streckenleistung der Binnenschifffahrt betrug 1996 rd. 1 790 Mrd. tkm. Durch die Gründung neuer Fluggesellschaften auf Provinzebene wurde das Monopol der zentralstaatlichen Fluggesellschaft CAAC (heute Luftaufsichtsbehörde) aufgehoben. Der Bestand an Zivilflugzeugen erhöhte sich durch den Zukauf auf dem internationalen Markt auf 750. Die wichtigsten Flughäfen sind Peking, Kanton, Hongkong, Schanghai, Chengdu und Shenyang.
Abendländische Chinakenntnisse:
Die erste genauere Kunde von China (Kathai) erhielt Europa um 1300 durch Marco Polo. 1517 landeten die Portugiesen in Macao; 1579 begann dort die Jesuitenmission. Der Österreicher M. Martini (Mitte 17. Jahrhundert) begründete die geographische Kenntnis über Zentralchina. Französische Jesuiten führten 1708-17 eine topographische Aufnahme des Reiches aus. Nach dem Opiumkrieg (1840-42) waren zunächst die Reisen des britischen Botanikers R. Fortune (1843-45) und der französischen Lazaristen E.-R. Huc und J. Gabet (1844-46) bedeutsam. Der Amerikaner R. Pumpelly (1863-65) leistete Pionierarbeit in der geologischen Erforschung, der französische Lazarist A. David (1862-74) schuf Grundlagen der tiergeographischen Erforschung des Landes. Bahnbrechend für die geologische und geographische Kenntnis Chinas wurden die Reisen des Deutschen F. von Richthofen (1868-72).
Frühsteinzeitliche Besiedlung ist besonders durch Funde aus Zhoukoudian (Westpeking) bezeugt, wo Reste von Pekingmenschen (Sinanthropus pekinensis) zusammen mit Feuerspuren und primitiven Steinwerkzeugen (»Chopper/Chopping-Tools«) zutage kamen.
Im Mittelpaläolithikum sind dem Moustérien Westeurasiens verwandte Funde (z. B. Dreieckabschläge) nur in die lokale Tradition eingebettet. Die Menschenreste werden als neanderthaloid in sinanthropider Tradition eingestuft. Im Jungpaläolithikum (Ordosgebiet, unterer Hwangho, Südwestchina) erschien Homo sapiens (mit sinanthropoid(?)-prämongoliden Merkmalen) zusammen mit einer Klingenherstellung etwa vergleichbar dem Aurignacien/Périgordien Westeurasiens; urtümlicher Kieselgeräte der Choppertradition bestanden daneben weiter.
Die Mittelsteinzeit intensivierte die Tendenz zum Kleinformat der Steingeräte (Mikrolithe), die wohl in Geräte/Waffen aus organischem Material eingesetzt waren (auch Knochengeräte). Die Chopper- und Kieseltradition reißt aber besonders im Südwesten nicht ab und leitet zum Hoabinhien Südostasiens über. In der Oberen Höhle von Zhoukoudian deuten Meeresmuscheln einen »Fernhandel« an. Die Menschenreste lassen außer einer prämongoliden Komponente eine prämelanesoide und eine präeskimoide erkennen.
Am Anfang der Jungsteinzeit lässt sich primitive Keramik mit Abdrücken schnurumwickelter Formbretter nachweisen. In Nordchina setzte um 5000 v. Chr. die Yangshaokultur mit ihrer bemalten Feinkeramik ein. Einige Muster werden als Urform von Schriftzeichen gedeutet. Auch der ethnische Typ der Bevölkerung gleicht dem im historischen China. In Ostchina entstand um 4500 v. Chr. (Hemudu) die Longshankultur (Reisanbau; lang bewohnte Dörfer) mit unbemalter Keramik von klar gegliederter, besonders in der klassischen Phase (um 2500 v. Chr.) an Metallgefäße erinnernder Profilierung. Nephrit und Jade (vom Baikalsee?) beweisen Fernhandel und strukturierte Gesellschaft.
Das klassische Longshan bereitet in vieler Hinsicht die Kultur der Shangdynastie vor, mit der in China die historische Zeit beginnt (etwa 16. Jahrhundert v. Chr.).
Vordynastische Periode (3. Jahrtausend v. Chr.):
Die chinesische Kultur ist die jüngste der alten Hochkulturen; dennoch ist ihre Entstehung immer noch ungeklärt. Nach chinesischer Tradition ist die Zivilisation eine Schöpfung der weisen Urkaiser (Legendäre Kaiser) des 3. Jahrtausends v. Chr., bei denen es sich um ehemalige Gottheiten handelt, die das philosophische Zeitalter der ausgehenden Zhouzeit (Chouzeit) unter Projizierung der zeitgenössischen staatlich-gesellschaftlichen Zustände in die Vergangenheit zu Herrschern umdeutete. Als Beispiele seien Huangdi (Huang-ti), der Erfinder staatlicher Organisationen, sowie die Wahlkaiser Yao, Shun und Yu (Yü) genannt. In dieser traditionellen Chronologie verdient nur die bisher archäologisch nicht bezeugte, angeblich von Yu gegründete Xiadynastie (Hsiadynastie, 2205-1766 v. Chr.) wegen ihrer Herrscherlisten einige Glaubwürdigkeit. Doch Versuche, sie mit der Longshankultur, deren Keramik als Vorläufer der Shangkeramik angesehen werden kann, in Verbindung zu bringen, bleiben weiter hypothetisch.
später Yin (etwa 16. Jahrhundert bis etwa 1050 v. Chr.): Unter der Shangdynastie bildete sich das erste historisch und archäologisch fassbare Reich auf chinesischem Boden. Zahlreiche Funde weisen für diese Zeit eine ziemlich einheitliche Zivilisation im ganzen mittleren und nördlichen China nach, doch dürfte die politische Macht des Reiches, dessen mehrfach wechselnde Hauptstädte Zhengzhou, Luoyang und Anyang (früher Ao, Luoyi und Yinhsu) am Mittelabschnitt des Hwangho lagen, nicht so weit gereicht haben. Regiert wurde dieses aus einem Verband von tributpflichtigen Fürstentümern bestehende Reich von Priesterkönigen, unterstützt von einer schon recht differenzierten Beamtenschaft, die sich aus dem Adel rekrutierte. Die Basis der Gesellschaft bildeten die in Wohngruben lebenden, technologisch auf steinzeitlicher Stufe stehenden leibeigenen Bauern; die hoch entwickelte Bronzekultur der von einer zahlreichen Handwerkerschaft in Sklavenstellung verfertigten Waffen und Kultgeräte blieb der in der wallgeschützten Hauptstadt residierenden, mit Streitwagen ausgerüsteten Herrscherschicht vorbehalten. Nahrungsgrundlage war Hirse; an Haustieren sind Rinder, Pferde, Schweine, Enten, Hühner und Hunde nachzuweisen, sogar Arbeitselefanten. Das Pantheon der Shang bevölkerten neben den zahlreichen Naturgottheiten die Ahnen, von denen die königlichen (Di, Ti) in der Hierarchie am höchsten standen; über ihnen thronte nur noch der Oberahn (Shangdi, Shang-ti). Um die Götter zu besänftigen und günstig zu stimmen, wurden auch Menschen, meist Kriegsgefangene geopfert. Die Prognostik durch Orakel, v. a. zu Fragen des Ackerbaus, nahm einen wichtigen Platz in der Shanggesellschaft ein. Mit Ja oder Nein zu beantwortende Fragen wurden auf besonders präparierte Bauchplatten von Schildkröten oder Schulterblätter von Rindern geritzt oder geschrieben, diese dann ins Feuer gehalten und die dabei entstehenden Risse, je nach Abweichung von der Horizontalen, als Bejahung oder Verneinung gedeutet. Solche Orakelknochen wurden seit Beginn des 20. Jahrhunderts in der letzten Königsresidenz Anyang zu Hunderttausenden ausgegraben. Die auf ihnen verwendete Schrift ist in ihren Grundzügen schon voll ausgebildet und mit der späteren chinesischen Schrift identisch. Die Knocheninschriften bestätigen die Richtigkeit der in der traditionellen Geschichtsschreibung aufgestellten Königslisten der Shang.
Zhou (Chou, etwa 1050-249 v. Chr.):
Vernichtet wurde das Shangreich um 1050 (nach der traditionellen Chronologie 1122) von dem den Shangkaisern untergebenen Geschlecht der Zhou, das über die Lössgebiete des südlichen Shaanxi herrschte. Vorbereitet wurde der Feldzug von König Wen, siegreich zu Ende geführt von seinem Sohn, König Wu, die Herrschaft endgültig gesichert von dessen Bruder, dem Herzog von Zhou, Regent des noch unmündigen zweiten Herrschers Cheng (Ch'eng). Die Tradition hat die Gründer des Zhoureiches zu Idealtypen wahren Herrschertums erhoben; ihre Regierungszeit galt als goldenes Zeitalter. Die gleiche Tradition rechtfertigte den Treuebruch der Zhou an ihrem Oberherrn mit der Behauptung, der Himmel - hier noch als anthropomorphe Gottheit gedacht - habe den degenerierten Shang den Herrschaftsauftrag entzogen und an die Zhou weitergereicht. Seither wurde diese chinesische Version der Translatio-imperii-Theorie (Geming, Ko-ming) immer herangezogen, wenn es galt, Dynastiewechsel zu legitimieren. Dem Vorbild der Shang folgend, teilten die neuen Herren das eroberte Gebiet als Lehen unter ihren Familienmitgliedern und Gefolgsleuten auf; selbst die Angehörigen der besiegten Herrschersippe erhielten im Osten des Reiches ihren Anteil, umgeben und überwacht von Lehnsträgern aus der Sippe der Zhou. Die Herrscherfamilie behielt die Stammlande im Tal des Wei He, wo die Residenz lag, und die östlich angrenzenden Kernlande des Shangreiches am Mittelabschnitt des Hwangho. Anfangs nur wenige Dutzend umfassend, nahm die Zahl dieser Lehen im Laufe der Zeit durch weitere Eroberungen und Vergabe von Sublehen, von denen manche nur aus einer einzigen umwallten Siedlung (Guo, Kuo) mit dem umliegenden Land bestanden, zu und umfasste schließlich einige Hundert. Die Verpflichtungen der Lehnsträger gegenüber dem Herrscher bestanden in der Lieferung von Tributen, der Heeresfolge und dem regelmäßigen Erscheinen bei Hof. Mit der Zeit traten aber an die Stelle der Bande der Verwandtschaft und der Loyalität lokale Bindungen und Eigeninteressen. Schon der Herzog von Zhou hatte mit Mühe eine Revolte seiner Brüder niedergeschlagen. Im Jahre 841 v. Chr., dem ersten exakten und unumstrittenen historischen Datum der chinesischen Geschichte, wurde der zehnte Herrscher der Shang durch einen Aufstand der Lehnsfürsten zur Flucht gezwungen; jedoch wurde die Herrschaft weiterhin von der Königssippe ausgeübt. 771 vertrieb ein Fürst im Bunde mit den nichtchinesischen Rong (Jung), die schon mehrfach in China eingefallen waren, die Herrscherfamilie für immer aus den Stammlanden nach Osten (Hauptstadt Luoyang). Man bezeichnet daher die Zeit vor 771 als Westliche Zhouzeit, die Zeit danach als Östliche Zhouzeit. Nach den Quellen teilt man die gesamte Epoche der Zhou auch ein in eine Frühe Zhouzeit (11. Jahrhundert bis 722), in die Periode von 722 bis 481, die von der dem Konfuzius zugeschriebenen Chronik Chun-qiu (Ch'un-ch'iu; »Frühling und Herbst«) umspannt wird, und in die Zeit der Streitenden Reiche (Zhan-guo, Chan-kuo, 481-221) bis zur Gründung des Einheitsstaates der Qin (Ch'in).
Während das Haus der Zhou, des größten Teils seines Kronlandes beraubt, nach 771 zu einem bloßen Zeremonialkönigtum herabsank, vergrößerten sich einige der Fürstentümer auf Kosten kleinerer und schwächerer Nachbarn; die außen liegenden Fürstentümer von Qi (Ch'i) in Shandong, Jin (Chin) in Shanxi, Qin (Ch'in) in Shaanxi und Chu (Ch'u) in Hubei wurden gar zu richtigen Flächenstaaten. Im 7. Jahrhundert schwangen sich Qi, dank einer straffen Kontrolle der Vasallen und finanziert durch die Einnahmen aus dem Salz- und Eisenmonopol, und anschließend Jin nach einer Militärreform zu Vormächten auf, die auf unregelmäßig stattfindenden Fürstentreffen in zwischen- und innerstaatlichen Angelegenheiten für das Königshaus die Rolle des Schiedsrichters übernahmen. Hauptzweck des lockeren Fürstenbundes war aber die Eindämmung der Expansionsbestrebungen des nur halb sinisierten Südstaates Chu, der seit dem Ende des 8. Jahrhunderts die Selbstständigkeit der inneren Fürstentümer bedrohte, und die Abwehr der nichtchinesischen Stämme der Di (Ti) von Norden her. Im 6. und 5. Jahrhundert musste Chu aber selbst mit den kaum sinisierten Nachbarstaaten von Wu (heute Suzhou) und Yue (Yüeh, heute Hangzhou) um seine Existenz kämpfen, bevor es ab 333 Südchina wieder allein beherrschte. Zur selben Zeit bemächtigte sich der westlichste Staat Qin der Kerngebiete des an inneren Zwistigkeiten zerfallenen Jin, während im östlichen Staat Qi zu Beginn des 4. Jahrhunderts nach Ausrottung des mächtigen Adels wieder eine starke Herrschersippe regierte. Diese drei Reiche, deren Herrscher - wie auch die übrigen - Ende des 4. Jahrhunderts den Königstitel annahmen, kämpften um das Erbe der machtlosen Zhou.
Unter dem sich herausbildenden fürstlichem »Absolutismus« wurden die Bauern von abgabepflichtigen Hörigen ihres Grundherrn zu freien, Grund besitzenden Steuerbürgern des Landesherrn. Kolonisierung neu eroberter Gebiete und Anwerbung von Siedlern halfen diese Entwicklung zu beschleunigen. Der freie Bauernstand wurde aber nicht nur zu einer fest kalkulierbaren Einnahmequelle des Staates, sondern auch über die Militärdienstpflicht zu einem bisher unausgeschöpften Militärpotenzial; die ehemaligen kleinen Heeresaufgebote adliger Krieger mit Kampfwagen wichen in der späten Zhouzeit immer mehr den Massenheeren aus bäuerlicher Infanterie. Die Alleinherrschaft der Fürsten sichern half der allmählich wachsende Stand der »Dienstleute« (Shi, Shih), der sich aus entrechtetem Adel, den von der Erbfolge ausgeschlossenen jüngeren Söhnen des Adels und aufgestiegenen Gemeinen rekrutierte; daraus rekrutierten sich vom Fürsten entlohnte, ihm gegenüber loyale Verwaltungs- oder Militärfachleute. Dieser geistig bewegliche Stand der Dienstleute war das eigentliche Ferment der in der chinesischen Geschichte einmaligen geistigen und sozialen Dynamik der Zeit der Östlichen Zhou. Aus den Antworten dieser Fachleute, die in der Mehrzahl aus den schwächeren inneren Staaten kamen, auf die drängenden Fragen der Zeit entstanden die miteinander wetteifernden Lehrsysteme mit gesellschaftlich-ethischen Implikationen, die Ende des 6. Jahrhunderts mit den Lehren des Konfuzius ihren Anfang nahmen. Den Sieg trugen aber die Legalisten (Fa-jia, Fa-chia) davon, die Advokaten der Staatsräson, der bürokratischen Institutionen und des abstrakten und gesetzten Rechts, das keine Stände mehr kannte. Am entschiedensten betrieb der Weststaat Qin, der schon im 7. Jahrhundert neu eroberte Gebiete direkt dem Hof und nicht Vasallen unterstellt hatte, diese Zentralisierung der Verwaltung und die Entfeudalisierung der Gesellschaft. So gerüstet konnte er 249 die Zhousippe verdrängen und in einem einzigen Sturmlauf erst Han (230), Zhao (Chao, 228), Yan (Yen, 226) und Wei (225), dann Chu (223) und zuletzt Qi (221) vernichten.
Qin (Ch'in, 221-206 v. Chr.):
König Zheng (Cheng, 246-210) von Qin war der erste Zentralherrscher Chinas. Um sich von der Vorgängerdynastie abzuheben, deren Herrschertitel (Wang) gegen Ende der Zhouzeit von allen Landesfürsten usurpiert worden war, aber auch um sein Gottkaisertum zu demonstrieren, verlieh er sich 221 den bombastischen Titel »Göttlich Erhabener« (Huangdi, Huang-ti), von nun an die Selbstbezeichnung der Zentralherrscher von China, und nannte sich Qin Shi Huangdi (Ch'in Shih Huang-ti). Dass er sich selbst den Göttern gleichsah, dokumentiert sein 1974 ausgegrabenes gigantisches Mausoleum bei Lintong, eine Nachbildung seines Hofstaates mit Tausenden von lebensgroßen und lebensechten Tonplastiken. Eine Reihe von brutalen Maßnahmen, die der Sicherheit der Dynastie und der Tilgung der von den Zhou überkommenen Traditionen dienen sollten, wie die Umsiedlung der besiegten Adelsgeschlechter in die Hauptstadt Xianyang im Tal des Wei He, die Zerstörung der Fürstenchroniken mit Ausnahme der Chronik von Qin, das Verbot aller philosophischen Lehren außer der des Legalismus, die Konfiszierung und Vernichtung aller staatsgefährdenden Schriften (213 große Bücherverbrennung) und nicht zuletzt die angebliche Abschlachtung Hunderter von Konfuzianern ließ den ersten chinesischen Kaiser in der konfuzianischen Geschichtsschreibung zum Prototyp des Tyrannen werden. Die auf Institutionen ruhende, schon im 7. Jahrhundert vorbereitete und in der Mitte des 4. Jahrhunderts von dem Kanzler Wei Yang (✝ 338) vollendete zentralistische Verwaltung Qins wurde von dem Kanzler Li Si (Li Ssu, ✝ 208) auf ganz China ausgeweitet. Die alten Staaten wurden de jure abgeschafft und das Reichsterritorium ohne Rücksicht auf die alten Landesgrenzen und Adelsherrschaften in 36, später 42 dem Hof unterstellte Gaue (Jun, Chün) eingeteilt, von denen jeder noch einmal in mehrere Kreise (Xian, Hsien) unterteilt wurde; Schrift, Maße, Gewichte, Kalender und Währung wurden vereinheitlicht, das Straßennetz ausgebaut, zahlreiche Großbauprojekte in der Hauptstadt in Angriff genommen, für die die Bevölkerung unter Androhung drakonischer Strafen drückende Frondienste zu tragen hatte. Das ehrgeizigste Projekt war der Ausbau der seit dem 4. Jahrhundert bestehenden Grenzwälle im Norden zur Großen Mauer (Chinesische Mauer) gegen das Großreich der Xiongnu (Hsiung-nu), das erste in einer langen Kette von Reichen der Hirten- und Jägervölker des Nordens, die von nun an mit stetig wachsender Aggressivität die chinesische Geschichte begleiten sollten. Im Süden konnte das Qinreich dagegen die Kolonisation vorantreiben und Vorposten am Südchinesischen Meer errichten. - Das Reich überdauerte seinen Gründer nur um wenige Jahre. Unter seinem schwachen Nachfolger Ershi Huangdi (Erh-shih Huang-ti, 210-207) weitete sich ein Volksaufstand in Ostchina rasch auf das ganze Reichsgebiet aus. 207/206 wurde die Hauptstadt von Rebellengenerälen erobert und geplündert, die Herrschersippe ausgelöscht.
Sieger in den Machtkämpfen um das Erbe der Qin blieb Liu Bang (Liu Pang), als Kaiser Gaozu (Kao-tsu, 202-195), aus der Region von Chu. Er war der erste Kaiser Chinas, der aus dem einfachen Volk stammte; seine Dynastie (Han) benannte er nach einem Flusslauf in Sichuan, der seiner lokalen Basis vor der Reichsgründung den Namen gegeben hatte. Einziger erzwungener Rückfall in die feudalen Zeiten war die vorläufige Vergabe von großen Titularkönigsherrschaften in Ost- und Südostchina - fast zwei Drittel seines Herrschaftsgebietes - an seine Kampfgenossen und seine Söhne. Der Gefahr, die von diesem neuen Adel ausging, begegnete er damit, dass er noch zu Lebzeiten die Generäle, wenn nötig mit Gewalt, durch Familienmitglieder ersetzte. Die Königs- und Fürstenlehen der Kaisersippe blieben trotz einiger Rebellionsversuche nominell bestehen, zersplitterten sich aber durch ständige Erbteilung und spielten deshalb in der Lokalverwaltung des Reiches als Machtfaktor keine Rolle. Auch die Nachfolger, zunächst Kaiserin Lü, die nach dem Tode ihres Gatten das Reich als Regentin, dann de facto allein regierte (187-180), hielten an der pragmatischen Politik des Dynastiegründers fest.
Das eigentliche Problem der ersten Jahrzehnte der Dynastie waren die ständigen Attacken der Xiongnu. Der Gefahr wurde zuerst defensiv begegnet, durch Heiratsallianzen und Tributleistungen (v. a. Seide); über die Xiongnu gelangte die Seide in den antiken Kulturraum. Erst der eindrucksvollste Kaiser der Han, der »Kriegerische« (Wudi, Wu-ti, 141-87), ging gegen die Xiongnu militärisch und diplomatisch zur Offensive über; in kühnen Kavallerievorstößen, teilweise unter Führung von Generälen aus dem Volk der Xiongnu, wurde der Gegner in die Steppe zurückgedrängt; die Grenzgebiete wurden kolonisiert. Endgültig unterworfen wurden die Xiongnu aber erst 53 v. Chr. - 125 v. Chr. kehrte der Gesandte Zhang Qian (Chang Ch'ien, ✝ um 113), der auf der Suche nach Verbündeten gegen die Xiongnu nach Westturkestan geschickt worden war, vom Westvolk der Yuezhi (Yüeh-chih, chinesischer Name der Tocharer) zurück und brachte dem Kaiserhof erstmalig Kunde von Ländern außerhalb des chinesischen Kulturbereichs. Dem Diplomaten folgten bald die Heere: 101 war Ostturkestan bis zum Pamir chinesisch. Damals entstand die Seidenstraße. Weitere außenpolitische Erfolge des Kaisers waren die Kolonisation Nordkoreas und die Eroberung Südwestchinas.
Unter Wudi wurden in der Zentralbürokratie die neun Ministerien geschaffen; die Lokalverwaltung der Qin wurde im Wesentlichen beibehalten, ergänzt durch Inspektionsbezirke (Zhou, Chou), aus denen später die Provinzen entstanden. Haupteinnahmequelle des Staates war die Kopfsteuer; außerdem waren die erwachsenen Männer einen Monat im Jahr zu Dienstleistungen verpflichtet; für die 23- bis 56-Jährigen kam noch der zweijährige Militärdienst hinzu. Folgenschwer für die weitere Geschichte Chinas waren die Errichtung einer staatlichen Hochschule zur Ausbildung von Beamten und die Anfänge eines »Examens« für Beamtenanwärter. Unter der Handynastie kam die Mehrzahl der Beamten jedoch noch über das Vorschlagsrecht ihrer beamteten Väter oder Onkel in die Amtslaufbahn. Grundlage der Lehr- und Prüfungsinhalte wurde jetzt erstmals der legalistisch eingefärbte Konfuzianismus, in dem die administrative Kunst des Legalismus mit den menschlichen Zügen der konfuzianischen Lehre vereint waren. Zusätzliche Attraktivität gewann der Konfuzianismus noch durch die in ihm inkorporierte Yin-Yang-Naturphilosophie, mit der die gegenseitige Beeinflussung von Himmels- und Lebenswelt gedeutet werden konnte. Den konfuzianischen Gelehrten ist die Wiederherstellung und Tradierung der von den Qin vernichteten Literatur zu danken. Frucht dieser Tätigkeit waren die ersten Kommentare und Wörterbücher. Auch das erste große Geschichtswerk Chinas, die »Historischen Aufzeichnungen« (Shi-ji, Shih-chi) des Sima Qian (Ssu-ma Ch'ien, * um 145, ✝ um 90), wurde gegen Ende der Regierungszeit Wudis vollendet. Von länger wirkender Bedeutung war auch der endgültig unter Wudi im Jahre 114 eingeführte Brauch der Kaiser, ihre Herrschaft unter glückbannende Losungsworte zu stellen. Die Jahreszählung innerhalb dieser (zunächst) häufig wechselnden Regierungsdevisen (Devise) diente seither auch zur Fixierung der Zeitangaben (seit den Ming ist die Devise mit der Regierungszeit identisch, sodass sie auch als Herrschername gilt).
Nach dem Tode Wudis führten die von den zahlreichen Kriegen gegen die Xiongnu ausgelöste Finanzkrise und der wachsende Einfluss der jeweiligen Kaiserinnensippen 9 n. Chr. zum Putsch des Wang Mang (* 45 v. Chr., ✝ 23 n. Chr.), eines Neffen der Kaiserin Wang (* 70 v. Chr., ✝ 13 n. Chr.). Die neue Dynastie Xin (Hsin, »Erneuerung«, 9-23) versuchte die Staatskrise mit dem romantisch-reaktionären Rückgriff auf die jetzt unter dem Einfluss des Konfuzianismus schon als ideal verklärte Ordnung der frühen Zhouzeit zu lösen; sie scheiterte aber schließlich an dem Volksaufstand der »Roten Augenbrauen« in Ostchina, dessen Ursache die Verelendung der Massen durch Überschwemmungskatastrophen war. Ein Mitglied einer Nebenlinie der Kaisersippe, Liu Xin (Liu Hsin), als Kaiser Guangwudi (Kuang-wu-ti, 25-57), setzte die Dynastie 25 n. Chr. wieder in ihre Rechte ein; wegen der Verlegung der Hauptstadt von Chang'an (heute Xi'an) nach Luoyang im Osten wird sie auch Dynastie der Östlichen Han (25-220 n. Chr.) im Unterschied zu den früheren Westlichen Han genannt. Im ersten Jahrhundert ihrer Herrschaft gelang es ihr, das unter Wang Mang im Norden und Westen verloren gegangene Terrain wiederzugewinnen: Die Xiongnu wurden erneut unterworfen und Ostturkestan zeitweilig zurückerobert. Im Süden drangen chinesische Kolonisten bis nach Tongking und Annam vor. Eine wichtige Errungenschaft auf kulturellem Gebiet war die Erfindung des Papiers durch den Eunuchen Cai Lun (Ts'ai Lun, * um 50, ✝ 114), das Bambus und Seide als Beschriftungsmaterialien verdrängte. Im 2. Jahrhundert spitzte sich innenpolitisch wieder eine Krise zu, ausgelöst durch den Machtanspruch der jeweiligen Kaiserinnensippe und verschärft durch den wachsenden Einfluss der Eunuchen auf die Kaiser. Den Säuberungskampagnen der Eunuchen fielen 159 Tausende von Mitgliedern der ehemaligen Kaiserinnensippe Liang, 167 und 170 ganze Beamtensippen zum Opfer. Geschwächt vom Cliquenstreit sah sich das Reich 184 plötzlich mit dem religiös inspirierten, von taoistischen Magiern geführten Volksaufstand der »Gelbturbane« konfrontiert; dieser wurde zwar niedergeschlagen, doch die siegreichen Generäle gaben die Macht nicht mehr ab und verfolgten, die Schwäche des Reiches unter dem minderjährigen Kaiser Xiandi (Hsien-ti, 190-220) erkennend, ihre eigenen dynastischen Pläne.
Die Zeit der ersten Reichsteilung (220-589):
Die an der Niederschlagung des Aufstands der Gelbturbane beteiligten Kriegsherren schufen sich ihre eigenen Machtbereiche, von denen nach langen Kämpfen nur drei übrig blieben: Shu in Sichuan, Wu in Südostchina und Wei in Nordchina, das mächtigste von den dreien, da hier die Masse der Bevölkerung lebte. 220 trat es die Nachfolge der Han an. Die Kämpfe zwischen diesen drei Staaten, die der Epoche ihren Namen gaben (Drei Reiche: Sanguo, Sankuo, 220-265), sind in der volkstümlichen Literatur Chinas zu Heldenepen romantisiert worden. Shu wurde 263 von Wei erobert, Wu aber erst 280 von der neuen, durch einen Putsch in Wei an die Macht gekommenen Herrscherfamilie Si-ma (Ssu-ma). Deren Dynastie Jin (Chin) einte für kurze Zeit das Reich (Westliches Jin, 265-316), bis es, durch innere Zwistigkeiten geschwächt, den Norden den Xiongnu preisgeben musste - der ersten Welle der Staatengründungen von Hirten- und Jägervölkern in China, die die Jin nach Südosten abdrängten (Östliche Jin, 317-420). Es begann die Epoche der ersten Trennung in Nord und Süd (Nan-bei chao, Nan-pei ch'ao, 317-589). Bis zu Beginn des 5. Jahrhunderts lösten einander im Norden über 20 zumeist von Fremdvölkern (Xiongnu; Xianbi, Hsien-pi; Tibeter) gegründete kurzlebige Staaten ab; zeitweise machten sich bis zu neun Staaten den Norden streitig. Die Chinesen sprechen von der Zeit der Sechzehn Staaten (Shi-liu-guo, Shih-liu-kuo, 302-439). Erst der Herrscherklan der Toba (Topa) aus dem mongolischen Volk der Xianbi, die die Nördliche Wei- oder Toba-Wei-Dynastie (386-534), eine der Nördlichen Dynastien (Bei-chao, Pei-ch'ao, 386-581), gründeten, konnten 439 den Norden einen. Durch eine Ende des 5. Jahrhunderts per Gesetz verordnete Zwangssinisierung des Adels der Toba kam es zur Herausbildung des gemischtblütigen nordchinesischen Adels, der auch nach dem Untergang der Toba-Wei noch bis Mitte des 8. Jahrhunderts als Machtelite die Geschicke des Reiches lenken sollte. Die Tobaherrscher führten auch die gleichmäßige Bodenverteilung (Jun-tian, Chün-t'ien) zur Stärkung einer freien Bauernschaft und zur Verhinderung der Bildung von Großgrundbesitz ein, eine Politik, der auch die Nachfolgedynastien Sui und Tang (T'ang) folgten. Der seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. in China bekannte Buddhismus verdrängte jetzt den Konfuzianismus, der nach dem Niedergang der Zentralmacht seine politische Basis verloren hatte, und den Taoismus. Der Buddhismus wurde für ein halbes Jahrtausend zur führenden geistigen und religiösen, wegen der großen Klosterbesitzungen aber auch wirtschaftliche Macht in Nord und Süd, im Norden unter den Tobaherrschern sogar zur Staatsreligion.
Die im Süden in Nanking herrschenden chinesischen Dynastien (Nan-chao, Nan-ch'ao) der Östliche Jin (Chin, 317-420), Song (Sung, 420-479), Qi (Ch'i, 479-502), Liang (502-557), Chen (Ch'en, 557-589) - unter Einbeziehung der Wu (ab 265) auch Sechs Dynastien (Liu-chao, Liou-ch'ao) genannt - waren wegen der ständigen Machtkämpfe unter den Adelscliquen nicht in der Lage, den militärisch stärkeren Norden zu überwinden. Neben kulturellen Leistungen liegt ihre Bedeutung in der ersten Erschließung und Kolonisierung des Südens.
Sui (581/589-618):
Der aus dem nordchinesischen Militäradel stammende General Yang Jian (Yang Chien) ließ sich 581 vom letzten Herrscher der Nördlichen Zhou (Chou, 556-581), einem Nachfolgestaat der Toba-Wei, die Reichsinsignien überreichen und gründete als Kaiser Wendi (Wen-ti, 581-604) die kurzlebige, aber historisch bedeutsame Suidynastie. Schon 589 gelang ihm, dank der Ruhe an den Grenzen, die mühelose Eroberung des Südreiches Chen (Ch'en), dessen Eingliederung sich als unproblematisch erwies, da auf beiden Seiten die Machteliten der Reichsidee anhingen und auch durch das geistig-religiöse Band des Buddhismus einander verbunden waren. Unter dem zweiten Herrscher Yangdi (Yang-ti, 604-617) fand die Reichseinigung sichtbaren Ausdruck im Ausbau des Kaiserkanals, der die hauptstädtischen Gebiete von Chang'an und Luoyang mit dem Delta des Jangtsekiang, der »Reisschale« des Reiches, verband. Ein weiteres gigantisches Bauprojekt Yangdis war die Instandsetzung der Chinesischen Mauer im Norden. Wichtiger aber als diese imposanten Kraftanstrengungen war der institutionelle Rahmen, den beide Kaiser dem Reich gaben, den aber erst die Nachfolgedynastie Tang (T'ang) richtig ausfüllte und an alle folgenden Dynastien weitergab. Vorläufer der Tang waren die Sui auch in der Außenpolitik, gelang es ihnen doch, die Turkvölker Innerasiens in Schach zu halten und ihren Einfluss bis nach Turkestan hinein auszudehnen; im Süden übten sie eine lose Oberherrschaft über Vietnam aus. Einzig die Feldzüge nach Korea (612-614) scheiterten, mit katastrophalen Folgen für die Dynastie. Denn zur gleichen Zeit verbreitete sich in der Bevölkerung wegen der drückenden Dienst- und Steuerlasten Unruhe; als Yangdi zur Linderung der Finanznot auch die Aristokratie herangezogen hatte, fiel er 618 in seinem südchinesischen Refugium einem Mordanschlag zum Opfer.
Tang (T'ang, 618-907):
Aus den Kämpfen um die Nachfolge der Sui ging der nordchinesische Militärklan Li als Sieger hervor, der die Dynastie Tang gründete. Die beiden ersten Herrscher, Li Yuan (Li Yüan), als Kaiser Gaozu (Kao-tsu, 618-627), und sein Sohn Li Shimin (Li Shih-min), als Kaiser Taizong (T'ai-tsung, 627-649), schufen eine Zentral- und Lokalverwaltung, die in ihren Grundzügen bis 1911/12 Bestand hatte. Auch ihre Gesetzeswerke, die ersten, die vollständig erhalten blieben, galten jahrhundertelang als vorbildlich. Zusammen mit den anderen institutionellen Neuerungen übten sie einen nachhaltigen Einfluss auf die Nachbarvölker aus, v. a. auf Japan, das die Zivilisation der Tang als Ganzes importierte und nachahmte. Auch in der Außenpolitik knüpften Taizong und sein Sohn Gaozong (Kao-tsung, 650-683) an die Erfolge der Sui an. Mit Krieg und Diplomatie bändigten sie die Turkreiche der Steppenzone, eroberten die Oasenkönigtümer Ostturkestans und schoben die Grenzen Chinas weit über den Pamir hinaus bis an Indien und Persien heran. Über die Seidenstraße strömten jetzt aus den »Westlanden« Ausländer und mit ihnen exotische Waren nach China, das dafür neben dem Hauptexportartikel Seide nun auch Protoporzellan ausführte. Die großen Handelsknotenpunkte des Reiches wie Yangzhou und Kanton beherbergten große Ausländerkolonien in ihren Mauern; die Kaiserresidenz Chang'an muss die internationalste Stadt ihrer Zeit gewesen sein. Gewinn aus dem Zustrom fremden Kulturguts zog nicht allein die materielle Kultur einschließlich Mode und Zeitvertreib, auch die Musik und Literatur wurden nachhaltig von ihm geprägt. Fremde Religionen wie der Manichäismus, der Zoroastrismus, der Islam und das nestorianische Christentum fassten erstmals Fuß in China. Rückschläge an den Grenzen im Nordosten durch die Kitan und im Nordwesten durch die Tibeter Ende des 7. Jahrhunderts waren vorübergehend. Ernster war die Lage am Hof, wo die Gattin Gaozongs, die Kaiserin Wu, nach dessen Tod 683 die Macht an sich gerissen hatte und, gestützt auf ein blutiges, gegen die Kaisersippe und die aristrokratischen Familien gerichtetes Terrorregime, eine eigene Dynastie gegründet hatte. Sie war die einzige Frau in der Geschichte Chinas, die offiziell als regierende Kaiserin amtierte. Aus den Machtkämpfen nach ihrem Tod (705) ging ihr Enkel Longyan (Lung-yen), als Kaiser Xuanzong (Hsüan-tsung, 712-756), als Sieger hervor. Er stellte die alte Ordnung wieder her, verbannte die Kaisersippe aus der Politik und zog wieder verstärkt die Aristokratie ins Vertrauen, ohne allerdings die unter Kaiserin Wu über die Examen aufgestiegenen Beamten aus nichtadligen Familien völlig zu entmachten. Strenger Zensus, Landverteilung, Wiederansiedlung enteigneter Bauern und Steuerreformen schufen die solide finanzielle Grundlage für die kulturell glanzvollste Epoche der chinesischen Geschichte, die in der Nachwelt mit den Namen der Dichterfürsten Du Fu, Wang Wei und Li Taibo verbunden blieb.
Die Kehrseite des Glanzes war, dass zum Schutz der überlangen Grenzen mächtige Söldnerheere unter dem Kommando von Gouverneuren meist türkischer oder sogdischer Herkunft stationiert wurden, der Hof aber nicht über nennenswerte Truppenkontingente gebot. Als daher der mächtige Gouverneur der drei nordostchinesischen Provinzen, der Sogde An Lushan (✝ 757), ein Vertrauter des Kaisers, rebellierte und 755 nach Chang'an marschierte, blieb dem 70-jährigen Xuanzong als Ausweg nur noch die Flucht in den Süden, wo er dann abdankte. Zwar gelang es seinem Sohn Suzong (Su-tsung, 756-762) mithilfe türkischer, tibetanischer und uigurischer Hilfstruppen und Überläufern aus den Reihen der Rebellen, den Aufstand 762 niederzuschlagen, doch erkauft war der Sieg mit einer doppelten Abhängigkeit: von den einstigen Vasallen, die Tribute forderten, und von den Überläufern, die mit Gouverneursämtern und Militärprovinzen belohnt wurden, wo sie, gestützt auf ihnen ergebene Berufsheere, auch die zivile Gewalt, v. a. die Steuerhoheit, innehatten. Der Hof konnte diese seine Autorität einschränkende Refeudalisierung des Reiches nie mehr rückgängig machen; er sah sich sogar gezwungen, sie institutionell zu sanktionieren, womit er sich wenigstens das Wohlverhalten der Kriegsherren sicherte. Als aber der Volksaufstand des Huang Chao (Huang Ch'ao, ✝ 884), der 874-884 fast ganz China erfasste, den in die Flucht getriebenen Hof der letzten Machtmittel beraubte und illegale Abenteurer und Bandenhäuptlinge in die verwaisten Gouverneursämter hob, waren die Tage der Dynastie gezählt. Zwar war das Reich der Tang in seiner zweiten Hälfte politisch und militärisch schwach, dafür aber mit innerem Frieden gesegnet, sodass es mit der vorhergehenden Epoche auf kulturellem Gebiet wetteifern konnte und Dichter wie Bo Juyi hervorbrachte, während Han Yu den schlichten und funktionalen Prosastil der Hanzeit wieder belebte und den Primat des Konfuzianismus über Taoismus und Buddhismus verfocht, beides Keime, die erst ein Jahrhundert später Früchte tragen sollten. Einen Niedergang erlebte in dieser Zeit die mächtige buddhistische Kirche, deren reicher Besitz zwischen 841 und 845 wegen der staatlichen Finanzmisere säkularisiert wurde, ein Schlag, von dem sie sich nie wieder erholte.
Die Zeit der zweiten Reichsteilung (907-979):
Aus den Machtkämpfen um das Erbe der Tang nach dem Aufstand des Huang Chao ging der ehemalige Rebellenoffizier Chu Wen, als Kaiser Taizu (T'ai-tsu, 907-915), als vorläufiger Sieger hervor. Obwohl er Nordchina nur zur Hälfte kontrollierte, fühlte er sich 907 stark genug, dem Reich der Tang den Todesstoß zu versetzen und seine eigene Dynastie zu bilden. Diese Späteren Liang (bis 923) errichteten das erste von fünf aufeinander folgenden Reichen - drei (Spätere Tang, T'ang, 923-936; Spätere Jin, Chin, 936-946; Spätere Han, 947-950) von sinisierten Angehörigen der Turkvölker regiert -, die dem Zeitalter seinen Namen gaben (Fünf Dynastien: Wu-tai, Wu-dai, 907-960). Von der späteren Geschichtsschreibung wurden allein sie als legitime Erben der Tang angesehen, nicht aber die gleichzeitig in Süd- und Mittelchina herrschenden Zehn Staaten (Shi-guo, Shih-kuo, 902-979): Frühere Shu (907-925) und Spätere Shu (934-965) in Sichuan, Chu (Ch'u) in Hunan (927-951), Südliche Han in Guangdung und Guanxi (917-971), Wu und Südliche Tang (T'ang) in Jiangxi, Anhui und Jiangsu (902-975), Min in Fujian (909-944), Wuyue (Wu-yüeh) in Zhejiang (907-978) und Jingnan (Ching-nan) in Hubei (925-963); ferner im Norden die Nördlichen Han (951-979). Während im Süden der Einigungsprozess auf regionaler Ebene stehen blieb, tobten im Norden, wo von jeher das Zentrum des Reiches lag, die Machtkämpfe so lange weiter, bis die letzten unabhängigen Kriegsherren gebändigt waren und die Dynastie der Späteren Zhou (Chou, 951-960) das ganze Gebiet mit Ausnahme von Shanxi unter ihre Kontrolle gebracht hatte.
Obwohl aus einer Militärfamilie stammend, wurde der Begründer der Dynastie Song (Sung), Zhao Kuangyin (Chao K'uang-yin), als Kaiser Taizu (T'ai-tsu, 960-976), zum Schöpfer eines Staates, dessen ausgeprägter ziviler Charakter neu in der chinesischen Geschichte war. Selbst durch einen Militärputsch der mächtigen Generäle der Späteren Zhou an die Macht gekommen, schob er diese sogleich auf einträgliche, aber einflusslose Pfründen ab und legte die Zentral- und Lokalverwaltung in die Verantwortung der Zivilbeamten zurück. Unter diesen dominierten jetzt, nach dem Verschwinden der alten Tangaristokratie, die aus der Grund besitzenden Klasse stammenden Literaturbeamten, die alle drei Jahre über die theoretisch allen offen stehenden Palastprüfungen in den Staatsdienst aufgenommen wurden. Zahlreiche zur Ausbildung der künftigen Beamten gedachte öffentliche und private Schulen, aber auch die Erfindung des Blockdrucks sorgten für eine bislang nicht gekannte Verbreitung der Bildung, die zu einem Aufschwung von Kunst und Literatur führte. Sie kam aber v. a. dem Konfuzianismus zugute, der, geschult an buddhistischer Metaphysik, noch einmal originelle Denkleistungen hervorbrachte und in dem zusammenfassenden Lehrgebäude des Zhu Xi bis zum Ende des Kaiserreiches den Rang der Staatsideologie einnehmen sollte. Getragen wurde diese kulturelle Blüte von der Wirtschaftskraft einer Bevölkerung, deren Zahl dank der völligen Erschließung des fruchtbaren Süden und der Einführung schnell reifender Reissorten auf 100 Mio. anstieg (Tangzeit: 60 Mio.). Die rasch voranschreitende Verstädterung - es gab schon mehrere Ballungszentren von mehr als 1 Mio. Einwohner innerhalb und außerhalb der Mauern - und die regionale und lokale Spezialisierung in Landwirtschaft und Handwerk stimulierten den Binnenhandel, zu dem sich noch der einträgliche Überseehandel mit Japan, Annam, Malaya, Südindien und Bengalen gesellte, der jetzt auch mit chinesischen Schiffen abgewickelt wurde. Die mobile städtische Gesellschaft bildete den Nährboden für das Aufkeimen einer auf Unterhaltung ausgerichteten »bürgerlichen« Kultur, deren Ausdrucksmittel nicht das erstarrte Idiom der Literatursprache, sondern die lebendige Volkssprache war. Roman und Oper hatten hier ihre ersten Anfänge. Bezahlt wurde diese wirtschaftliche und kulturelle Prosperität von den zu abhängigen Pächtern der Grund besitzenden Familien herabgesunkenen Bauern.
Gefahr drohte dem Songreich von außen, von der zweiten Invasionswelle der Nordvölker. Schon seit der Zeit der Fünf Dynastien hielt die Liaodynastie der mongolisch-tungusische Kitan (907-1125), die erste dieser Fremddynastien (907-1271), klassisches chinesisches Territorium mit 4 Mio. chinesischen Untertanen in der Region um Peking besetzt. Der Name der Kitan prägte die mittelalterliche europäische (Cathay) und die russische (Kitai) Bezeichnung für China. Rückeroberungsversuche der Song scheiterten und provozierten nur gefährliche Gegenangriffe, sodass sich die Song schließlich zu einer Politik der Koexistenz gezwungen sahen, die durch jährliche Tribute und Gesandtschaften abgesichert wurde. Zur gleichen Zeit lagen die Song mit dem tangutischen Grenzstaat Xixia (Hsia-hsia, 1032-1227), der sich 1038 formell von China losgesagt hatte, ständig im Krieg. Peking wurde auch nicht gewonnen, als der Hof der Song mit den Untertanen der Kitan, den tungusischen Dschurdschen, die 1115 in der Mandschurei ihre Dynastie Jin (Chin, 1115-1234) ausgerufen hatten, gemeinsame Front gegen Liao machte. Die militärische Schwäche der Song erkennend, ließen die Dschurdschen nach der Vertreibung der Kitan (1125) ihre Reiterscharen in Nordchina einfallen. Die Kaiserresidenz Kaifeng fiel 1126; nur in zähen Abwehrkämpfen gelang es dem nach Lin'an (heute Hangzhou) geflüchteten Hof, die Front schließlich am Huai zu stabilisieren. Ganz Nordchina, einschließlich der traditionellen Kaiserresidenzen, ging an das Jinreich verloren. Das Rumpfreich der auf die Nördliche Song (960-1127) folgenden Südliche Song (1127-1279) musste mit den Dschurdschen einen demütigenden Friedensvertrag schließen, der nur zweimal, 1161 und 1205, gebrochen wurde. Der Wunsch, die Nordgebiete wiederzugewinnen, ließ den Hof der Song dann ein Bündnis mit der neuen Großmacht der Mongolen eingehen, die seit 1211 gegen das Reich der Dschurdschen andrängte. Zwar wurde die Jindynastie 1234 von den Mongolen vernichtet, doch das Songreich profitierte nicht davon. Die Mongolen entrissen ihm nach und nach den Westen und Südwesten, um dann unter der Führung des Großkhans Kubilai (als chinesischer Kaiser Shizu, Shih-tsu, 1279-94) 1279 ganz China zu besetzen.
Yuan (Yüan, 1271-1368):
Als Herren eines Weltreiches, dem fast alle hoch zivilisierten Völker Eurasiens untertan waren, zeigten die selbstbewussten Mongolen wenig Respekt gegenüber der chinesischen Zivilisation und behandelten ihre letzte und größte Beute wie eine Kolonie, wenn sie auch 1264 Peking zu ihrem Regierungssitz machten. Sie nannten ihre 1271 gegründete Dynastie Yuan (Yüan, »Uranfang«), der erste Dynastiename, der kein Landschaftsname, sondern eine frei gewählte Wortprägung war. Das schon von den Kitan und den Dschurdschen erprobte Verfahren der getrennten Lebensbereiche von Eroberern und Eroberten mit eigenen Verwaltungs- und Rechtssystemen und Heiratsverboten wurde von ihnen noch verschärft. Die Bevölkerung Chinas wurde in vier unterschiedlich privilegierte Stände eingeteilt: An der Spitze dieser gesellschaftlichen Pyramide standen die Mongolen, ihnen folgten die zentral- und vorderasiatischen Untertanen, in der Hauptsache Angehörige der Turkvölker und Perser, dann die Nordchinesen, zu denen auch die Kitan und Dschurdschen zählten, und am Schluss der Stufenleiter der größte Teil (80 %) der chinesischen Bevölkerung, den die Eroberer verächtlich »Südbarbaren« titulierten. Der sozialen und wirtschaftlichen Diskriminierung - die beiden ersten Gruppen waren von der Steuer befreit - entsprach die politische: Chinesen hatten Zutritt nur zu den untersten Lokalämtern. Die einflussreichsten Ämter blieben Angehörigen der Turkvölker sowie Persern vorbehalten. Diese dominierten auch als Großkaufleute, Steuereintreiber, Geldverleiher und Finanzberater der Mongolen das Wirtschaftsleben, das von einer Laissez-faire-Politik gegenüber dem Handel gekennzeichnet war, dem auch die Einführung des bisher nur subsidiär genutzten Papiergeldes als alleiniges Zahlungsmittel zugute kam.
Auch in der geistigen Kultur orientierten sich die Mongolen nicht an chinesischen Vorbildern. Wie schon die Kitan und die Dschurdschen besaßen sie eine eigene, der uigurischen entlehnte Schrift. Dem Konfuzianismus standen sie indifferent gegenüber; Interesse zeigten sie allenfalls am volkstümlichen Taoismus. Ihr Favorit unter den Religionen aber war die buddhistische Lehre, v. a. der weniger den Intellekt als das Gemüt ansprechende tibetanische Lamaismus, den sie kräftig förderten. Aber auch die anderen Religionen, ob chinesischen oder fremden Ursprungs - nestorianischen Christentum, Judentum, Islam -, wurden toleriert, die Geistlichkeit sogar von den Steuern befreit. Gefallen fanden die Mongolen auch an der bürgerlichen Kultur der chinesischen Städte; Oper und Roman konnten sich unter ihrer Ägide kräftig weiterentwickeln. Die Gelehrtenkultur, die bislang auch immer öffentlich gefördert worden war, überlebte jetzt hauptsächlich in privaten Gelehrten- und Künstlerzirkeln. Weder sie noch die Volkskultur wiesen irgendwelche fremden Einflüsse auf, trotz des engen Kontaktes, den das mongolische Weltreich zwischen Osten und Westen herstellte. Dagegen erhielt Europa jetzt erstmals direkte Kunde von China und anderen Ländern jenseits der islamischen Welt über die im päpstlichen Auftrag an den Mongolenhof gereisten Franziskanermönche Giovanni dal Piano dei Carpini (✝ 1252), Wilhelm von Rubruk (✝ um 1270), Odorico da Pordenone (✝ 1331) und Giovanni dei Marignolli (✝ 1359); die beiden Letztgenannten gelangten bis nach Peking. Am nachhaltigsten wirkte aber die (verschiedentlich angezweifelte) Asienreise des venezianischen Kaufmanns Marco Polo (1271-95), dessen ausführlicher Bericht die späteren Entdeckungsreisen stimulierte. Chinesische Errungenschaften wie Kompass und Buchdruck fanden ihren Weg nach Westen. Die früher gezeigte Weltoffenheit Chinas war nach der Rückbesinnung der Kultur der Song auf ihre eigenen Traditionen - nicht zuletzt aufgrund der fortwährenden Abwehrschlachten gegen Fremdvölker - verloren gegangen; Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit machten sich dagegen immer stärker bemerkbar. Dennoch fiel die Yuandynastie nicht primär einer nationalen Erhebung der Untertanen zum Opfer, sondern einem der klassischen Aufstände verelendeter Bauern.
Ming (1368-1644):
Zhu Yuanzhang (Chu Yüan-chang), als Kaiser Taizu (T'ai-tsu, 1368-98), der Gründungskaiser der Mingdynastie, stammte aus Anhui, das Mitte des 14. Jahrhunderts eine der Hochburgen der messianisch inspirierten Sekte »Weißer Lotus« (einer Mischlehre aus volksreligiös-buddhistischen Elementen mit manichäischem Einschlag) und treibende Kraft hinter den ersten Aufständen der durch Auspressung und Naturkatastrophen verelendeten Bevölkerung Mittel- und Nordchinas war. In seiner von Not und Elend überschatteten Kindheit und Jugend Herumtreiber und Bettelmönch, schloss Zhu Yuanzhang sich 1352 den Aufständischen seiner Heimat an, schwang sich zu deren Führer auf und schlug nach langen Kämpfen andere regionale Machthaber Mittel- und Südchinas aus dem Felde. 1368 eroberte er nach einer geschickt geführten nationalen, antimongolischen Propagandakampagne den noch mongolisch beherrschten Norden, nachdem er zuvor die nationale Dynastie Ming (»die Helle«) proklamiert hatte. Bis zu seinem Tod (1398) sicherte er mit Feldzügen in die Mandschurei, Mongolei und nach Südwestchina die Herrschaft der Dynastie über die klassischen Territorien Chinas und schuf somit wieder eine rein chinesische Dynastie von imperialen Ausmaßen.
Mit Zhu Yuanzhang begann der despotische Absolutismus des chinesischen Kaisertums, der das Chinabild des Abendlandes entscheidend mitgeprägt hat. Er beseitigte die anderthalb Jahrtausende alte ehrwürdige Institution des Kanzlers als Oberhaupt der Bürokratie; alle Zentral- und die Provinzialbehörden des jetzt in 13 Provinzen eingeteilten Reiches, auch die Aufsicht führenden, wurden ihm direkt unterstellt. Zur Seite standen ihm einige Sekretäre, das »Innere Kabinett« (Nei-ge, Nei-ko), das seit etwa 1425 auf 30 Mitglieder anwuchs. Dies blieb bis 1911/12 im Wesentlichen die Grundkonstruktion der Reichsverwaltung. Politisch entmachtet und zu bloßen ausführenden Organen degradiert, verloren die Beamten auch rechtliche Privilegien, riskierten schon bei geringen Verfehlungen oder Widerspruch demütigende Bastonaden oder gar die Hinrichtung. Zu den schlimmsten Exzessen kam es dabei unter dem misstrauischen und zum Jähzorn neigenden Gründungskaiser. Instrument dieses Terrorregimes war die von ihm zur Überwachung und Disziplinierung der Beamtenschaft geschaffene und mit unumschränkten Vollmachten ausgestattete »Brokatuniform-Garde«. Noch weiter eingeschränkt wurde der Einfluss der Beamten auf die Politik durch die Mitte des 15. Jahrhunderts zunehmende Bedeutung der Eunuchen, die schließlich sogar die Entscheidungen des Inneren Kabinetts kontrollierten. Heftige Fraktionskämpfe innerhalb der Beamtenschaft begünstigten diese Entwicklung. Andererseits setzte sich unter den Ming der Zivilmandarin, der über eine Staatsprüfung ausgewählte, aus der Grund besitzenden Klasse stammende Berufsbeamte, endgültig durch. Lehr- und Prüfungsinhalte der Beamtenausbildung waren jetzt die konfuzianischen Klassiker in der Auslegung der Schule des Zhu Xi. Die Zeit der Mingdynastie war damit die erste wirklich konfuzianisierte Epoche Chinas. Buddhismus und Taoismus wurden in die Volkskultur abgedrängt. Eingeengt von den Fesseln der konfuzianischen Orthodoxie, waren die geistig-künstlerischen Leistungen im Allgemeinen wenig originell - die Mingzeit war, wie auch die folgende Qingdynastie (Ch'ingdynastie), eine enzyklopädische Epoche, in der die Tradition aufgearbeitet und weitergereicht wurde, allerdings auf hohem wissenschaftlichem Niveau. Lebendig allein war die in der Songzeit entstandene »bürgerliche« Unterhaltungskultur der Städte (v. a. der umgangssprachliche Roman und die Novelle). Dies war ein Ergebnis der fortschreitenden Verstädterung und der dank eines ausgeweiteten Binnen- und Außenhandels wachsenden Mittelschicht aus begüterten Kaufleuten.
Grundlage der blühenden Wirtschaft war immer noch die Landwirtschaft, die mit der Umstellung auf anspruchslosen und schnell reifenden Reis (zwei Ernten pro Jahr), ergänzt durch die aus der Neuen Welt nach China gelangten Feldfrüchte Bataten, Mais und Erdnüsse, eine rasch von 60 Mio. (Ende 14. Jahrhundert) auf 150 Mio. (Anfang 17. Jahrhundert) anwachsende Bevölkerung ernähren konnte. Die wirtschaftliche und bevölkerungspolitische Gesundung kam v. a. dem seit Jahrhunderten verheerten und entvölkerten Norden zugute. Die seit fast einem Jahrtausend beobachtete Nord-Süd-Wanderung der Bevölkerung kehrte sich, gefördert von der Regierung, jetzt um, ohne dass der Süden seine wirtschaftliche Vormachtstellung verlor. Begünstigt wurde die Entwicklung des Nordens besonders durch die Verlegung der Kaiserresidenz von Nanking nach Peking (1421), eine Maßnahme, die Kaiser Chengzu (Ch'eng-tsu) oder Yongle (Yung-lo, 1402-24) zur Bekämpfung der Mongolengefahr traf. Doch gelang es weder durch kühne Feldzüge in die Mongolei noch durch den Neuausbau der Chinesischen Mauer, die Gefahr aus dem Norden endgültig zu bannen. Kaiser Yingzong (Ying-tsung, 1435-49 und 1457-64) geriet 1449 sogar in mongolische Gefangenschaft, aus der er erst nach Zahlung eines Lösegeldes freikam. Erfolgreicher waren die Vorstöße nach Südwestchina und Nordvietnam, während die kühnen Seereisen des Eunuchen Zheng He (Cheng Ho, ✝ 1431) bis ins Rote Meer wegen der restriktiven Flottenpolitik ohne Folgen blieben. Das Verbot des privaten Überseehandels beantwortete Japan mit Piraterie an den chinesischen Küsten, der die Zentralregierung über mehr als ein Jahrhundert nicht Herr werden konnte. Im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts konnte das Heer der Ming erst nach vielen schweren Kämpfen einen Invasionsversuch der Japaner in Korea abwehren. Betroffen von den Handelsbeschränkungen waren auch die in südchinesischen Häfen einlaufenden Schiffe der Portugiesen (1514), Spanier (1575), Niederländer (1601) und Engländer (1636). Trotz dieser Abschließungspolitik konnte dank der anpassungsfähigen Taktik des Jesuiten Matteo Ricci (* 1552, ✝ 1610) die katholische Kirche seit 1601 in China wieder Fuß fassen. Sie scheiterte aber in ihren Missionsbemühungen im 18. Jahrhundert am Dogmatismus des Heiligen Stuhls. Die durch eine uneinige Beamtenschaft und die Willkürherrschaft der Eunuchen geschwächte Dynastie wurde durch einen Volksaufstand unter Führung von Li Zicheng (Li Tzu-ch'eng, * 1605, ✝ 1645) gestürzt. Als 1644 Peking fiel, beging der Kaiser Selbstmord.
Qing (Ch'ing, 1644-1911/12):
Der Aufstieg der in der Mandschurei siedelnden tungusischen Mandschu, Nachfahren der Dschurdschen, die im 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts Nordchina beherrschten, zur ostasiatischen Großmacht begann Ende des 16. Jahrhunderts mit der Einigung der bisher dem Mingreich botmäßigen Stämme unter dem Häuptling Nurhachi (* 1559, ✝ 1626). Nach der Unterwerfung der östlichen Mongolen und Koreas proklamierte sein Sohn Abahai (1626-43) 1636 die Dynastie Da Qing (Ta Ch'ing, »Große Reine«), meist abgekürzt Qing genannt. 1644 von ihrem bisherigen Gegner Wu Sangui (Wu San-kuei, * 1612, ✝ 1678), dem Kommandeur der chinesischen Nordostfront, gegen Aufständische, die Peking erobert hatten, zu Hilfe gerufen, besetzten die Mandschu rasch Nord- und Mittelchina; die Eroberung des ganzen Reiches wurde aber erst 1681 abgeschlossen, nach langen Kämpfen mit Ming-Loyalisten und regionalen Machthabern, zuletzt mit dem einstigen Verbündeten Wu Sangui. Das von den Portugiesen Formosa genannte Taiwan wurde 1683 besetzt und damit erstmals ein Teil Chinas. Die in acht - die Stämme übergreifende, nach Farben bezeichnete und seit 1731 allein dem Kaiser unterstehende - Banner (Qi, Ch'i) organisierten Mandschu setzten sich unter Beibehaltung der jetzt paritätisch mit Mandschu und Chinesen besetzten Verwaltung als Krieger und Amtsadel an die Spitze des Staates. Eine eigene, von der mongolischen abgeleitete Schrift, Heiratsverbote zwischen Mandschu und Chinesen und das Verbot der chinesischen Immigration in die Mandschurei dienten der Sicherung der nationalen Identität der Mandschu, konnten aber deren Sinisierung nicht verhindern, obwohl die Chinesen die Kleidung und Haartracht der Mandschu übernehmen mussten. Unter den drei Herrschern Kangxi (K'ang-hsi, 1661-1722), Yongzheng (Yung-cheng, 1722-35) und Qianlong (Ch'ien-lung, 1735-96) erlebte das Reich im 18. Jahrhundert seine Blütezeit, die »Pax sinica«. In dieser Epoche erhielt China auch seine heutige territoriale Gestalt. In den Grenzverträgen von Nertschinsk (1689) und Kjachta (1727) mit Russland - den ersten Verträgen Chinas mit einer europäischen Macht - wurde neben Handelsabmachungen die Grenze zwischen den beiden Reichen am Amur festgelegt (so genannte gleiche Verträge). Im Westen wurden in den Dsungarenkriegen (1696-1758) Tibet (1720), Qinghai (1723) und Ostturkestan (1758) erobert und später dem Reich als Protektorate angegliedert. An den Südgrenzen konnten die Mandschu 1788 Birma, 1789 Vietnam und 1792 Nepal zur Anerkennung eines Tributverhältnisses bringen.
Die Mandschukaiser waren die ersten Fremdherrscher, die dem Konfuzianismus anhingen und ihn als eifernde Konvertiten in seiner orthodoxen Form in den Rang der alleinigen Staatsideologie erhoben. Die Qingzeit war daher ein weniger schöpferisches als sammelndes und enzyklopädisches Zeitalter. Besonders unter der Patronage von Qianlong (Gaozong) wurden umfangreiche Bestandsaufnahmen des klassischen Schrifttums vorgenommen, dabei aber auch die als häretisch bewerteten Schriften des Buddhismus und Taoismus sowie die umgangssprachliche Literatur ausgeklammert, die trotzdem eine Blüte erlebte (Romanliteratur). In privaten Zirkeln entstand dagegen eine auf hohem philologischen Niveau stehende Klassikerkritik, der die moderne Sinologie viel zu verdanken hat.
Das 18. Jahrhundert war auch die Zeit der größten wirtschaftlichen Prosperität des Reiches; deren Motor war die explosionsartige Zunahme der Bevölkerung von 150 Mio. um 1600 auf etwa 300 Mio. um 1800. Dementsprechend vergrößerte sich der Binnenhandel, beschleunigt noch durch die in Südchina weit verbreitete regionale und lokale Spezialisierung der Landwirtschaft auf Agrarprodukte wie Tee, Tabak und Baumwolle. Doch reichten die Erträge der bald unter Bodenknappheit leidenden Landwirtschaft auf die Dauer nicht aus, um die Verelendung der zumeist aus Pächtern bestehenden Landbevölkerung aufzuhalten. Ende des 18. Jahrhunderts breiteten sich im Reich, beginnend mit dem Aufstand der Sekte »Weißer Lotus« in Westchina (1796-1804), von Sekten und Geheimbünden getragene Unruhen aus; sie kulminierten in dem von traditionell religiösen und pseudochristlichen Vorstellungen geprägten und ein egalitäres Gesellschaftssystem anstrebenden Taipingaufstand unter Führung von Hong Xiuquan (Hung Hsiu-ch'üan, * 1813, ✝ 1864). Diese Erhebung verheerte zwischen 1851 und 1864 große Teile Südchinas. Aufstände der nichtchinesischen Miao in Südwestchina Ende des 18. Jahrhunderts und der muslimischen Bevölkerung Westchinas (Hui) Mitte des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die Verdrängung durch landhungrige chinesische Siedler verschärften noch die innere Lage.
Derart geschwächt, sah sich das Reich dem immer aggressiveren Auftreten der westlichen Mächte ausgesetzt, die seit dem 16. Jahrhundert China ihrem Handel öffnen wollten. Der Versuch des Hofes der Mandschu, den über Kanton, den einzigen Auslandshafen des Reiches, abgewickelten Opiumschmuggel der Briten nach China zu unterbinden, löste den Opiumkrieg (1840-42) aus. Im Vertrag von Nanking (1842) musste das unterlegene China eine Kriegsentschädigung zahlen, Hongkong abtreten und fünf weitere Häfen, darunter Schanghai, dem britischen Handel öffnen (Vertragshäfen). Dieser erste »ungleiche Vertrag« wurde 1844 noch um exterritoriale Privilegien und die Meistbegünstigungsklausel ergänzt. Ähnliche Verträge schlossen im gleichen Jahr Frankreich und die USA mit China. Die ebenfalls durch die »Kanonenbootpolitik« nach dem Lorchakrieg (1856-60) erzwungenen Verträge von Tientsin (1858) und Peking (1860) regelten die Errichtung von Gesandtschaften in der chinesischen Hauptstadt und die ungehinderte Missionstätigkeit der christlichen Kirchen im ganzen Reich. An Russland ging in den Verträgen von Aigun (1858) und Peking (1860) das Gebiet nördlich des Amur und östlich des Ussuri verloren, Tibet driftete 1855 aus dem chinesischen Machtbereich, Nepal (1855) und Birma (1886) gerieten unter britischen, Vietnam (1862-85) unter französischen Einfluss. Der Versuch Japans, China aus Korea zu verdrängen, löste im Sommer 1894 den ersten Chinesisch-Japischen Krieg aus. Trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit der chinesischen Truppen endete dieser Krieg nach einer verlorenen Seeschlacht in der Mündung des Yalu (September 1894), dem Verlust der südlichen Mandschurei und erfolgreichen japanischen Landungen in Shandong mit der Niederlage Chinas. Im Friedensvertrag von Shimonoseki (1895) erkannte China die Unabhängigkeit Koreas an und trat Formosa und die Pescadores an Japan ab. 1897/98 folgten weitere Verluste von Hoheitsrechten mit der erzwungenen Abtretung der Pachtgebiete von Kwantung mit Port Arthur an Russland, von Weihaiwei in Shandong und der New Territories von Hongkong an Großbritannien, von Kiautschou in Shandong an das Deutsche Reich und von Kuangtschouwan in Guandong an Frankreich.
Die Erfolge Japans und den drohenden »Ausverkauf« Chinas vor Augen, überzeugte im Sommer 1898 die so genannte Reformbewegung des Kang Youwei (K'ang Yu-wei, * 1858, ✝ 1927) Kaiser Dezong (Te-tsung, 1875-1908) von der Notwendigkeit tiefer gehender institutioneller, dem japanischen Vorbild folgender Reformen. Doch ein Staatsstreich der um die mächtige Kaiserinwitwe Cixi (Tz'u-hsi, * 1835, ✝ 1908) gescharten Konservativen beendete die Reformphase schon nach 100 Tagen. Die Konservativen förderten auch den sich 1899 in Nordchina ausbreitenden antichristlichen, fremdenfeindlichen und anachronistischen Geheimbund der Boxer; der Boxeraufstand wurde 1900 von einem gemeinsamen Expeditionsheer der Westmächte und Japans niedergeschlagen (14. 8. 1900 Besetzung Pekings). Im »Boxerprotokoll« von 1901 musste China weitere demütigende Einschränkungen seiner Hoheitsrechte hinnehmen; es wurde zur Zahlung einer Entschädigung von 450 Mio. Tael Silber verpflichtet. Als nach dem Russisch-Japanischen Krieg (1904-05) die Mandschurei, das Stammland des Kaiserhauses, in eine russische und eine japanische Einflusszone aufgeteilt wurde, gab der Hof dem allgemeinen Verlangen nach Reformbestrebungen nach; die traditionellen Staatsprüfungen wurden abgeschafft, das Verbot der Mischheiraten aufgehoben, eine Verfassung und die Bildung von Provinzparlamenten in Aussicht gestellt. Doch diese und andere versprochene Reformen wurden nur halbherzig in Angriff genommen und deshalb von Gegnern wie Anhängern der Dynastie abgelehnt. Als sich 1911 eine lokale Militärrevolte in Wuhan rasch auf das Reich ausweitete und der Hof von den halb unabhängigen Provinz und dem »starken Mann« der neu aufgestellten Nordarmee, Yuan Shikai (Yüan Shih-k'ai, * 1859, ✝ 1916), im Stich gelassen wurde, dankte der letzte Kaiser Pu Yi (P'u-i, 1908-11/12) am 12. 2. 1912 zugunsten der am Jahresende 1911 in Nanking von den Revolutionären um Sun Yat-sen (* 1866, ✝ 1925) ausgerufenen Republik ab.
Das republikanische China
Die Herrschaft Yuan Shikais (Yüan Shih-k'ais, 1912-16):
Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs verband sich das Problem der Erneuerung Chinas v. a. mit der Frage nach der Bewahrung der staatlichen Einheit. Im Februar 1912 sah sich Sun Yat-sen, am 1. 1. 1912 zum provisorischen Präsidenten der Republik China gewählt, gezwungen, sein Amt an Marschall Yuan Shikai abzutreten. Nachdem die von Sun Yat-sen geführte Kuo-min-tang (KMT, Guomindang, deutsch »Nationale Volkspartei«) 1913 ihre Ansprüche auf die Staatsführung im Zuge einer »zweiten Revolution« vergeblich durchzusetzen versucht hatte, verbot Yuan Shikai die KMT und ließ sich 1914 zum Präsidenten auf Lebenszeit wählen. 1915 scheiterte sein Versuch, eine neue Dynastie in China zu gründen, v. a. am Widerstand der Provinzen, in denen sich starke, nach Autonomie drängende Kräfte regten. Unter ultimativem Druck musste China 1915 die »21 Forderungen« Japans, die diesem großen Einfluss in Nordchina einräumten, zum großen Teil anerkennen. Um diese Gefahr abzuwenden, trat es 1917 formell in den Ersten Weltkrieg gegen Deutschland ein, um so bei Friedensverhandlungen seine Anliegen erfolgreicher vertreten zu können, sah sich jedoch 1919 in seinen Erwartungen enttäuscht.
Die inneren Wirren (1916-26):
Nach dem Tode Yuan Shikais (1916) zerfiel die Zentralgewalt; China wurde zum Schauplatz ständiger Bürgerkriege zwischen den Führern regionaler Militärgruppen. Diese »Warlords«, unter denen besonders Zhang Zuolin (Chang Tsolin, * 1873, ✝ 1928), Feng Yuxiang (Feng Yü-hsiang, * 1882, ✝ 1948) und Wu Peifu (Wu P'ei-fu, * 1872, ✝ 1939) hervortraten, rangen v. a. im nördlichen China um die Macht. Im südlichen China, das sich von den rivalisierenden Militärgruppen distanzierte, bemühte sich Sun Yat-sen, ein revolutionäres Regierungssystem mit Schwerpunkt in Kanton aufzubauen.
Aus einer Demonstration Pekinger Studenten am 4. 5. 1919 gegen die Übertragung von Souveränitätsrechten in der Provinz Shandong an Japan entwickelte sich die von (west-)europäischen Ideen (nationale Unabhängigkeit, gesellschaftliche Reformen, kulturelle Erneuerung) getragene »Vierte-Mai-Bewegung«, die in der Folge auf andere Großstädte, z. B. Kanton und Schanghai, übergriff. Sie wandte sich vehement gegen die konfuzianischen Traditionen, besonders in ihrer Funktion als ideelle Basis des kaiserlichen Chinas. Chen Duxiu (Ch'en Tu-hsiu, * 1879, ✝ 1942), einer ihrer intellektuellen Führer, griff die traditionellen Werte an: Gehorsam (auf der Ebene der Familie wie des Staates), Ehrfurcht (vor dem Alter), Höflichkeitsformen und Riten sowie Zwangsheirat und den Brauch, den Frauen durch Abschnüren die Füße zu verkrüppeln.
Nach anfänglichen Misserfolgen baute Sun Yat-sen seit 1923 in Kanton mithilfe der UdSSR und der Komintern ein revolutionäres Regierungssystem auf und ging ein Bündnis mit der chinesischen KP (gegründet 1921) ein, deren Mitglieder zugleich der KMT beitraten. Die KMT selbst wurde von M. Borodin, einem von der Komintern entsandten Berater, nach marxistisch-leninistischem Muster zu einer Kaderpartei umgeformt. Der sowjetische General W. Blücher beriet die KMT-Regierung bei der Aufstellung einer Armee. 1924 wurde eine Militärakademie in Huangpo (bei Kanton) gegründet, die unter der Leitung General Chiang Kai-sheks (* 1887, ✝ 1975) und seines Stellvertreters Zhou Enlai (Chou En-lai, * 1898, ✝ 1976) die militärischen Kader der KMT-Armee ausbildete.
Die Einigung Chinas und die Ausschaltung der Kommunisten (1926-28):
Unter dem Oberbefehl Chiang Kai-sheks begann 1926, unterstützt von den Kommunisten, der »Nordfeldzug« gegen die »Warlords« des Nordens. Bis zum Frühjahr 1927 stießen die KMT-Truppen bis zum Jangtsekiang vor und kontrollierten zu diesem Zeitpunkt fast ganz Mittel- und Südchina. Nach der Eroberung von Schanghai (April 1927) schaltete Chiang Kai-shek die Kommunisten, deren Einfluss in der KMT-Bewegung stark angewachsen war, in einer blutigen Aktion aus und errichtete in Nanking eine Nationalregierung, die Kommunisten gingen in den Untergrund. Mit der erfolgreichen Fortsetzung des Krieges 1927/28 gegen die Militärmachthaber des Nordens stellte Chiang Kai-shek die Einheit Chinas im Wesentlichen wieder her (Eroberung von Peking 1928). Die Mandschurei unterwarf sich 1928, die Mongolei, Sinkiang und Tibet blieben jedoch faktisch unabhängig.
Das Dezennium von Nanking (1927-37):
Das Regierungssystem von Nanking, in dem Chiang Kai-shek zur beherrschenden Figur aufstieg, gewann international bald allgemeine Anerkennung. Im Innern versuchte die Regierung, die Wirtschaft des Landes zu beleben, u. a. durch Abschaffung der Binnenzölle, Währungsreform und Ausbau des Verkehrsnetzes, ließ jedoch im Wesentlichen die für den größten Teil der Bevölkerung, die Bauern, bedrückenden Lebens- und Einkommensverhältnisse bestehen: ein Pachtsystem, das oft von willkürlich gesetztem Pachtzins bestimmt war, Kleinstbesitz mit geringer Ertragskraft, technisch veraltete Bebauungsmethoden, mangelnde Hygiene und Katastrophenvorsorge (z. B. bei Überschwemmungen). Die Analphabetenquote blieb hoch (90 %). In Abwehr kommunistischer Einflüsse suchte Chiang Kai-shek konfuzianische Traditionen wieder zu beleben.
Nach ihrer gewaltsamen Ausschaltung aus dem Bündnis mit der KMT (1927) schlug die chinesische KP einen neuen politischen Kurs ein: Guerillakrieg gegen das Regierungssystem von Nanking, Bildung von Räten auf dem Lande nach sowjetischem Vorbild und Durchführung einer Agrarrevolution dort, wo man die Macht erringen konnte. So entstand seit 1927 in der Provinz Jiangxi unter Führung von Mao Zedong (Mao Tse-tung, * 1893, ✝ 1976) ein kommunistisches Herrschaftsgebiet. 1931 gründeten die Kommunisten die »Chinesische Sowjetrepublik« mit der Hauptstadt Ruijin (Juichin). Sie enteigneten dort die Ländereien der Großgrundbesitzer und verteilten das Land unter die Kleinbauern. In fünf »Vernichtungsfeldzügen« zwang Chiang Kai-shek die chinesische KP zur Aufgabe ihres Herrschaftsgebietes in Jiangxi. Nach einem Langen Marsch (1934-35) durch Westchina, auf dem Mao Zedong zum unumstrittenen Führer der Partei wurde, erreichten die kommunistischen Streitkräfte die Provinz Shaanxi und bauten Yan'an zu ihrem zentralen Stützpunkt aus.
Mit der Besetzung der Mandschurei durch Japan erwuchs der Republik China eine große Gefahr von außen. 1932 rief Japan den unter seinem Protektorat stehenden Staat »Mandschukuo« aus und erklärte ihn 1934 zum Kaiserreich unter dem letzten Qingkaiser Pu Yi (P'u-i). Eine Völkerbundskommission unter Lord Lytton verurteilte den japanischen Angriff (Lytton-Bericht). Chiang Kai-shek, der zunächst durch »Vernichtungsfeldzüge« die Kommunisten als innenpolitische Gegner ausschalten wollte, um dann den in China eingedrungenen japanischen Streitkräften entgegenzutreten, sah sich durch eine Meuterei eigener Truppenteile (»Zwischenfall von Xi'an«) 1936 gezwungen, mit der chinesischen KP ein antijapanisches Bündnis zu schließen. Im Rahmen dieser »zweiten Einheitsfront« vertrat Zhou Enlai die kommunistische Seite bei der Regierung in Nanking.
Vom zweiten Chinesisch-Japischen Krieg bis zum Bürgerkrieg (1937-49):
Der militärische »Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke« (7. 7. 1937) in der Nähe von Peking löste ohne Kriegserklärung den zweiten Chinesisch-Japischen Krieg aus. Nach der Einnahme von Peking und Tientsin (Ende Juli 1937) drangen japanische Truppen nach Süden vor und besetzten Nanking (Dezember 1937), wo sie ein Massaker (mindestens 200 000 Tote) unter den Einwohnern anrichteten, und Hankow (heute zu Wuhan; Oktober 1938); die Japaner blockierten zugleich die chinesische Küste und eroberten 1938 Kanton. Seit 1939 erstarrten die Kampfhandlungen zu einem Stellungskrieg; der Krieg verschmolz in den folgenden Jahren mit dem Zweiten Weltkrieg. Während sich die Nationalregierung von Nanking unter dem Eindruck des japanischen Vormarsches nach Chongqing in den äußersten Westen des Landes zurückzog, bildete Wang Jingwei (Wang Ching-wei, * 1883, ✝ 1944) in Nanking eine japanfreundliche Gegenregierung, die den USA und Großbritannien den Krieg erklärte und dafür den Verzicht Japans auf seine exterritorialen Rechte in China erreichte. Chiang Kai-shek stand im Bund mit den USA, Großbritannien und Frankreich, erreichte deren Verzicht auf ihre Sonderrechte in China und die Anerkennung Chinas als Ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der 1945 geschaffenen UNO. Im Zweiten Weltkrieg dehnte die KP, gestützt auf die ständig sich vergrößernde Rote Armee, ihr Herrschafts- und Operationsgebiet aus. Kurz vor dem Zusammenbruch Japans trat die UdSSR in den Krieg gegen Japan ein, besetzte die Mandschurei und verhalf dort der KP zur Machtübernahme (1945).
Nach dem Scheitern amerikanische Vermittlungsbemühungen unter der Leitung General G. Marshalls zwischen dem KMT-Regime und den Kommunisten brach 1947 erneut der Bürgerkrieg aus. Mit sowjetischer militärtechnischer Unterstützung eroberte die kommunistische »Volksbefreiungsarmee« von der Mandschurei aus Nordchina (Schlacht bei Suzhou, 1948) und bis Ende 1949 das übrige China. Chiang Kai-shek, seit In-Kraft-Treten der Verfassung von 1948 Staatspräsident, zog sich 1949 mit dem Rest seiner Truppen nach Taiwan zurück und erhob von dort aus den Anspruch auf die Herrschaft über ganz China. Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts konnte seine Regierung lange Zeit die im Zweiten Weltkrieg gewonnene internationale Position, besonders in der UNO, behaupten.
Entstehung und Aufbau der Volksrepublik China (1949-64):
Am 1. 10. 1949 rief Mao Zedong die Volksrepublik China aus und trat als Präsident des Zentralrats der Volksregierung an die Spitze des Staates. Ministerpräsident an der Spitze eines Administrativen Rates wurde Zhou Enlai. Gemäß der spezifischen Deutung des Marxismus-Leninismus durch Mao Zedong (Maoismus, Marxismus) leitete die Partei- und Staatsführung eine radikale Umgestaltung von Staat und Gesellschaft ein. 1954 trat eine neue Verfassung in Kraft. In mehreren Säuberungswellen liquidierten die Kommunisten die alte Führungselite; dabei kamen etwa 10 Mio. Menschen ums Leben. Die Regierung führte eine Bodenreform durch (1950), verstaatlichte die Schwerindustrie und den Außenhandel (1950) und forcierte mit sowjetischer Unterstützung die Industrialisierung des Landes. Die UdSSR lieferte etwa 300 Industrieanlagen und entsandte etwa 10 000 Sachverständige nach China. Im Sinne der Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft führte die Regierung ein neues Eherecht ein. In Kampagnen suchte die KP durch »Indoktrination« und »Gedankenreform« die Chinesen ideologisch umzuerziehen. 1951/52 sollte eine Kampagne gegen »Konterrevolutionäre« die »revolutionäre Wachsamkeit« stärken und die Gegner des neuen Gesellschaftssystems bloßstellen. Die Hundert-Blumen-Bewegung zielte darauf ab, Kritik zu aktivieren und der Partei- und Staatsführung Gelegenheit zu geben, das kritische Meinungspotenzial zu kanalisieren und nötigenfalls abzubremsen. Im Zuge der Kampagne des »Großen Sprungs nach vorn« (1958-60/61) sollte mit der Errichtung der Volkskommunen die Agrarrevolution auf ihren Höhepunkt geführt sowie das Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger ideologischer Umerziehung forciert werden. Ziel dieser Kampagne war letztlich, bei der Entwicklung eines sozialistischen Gesellschaftssystems einen qualitativen Schritt nach vorn zu machen und den Abstand zur gesellschaftlichen Entwicklung der UdSSR zu verringern oder diese sogar zu überholen; tatsächlich brachen jedoch schwere Hungersnöte aus, Millionen von Menschen verhungerten 1960-62 (»drei bittere Jahre«).
Nach dem Scheitern dieser Aktion sah sich Mao Zedong gezwungen, sich v. a. auf die Funktion des Parteivorsitzenden zurückzuziehen und das Amt des Staatspräsidenten an Liu Shaoqi (Liu Shao-ch'i, * 1898, ✝ 1969?) abzugeben. - 1950 besetzte die Volksrepublik China Tibet und gliederte es 1951 ihrem Staatsverband ein. Nach der Niederschlagung des Aufstands von 1959 floh der regierende Dalai Lama und mit ihm eine große Zahl von Tibetern ins benachbarte Ausland. 1965 erhielt Tibet den Status eines Autonomen Gebietes.
In seinen Außenbeziehungen sah sich China besonders nach seinem Eingreifen (zugunsten Nord-Koreas) in den Koreakrieg (1950-53) in Gegnerschaft zu den USA, die weiterhin die Regierung Chiang Kai-shek als Vertretung ganz Chinas anerkannten und Taiwan gegen einen militärischen Angriff sicherten. Gegenüber der Dritten Welt stellte sich das kommunistische China - z. B. auf der Bandungkonferenz (1955) - als Vorkämpfer nationaler Unabhängigkeit dar und suchte als Wortführer »nationaler Befreiungskriege« die Ausdehnung des kommunistischen Herrschaftsbereichs besonders in Asien zu fördern. Im Indochinakrieg (1946-54) und im Vietnamkrieg (1957-75) leistete es Nord-Vietnam militärtechnische Hilfe. Das Verhältnis zu Indien war starken Schwankungen unterworfen. 1954 hatten beide Länder eine »Fünf-Punkte-Vereinbarung« über »friedliche Koexistenz« abgeschlossen und der Bandungkonferenz mit Erfolg zur Annahme empfohlen. Nach der Niederschlagung des tibetanischen Aufstands wuchsen jedoch die Spannungen zwischen beiden Ländern; chinesische Gebietsansprüche entlang der Himalajagrenze lösten den chinesisch-indischen Krieg (1962) um Ladakh (im Gebiet von Kaschmir) aus. - Der Abschluss eines Freundschafts- und Beistandsvertrages (1950) bestimmte zunächst das politische Verhältnis zwischen China und der UdSSR; 1952 verzichtete Letztere auf ihre Vorrechte in der Mandschurei, 1956 auf ihre Stützpunkte in Dairen und Port Arthur. Seit der Entstalinisierung (1956) in der UdSSR entwickelte sich jedoch zwischen beiden Staaten ein tiefer ideologisch-machtpolitischer Konflikt um die Führung in der kommunistischen Weltbewegung. Die chinesische Partei- und Staatsführung bestritt v. a. den Führungsanspruch der UdSSR. - Mit der Zündung der ersten Atombombe (1964) trat China in den Kreis der Nuklearmächte und wendete sich in den folgenden Jahren immer wieder gegen die tonangebende Stellung der USA und der UdSSR bei Verhandlungen über Abrüstungsfragen.
Die Kulturrevolution und ihre Nachwirkungen (1965/66-76):
Nachdem zwischen 1962 und 1965 sein Versuch, mithilfe der Armee über die »Sozialistische Erziehungskampagne« die Partei von innen her auf seine idealistisch-revolutionäre Linie einzuschwören, misslungen war, löste Mao Zedong, unterstützt von seiner Frau Jiang Qing (Chiang Ch'ing, * 1914, ✝ 1991) und seinem Mitarbeiter Lin Biao (Lin Piao, * 1907, ✝ 1971), von Schanghai aus Ende 1965 die Kulturrevolution aus. Eine erste vorbereitende Säuberungskampagne richtete sich gegen antimaoistische Intellektuelle in Literatur, Erziehung und Publizistik. 1966 eröffneten die Anhänger Mao Zedongs, die die Massenmedien kontrollierten, mithilfe der aus unzufriedenen Schülern und Studenten gebildeten Roten Garden den Angriff auf die antimaoistische Parteizentrale in Peking und entmachteten Staatspräsidenten Liu Shaoqi und den Generalsekretär der KP Deng Xiaoping (Teng Hsiao-p'ing, * 1904). In der folgenden, von Rotgardisten getragenen und auf das ganze Land übergreifenden Terror- und Säuberungskampagne wurde zwar der Partei- und Staatsapparat weitgehend zerschlagen, nicht aber die parteiinterne, antimaoistische Opposition in den Provinzen. Als der Widerstand gegen den Terror der außer Kontrolle geratenen Rotgardisten sich in den Provinzen zu versteifen begann und der Bürgerkrieg drohte, griff die Armee mit Billigung Mao Zedongs ein; die von ihr kontrollierten, die zerstörten Partei- und Staatsorgane ersetzenden lokalen Revolutionskomitees übernahmen die Macht und dämmten den Terror ein. Die Kulturrevolution war begleitet von einem Kult um die Person Maos, der als »Großer Vorsitzende und Steuermann« in der Öffentlichkeit dargestellt wurde. Die Wiedereröffnung der im Juni 1966 geschlossenen Schulen (1968) signalisierte den ersten Schritt zur Normalisierung der innenpolitischen Entwicklung. Auf dem 9. Kongress der KPCh im April 1969 wurde die »Große Proletarische Kulturrevolution« nachträglich legalisiert, aber auch offiziell beendet. Nominell ging Mao Zedong als Sieger aus dem Machtkampf hervor, doch fasste in den nächsten Jahren die pragmatische Richtung in der Partei, deren Exponent der unverdächtige Zhou Enlai war, wieder Fuß; gleichzeitig wurden zahlreiche während der Kulturrevolution aus den Ämtern vertriebene Funktionäre rehabilitiert. Erstes Opfer dieser Konsolidierungsphase der Partei wurde der zum Stellvertretenden und (designierten) Nachfolger Maos aufgestiegene Lin Biao, der unter dem Eindruck seines schwindenden Einflusses 1971 einen Putschversuch unternommen haben soll, bei dem er umkam. Designierter Nachfolger Mao Zedongs wurde jetzt Zhou Enlai.
Die pragmatische Linie setzte sich auch in der Außenpolitik durch. Während die UdSSR nach dem militärischen Zwischenfall am Ussuri (1969) zum Hauptfeind Chinas erklärt wurde, kam es mit den USA über erste Kontakte auf sportlicher Ebene (»Ping-Pong-Diplomatie«) zu Begegnungen auf Regierungsebene, zunächst zum Geheimbesuch H. Kissingers, des Sicherheitsberaters des amerikanischen Präsidenten R. Nixon (1971), dann (1972) zum Besuch des Präsidenten selbst. Diplomat. Beziehungen wurden aber wegen der Taiwanfrage und des Vietnamkonflikts erst 1979 aufgenommen, mit einer Reihe anderer Staaten dagegen schon früher (z. B. mit der Bundesrepublik Deutschland 1972). 1971 erhielt die Volksrepublik China anstelle Taiwans Sitz und Stimme in der UNO-Vollversammlung und wurde Ständiges Mitglied des Sicherheitsrats.
Unterdessen erschütterten die Nachwirkungen der Kulturrevolution die Partei. Unter Führung Jiang Qings verdächtigte die Gruppe der radikalen Ideologen, später Viererbande genannt, über die in Kultur und Erziehung geführte »Anti-Konfuzius-Kampagne« die »Pragmatisten« der »Rechtsabweichung« von den Lehren Mao Zedongs. Der Tod Zhou Enlais (1976) verhalf ihnen mit der erneuten Ausschaltung des 1973 rehabilitierten und als »Testamentsvollstrecker« Zhou Enlais vorgesehenen Deng Xiaoping zu einem vorübergehenden Erfolg, der aber durch den Tod Mao Zedongs 1976 wieder zunichte gemacht wurde. Die »Viererbande« wurde kurze Zeit darauf verhaftet und um die Jahreswende 1980/81 als treibende Kraft hinter der Kulturrevolution und dem Lin-Biao-Putsch von einem Sondergericht abgeurteilt.
Der Sieg der »Pragmatisten« und ihre Reformen (seit 1977):
Den Sieg der »Pragmatisten« über die »Ideologen« markierte 1977 die Rehabilitierung Deng Xiaopings, der in der Folgezeit als maßgebliche Persönlichkeit der Partei den Nachfolger Mao Zedongs als Parteivorsitzender und Zhou Enlais als Ministerpräsident, Hua Guofeng (Hua Kuo-feng, * 1921), aus der Macht drängte. 1980 verlor Hua Guofeng den Posten des Ministerpräsidenten an Zhao Ziyang (Chao Tse-jang, * 1918), 1981 den Parteivorsitz an Hu Yaobang (Hu Yao-pang, * 1915, ✝ 1989), beide langjährige Gefolgsleute Deng Xiaopings. Der Parteivorsitz wurde 1982 abgeschafft und durch ein Generalsekretariat abgelöst. Nach einer Zeit der Vakanz wurde 1983 das Amt des Staatspräsidenten mit Li Xiannian (Li Hsien-nien, * 1909, ✝ 1992) besetzt.
Die schon von Zhou Enlai propagierten und unter Hua Guofeng angelaufenen Reformen zur Modernisierung des Landes wurden jetzt beschleunigt. Hauptmerkmale dieses Reformkurses waren: die Entpolitisierung und Entideologisierung des Alltags, begleitet von einer eher behutsamen Entmaoisierung; die Reinstitutionalisierung in Partei und Staat (Abschaffung der Revolutionskomitees); der allmähliche Aufbau eines am westlichen Vorbild orientierten Rechtswesens; die Liberalisierung der Religionspolitik; die Pflege der eigenen Kulturtraditionen; die Rehabilitierung der Intellektuellen und die damit zusammenhängende Betonung des Primats der Fachausbildung vor politischer Indoktrination. Die Plan- und Kollektivwirtschaft wurde nach Bedarf zugunsten von Eigeninitiative und freiem Spiel der Marktkräfte eingeschränkt, die Volkskommunen wurden aufgelöst.
Widerstände in der Partei gegen die Reformen beantwortete die Partei- und Staatsführung zwischen 1983 und 1986 mit der »Rektifizierungskampagne« zur Säuberung der Partei von »radikalen« Mitgliedern. Die Kehrseite des wirtschaftlichen Aufschwungs bildeten neben der bislang unbekannten Inflation die Korruption und die Zunahme der Schwerstkriminalität, die von der Regierung mit periodischen und summarischen Massenexekutionen bekämpft wurde. Zu den restriktiven Maßnahmen des Reformkurses zählten das Verbot der Wandzeitungen (1979), die Streichung des Streikrechts aus der Verfassung (1982) und die administrativ verordnete Ein-Kind-Ehe zur Eindämmung des starken Bevölkerungszuwachses. Entschieden ging die Partei auch mehrfach gegen so genannte bürgerlich-individualistische Tendenzen in Kunst und Literatur vor und beharrte auf dem unumstößlichen Primat des Marxismus-Leninismus, der Diktatur des Proletariats, des sozialistischen Wegs und der führenden Rolle der KP in Staat und Gesellschaft. Zahlreiche Demonstrationen von Studenten für mehr staatsbürgerliche Freiheiten um die Jahreswende 1986/87 zeigten aber die Spannung zwischen wirtschaftlicher und technischer Öffnung sowie politischer Abkapselung. 1987 trat Hu Yaobang als Generalsekretär der KP zugunsten von Zhao Ziyang zurück, und Li Peng (Li P'eng, * 1928) wurde Ministerpräsident; 1988 wurde Yang Shangkun (Yang Shang-k'un, * 1907) Staatsoberhaupt. Unter der Schirmherrschaft Deng Xiaopings setzten Partei und Regierung die auf wirtschaftliche Reformen gerichtete Politik fort; ein neues Unternehmensgesetzes (1988) erweiterte die Befugnisse der Unternehmensführung auf Kosten der Macht der Parteisekretäre. Anlässlich der Begräbnisfeierlichkeiten für den früheren Generalsekretär Hu Yaobang (Mitte April 1989), der sich in seiner Amtszeit auch politischen Reformen gegenüber aufgeschlossen gezeigt hatte, kam es zu studentischen Massendemonstrationen auf dem »Platz des Himmlischen Friedens« in Peking für mehr Freiheit und Demokratie; die Demokratiebewegung, der sich auch andere Bevölkerungsteile anschlossen, griff auf weitere Städte über. Am 18. 5. 1989 fand in Peking auf dem »Platz des Himmlischen Friedens« eine Demonstration mit über 1 Mio. Teilnehmern statt. Auf Initiative Deng Xiaopings, Li Pengs und des Staatsoberhaupts Yang Shangkun unterdrückten Armeeinheiten am 3./4. 6. 1989 die Protestbewegung in einer blutigen Militäraktion, die viele Tote forderte (nach offiziellen chinesischen Angaben von 1996 in Peking 523, in ganz China während der Proteste 931; frühere westliche Schätzungen lagen wesentlich höher). Zhao Ziyang, der sich gegen die Militäraktion gewandt hatte, verlor sein Amt als Generalsekretär der KPCh an Jiang Zemin (Chiang Tse-min). Bis 1991 wurden zahlreiche Teilnehmer der studentischen Reformbewegung zu hohen Gefängnisstrafen oder zum Tode verurteilt. Angesichts des Zusammenbruchs der kommunistischen Herrschaftssysteme in Europa hielt China nachdrücklich an den Grundlinien kommunistischer Staats- und Gesellschaftsverständnisses fest. Nach einer Phase innenpolitischer Restauration leitete Deng Xiaoping 1992 eine Kampagne zur Weiterführung der Wirtschaftsreform ein. Der Nationale Volkskongress (15.-31. 3. 1993) wählte Parteichef Jiang Zemin zusätzlich zum Staatspräsidenten und ersetzte in der Verfassung den Begriff »Planwirtschaft« durch »sozialistische Marktwirtschaft«. Im November 1993 verabschiedete das ZK der KPCh ein »Reformprogramm zum Aufbau einer sozialistischen Marktwirtschaft« (z. B. Globalsteuerung des Wirtschaftsprozesses statt direkter staatlicher Eingriffe, Entlohnung nach Leistung, Reform u. a. von Bankwesen, Finanzen und Steuern). Beim Versuch der chinesischen Staats- und Parteiführung, die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu den Industrienationen Europas (z. B. zu Deutschland und Frankreich) und den USA stark zu intensivieren, verzichteten diese Staaten trotz kritischer Stimmen in der internationalen Öffentlichkeit auf eine direkte Verbindung der sich ausweitenden wirtschaftlichen Kooperation mit der Forderung nach Verbesserung der Menschenrechtssituation in China. Mit der Ernennung (März 1998) des Reformexponenten Zhu Rongji (Chu Jung-chi) zum Ministerpräsidenten unterstrichen Staats- und Parteiführung die Dringlichkeit der Wirtschaftsreformen. Im März 1999 ergänzte der Nationale Volkskongress im Zuge des wirtschaftlichen Liberalisierungsprogramms die Verfassung durch einen Zusatz, durch den Privatunternehmen als »wichtige Stütze« der »sozialistischen Marktwirtschaft« anerkannt werden. Im Gefolge der allgemeinen ökonomischen Depression in Asien (seit 1997) sah sich auch die Volksrepublik China 1998/99 mit einer schweren Wirtschaftskrise konfrontiert. Die anwachsenden sozialen Probleme (besonders die stark ansteigende Arbeitslosigkeit und die große Zahl von Wanderarbeitern, aber auch die zunehmend aufbrechende soziale Kluft v. a. in den Großstädten) brachten ein erhebliches Unruhepotenzial hervor. Der weiteren Sicherung des Herrschaftsmonopols der KPCh dienten in den 1990er-Jahren einerseits das unvermindert repressive Vorgehen gegen Oppositionelle und Dissidenten (u. a. im Dezember 1998 gerichtliche Verurteilung von Exponenten der im selben Jahr gegründeten Demokratischen Partei, im Juli 1999 Verbot der Bewegung Falun Gong) und andererseits der Kampf gegen Kriminalität, Wirtschaftsverbrechen sowie Korruption (bis hinein in die eigenen Parteireihen). Wiederholte Unruhen in Tibet seit 1987 und Sinkiang (Uiguren) seit den 1990er-Jahren offenbarten die Konflikte in der Politik gegenüber nationalen Minderheiten.
Der bereits seit 1992 dem Ständigen Ausschuss des Politbüros angehörende und 1998 zum Vizepräsidenten der Volksrepublik China aufgestiegene Hu Jintao (* 1942) erhielt als potenzieller Nachfolgekandidat für höchste politische Ämter 1999 auch die Funktion des Stellvertretenden Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission.
In der Außenpolitik wurde der 1969 eingeschlagene Kurs der Annäherung an den Westen beibehalten. 1978 schloss China einen Friedens- und Freundschaftsvertrag mit Japan. 1984 wurden die Verhandlungen mit Großbritannien über den zukünftigen Status der Kronkolonie Hongkong nach Ablauf der Pachtfrist im Jahre 1997 mit einem Abkommen beendet; ein weiteres Abkommen mit Portugal (1987) legte die Rückgabe Macaos an China für 1999 fest. Dagegen blieben die Beziehungen zur UdSSR angesichts der sowjetischen Unterstützung Vietnams, mit dem China 1979 wegen der Kambodschafrage (Kambodscha) einen Grenzkrieg führte, und des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan (Ende Dezember 1979) lange gespannt. 1980 kündigte China den Freundschafts- und Beistandsvertrag von 1950 und testete, als Antwort auf die Bedrohung durch sowjetische Raketen, im selben Jahr die erste Interkontinentalrakete erfolgreich. In den 80er-Jahren nahmen die Kontakte zum Ostblock wieder zu. Im Mai 1989 beendeten Deng Xiaoping und M. S. Gorbatschow während eines Staatsbesuchs in China den jahrzehntelangen ideologischen Streit zwischen der chinesischen und der sowjetischen KP; der Entwicklung in Osteuropa seit dem Herbst 1989 stand die chinesische Führung jedoch kritisch gegenüber. 1990-91 unterstützte China die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gegen Irak im Konflikt um Kuwait. In der internationalen Öffentlichkeit wurden immer wieder Vorwürfe gegen die Volksrepublik China wegen Menschenrechtsverletzungen erhoben. Zu Spannungen mit Großbritannien kam es ab 1992/93 wegen der Demokratisierungsbestrebungen des britischen Gouverneurs C. Patten in Hongkong. 1992 trat die Volksrepublik China formell dem Kernwaffensperrvertrag bei und sprach sich für ein künftiges Atomteststoppabkommen aus, lehnte aber die Beteiligung an einem 1992 von den USA, Russland, Großbritannien und Frankreich vereinbarten zeitweiligen Moratorium für Atomversuche ab und erregte aufgrund der weiteren Durchführung von Nukleartests internationale Kritik (nach einem chinesischen Atomversuch im Juni 1996 Ankündigung eines Teststopps noch im selben Jahr). In den 1990er-Jahren verbesserte China sein Verhältnis zu den Nachbarstaaten nachhaltig; 1991 normalisierte es seine Beziehungen zu Vietnam, beide Staaten schlossen 1999 ein Abkommen über den Verlauf der gemeinsamen Landesgrenze (2000 ergänzt durch eine weitere Vereinbarung über die lange Zeit umstrittene Grenzziehung im Golf von Tongking). Schon 1993 hatte die Volksrepublik China auch mit Indien eine friedliche Lösung der Grenzfragen vereinbart. Ein 1993 unterzeichnetes Militärabkommen mit Russland, mit dem China u. a. 1994 auch ein Abkommen über die Vermeidung von Konflikten an der gemeinsamen Grenze und 1995 mehrere Wirtschaftsvereinbarungen schloss, waren Ausdruck der chinesisch-russischen Annäherung; zahlreiche weitere Vereinbarungen mit Russland in den folgenden Jahren (u. a. Regelung der Grenzfragen) dienten der Begründung einer »strategischen Partnerschaft«. Die verstärkten diplomatischen Aktivitäten Taiwans (u. a. Besuch der USA durch den taiwanesischen Staatspräsidenten Lee Teng-hui im Juni 1995, Streben nach Wiederaufnahme in die UNO) und taiwanischer Interpretationen des innerchinesischen Verhältnisses im Sinne einer »Zweistaatentheorie« (Juli 1999) heizten wiederholt den Konflikt mit der Volksrepublik China an, das die Wiedervereinigung mit dem von ihm als »chinesische Provinz Taiwan« bezeichneten Staat zu einem seiner zentralen politischen Ziele erklärte und im März 1996 und erneut im September 1999 massive Militärmanöver beziehungsweise Raketentests vor dessen Küste durchführte.
Am 1. 7. 1997 wurde Hongkong unter Gewährung von Sonderbedingungen (Sonderverwaltungsregion) in die Volksrepublik China eingegliedert; am 19. 12. (mit Wirkung vom 20. 12.) 1999 erfolgte seitens Portugals auch die Rückgabe Macaos, das ebenfalls den Status einer Sonderverwaltungsregion Chinas erhielt.
Zeitweilige Spannungen zu den USA entstanden durch die Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad während des Kosovokonflikts durch NATO-Flugzeuge am 7. 5. 1999. Weiterer Konfliktstoff mit den USA resultierte u. a. aus der nach Amtsantritt der Regierung Bush forcierten Entwicklung eines amerikanischen Raketenabwehrsystems (NMD) sowie aus dem Zusammenstoß eines amerikanischen Aufklärungsflugzeugs mit einem chinesischen Abfangjäger am 1. 4. 2001 vor der südchinesischen Küste (Tod des chinesischen Piloten, zeitweises Festhalten der notgelandeten amerikanischen Besatzung und längere Beschlagnahme der amerikanischen Maschine auf Hainan). Dennoch konnten sich die beiden Staaten im Juni 2001 endgültig auf eine amerikanische Zustimmung zum Beitritt der Volksrepublik China zur Welthandelsorganisation (WTO) einigen. Schon kurz nach den islamistischen Terroranschlägen in den USA vom 11. 9. 2001 erklärte die chinesische Führung auch ihre Unterstützung für eine internationale Antiterrorallianz; ihr hartes Vorgehen gegen die separatistische Bewegung der Uiguren in Sinkiang stellte sie nunmehr gezielt in den Zusammenhang des weltweiten Kampfes gegen den Terror. Nach 15-jährigen Verhandlungen erreichte die Volksrepublik China (um den Preis einer weiteren Öffnung und Liberalisierung der Wirtschaft) am 10. 11. 2001 ihre Aufnahme als 143. Mitglied in die WTO (in Kraft ab 11. 12. 2001).
Allgemeines:
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Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
China: Der große Sprung nach vorn
Chinas frühe Hochkultur
China von 221 v. Chr. bis 220 n. Chr.
China (589 bis 1644): Trennung und Fremdherrschaft
mongolische Reiche: Aus der Jurte auf den Thron
China unter den Mandschu (1644 bis 1843): Von der Großmacht zum Spielball der europäischen Mächte
China: Die Zeit der ungleichen Verträge
China: Reformansätze 1860 bis 1895
China: Die Epochenwende 1895
Boxer: Der Boxeraufstand und seine Folgen
China: Die Gründung der Republik 1912
China: Die erste Kulturrevolution 1916 bis 1919
Aggression in Fernost: Japanischer Überfall auf die Mandschurei
China: Vom Massenprotest der 20er-Jahre zur japanischen Invasion
China: Der chinesische Bürgerkrieg
Guerilla: Revolutionäre Strategien und ihre Umsetzung
China: Die Ära Mao
China: Chinas zweite Revolution
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Chi|na [ç..., südd., österr.: k...]; -s: Land in Ostasien.
Universal-Lexikon. 2012.