Gorbatschọw,
Gorbačev [-'tʃɔf], Michail Sergejewitsch, sowjetischer Politiker, * Priwolnoje (Region Stawropol) 2. 3. 1931; Ȋ seit 1956 mit der Soziologin Raissa Gorbatschowa (* 1932, ✝ 1999); studierte Jura, trat 1952 der KPdSU bei, stieg in der Region Stawropol innerhalb der Partei auf und wurde 1971 Mitglied des ZK, 1978 Sekretär des ZK (Arbeitsbereich: Landwirtschaft) und 1980 Mitglied des Politbüros. Gorbatschow war 1985-91 Generalsekretär des ZK der KPdSU, 1988-90 Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets (Staatsoberhaupt), März 1990-Dezember 1991 Staatspräsident der UdSSR.
Von J. W. Andropow (Generalsekretär des ZK der KPdSU 1982-84) gefördert, hatte Gorbatschow in dessen Auftrag Minister und Gebietssekretäre der Partei abgelöst, die unter Korruptionsverdacht standen. Mit der Wahl Gorbatschows zum Generalsekretär der KPdSU vollzog das ZK im März 1985 einen Generationswechsel an der Spitze der Partei. Gorbatschow unternahm eine umfangreiche Auswechslung der Funktionärskader und ernannte neue Mitglieder des Politbüros.
Die von ihm begonnene Reformpolitik (Glasnost und Perestroika) zielte auf eine grundlegende wirtschaftliche und gesellschaftliche Erneuerung der Sowjetunion. Außenpolitisch leitete Gorbatschow eine wirksame Entspannungsdiplomatie ein, die zur Verbesserung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen (zahlreiche Gipfeltreffen, INF-Vertrag 1987) und schließlich zur Beendigung des Kalten Krieges führte. Unter ihm kam es 1988/89 zum Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan. Die von Gorbatschow betriebene Abkehr vom Vormachtanspruch der UdSSR innerhalb des Ostblocks ermöglichte den gesellschaftlichen Umbruch in Mittel- und Osteuropa 1989/91. Nach anfänglichem Zögern stimmte die von ihm geführte Sowjetunion 1990 auch der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu (Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages). Insbesondere für seine Verdienste um den Abbau des Ost-West-Konflikts erhielt Gorbatschow 1990 den Friedensnobelpreis.
Mit fortschreitender Dauer seiner Perestroika-Politik, die häufig in Ansätzen steckenblieb, wuchsen die wirtschaftlich-sozialen Probleme, und es brachen immer neue, jahrzehntelang aufgestaute Nationalitätenprobleme auf (u. a. zwischen Armenien und Aserbaidschan). Dieser gesamtgesellschaftlichen Krise versuchte Gorbatschow mit der Errichtung der Präsidialmacht zu begegnen. Dennoch konnte er die sich rasch ausbreitende Autonomiebewegung (ausgehend von den baltischen Republiken) und den damit verbundenen Zerfall der Union nicht verhindern. Seine Politik des Ausgleichs zwischen Radikalreformern und orthodox-kommunistischen Kräften (besonders Militärs und Apparatschiks) brachten ihn in zunehmenden Konflikt mit beiden Gruppierungen. Im Februar 1990 verzichtete die von ihm geführte KPdSU auf ihr Machtmonopol. Ein gegen ihn gerichteter Putsch konservativer Politiker und Militärs im August 1991 scheiterte am energischen Widerstand der politischen Opposition um B. N. Jelzin, dem Präsidenten der Russischen Föderation. Gorbatschow wurde zwar wieder ins Amt des Staatspräsidenten eingesetzt, musste aber durch Jelzin starke Machtbeschränkungen und das Verbot der KPdSU hinnehmen, als deren Generalsekretär er am 24. 8. 1991 zurücktrat. Nach der Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) im Dezember 1991 und der damit besiegelten Auflösung der UdSSR gab er am 25. 12. 1991 auch das Präsidentenamt auf. Gorbatschow wurde danach Vorsitzender eines von ihm gegründeten »Fonds für soziale, wirtschaftliche und politische Forschungen« (auch »Gorbatschow-Stiftung« genannt) in Moskau. Bei den Wahlen 1996 kandidierte er erfolglos für das Amt des russischen Staatspräsidenten. Im März 2000 gründete er die »Vereinigte Russische Sozialdemokratische Partei«. - Gorbatschow publizierte mehrere Bücher, u. a. »Perestrojka i novoe myslenie dlj našej strany i dlja vsego mira« (1987; deutsch »Perestroika. Die zweite russische Revolution«), »Der Zerfall der Sowjetunion« (deutsch 1992) und »Erinnerungen« (deutsch 1995).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Sowjetunion: Die UdSSR und der Ostblock
atomares Patt: Wechselseitige Abschreckung
Sowjetunion: Gorbatschows Politik der Erneuerung
Sowjetunion: Der Zerfall der UdSSR und die Gründung der GUS
Universal-Lexikon. 2012.