die auf Jesus Christus, sein Leben und seine Lehre gegründete Religion:
sie bekennt sich zum Christentum.
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Chris|ten|tum 〈[ krı̣s-] n.; -s; unz.〉
1. relig., auf Jesus Christus zurückgeführte Lehre
2. christl. Glaube, die gelebte Lehre Christi
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Chrịs|ten|tum , das; -s [mhd. kristentuom]:
a) auf Jesus Christus, sein Leben u. seine Lehre gegründete Religion:
sich zum C. bekennen, bekehren;
b) individueller christlicher Glaube:
ein oberflächliches, orthodoxes C. vertreten;
praktisches C. (Christentum, das sich im täglichen Leben verwirklicht).
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Chrịstentum
[k-], Bezeichnung für die Gesamtheit der Anhänger des auf Jesus Christus zurückgehenden »christlichen« Glaubens sowie für diesen Glauben selbst. Der Begriff »Christentum« (griechisch: christianismós) findet sich erstmals in einem Brief des syrischen Bischofs Ignatius von Antiochien (✝ zwischen 107 und 117).
Wesen des Christentums
Die Frage nach dem »Wesen« des Christentums wird ausdrücklich erst seit der Reformationszeit (M. Bucer) gestellt, hat aber immer schon die christlichen Theologen beschäftigt, wenn sie sich mit anderen Religionen (z. B. Judentum, Islam), geistigen Strömungen (z. B. Hellenismus, Marxismus) oder politischen Mächten (z. B. Römische Reich) auseinander gesetzt haben. Die Bestimmung des Christentums fiel je nach Fragestellung verschieden aus. Von den Anfängen an aber gibt es Konstanten: den Monotheismus, das Bekenntnis zu Jesus Christus, die Nachfolge Jesu und eine aus ihr resultierende Gemeinschaft (Gemeinde/Kirche), einige zeichenhafte Vollzüge (Sakramente; v. a. Taufe, Eucharistie, Buße), spezifischer ethischer Normen (z. B. Nächstenliebe), die Hoffnung auf eine ohne Vorbedingungen geschenkte Erlösung.
Seit seiner Entstehung begreift das Christentum Jesus als von Gott gesandt, schon in vorpaulinischer Zeit als auf Erden erschienenen Gott (Philipperbrief 2, 6-11) oder als Fleisch gewordenes »Wort« Gottes (Johannes 1, 1 ff.) und sich selbst somit als basierend auf göttliche Offenbarung und positivem Heilswillen Gottes (Offenbarungsreligion, »absolute Religion«). In der dialektischen Theologie des 20. Jahrhunderts wird diese These durch die Bestreitung der Gültigkeit des Begriffs »Religion« für das Christentum weitergeführt: Das Christentum soll keine Religion (d. h. Produkt menschlichem Bemühens), sondern nur göttliche Offenbarung sein. Da jedoch jede Religion für ihre Mitglieder »absolute Religion« ist, muss das »Wesen« des Christentums von seiner religionsgeschichtlicher Eigenart her bestimmt werden.
Das Christentum, hervorgegangen aus dem Frühjudentum, sieht die - in der Religionsgeschichte immer anzutreffende - Frage nach dem Sinn des Lebens in Leben, Lehre und Gestalt des jüdischen Wanderpredigers Jesus aus Nazareth in einer radikalen Form gestellt und - auf Hoffnung hin - beantwortet. Das Spezifische des Christentums ist also die strenge Orientierung an Jesus als »Heilsmittler«, d. h., er wird als Lösung der menschlichen Problematik, als »Wort Gottes« in diese Welt hinein, bekannt und in der Nachfolge angenommen.
Entstehung und Ausbreitung des Christentums
Als sicher gilt heute, dass der historische Jesus weder eine neue Religion noch eine universale Kirche gründen wollte. Vielmehr verstand er sich als Reformer Israels, auf dessen 12 Stämme er mit der Berufung von 12 Aposteln Anspruch erhob; auch seine Naherwartung (Parusie) verhinderte eine weitere Perspektive, sodass die frühesten palästiniensischen Christen sich zunächst als Juden verstanden und an Gesetz und Tempelkult festhielten. Dennoch muss die Entstehung des Christentums als eine innere Konsequenz des Wirkens und Lebens Jesu angesehen werden. Zwar war Jesus in allem, was er tat und lehrte, jüdisch geprägt, aber er hat die aus der jüdischen Tradition übernommenen Motive in seiner Predigt so verändert und zugespitzt, dass es sich dabei der Sache nach nicht mehr um Judentum handelte: Er verkündete - entsprechend der jüdischen Apokalyptik und im Gefolge der Predigt Johannes des Täufers - die Königsherrschaft Gottes; diese aber war nach seinen Worten in ihm schon angebrochen. So war die Zukunftsoffenheit der jüdischen Geschichtsdeutung aufgehoben, das Ende hatte schon begonnen. Jesus selbst verstand sich deswegen nicht als einen der gottgesandten Männer oder Propheten in einer endlosen Kette, vielmehr sollte er diese Reihe abschließen und in seiner Person das Ende herbeiführen. Dieser Anspruch, die »endzeitliche« Gestalt zu sein, äußerte sich zwar nicht in Selbstprädikationen, wohl aber in der Radikalität der Nachfolgesprüche, in der Souveränität gegenüber Gesetz und Tempel, in dem besonderen Gottesverhältnis, in der Freiheit der Tradition gegenüber, in seiner Bereitschaft zum Tod.
Der geschichtliche Jesus hat, zwar ganz aus dem Judentum kommend, dieses aber derart auf »den Menschen« und »die Humanität« hin vertieft und zugleich seiner eigenen Gestalt für diese neue Praxis eine so unverzichtbare Rolle zugeschrieben, dass die auch ideologische und soziale Trennung vom Judentum und die Ausbildung einer eigenständigen Religion wenige Jahre nach seinem Tod zwangsläufig erscheinen.
Keimzelle des Christentums waren die Jerusalemer Urgemeinde, aber auch palästiniensische Christengruppen in Judäa und Galiläa. Bedingt durch das Ausweichen der Christen vor Verfolgungen durch die jüdischen und römischen Behörden (z. B. Stephanus), kam es zu einer ersten Missionswelle und in deren Gefolge zur Taufe von Samaritanern, Diasporajuden, Proselyten und Heiden. Einen gewaltigen Aufschwung nahm die Ausbreitung des Christentums allerdings erst durch die gezielte Arbeit einiger Missionare (»Apostel«), unter denen Paulus die größte Bedeutung gewinnen konnte. Programmatisch betrieb er die »Heidenmission« und begründete sie theologisch, sodass sich der Kern der neu entstehenden Christengruppen aus Heidenchristen rekrutierte. Deren Anteil verstärkte sich bald immer mehr, und entsprechend ging der Einfluss eines lebendigen Judenchristentums (spätestens ab 150) zurück. Begünstigt durch die Bedingungen des Römischen Reiches, drang das Christentum auch in Städte des Landesinnern und bis nach England vor und repräsentierte zur Zeit der »konstantinischen Wende« (311/313) im Römischen Reich einen (geschätzten) Bevölkerungsanteil von etwa 15 %; während der Antike tritt uns das Christentum als Stadtreligion entgegen.
Zunächst gehörten wohl vorwiegend Angehörige der Unterschicht beziehungsweise unteren Mittelschicht zum Christentum; gegen Ende des 2. Jahrhunderts kamen in einigen Zentren (Alexandrien, Antiochien) auch umfassend Gebildete hinzu. Diese Bewegung wuchs so stark, dass Kaiser Konstantin I., der Große, in der christlichen Minderheit die geistige und politische Kraft der Zukunft erkennen konnte. Nach der »konstantinischen Wende« nahm die Zahl der Christen rasch zu, bis Kaiser Theodosius I., der Große, 380/381 das Christentum zur Staatsreligion erklärte, sodass es sich - wenigstens offiziell - mit der damals bekannten Welt, der »Ökumene«, deckte.
Während sich das Griechisch sprechende (christliche) oströmische Kaisertum (Byzantinisches Reich) auch in den Wirren der Völkerwanderung behaupten und dabei ein Staatskirchentum (Cäsaropapismus) etablieren konnte - erst mit dem Vordringen des Islams (ab dem 7. Jahrhundert) verschwand das Christentum in diesen Gebieten weitgehend -, wurde der Westen des Römischen Reiches härter von der Völkerwanderung in Mitleidenschaft gezogen; 476 geriet Rom endgültig unter germanischer Herrschaft. Die Germanenstämme haben nach der Eroberung christlicher Gebiete weitgehend das Christentum angenommen, aber in seiner arianischen Gestalt (Arianismus). Erst in der Taufe des fränkischen Königs Chlodwig I. 498/499 in Reims zum katholischen Glauben war eine für die Zukunft Europas wichtige Entscheidung gefallen; von jetzt an konnte sich die lateinische Form des antiken Christentums zunehmend unter den germanischen Stämmen Zentraleuropas verbreiten.
Vorher aber hatte schon eine andere Entwicklung begonnen: Von ägyptischen Mönchen war das Christentum nach Irland gebracht worden; hier sowie in Schottland und Wales bildete sich eine keltisch-griechische Mönchskirche (iroschottische Kirche), die aber von Gallien her auch lateinische Einflüsse in sich aufnahm. Seit dem 6. Jahrhundert entfaltete das iroschottische Mönchtum eine beeindruckende missionarische Tätigkeit in England und auf dem Festland (bis nach Oberitalien). So gab es bald in Europa zwei konkurrierende Formen des Christentums: eine lateinisch-bischöfliche und eine keltisch/griechisch-mönchische. Die Entscheidung fiel zugunsten der ersten Variante, einmal aufgrund der seit Chlodwig nach Rom orientierten Interessen der fränkischen Herrscher, die schließlich im Jahre 800 zur Krönung Karls des Großen als Römischer Kaiser führten, zum anderen wegen einer zweiten Missionswelle im 8. Jahrhundert, die von angelsächsischen Mönchen (Bonifatius) getragen war und die sich eng an Rom anschloss. Die Christianisierung erfasste schließlich auch den Norden und die östlichen Teile Zentraleuropas.
Die islamische Expansion im 7./9. Jahrhundert brachte das Christentum in Nordafrika und weiten Teilen Spaniens zum Verschwinden; erst nach jahrhundertelangen Kämpfen (Reconquista) wurde der Islam von der iberischen Halbinsel verdrängt.
Der größte Teil der slawischen Völker wurde vom 9. bis 11. Jahrhundert missioniert und lehnte sich an Byzanz und das griechische Christentum an.
Mit Beginn der Neuzeit geriet erstmals die ganze Erde in den Blick Europas und des Christentums, das nun in anderen Kontinenten Fuß fasste. Dieser Prozess ging einher mit negativen Begleiterscheinungen: Lange Zeit war die Mission Sache der Kolonialmächte (z. B. Patronatsmission der spanischen und portugiesischen Könige), in Amerika und Australien war die (völlige) Christianisierung mit der Dezimierung der einheimischen Bevölkerung verbunden, in Afrika und Asien wurde eine europäische Form des Christentums etabliert (Ritenstreit). Im Ergebnis dieser systematischen Mission gibt es in Schwarzafrika einige Länder mit christlichen Bevölkerungsmehrheiten, in den meisten Staaten sehr dynamischen Minoritäten. In Asien ist nur ein Land (Philippinen) mehrheitlich christlich, aber auch hier finden sich in beinahe allen Staaten kleine, aber aktive christliche Kirchen. Die Inselwelt Ozeaniens ist fast gänzlich christianisiert.
Die Zahl der Christen weltweit bewegt sich heute (2000) auf zwei Mrd. zu; die quantitative Zunahme liegt zurzeit höher als das Bevölkerungswachstum. Rd. 52 % der Christen gehören der katholischen Kirche an, rd. 20 % protestantischer Kirchen, rd. 12 % der orthodoxen Kirche und den orientalischen Nationalkirchen, rd. 4 % anglikanischen Kirchen, die übrigen verteilen sich auf eine Vielzahl unabhängiger Kirchen (v. a. in Afrika). Etwa 60 % der Christen leben in der Dritten Welt, wo v. a. die Pfingstkirchen den gegenwärtig am stärksten wachsenden Zweig des Christentums bilden.
Theologie und Lehrentwicklung
Christlichem Altertum:
Das Christentum bekannte sich von Anfang an zu Jesus Christus als der normierenden Instanz für Theorie und Praxis; deswegen musste es sich vom Judentum trennen und die »Freiheit vom Gesetz« verkünden, ohne die jüdische Religion und ihre Schriften zu verwerfen; diese wurden vielmehr als Vorgeschichte Jesu im Sinne einer Verheißung aufgefasst, die in Jesus Christus erfüllt war. Das Christentum hielt also die jüdischen Bücher als »Schrift« heilig, interpretierte sie aber christologisch. Daneben entstanden in den christlichen Gemeinden im Lauf von beinahe hundert Jahren viele Schriften, manche bewusst, um die Jesustradition festzuhalten (z. B. die synoptischen Evangelien), andere als Gelegenheitsschriften (z. B. die paulinischen Briefe). Zu Beginn des 3. Jahrhunderts wurden sie als Schriften des Neuen Bundes (Testaments) denen des Alten Testaments beigeordnet (Bibel). Die Annahme des Alten und die allmähliche Etablierung des Neuen Testaments machen allerdings das Christentum nicht eigentlich zu einer »Schriftreligion«; die Schrift hat lediglich eine dienende Funktion, weil ohne sie das Bekenntnis zu einem geschichtlichen Menschen nicht über längere Zeit aufrechterhalten werden kann.
Das Christusbekenntnis zu sichern und unter neuen Verstehensbedingungen zu formulieren, war für das junge Christentum die zentrale theologische Aufgabe. Hierbei war es mit zwei großen Kulturtraditionen konfrontiert, dem Judentum und der hellenistischen Kultur des Römischen Reiches. Entsprechend dem Geschichtsdenken des Judentums haben die Judenchristen die Rolle Jesu heilsgeschichtlich umschrieben: Er war für sie der (endzeitliche) Messias (= Christus) oder Menschensohn; vielleicht haben sie ihn auch schon als »Sohn Gottes« bezeichnet, damit aber nicht eine zweite Natur, sondern seine geschichtliche Nähe zu Gott gemeint. Mit der Vermittlung des Christentums in die hellenistische Welt fand ein gänzlich neues Verstehen Einlass ins Christentum; hier hatte die Geschichte keinen hohen Stellenwert, wichtiger war das (statische) Sein, das der Mensch im Kosmos als dessen vornehmster Teil hat. Immer schon sehnte sich der hellenistische Mensch nach einer Aufhebung der engen Grenzen, die seinem Sein auferlegt sind, nach »Vergöttlichung«. Auch Jesu Funktion wird von »Heidenchristen« auf dieser Ebene beschrieben: Er ist der, der beiden Welten angehört, der Welt des Geistes, des Wissens, der Unsterblichkeit, Gottes, und zugleich gehört er zu uns, ist Mensch. So kann er als Gottmensch in sich zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit vermitteln: Die Zweinaturenlehre (hypostatische Union) entstand als Folge der Aneignung Jesu im hellenistischen Raum. Im Verlauf der ersten nachchristlichen Jahrhunderte trat das Judenchristentum in der Kirche immer stärker zurück; lediglich im syrischen Raum (Zentrum: Antiochien) konnte sich ein ähnliches Denken noch länger halten. Bestimmender wurde das hellenistische Denken und somit die Zweinaturenchristologie, die die Diskussion im Osten des Römischen Reiches bis zum Ausgang der Antike prägte (Zentrum: Alexandrien).
Wenn die Gottessohnschaft Jesu im Sinne einer zweiten göttlichen Natur aufgefasst wurde, ergab sich damit auch ein Problem für den von Judentum und Jesus ererbten Monotheismus: Wie lässt er sich aufrechterhalten, wenn außer von Gott schlechthin, dem »Vater«, auch noch von dem »Sohn«, bald auch noch vom »Heiligen Geist« gesprochen wird? Diese Frage musste zunächst in den Vordergrund treten, die christologische Auseinandersetzung machte zugleich eine Diskussion der Trinität notwendig.
In einer ersten Phase (bis zum Ende des 4. Jahrhunderts) wurde der Gottessohnbegriff heftig diskutiert (v. a. im Gefolge des Arianismus) und schließlich im Sinne einer »Wesensselbigkeit« mit dem Vater aufgefasst; nach weiteren Kämpfen wurde auch der Heilige Geist in diese Konzeption einbezogen. In einer zweiten Phase (im 5. Jahrhundert) ging es dann um die Frage, wie der Mensch Jesus »Gottessohn« in diesem umfassenden Sinn sein könne beziehungsweise worin die Einheit zwischen dem Menschen und Gott bestehe, sodass »derselbe« beides ist. Die Auseinandersetzungen verliefen sehr heftig, sodass die Kaiser von Zeit zu Zeit versuchten, durch ökumenische (= weltweite) Konzilien den Frieden wieder herzustellen. Diesem Zweck dienten die ersten vier großen Konzilien, unter denen v. a. das erste (in Nicäa 325) und das vierte (in Chalkedon 451) die Weichen für die weitere Entwicklung des Christentums gestellt haben.
Der lateinische Westen war an diesen Auseinandersetzungen nur wenig beteiligt. Sobald sich in diesem Raum eine eigenständige Theologie herausbildete - in Nordafrika seit etwa 200, im übrigen Westen seit Mitte des 4. Jahrhunderts -, beschäftigte sie sich mit anderen Fragen. Entsprechend dem römischen Ordnungsdenken und der praktischjuridischen Ausrichtung dieser Menschen ging es im westlichen Christentum v. a. um die Fragen der christlichen Praxis: Wie erlangt der Mensch das Heil, wo er doch ganz von der Sünde geprägt ist? Was muss der Christ tun, wie muss die Kirche aussehen? So kam es in der ausgehenden Antike zur Ausbildung der Erbsündenlehre, einer Theologie des Kreuzestodes Jesu als Bezahlung und Lösepreis für die Sünden, einer Gnaden-, Prädestinations- und Sakramentenlehre. In allen diesen Gebieten hat Augustinus konstitutive Formulierungen vorgelegt, die das Mittelalter und die Neuzeit wesentlich beeinflusst haben.
Parallel zur Lehrentwicklung formten sich die Grundlagen der Sozialisation und der Institutionen des Christentums aus. Die Annahme des Glaubens war von Anfang an mit einer Gemeindebildung verbunden. Hierbei stand die einzelne Gemeinde im Vordergrund, die alle Elemente des Christentums in sich repräsentierte. Ebenso aber war das Bewusstsein vorhanden, einer größeren Gemeinschaft, der Kirche, zuzugehören. Dieser gemeindeübergreifende Charakter des Christentums schuf sich im Lauf der Zeit auch institutionellen Ausdruck; es bildete sich eine Organisation der Kirche in Analogie zur politischen Struktur heraus: bischöfliche Stadtgemeinden mit Umland (Bischof, unterstützt von den Priestern), Metropolitansitze (Metropolit) und Patriarchate (Patriarch). Seit Ende des 4. Jahrhunderts erhoben darüber hinaus die römischen Bischöfe einen formellen Primatsanspruch über die gesamte Kirche (Papsttum, Primat des Papstes). Dieser Anspruch wurde allerdings im östlichen Christentum abgelehnt; im Westen konnte er sich erst allmählich während des Frühmittelalters durchsetzen. Weitere Formen übergreifender Institutionalisierung des Christentums waren (seit etwa 200) regionale Synoden. Zudem konnten Bekenntnisformeln, Taufsymbole u. a. »gesamtchristliche« Geltung erlangen. - Eine wichtige Rolle kam seit dem 3. Jahrhundert dem Mönchtum zu.
Alle diese Entwicklungen vollzogen sich drei Jahrhunderte lang in einer dem Christentum oft feindlich gesinnten Umwelt. Zunächst waren die Gemeinden klein, schlossen sich von der Umwelt ab (Arkandisziplin), nahmen nicht am staatlichen Götterkult teil und praktizierten ungewohnte Verhaltensweisen. Dies führte zu Vorwürfen und auch zu Hassausbrüchen, die sich in lokalen und regionalen Verfolgungen äußerten. Dennoch konnte sich das Christentum bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts ausbreiten. Erst seit dieser Zeit kam es zu systematischer Verfolgungen durch den Staat, die der Kirche gefährlich wurden (Christenverfolgungen). Diese Epoche fand mit Beginn der Herrschaft Konstantins ihren Abschluss.
Im Mittelalter verlagerte sich das Zentrum christlicher Aktivitäten aus dem urbanen Mittelmeerraum auf das ländlich strukturierte europäische Festland. Die dünne Besiedlung und der agrarische Charakter ließen weiträumige Bistümer entstehen; Klöster oder im Auftrag der adligen Herrschaft tätige Priester (Eigenkirche) übernahmen die Seelsorge. Da es hier nur wenige städtische Zentren gab, waren Theologie und theologische Lehrbildung nicht mehr Sache der (großen) christlichen Gemeinden, sondern der Schule (lateinisch schola): Die entstehende Schulwissenschaft (Scholastik) wurde an Kloster- und Kathedralschulen, seit dem Hochmittelalter an den Universitäten gepflegt. Kirchen-, Wissenschafts- und Verkehrssprache des Mittelalters wurde (noch gefördert durch die wachsende Fremdheit zum östlichen Christentum des Byzantinischen Reiches, von dem man sich 1054 endgültig getrennt hatte) die lateinische Hochsprache der Spätantike, sodass die einfachen Christen noch mehr von einer mündigen Teilnahme am geistigen Leben ausgeschlossen waren. Erst als im Gefolge der Kreuzzüge Handwerk und Handel aufblühten und sich, v. a. in Oberitalien und Südfrankreich, eine neue Stadtkultur entwickelte, kam es zu theologischen Bewegungen in der Bevölkerung (Armutsbewegung).
Die Bedrohung der traditionellen Auffassungen durch die Armutsbewegung (Armutsstreit) beantwortete die Kirche positiv mit der Zulassung der Bettelorden, negativ mit der Einrichtung der Inquisition (4. Laterankonzil 1215).
Die mittelalterliche Gesellschaft bildete - unter dem Einfluss germanischen Denkens - das Feudalsystem aus, das mit dem Zusammenwachsen zu einer universalen Kultur in einem universalen Kaisertum und Papsttum gipfelte. Welt, Mensch, Gesellschaft und ihre Institutionen wurden zunächst sakral gedeutet. Angestoßen durch Reformbewegungen innerhalb des Mönchtums (kluniazensische Reform, Gorze), versuchte die Kirche, eine gewisse Unabhängigkeit von staatlicher Gewalt zu erreichen (gregorianische Reform unter dem Thema »Freiheit der Kirche«); im Investiturstreit (1122 im Kompromiss des Wormser Konkordats beigelegt) wurde zwischen profan und sakral, Staat und Kirche unterschieden und eine gewisse Autonomie beider Bereiche erstmals gedacht. Hiermit war der Grund gelegt für den spätmittelalterlichen Zerfall der universalen politischen Kultur: Nationalstaaten verfolgten eigene Interessen, die Ideen der Volkssouveränität (Marsilius von Padua) und der Freiheit der Politik von der Ethik (N. Machiavelli) kamen auf, Wissenschaften emanzipierten sich vom Primat der Theologie, die Theologie zog sich aus der Spekulation zurück auf die geoffenbarten Grundlagen (Biblizismus).
Die Neuzeit brachte den prinzipiellen Durchbruch der Emanzipation des Menschen und seines Intellekts von vorgegebenen Autoritäten und kirchliche Tradition. Vollends vollzogen wurden diese Ansätze erst in den Gelehrtenzirkeln der Aufklärung und - popularisiert - in Bürgertum und Arbeiterschaft der Moderne (seit dem 19. Jahrhundert).
Die Reformation wollte für die Rechtfertigung des Einzelnen nur noch die Autorität Gottes und Jesu Christi anerkennen und somit den Christen von der Heilsnotwendigkeit der kirchlichen Zwischeninstanzen, von Amt, Tradition und Heilsangeboten der Kirche befreien; hierbei setzten die einzelnen Reformatoren verschiedene Schwerpunkte. Im Gegenzug banden sich die Katholiken - ohne die Rechtfertigung durch Jesus Christus und seine Gnade aufzugeben - fester an die überlieferten kirchlichen Gegebenheiten (vollzogen im Tridentinum 1545-63). Die Neuzeit begann für das Christentum also mit einem Verlust seiner kirchlichen Einheit; von jetzt an ist es, neben dem Morgenländischen Schisma, in eine Fülle von Konfessionen, Kirchen und Denominationen aufgesplittert.
Auch die Lehrentwicklung ist seither konfessionell geprägt. Durch die Notwendigkeit, sich voneinander abzugrenzen und die eigene Variante des Christentums zu begründen, standen bis ins 20. Jahrhundert hinein die »Unterscheidungslehren« im Vordergrund: in den reformatorischen Kirchen die Rechtfertigungslehre mit all ihren Aspekten, im katholischen Raum Sakramentenlehre, Ekklesiologie, Primat und Unfehlbarkeit des Papstes (definiert auf dem 1. Vatikanischen Konzil 1869/70), Mariologie. In einer ersten Phase der konfessionellen Verfestigung (lutherische und reformierte »Orthodoxie«, katholische »Barockscholastik«) wurden die Unterschiede sehr stark herausgestellt, nach ihrem zeitweisen Zurücktreten in der Aufklärungszeit im »Neokonfessionalismus« des 19. (und frühen 20.) Jahrhunderts neu etabliert. Im 17. Jahrhundert wurden die konfessionellen Gegensätze zum Ausgangspunkt eines europäischen Krieges auf deutschem Boden (Dreißigjähriger Krieg).
Im Verhältnis von Christentum und Staat hatte die Reformation ambivalente Wirkungen. Einerseits brachte die Unterscheidung der »beiden Reiche« (Zweireichelehre) eine Autonomie beider Größen, »Beruf« und »Askese« wurden profan verstanden, wodurch die Grundlagen der modernen Gesellschaft gelegt wurden. Andererseits suchten die Kirchen der Reformation eine enge institutionelle Anlehnung an den Staat (Fürstenreformation, landesherrliches Kirchenregiment, Staatskirchentum; in Deutschland ist das Staatskirchentum seit 1918 beendet, in Großbritannien und Skandinavien besteht es mit Einschränkungen noch heute).
Das Christentum in der Moderne ist mit einem radikalen Säkularisierungsprozess konfrontiert, der sich nach Anfängen im Mittelalter in der Aufklärung verstärkte und schließlich seit dem 19. Jahrhundert dominierend wurde. Die Orientierung des modernen Menschen auf Gott hin wird problematisch, vielfach tritt an dessen Stelle der Mensch (im Bürgertum der Einzelne, auch die Nation; im Marxismus die Gesellschaft). Nach einer Periode apologetischer Abwehr (z. B. Antimodernismus Pius' X., dialektische Theologie) finden die bürgerliche (z. B. liberale Theologie, Gott-ist-tot-Theologie, politische Theologie) und/oder marxistischen Humanismen (z. B. Befreiungstheologie) auch ins Christentum Einlass.
Die mit der Entstehung der modernen Industriegesellschaften aufgeworfene soziale Frage wurde von den Kirchen mit Verzögerung aufgegriffen, weshalb ihnen große Teile der Arbeiterschaft entfremdet wurden. Erst mit der Zeit wurden christliche Soziallehren entwickelt, die im katholischen Bereich in den Sozialenzykliken der Päpste ihren Ausdruck fanden. Die ökumenische Bewegung stellte sich der sozialen Frage erstmals auf der Weltkonferenz für Praktisches Christentum 1925 in Stockholm, später besonders in Uppsala 1968.
Gegenwärtige Lage:
In der Gegenwart scheint das Christentum sich v. a. mit drei Problemen auseinander setzen zu müssen. Einmal geht es um eine Überwindung des Konfessionalismus. Angesichts der fundamentalen Gemeinsamkeit des Christentums verlieren im Bewusstsein der Christen die konfessionellen Unterschiede an Bedeutung. Hieraus resultieren die verschiedenen Initiativen der ökumenischen Bewegung, die allerdings auch, v. a. in den Amtskirchen, Ängste hervorrufen. Ebenso wirkt ein weltweit anzutreffender charismatischer Aufbruch von interkonfessionellem Charakter. Daneben finden sich anonyme Christen ohne kirchliche Bindung, deren christliche Gesinnung in Wort und Tat gleichwohl augenfällig ist. Das zweite Problem ist die Auseinandersetzung mit dem in der Alten und Neuen Welt verbreiteten säkularisierten Denken. Wenn diese Entwicklung unumkehrbar sein sollte, geht es um die Frage, wie die Sache des Christentums unter diesen Bedingungen aufrechterhalten werden kann. Das dritte Problem stellt sich durch die Tatsache, dass eine wachsende Mehrheit der Christen in der Dritten Welt lebt. Für das Christentum ergibt sich zum einen die Aufgabe, Formen zu finden, die auf deren Bedingungen eine Antwort geben (Befreiungstheologie/Basisgemeinden), zum anderen sich einem Inkulturationsprozess in Asien und Afrika zu öffnen, dessen Ziel noch nicht abzusehen ist. Hier steht der Dialog mit den Weltreligionen an, ebenso eine Neubesinnung auf das Verhältnis zum Judentum. Auf jeden Fall ist das Christentum dabei, seine eurozentrische Prägung zu verlieren.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
Abendland · Christologie · Gott · Hellenismus · Judentum · Kaiser · katholische Kirche · Kirche · Kirchengeschichte · Konzil · Ökumene · Ostkirchen · Religion · Römisches Reich · Staatskirchentum · Staat und Kirche · Theologie
E. Troeltsch: Die Absolutheit des C. u. die Religionsgesch. (31929);
A. von Harnack: Das Wesen des C. (Neuausg. 1964);
Hb. der Kirchengesch., hg. v. H. Jedin, 7 Bde. (in 10 Tlen. 1-31965-79);
R. Bultmann: Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen (31.-35. Tsd. 1966);
P. Kawerau: Das C. des Ostens (1972);
J. Ratzinger: Einf. in das C. (Neuausg. 31977);
Hb. der Dogmen- u. Theologiegesch., hg. v. C. Andresen, 3 Bde. (1980-84);
F. Maass: Was ist C.? (31982);
D. B. Barrett u. a.: World Christian encyclopedia. A comparative survey of churches and religions in the modern world, 2 volumes (New York 22001).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Christentum: Sieg im Zeichen des Kreuzes
Kulturkontakt: Islamische Kultur und christliches Europa
Afrika: Traditionelle Religionen, Christentum und Islam
Alexandria und Antiochia: Zentren theologischer Bildung
Augustinus: Freiheit und Gnade
Benedikt von Nursia und die Grundlagen des abendländischen Mönchtums
Bonifatius: »Apostel der Deutschen«
Christen im Mittelalter
Christentum und soziale Frage: Die gesellschaftliche Verantwortung der Kirchen
Hellenisierung des Christentums
Jesus Christus: Eine außergewöhnliche Wirkungsgeschichte
Juden und Christen: Das Alte Testament und die christliche Kirche
Konstantin der Große: Das Christentum auf dem Weg zur Staatsreligion
Mission: Ihre Anfänge bis zum Apostelkonzil
Mysterien und das frühe Christentum
Urgemeinde in Jerusalem: Die ersten Christen
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Chrịs|ten|tum, das; -s [mhd. kristentuom]: a) die auf Jesus Christus, sein Leben u. seine Lehre gegründete Religion: sich zum C. bekennen, bekehren; b) individueller christlicher Glaube: ein oberflächliches, orthodoxes C. vertreten; praktisches (im täglichen Leben verwirklichtes) C.
Universal-Lexikon. 2012.