Vietnamkrieg
[viɛt'nam-, vi'ɛtnam-], 1946-75 der Krieg um die Einheit und Unabhängigkeit Vietnams, dessen erste Phase (1946-54) auch als eigenständiger Krieg (Indochinakrieg) betrachtet wird.
Nach dem militärischen Zusammenbruch Japans 1945 und dem Abzug seiner Truppen aus Indochina konstituierte sich, gestützt auf die antikoloniale, kommunistisch geführte Liga der Verbände für die Unabhängigkeit Vietnams (Vietminh), am 2. 9. 1945 die Demokratische Republik Vietnam. Unter ihrem Präsident Ho Chi Minh erhob sie einen uneingeschränkten Souveränitätsanspruch auf ganz Vietnam und geriet daher seit 1946 in einen militärischen Konflikt mit Frankreich, das - im Zweiten Weltkrieg von Japan aus Indochina verdrängt - dort seine Kolonialherrschaft wiederherstellen wollte. Mit dem Sieg der Kommunisten im chinesischen Bürgerkrieg (1949) und dem Ausbruch des Koreakrieges (1950) geriet der französische Kolonialkrieg in Indochina in den Sog des Ost-West-Konfliktes. Nach dem Sieg der Vietminh-Verbände (geführt von Vo Nguyen Giap) bei Dien Bien Phu (1954) über französische Streitkräfte wurde auf der Genfer Indochinakonferenz (1954, Genfer Konferenzen) ein Waffenstillstand beschlossen. Die französischen Streitkräfte und die mit ihnen verbündeten Truppen zogen sich in eine südliche, die Vietminh-Verbände in eine nördliche Zone zurück (jeweils vom 17. Breitengrad aus gerechnet). Im Norden etablierte sich nunmehr die kommunistisch geführte Demokratische Republik Vietnam unter Präsident Ho Chi Minh, im Süden die 1949 von der französischen Kolonialmacht geschaffene, nach dem Rückzug Frankreichs aus Indochina seit 1955 v. a. von den USA gestützte Republik Vietnam.
Der Eintritt des Vietnamkriegs in seine zweite (wegen geheimer amerikanischer Operationen auch »US-Sonderkrieg« genannte) Phase (1957/58 bis 1975) entsprang - politisch eng miteinander verknüpft - sowohl nationalen als auch internationalen Ursachen. Die Demokratische Republik Vietnam (Nord-Vietnam) forderte, sich ihres starken Rückhaltes besonders in der bäuerlichen Bevölkerung bewusst, die auf der Genfer Indochinakonferenz beschlossenen Wahlen für ganz Vietnam abzuhalten und eine gesamtvietnamesische Regierung zu bilden. Das lehnte, mit amerikanischer Rückendeckung, Ngo Dinh Diem, Präsident der Republik Vietnam (Süd-Vietnam), ab, da sein Regierungssystem nur von einer Minderheit getragen wurde. In dieser nationalen Konfliktsituation lag auch die Ursache ihrer internationalen Ausweitung. Mit der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Unterstützung des südlichen Vietnam suchten die USA (Präsident D. D. Eisenhower) die Ausbreitung kommunistischer Staats- und Gesellschaftssysteme zu verhindern (Dominotheorie); zudem waren gemäß Gründungsvertrag (1954) Kambodscha, Laos und das südliche Vietnam zwar nicht Mitglieder, wohl aber »Interessengebiete« der SEATO. Die Sowjetunion, der von ihr geführte europäische Ostblock und die Volksrepublik China unterstützten Nord-Vietnam.
Mit Überfällen z. B. auf Regierungsbeamte begannen südvietnamesische, mit Nord-Vietnam sympathisierende Guerillakämpfer (Vietcong) 1957 den Kampf gegen die Regierung in Saigon. Sie nutzten dabei das weit verzweigte Nachschubsystem, das noch aus der Zeit des Indochinakrieges bestand, und bauten es mit Unterstützung Nord-Vietnams zum Ho-Chi-Minh-Pfad aus, über den Waffen, später auch Truppen (1960: etwa 3 000, 1961: etwa 10 000) in den Süden, d. h. in das Aufstandsgebiet, geschleust wurden. Als politisches Führungsorgan des Aufstandes entstand 1960 der Front National de Libération du Viêt-nam du Sud (Abkürzung FNL). Die USA (Präsident J. F. Kennedy) antworteten darauf zunächst mit vermehrter Militärhilfe und der Entsendung von Militärberatern nach Süd-Vietnam (Stand Ende 1962: 11 300, Ende 1963: 16 300). Vor dem Hintergrund schwerer innenpolitischer Spannungen (Höhepunkt: Sturz Ngo Dinh Diems, November 1963, Vietnam, Geschichte) sahen sich die südvietnamesischen Streitkräfte ständig auf dem Rückzug. Die aufständischen Vietcong beherrschten bald große Teile der abgelegenen ländlichen Gebiete des südlichen Vietnam und bauten ein eigenes Verwaltungs- und (militärisches) Rekrutierungssystem auf.
In seine heiße Phase (vom »Special war« zum »Local Limited war« trat der Vietnamkrieg mit dem direkten militärischen Eingreifen der USA im Gefolge des nie ganz aufgeklärten Tongking-Zwischenfalls (angebliche Beschießung von zwei amerikanischen Zerstörern durch nordvietnamesische Kriegsschiffe im Golf von Tongking am 2. und 4. 8. 1964). Am 5. 8. folgten amerikanische »Gegenaktionen« in Form strategischer Bombardierungen in Nord-Vietnam (Ho-Chi-Minh-Pfad) und am 7. 8. 1964 erteilte der amerikanische Kongress mit nur zwei Gegenstimmen Präsident L. B. Johnson praktisch uneingeschränkte Vollmacht zur Kriegführung in Vietnam. Nach Vietcong-Angriffen auf Militärstützpunkte an der Demarkationslinie begannen im Februar 1965 unter der Devise »Rolling Thunder« amerikanische Luft- und Bodenaktionen, um den Gegner »an den Verhandlungstisch zu bomben«, und ständige Truppenverstärkungen (Ende 1965 bereits rd. 185 000 Mann). Den nordvietnamesischen Truppen und den Vietcong-Verbänden (Ende 1965: etwa 180 000, Ende 1969: etwa 240 000 Mann) gelang es immer wieder, das strategische Gleichgewicht herzustellen, obwohl die USA auf dem Höchststand im März 1969 541 000 Mann in Süd-Vietnam stationiert hatten und überdies Truppen aus Süd-Korea, Thailand und Australien teilnahmen.
Die militärisch zwar gescheiterte, politisch-psychologisch jedoch sehr erfolgreiche Tet-Offensive nordvietnamesischer Truppen ab Ende Januar 1968 (Überraschungsangriffe auf zahlreiche südvietnamesische Städte, besonders Huê) zeigte besonders die Instabilität der militärischen Situation in Süd-Vietnam; sie förderte zugleich auf beiden Seiten die Verhandlungsbereitschaft. Nach der von Nord-Vietnam geforderten Einstellung der amerikanischen Bombenangriffe auf sein Gebiet begannen am 13. 5. 1968 in Paris Waffenstillstandsgespräche (Pariser Konferenzen). Die Kämpfe im südlichen Vietnam gingen jedoch weiter mit Schwerpunkten im Gebiet von Da Nang und Huê (Kontrolle der nordsüdlich verlaufenden Nationalstraße 1) im zentralen Hochland sowie im Gebiet nördlich von Saigon und im Mekongdelta. Die Amerikaner konnten durch den Einsatz ihrer überlegenen Luftwaffe und Anwendung neuer Kampfmethoden (z. B. massierte Hubschraubereinsätze zur Bekämpfung der Partisanen) zwar einen militärischen Gesamterfolg ihres Gegners verhindern, aber keinen Sieg erzwingen. Unter dem Eindruck wachsenden Widerstandes gegen den Vietnamkrieg in den USA selbst und in der Erkenntnis, dass der Krieg nicht zu gewinnen war und die amerikanische Wirtschaft immer stärker belastete, stellte Präsident R. Nixon das Programm einer »Vietnamisierung« des Vietnamkriegs auf: stufenweiser Abzug der amerikanischen Truppen und Übertragung der Kriegführung in die alleinige Verantwortung Süd-Vietnams (Präsident Nguyen Van Thieu). Um den Nachschub für die nordvietnamesischen Truppen und Vietcong-Verbände zu unterbinden, die schwindende Widerstandskraft der südvietnamesischen Armee und den Abzug der amerikanischen Streitkräfte auszugleichen, unternahmen amerikanische und südvietnamesische Einheiten international umstrittene, wenig erfolgreiche Vorstöße nach Kambodscha (1970) und Laos (1971); dabei wurden die Bombardements weiter gesteigert. Im Sinne der Vietnamisierung des Vietnamkriegs zogen sich die Truppen Süd-Koreas, Thailands und Australiens bis 1971, die amerikanischen Bodentruppen bis 1973 aus Süd-Vietnam zurück. Um Nord-Vietnam zu Zugeständnissen zu zwingen, nahmen die USA während der vertraulichen Gespräche zwischen dem Sicherheitsberater Präsident Nixons, H. A. Kissinger, und Le Duc Tho über einen Waffenstillstand die Luftangriffe gegen nordvietnamesische Ziele zeitweilig wieder auf (ab April 1972) und verminten die Häfen. Am 18. 12. 1972 ordnete Nixon erneut Bombenangriffe auf Nord-Vietnam an, von denen besonders das Gebiet um Hanoi und Haiphong betroffen war (mit verheerenden Auswirkungen). Das nach langwierigen Verhandlungen geschlossene Waffenstillstandsabkommen vom 27. 1. 1973 bestimmte den Abzug des gesamten militärischen Personals der USA, ohne Festlegungen über die im Süden befindlichen nordvietnamesischen Truppen (etwa 145 000 Mann) zu treffen. Die politische Regelung sah vor, dass ein »Nationaler Versöhnungsrat« aus Vertretern der Saigoner Regierung unter Nguyen Van Thieu, der von dem FNL 1969 gebildeten Provisorischen Revolutionsregierung und der »Dritten Kraft« (Oppositionelle außerhalb des FNL) allgemeine Wahlen in Süd-Vietnam durchführen sollte, doch die Verhandlungen blieben ergebnislos. Stattdessen versuchten die Saigoner Regierung und die kommunistischen Truppen, die von ihnen kontrollierten Gebiete mit Waffengewalt zu vergrößern. Nach Einstellung der finanziellen Hilfe durch die USA und dem Fall der militärischen Stützpunkte im Hochland von Annam im März 1975 zogen sich die südvietnamesischen Regierungstruppen rasch zurück und lösten sich unter dem Druck der nachrückenden kommunistischen Truppen auf. Am 21. 4. 1975 trat der südvietnamesische Präsident Nguyen Van Thieu zurück. Am 30. 4. 1975 wurde Saigon von Einheiten der nordvietnamesischen Armee besetzt, die von FNL-Truppen tatkräftig unterstützt wurden; ein großer Flüchtlingsstrom setzte ein. Im Gefolge dieser letzten Phase des Vietnamkriegs kam es am 2. 7. 1976 zur Wiederherstellung eines gesamtvietnamesischen Staates unter kommunistischer Führung (Sozialistische Republik Vietnam).
Auswirkungen
Der Vietnamkrieg hat die Zivilbevölkerung in weiten Teilen Vietnams auf das Schwerste in Mitleidenschaft gezogen und die ökologische Struktur Vietnams stark geschädigt, u. a. durch Flächenbombardements, den Einsatz von Napalm und Entlaubungsmitteln (besonders Agent Orange) seitens der amerikanischen und südvietnamesischen Streitkräfte, mit denen diese den »Dschungel entlauben«, also den Guerillakrieg offen legen und die Nachschubwege abschneiden wollten. Hunderttausende von Menschen verloren durch Flucht, Umsiedlungsaktionen in »Wehrdörfer« oder direkte Kriegseinwirkung ihre Heimat. Hinzu kamen Ausschreitungen auf beiden Seiten gegen die nicht kämpfenden Teile der Bevölkerung; u. a. die Ermordung von Zivilisten seitens der Vietcong (z. B. bei der Tet-Offensive) und seitens amerikanischer Einheiten (My Lai) beziehungsweise südvietnamesische Truppen. Die amerikanischen Luftangriffe schadeten der Infrastruktur Nord-Vietnams enorm und machten es abhängig von sowjetischer sowie chinesischer Rüstungs- und Wirtschaftshilfe, sie wirkten aber zugleich innenpolitisch solidarisierend und behinderten den Nachschub nach Süd-Vietnam nicht ernsthaft.
Insgesamt fielen auf amerikanischer Seite etwa 58 000 Soldaten. Vietnam hatte rd. 1 Mio. gefallene Soldaten und 2 Mio. tote Zivilisten zu beklagen; weitere 2 Mio. Menschen wurden verstümmelt und zusätzlich 2 Mio. giftigen Chemikalien ausgesetzt.
Ab Mitte der 60er-Jahre entwickelte sich in den USA eine Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg, die zugleich auf die Bürgerrechtsbewegung einwirkte und in eine allgemeine Auflehnung gegen die bestehende Gesellschaftsordnung überging. Kritiker aus Politik und Publizistik (u. a. J. W. Fulbright; G. F. Kennan; Eugene McCarthy; G. McGovern; A. Harriman), die den Vietnamkrieg als Teil eines Globalismus, einer weltweiten Übernahme der Verantwortung im Kampf gegen kommunistische (beziehungsweise des Kommunismus verdächtige) Kräfte, sahen, wiesen darauf hin, dass diese Haltung zu einer Überforderung der amerikanischen Kräfte und letztlich zum Niedergang des amerikanischen Einflusses in der Welt führe. Die aus der Protestbewegung entstehende neue Linke interpretierte - wie auch die kommunistische Staatenwelt - den Vietnamkrieg als Manifestation des internationalen Klassenkampfs der Dritten Welt gegen Kapitalismus und Imperialismus. Der Protest gegen den Vietnamkrieg griff auch auf die westeuropäischen Staaten (besonders auf die Studentenbewegung) über.
Angesichts der (v. a. für die vietnamesische Zivilbevölkerung) verheerenden Auswirkungen des Krieges, der mit zunehmender Härte und Brutalität geführt wurde, und der trotz ungeheuren technischen Aufwands militärisch aussichtslosen Lage kam es in den USA zu einer schweren Krise des nationalen Selbstverständnisses - forciert u. a. durch die Veröffentlichung der »Pentagon papers« 1971 (Geheimpapiere des Verteidigungsministeriums zur Vorgeschichte des amerikanischen Engagements in Indochina) in der New York Times und der Washington Post.
Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hatten die USA einen Krieg nicht gewonnen; die amerikanische Gesellschaft suchte diese Tatsache längere Zeit zu verdrängen. So wurden Kriegsveteranen als Repräsentanten des Scheiterns in Vietnam mit ihren traumatischen Erinnerungen allein gelassen; die von der Stadt New York traditionell für heimkehrende Truppen veranstaltete »Victory Parade« fiel aus (verspätet im Frühjahr 1985 nachgeholt). Die Medien begannen erst Ende der 1970er-Jahre, die Erfahrung des Vietnamkriegs ernsthaft aufzuarbeiten (z. B. mit Filmen wie »The Deer Hunter« 1978 und »Apocalypse Now« 1979). Die Errichtung des Denkmals zum Vietnamkrieg (Einweihung im November 1982) war mit heftigen öffentlichen Kontroversen verbunden. Auch die zahlreichen vietnamesischen Flüchtlinge, zu deren Aufnahme sich die USA verpflichtet sahen (unmittelbar nach dem Fall der südvietnamesischen Regierung Evakuierung von etwa 140 000 Vietnamesen), wurden von der amerikanischen Bevölkerung eher toleriert als willkommen geheißen. Als Präsident J. E. Carter im Juni 1979 die Einwandererquoten für Länder Südostasiens erhöhte, sodass monatlich 14 000 Flüchtlinge zugelassen wurden, verstärkte sich dieser Antagonismus.
Auch die politische und militärische Führung der USA brauchte fast zwei Jahrzehnte, um das Trauma des erfolglosen Kriegs zu überwinden. Das »Vietnam-Syndrom« bezeichnete die mangelnde Bereitschaft zu erneuten massiven militärischen Einsätzen. Mit der War Powers Resolution vom November 1973 suchte das Repräsentantenhaus militärische Aktionen unter bessere politische Kontrolle zu stellen. Die Exekutive und die Militärs wollten längere, nicht genau definierte Operationen vermeiden und nur aktiv werden, wenn gesichert wäre, dass die Öffentlichkeit das Vorgehen unterstützte, die amerikanischen Verluste durch enormen Materialeinsatz begrenzt und die Medien zensiert würden. Erst mit dem Golfkrieg 1991, in dem diese Bedingungen erfüllt waren, schienen die Folgen des Vietnamkriegs überwunden.
Die politische Annäherung zwischen den USA und Vietnam war v. a. von der Kriegsgefangenen- und Vermisstenfrage belastet. Unter Veteranen und Angehörigen hielt sich das Gerücht, nicht alle amerikanischen Soldaten seien 1973 wirklich freigelassen worden, eine Meinung, die durch die Präsidenten R. W. Reagan und G. H. W. Bush bestärkt wurde. Reisen von Kriegsveteranen nach Vietnam ab den 1980er-Jahren, schließlich die Veröffentlichung eines Weißbuches durch die vietnamesische Regierung 1992 mit detailliertem Archivmaterial über vermisste amerikanische Soldaten veranlassten Präsident B. Clinton Anfang 1994, das Handelsembargo aufzuheben, und am 5. 8. 1995 stellten die amerikanischen und die vietnamesischen Regierungen wieder volle diplomatische Beziehungen her.
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Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Vietnamkrieg: Amerikas Desaster
Universal-Lexikon. 2012.