Judaismus; jüdische Religion
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Ju|den|tum ['ju:dn̩tu:m], das; -s:1. Gesamtheit der Jüdinnen und Juden in ihrer religions- und volksmäßigen Zusammengehörigkeit; das jüdische Volk:
das Selbstverständnis des internationalen Judentums.
2. jüdische Religion, Kultur und Geschichte; Geist und Wesen der jüdischen Religion.
3.
a) Gesamtheit der für die Jüdinnen und Juden typischen Lebensäußerungen, der durch Religion, Kultur, Geschichte geprägten jüdischen Eigenschaften, Eigenheiten.
b) Zugehörigkeit, Gefühl der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk, zur jüdischen Religion:
er hat sein Judentum nie verleugnet.
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Ju|den|tum 〈n.; -s; unz.〉
1. Religion der Juden, Judaismus
2. die Gesamtheit der Juden
3. Art, Wesen des Juden
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Ju|den|tum , das; -s:
1. Gesamtheit der Juden in ihrer religions- u. volksmäßigen Zusammengehörigkeit; jüdisches Volk.
3.
a) Gesamtheit der durch Religion, Kultur, Geschichte geprägten jüdischen Eigenschaften, Eigenheiten; jüdisches Wesen:
sie fühlte sich dem J. entfremdet;
b) Zugehörigkeit, Gefühl der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk, zur jüdischen Religion; das Judesein:
er hat sein J. nie verleugnet.
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Judentum,
Bezeichnung für die Religion des »Volkes Israel« sowie für die Gesamtheit derer, die ihr als ethnische und religiöse Gemeinschaft angehören. Der jüdische Glaube ist die älteste monotheistische Religion und Mutterreligion von Christentum und Islam.
In der Bibel werden mit dem hebräischen Wort »jehudi« ursprünglich die Bewohner des Reiches Juda (z. B. 2. Könige 16, 6; Jeremia 32, 12) oder der Provinz Judäa (z. B. Esther) bezeichnet. Aufgrund der führenden Stellung Judäas nach dem Babylonischen Exil wurde Jude zur allgemeinen Bezeichnung für die Angehörigen Israels, Selbstbezeichnung blieb jedoch Israel und Israelit (so etwa in den biblischen Büchern Tobias, Judith, Jesus Sirach). Der Begriff »Jude« war zunächst nur bei Nichtjuden üblich und wurde erst in der Diaspora in Anpassung an den herrschenden Sprachgebrauch auch zur jüdischen Selbstbezeichnung. In der Diaspora kam zudem der Name Hebräer auf - allgemein als archaisierender Ehrenname der Juden, im engeren Sinn als Bezeichnung für die Aramäisch sprechenden Juden Palästinas im Gegensatz zu den Diasporajuden. Nach rabbinischer Tradition ist Jude, wer von einer jüdischen Mutter abstammt oder nach orthodoxer Norm (»rite«) zur jüdischen Religion übergetreten ist. Die Verbindung von Nationalität und Religion ist seit der Aufklärung nicht mehr unumstritten. Während bis heute liberalere Richtungen das Judentum lediglich als Religionsgemeinschaft verstehen, wurde v. a. in manchen zionistischen Kreisen der nationale Aspekt in den Vordergrund gestellt. Das heute in Israel dominierende konservative und orthodoxe Judentum vertritt jedoch die traditionelle Einheit von Nationalität und Religionszugehörigkeit.
Selbstverständnis der Juden und religiös-kulturelle Entwicklung des Judentums sind geprägt von der durch die Diaspora bedingten ständigen Existenz als Minderheit. Die dadurch notwendige Auseinandersetzung mit der nichtjüd. Umwelt (als Abgrenzung oder Assimilation) brachte unterschiedliche Ausformungen des Judentums mit jeweils besonderen sprachlichen, kulturellen und liturgischen Merkmalen hervor: Im Mittelalter bildete sich die heute noch bestehende Teilung in orientalisches, aschkenasisches (Mittel- und Osteuropa) und sefardisches Judentum (Spanien) heraus; eine Sonderstellung nehmen die isolierten jüdischen Gemeinschaften im Jemen, in Indien (Beni Israel), China und Äthiopien (Falascha) ein. Im 19. Jahrhundert kam es in Europa (sekundär auch in Zielländern europ.-jüd. Auswanderung) aufgrund der unterschiedlichen Haltungen gegenüber Emanzipation und Aufklärung zum Gegensatz zwischen Westjudentum und Ostjudentum, wobei sich das im Westen dominierende liberale Reformjudentum und konservative Judentum im Sinne der Aufklärung für eine weitgehende Assimilation öffneten, während die in Osteuropa vorherrschende Orthodoxie an traditionellen Orientierungen und strikter Thorafrömmigkeit festhielt.
Die komplizierte Diasporageschichte des Judentums brachte trotz Betonung gemeinsamer Abstammung und religiös-sozialer Isolation ethnisch große regionale Unterschiede mit wechselnden Schwerpunkten. Zunächst dominierten Palästina, Ägypten, Babylonien, im Hochmittelalter dann Babylonien, Nordafrika, Spanien und Südfrankreich, im Spätmittelalter und in der Neuzeit schließlich Osteuropa. Im 19. Jahrhundert setzten aufgrund russischer Pogrome ab 1882 eine starke Westwanderung aus Osteuropa in die USA und eine schwächere Palästinasiedlungsbewegung ein. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft (1933-45) wurden rd. 6 Mio. Juden ermordet; nur wenigen gelang die Emigration in unbesetzte europäische Staaten, nach Übersee oder Palästina. Nach der Gründung des Staates Israel (1948) wanderten viele Juden aus Osteuropa und die meisten Juden aus den arabischen Ländern nach Israel aus, daneben v. a. in die USA. Von den heute (2000) weltweit rd. 14,4 Mio. Juden leben rd. 6,4 Mio. in Nordamerika (davon rd. 6 Mio. in den USA), rd. 4,7 Mio. in Israel, rd. 1,2 Mio. in den Ländern der EU (besonders in Frankreich und in Großbritannien) und etwa eine knappe Mio. in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (besonders in Russland und in der Ukraine); die jüdischen Gemeinden in Deutschland zählen rd. 83 000 Mitglieder.
Grundlehren
Das Judentum kennt keine dogmatische Normierung seines Glaubensgutes, besitzt jedoch normative Glaubenslehren. Grundlegend ist die Vorstellung von der Einheit und Einzigkeit Gottes, der der Welt seinen Willen durch die Offenbarung am Sinai kundgetan hat. Die Welt ist Schöpfung Gottes, ihr Sinn ist die Verwirklichung des Guten. Der Mensch steht Gott ohne Mittler gegenüber. Er besitzt die Freiheit, das Gute, d. h. den Willen Gottes, zu tun oder sich von ihm abzuwenden und zu sündigen. Durch bußfertige Umkehr vermag der Mensch sich der Verfallenheit an die Welt zu entziehen. Seine Aufgabe ist es, das gesamte Leben zu heiligen, sodass kein Unterschied zwischen religiösem und weltlichem Bereich besteht. Die Verwirklichung des »Reiches Gottes« bedeutet das Kommen des Messias, der messianischen Zeit, die Errichtung eines allumfassenden Friedensreiches. Das traditionelle Judentum glaubt an eine jenseitige Vergeltung der guten und bösen Taten und an die Auferstehung der Toten. Wichtig ist jedoch die Bewährung im Diesseits. Glauben und Vertrauen genügen nicht, entscheidend für jüdische Frömmigkeit ist das Tun, der Gehorsam gegenüber dem göttlichen Gebot. Oberster ethischer Wert ist die Gerechtigkeit. Die sittlichen Pflichten sind in der Thora, in der Verkündigung der Propheten und in der Auslegung der Tradition (Talmud) festgelegt.
Im Laufe der jüdischen Geschichte hat es eine Reihe von Systematisierungsversuchen gegeben. Philon von Alexandria legte die Thora im 1. Jahrhundert v. Chr. mittels platonischer und stoischer Gedanken aus. M. Maimonides suchte im Mittelalter die Polarität Vernunft-Offenbarung mithilfe der aristotelischen Philosophie zu lösen. Er verfasste als Erster ein aus 13 Artikeln bestehendes Glaubensbekenntnis. S. R. Hirsch schuf im 19. Jahrhundert das System, das bis heute im konservativen Judentum fortlebt: Der absolute Gehorsam gegenüber dem offenbarten Gesetz bewirkt das Aufgehen der Völker in Israel. Das liberale Judentum stellt die jüdische Religion als ethischen Monotheismus dar, indem es sich an (aus der christlichen Dogmatik bekannten) Begriffen wie Liebe Gottes, Sünde, Gnade, Gerechtigkeit orientiert. M. Buber sieht die Geschichte als Dialog zwischen Gott und Kreatur. Der amerikanische jüdische Theologe Richard Lowell Rubenstein (* 1924) geht von der Erfahrung der Abwesenheit Gottes aus und interpretiert Bibel und Tradition mit existenzialen und psychoanalytischen Kategorien. Die Gründung des Staates Israel nötigte zu einer Neubesinnung auf das Verhältnis der Juden zum »Gelobten Land« und besonders zur Stellung der in der Diaspora lebenden Juden zu ihm. Der von M. M. Kaplan vertretene Rekonstruktionismus lehrt, dass das Judentum zwei Pole besitzt, die ihm beide unentbehrlich sind, Israel und die Diaspora. Letztere ermöglicht ihm, durch kulturellen Austausch mit anderen Völkern die Tradition lebendig zu erhalten.
Religiöses Leben
Das religiöse Leben bestimmen die in der Thora enthaltenen oder daraus abgeleiteten Gebote, von denen die Beschneidung und die Heiligung des Sabbats grundlegend sind. Von den humanitären Geboten heben sich die Reinheitsvorschriften und Speisegebote ab. Als rituell unrein gelten die Berührung mit Körperausscheidungen (v. a. Blut) sowie Gebrechen und Hautkrankheiten; die Reinigung geschieht durch »lebendiges«, nicht stehendes Wasser. Die Speisegebote verbieten den Verzehr von Schweinefleisch, jeglicher Blutgenuss (daher ist das Schächten als Schlachtmethode erforderlich) sowie die Aufbewahrung und Verarbeitung von »Milchigem« zusammen mit »Fleischigem«.
Vom Reformjudentum werden die Reinheits- und Speisegebote heute nicht mehr streng befolgt. Im Staat Israel sind sie für öffentliche Einrichtungen jedoch verbindlich. Soweit das religiöse Leben an ein Datum geknüpft ist, wird es durch den jüdischen Kalender geregelt. - Ort gottesdienstlichen Handelns sind häuslicher Kreis und Synagoge. Im Mittelpunkt des synagogalen Gottesdienstes steht die Lesung der Thora im jährlichen Zyklus, die durch eine Prophetenlesung ergänzt wird. Predigt in der Landessprache ist heute üblich. Die ältesten und wichtigsten Gebete sind das Schema (Höre Israel) und das Schemone Esre (Achtzehngebet). Beim Gebet trägt der orthodoxe Jude Gebetsriemen (Tefillin) und Gebetsmantel (Tallit) sowie eine Kopfbedeckung (Kippa). Zu einem Gottesdienst sind zehn religionsgesetzlich volljährige männliche Gemeindemitglieder nötig. Religionsgesetzlich volljährig und damit gebotspflichtig wird ein Knabe mit dem vollendeten 13. Lebensjahr (Bar-Mizwa). Grundsätzlich kann jedes männliche Gemeindemitglied alle Kulthandlungen übernehmen. Dem Rabbiner (hebräisch rabbî »mein Meister«) sind keine besonderen Funktionen im Gottesdienst vorbehalten; seine vornehmste Aufgabe ist es, religionsgesetzliche Fragen zu entscheiden. Träger des religiösen Lebens ist die Gesamtheit der Gemeinde. Da es keine autoritative oberste Instanz gibt, ist jede Gemeinde in der Gestaltung ihres religiösen Lebens selbstständig. Zu ihren Obliegenheiten gehören der Gottesdienst in der Synagoge, Religionsunterricht, Sozialfürsorge sowie die Sorge dafür, dass denjenigen, die die Speisegesetze halten wollen, hierzu die Möglichkeit gegeben wird. Orthodoxe Gemeinden unterhalten das rituelle Bad (Mikwe) zur Befolgung der Reinheitsgesetze. Höhepunkte des religiösen Lebens sind die Feste. In ihrem Mittelpunkt steht die Erinnerung an heilsgeschichtlich bedeutsame Ereignisse der jüdischen Vergangenheit: Passah erinnert an den Auszug aus Ägypten, Schawuot an die Sinai-Offenbarung, das Laubhüttenfest (eigentlich ein Erntedankfest) an das Wohnen in den Hütten nach dem Aufbruch aus Ägypten, Chanukka an die Wiedereinweihung des Tempels und das Purimfest an die Rettung der persischen Juden nach Esther 9, 20-32; Jom Kippur ist als »Versöhnungstag« Buße und Gebet gewidmet. Die Orientierung an der Geschichte, am Heilshandeln Gottes in der Geschichte bildet die Grundlage jüdischer Theologie und Religiosität. Umgekehrt hat sich die religiös-kulturelle Eigenart des Judentums im Verlauf der Geschichte und in Wechselwirkung mit den jeweiligen sozialen und politischen Gegebenheiten herausgebildet, sodass die politische Geschichte der Juden in Palästina und in der Diaspora sowie ihre religiöse Entwicklung eng miteinander verbunden sind.
Frühzeit und Zeit des 1. Tempels:
Nach jüdischer Tradition beginnt die Geschichte Israels mit Jahwes Verheißung von Land und Nachkommenschaft an Abraham (1. Mose 13, 14-18) und dem zwischen Jahwe und Abraham geschlossenen Bund (1. Mose 17, 9 f.). Die 12 Söhne Jakobs, des Nachfahren Abrahams, gelten als Stammväter des Gesamtvolkes. Als heilsgeschichtlich wichtigstes Ereignis erscheint der Auszug aus Ägypten (Exodus) unter Führung des Mose mit der Offenbarung Gottes am Sinai als Höhepunkt: Gott gibt seinem Volk durch Mose die Thora (das Gesetz) und erneuert den mit Abraham geschlossenen Bund (2. Mose 34, 10). Die Erfüllung der Thora wurde von da an verstanden als die Verwirklichung der Gottesherrschaft im Leben wie in der Geschichte Israels.
Die Frühgeschichte Israels verlief aber, soweit dies historisch rekonstruierbar ist, komplexer. Aus verschiedenen, aus den benachbarten Wüsten in die westjordanischen Gebirge und das Ostjordanland eingedrungenen semitischen Halbnomadenstämmen entwickelte sich erst allmählich eine nationale Einheit. Die politische Einigung erfolgte mit der Anerkennung Sauls als König. Entscheidend für das religiöse wie auch das politische Selbstverständnis Israels wurden dann die Erfahrungen mit dem Königtum Davids und Salomos: Gott als König, Jerusalem als religiöser sowie politischer Mittelpunkt, betont noch durch den Bau des Tempels unter Salomo, die Figur Davids als Idealherrscher auch der Zukunft und der Glaube an Israels Geschichte als maßgeblicher Kern der Weltgeschichte sind Grundvorstellungen aus der Königszeit. Die Teilung des Reiches 926 v. Chr. in das davidische Südreich Juda und das Nordreich Israel, vollends dann der Untergang des Nordreichs, förderten die Idealisierung der großen Vergangenheit und die Ansprüche Judas und Jerusalems auf die Repräsentanz Gesamtisraels. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung in der Kultreform des Josia (7. Jahrhundert v. Chr.) mit der Konzentration des Kultes auf Jerusalem. Die Tendenz zu einer solchen Einengung »Israels« bei gleichzeitigem Gesamtvertretungsanspruch verstärkte sich nach dem Untergang des Reiches Juda und der Zerstörung des 1. Tempels im Babylonischen Exil (587-538 v. Chr.). Gleichzeitig führten der Verlust des Landes und die Notwendigkeit, Jahwe als einzigen Gott auch außerhalb der nationalen Grenzen zu behaupten, in der Zeit des Exils zur Herausbildung eines expliziten, auch theoretischer Monotheismus. Der Gott Israels als universal einziger Gott über die Beschränkung auf Israel hinaus findet sich ausdrücklich erstmals im 6. Jahrhundert v. Chr. bei Deuterojesaja (Jesaja 40-55).
Zeit des 2. Tempels:
Nach dem Sieg des Perserkönigs Kyros dem Großen über die Babylonier (539 v. Chr.) war den Juden seit 538 v. Chr. die Rückkehr aus dem Exil erlaubt. Viele der unter Nebukadnezar II. Deportierten waren jedoch in der fremden Umgebung aufgegangen. Jene, die sich nicht angepasst hatten und nun (v. a. seit 520 v. Chr.) zurückkamen, verstanden sich als Träger der authentischen jüdischen Tradition und bestimmten in der Folgezeit den Charakter des Judentums. Kultischer Mittelpunkt wurde der wieder aufgebaute und 515 v. Chr. vollendete (zweite) Tempel in Jerusalem. Politisch war Judäa zunächst noch der persischen Provinz Samaria zugeordnet; 445 v. Chr. konnte dann der Statthalter Nehemia die Selbstständigkeit Judäas gegenüber Samaria durchsetzen. Gleichzeitig führten Nehemia und der jüdische Gesetzeslehrer Esra eine Reform des Kultes im Sinne der streng orthodoxe Exilsfrömmigkeit durch, wodurch die Samaritaner auch religiös ausgegrenzt wurden: Mischehen mussten aufgelöst werden, die Absonderung vom »Götzendienst« der Umwelt wurde betont durch die Vorschrift der Sabbatheiligung und der Beschneidung sowie durch zahlreiche rituelle Speise- und Reinheitsgebote. Neben den Tempelgottesdienst trat der im Exil üblich gewordene Gottesdienst in der Synagoge; das Studium der Thora wurde allgemein verpflichtend. Judäa wurde eine nach der Ordnung der Thora verwaltete Theokratie mit einem Hohen Priester und dem Synedrion (Hoher Rat) an der Spitze. Trotz der politischen Abhängigkeit gewährten ihm die Eroberer eine weitgehende innere Autonomie.
Nach günstiger Entwicklung in frühhellenistischer Zeit unter den Ptolemäern und Seleukiden kam es zur Zeit des Seleukidenkönigs Antiochos IV. Epiphanes (175-164 v. Chr.) zu einem schweren Konflikt. Hellenisierende Juden in Jerusalem suchten mit Unterstützung des Königs eine Reform und die Anerkennung Jerusalems als hellenistische Polis durchzusetzen; die strenggläubigen Juden leisteten dagegen Widerstand. Die Krise spitzte sich zu, als Antiochos nach einem Feldzug nach Ägypten einen Teil des Tempelschatzes zur Sanierung der Staatsfinanzen benutzte und zudem von den Juden eine weitere Hellenisierung verlangte. Er stellte die Beachtung der Thora unter Strafe, entweihte den Tempel, indem er dort auch syrisch-hellenistische Kulte zuließ, und forderte von den Juden die Teilnahme an diesem synkretistischen Kult. Für diese bedeutete das Götzendienst. Vor seinem Tod widerrief Antiochos zwar die Religionsedikte, doch die Makkabäer, die führende Familie des Aufstandes, setzten den Kampf fort und erreichten schließlich sogar die politische Unabhängigkeit Judäas. Eine besondere Rolle spielten dabei die Brüder Judas Makkabi, Jonatan und Simon: 164 v. Chr. eroberte Judas Makkabi Jerusalem und weihte den Tempel neu, Jonatan erreichte die Ernennung zum Hohen Priester und Regenten von Judäa, Simon erkämpfte schließlich 141 v. Chr. die Souveränität. Die späten Makkabäer (Hasmonäer) regierten als Hohe Priester und Könige. In dieser Periode profilierte sich sowohl in der Abwehr des Hellenismus als auch durch die internen Konflikte der exklusive Charakter des Judentums. Dabei kam es zur Ausbildung verschiedener Religionsparteien, die das Selbstverständnis des Judentums in der Folgezeit bestimmten: die Sadduzäer als Vertreter der priesterlich-aristokratischen Führungsschicht; Gruppen mit apokalyptischen und revolutionären Tendenzen, darunter die Essener und die Gemeinde von Qumran, dann auch die militanten Zeloten und Sikarier; schließlich die gemäßigten Pharisäer, v. a. Laien aus der Mittelschicht mit thoragelehrtem Bildungsideal und mehr realpolitischem Sinn, die von den extremen Gruppen heftig kritisiert wurden.
Bei aller religiösen Exklusivität und Abgrenzung öffnete sich das Judentum doch in weiten Teilen der hellenistischen Kultur. Im ganzen Mittelmeergebiet entstanden griechischsprachige jüdische Siedlungen, die größte in Alexandria; eine Tempelsteuer band die Diaspora an Jerusalem. Die hellenistische Umwelt stand dem Judentum offen und interessiert gegenüber, sodass dieses sogar erfolgreich missionarisch tätig sein konnte. Eine wichtige Rolle kam dabei der Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische (Septuaginta) zu. Zahlreiche Nichtjuden schlossen sich dem Judentum an: als Proselyten, die sich beschneiden ließen und damit den Juden gleichgestellt waren, oder als »Gottesfürchtige« (darunter viele Frauen), die am Judentum, besonders an seinem Monotheismus, interessiert waren, auch am Gottesdienst teilnahmen, aber nicht zum Judentum übertraten.
Die römische Herrschaft begann mit dem Eingreifen Roms in den judäischen Bürgerkrieg und der Eroberung Jerusalems 63 v. Chr. durch Pompeius. Hoher Priester blieb bis 37 v. Chr. ein Hasmonäer, die politische Macht lag beim romtreuen Feldherrn Antipater, Vater des tyrannischen, aber als Herrscher erfolgreichen Vasallenkönigs Herodes des Grossen (37-4 v. Chr.). Rom teilte nach dessen Tod sein Reich zunächst unter die Söhne. Ab dem Jahr 6 n. Chr. wurde Judäa unmittelbar verwaltet, mit dem Synedrion unter dem Vorsitz des Hohen Priesters als höchster innerjüd. Instanz. Zunehmende Konflikte mit der römischen Herrschaft gipfelten 66 n. Chr. in einem Krieg, der 70 n. Chr. mit der Zerstörung des Tempels endete. Von nun an galt Rom (später mit der christlichen Weltmacht überhaupt identifiziert) für das Judentum als das in der apokalyptischen Vision des Buches Daniel (Daniel 7, 23) genannte »Vierte Weltreich«, auf dessen Untergang die Heilszeit unter dem Messias folgen sollte. Weitere vergebliche Revolten verfestigten dieses Geschichtsbild: 115-117 n. Chr. in Nordafrika, Ägypten, Zypern, Syrien und 132-135 n. Chr. unter Bar Kochba in Judäa.
Talmudische Periode:
Aus den Niederlagen gingen die pharisäischen Gruppen als einzige handlungsfähig hervor. Als rabbinisches Judentum bestimmten sie allmählich das ganze Judentum. Grundlage war neben der schriftlichen Thora die nach traditioneller Auffassung gleichfalls durch Gott am Sinai geoffenbarte mündliche Thora (Halacha). Das gesamte Leben sollte als Heiligung verstanden werden, um die Heilszeit beziehungsweise Gottesherrschaft herbeizuführen. Seit der Zerstörung des Tempels war die Synagoge (mit Thoraschrein und Thorarollen als Heiligtum) der Ort des öffentlichen Gottesdienstes. An die Stelle des Opferdienstes traten Lehre und Gesetzesfrömmigkeit. Im Mittelpunkt stand das Lesen und Vergegenwärtigen der heiligen Schriften, v. a. der Thora. Die Tannaiten, Gesetzeslehrer vom 1. bis 3. Jahrhundert, kodifizierten die mündliche Überlieferung. Hillel schuf die sieben Schriftdeutungsregeln; er lehrte, dass das Gebot der Nächstenliebe die Erfüllung des Judentums sei. Sein Schüler Jochanan ben Sakkai errichtete 70 n. Chr. in dem südlich von Joppe gelegenen Jamnia (Yavne) ein Lehrhaus. Um ihn sammelte sich ein Kreis von Gelehrten, der die Aufgaben des Synedrions an sich zog, soweit dies die Römer zuließen. So entstand ein neuer Mittelpunkt geistigen Lebens. Um 90 n. Chr. wurde der Kanon der biblischen Schriften festgelegt: 39 Bücher in hebräischer und aramäischer Sprache. Der bisher nur mündlich überlieferte Lehrstoff, die Halacha, wurde nach Materien geordnet und in Form eines Gesetzbuches in der hebräischen Mischna dargestellt. In der Provinz Galiläa entstanden die Gelehrtenschulen von Sepphoris und Tiberias als neue geistige Zentren. Die Amoräer (Sprecher, Interpreten), Gesetzeslehrer im 3.-5. Jahrhundert in Palästina und Babylonien, erklärten die Mischna. Ihre Diskussionen wurden systematisch in der aramäischen Gemara gesammelt. Mischna und palästinische Gemara bildeten den um 350 vollendeten palästinischen Talmud. Der babylonische Talmud wurde nach 500 abgeschlossen; er wurde Ausgangspunkt für die Neugestaltung der jüdischen Frömmigkeit und für spätere Versuche, das Leben in der Diaspora zu ordnen. Tannaiten und Amoräer verfassten ferner die Midraschim (Midrasch), Sammlungen gesetzlicher, exegetischer und homiletischer Traditionen aufgrund biblischer Texte. Eine liturgische Gebetsordnung und die liturgische Dichtung (Pijut) bestimmten den Gottesdienst. Dazu kam ein Zyklus von traditionellen Fasttagen und Festen.
Als sich die Lage im Westen unter christlich-byzantinischer Herrschaft verschlechterte, gewannen die rabbinischen Schulen Babyloniens an Bedeutung. In Babylon, jüdische Kolonie schon seit dem ersten Exil, fanden die Juden seit 150 n. Chr. Zuflucht vor den Römern. Sie lebten in autonomen Gemeinden unter einem Exilarchen, der sie vor der Regierung vertrat.
Nach der Vollendung des Talmud lieferten die Saboräer (Meinende, Erklärer) während des 7. und 8. Jahrhundert in Babylon Nachträge zum Talmud. In Pumbedita und Sura bestanden seit 589 bedeutende Gelehrtenschulen, deren Oberhaupt, der Gaon, dem Exilarchen unterstellt war. Der bedeutendste Gaon, Saadja (* 882, ✝ 942), war Religionsphilosoph, Exeget und Grammatiker; er verfasste auch das erste hebräische Wörterbuch. Den frühen Geonim ging es v. a. um die Erläuterung der Thora, die dann für die Juden in der gesamten Diaspora richtungweisend war. Seit dem 9. Jahrhundert stand hingegen unter dem Einfluss der griechisch-arabischen Kultur das Interesse im Vordergrund, das Judentum philosophisch zu erfassen (jüdische Philosophie). Die Masoreten, jüdische Gelehrte in Babylon und Palästina vom 7. bis 10. Jahrhundert, sicherten durch Vokalisation die Aussprache der Bibel (Masora) und legten die Einteilung in Abschnitte und Verse fest.
Nach der arabisch-islamischen Eroberung bot der »Omar-Vertrag« den »Buchreligionen« Judentum und Christentum (Ahl al-Kitab) eine beschränkte Toleranz, die den Juden eine weitgehende Integration in den arabischen Kulturraum ermöglichte. Erleichtert wurde dies durch die Übernahme des Arabischen (statt des seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. üblichen Aramäischen) als Umgangssprache. In Analogie zur arabischen Sprachpflege kam es aber auch zu einer Renaissance der hebräischen Sprache und den Anfängen einer jüdischen Hebraistik. Die Schulen Babyloniens prägten auf der Basis des babylonischen Talmuds die ganze Diaspora. Für zwei bis drei Jahrhunderte dominierte kulturell das Judentum des arabischen Raumes und Spaniens, mit Ausstrahlungen auf Südfrankreich und Italien.
Im christlichen Bereich war die Ausgangslage diffuser. Vom Römischen Reich blieb das schrumpfende Byzanz mit einigen italienischen Gebieten und insoweit auch der alte Rechtsstatus der Juden trotz christlichen Einschränkungen erhalten. In den übrigen Nachfolgereichen wurde diese alte Rechtsbasis durch Privilegien, die vom jeweiligen Herrscher aus ökonomisch-fiskalischen Erwägungen an Einzelne und Gruppen erteilt wurden, ersetzt. Um diese Privilegierten herum kristallisierten sich Gemeinden mit innerer Autonomie. Die Zuordnung zum christlichen Herrscher konnte je nach Interesse und Machtlage Schutz, aber auch Gefährdung in Interessenkonflikten bedeuten und war stets von Spannungen innerhalb der christlichen Kirche abhängig. Das Judentum war zwar als einzige Minorität geduldet, wirkte aber umso fremder, sah sich zunehmender Feindschaft ausgesetzt und diente oft als Sündenbock. In Aschkenas (Mitteleuropa) bestanden die frühen Gemeinden im Kern aus rabbinisch gelehrten Fernhändlern, die zugleich den großen Geldhandel betrieben. Sie wurden durch die Judenverfolgung während der Kreuzzüge 1096 und 1147/49 schwer getroffen und waren zur Zeit der Pestepidemie von 1348/49 erneut blutigen Verfolgungen ausgesetzt. Aus Fern- und Geldhandel großen Stils verdrängt, durch Zünfte und Grunderwerbsverbote aus vielen Berufen ausgeschlossen, boten Kleinhandel, Pfandleih- und Geldgeschäft nur eine schmale Existenzbasis für die wachsenden, sozial überlasteten Gemeinden. Im ausgehenden Mittelalter erfolgte die sukzessive Vertreibung der Juden aus fast allen bedeutenderen deutschen Städten. Seit dem 15. Jahrhundert wanderten daher viele nach Osteuropa (zunächst v. a. nach Polen) aus. In den innerhalb der slawischen Umwelt weitgehend unter sich lebenden jüdischen Gemeinden entwickelte sich eine eigene Kultur (jiddische Sprache, jiddische Literatur).
Im mediterranen Bereich, wo das Judentum anfangs sozial weitgehend integriert war, entfaltete es in Auseinandersetzung mit der islamischen Kultur eine breite theologisch-wissenschaftliche Tätigkeit. Das jüdische Recht wurde durch Talmudkommentare und Kompendien systematisiert. Grundlegend wurden der Talmudkommentar von Solomo ben Isaak (genannt Raschi), die Kompendien des Isaak ben Jakob Alfasi (Nordafrika, * 1013, ✝ 1103) und Maimonides sowie des Jakob ben Ascher (Toledo, * 1270 (?), ✝ 1340). Den letzten Codex verfasste J. Karo (Schulchan Aruch). Die Kommentare zur Bibel spiegeln die unterschiedlichen Orientierungen im Judentum: Neben traditionellen midraschartigen Werken begegnen neue Wort- und Texterklärungen, auch speziell sprachlich, philosophisch oder kabbalistisch orientierte.
Da im christlichen Bereich eine gemeinsame Kultursprache fehlte (Latein war nur die christliche Kloster- und Schulsprache), lag eine Auseinandersetzung mit der herrschenden Kultur weniger nahe. Die Juden pflegten das Hebräische; wissenschaftliche und philosophische Texte wirkten vielfach erst in hebräischen Übersetzungen weiter. Theologisch dominierten anfangs neuplatonische Tendenzen, vulgarisiert auch in der Volksfrömmigkeit. Aristotelismus und Averroismus blieben einer Eliteschicht vorbehalten, die auf heftige Abwehr bei den im aschkenasischen Judentum dominierenden Traditionalisten stieß. Integrierend wirkte die Kabbala, die trotz neuplatonischer Basis sich mit traditionellen Mitteln artikulierte und schließlich als jüdische Tradition schlechthin galt. Sie prägte die Frömmigkeit bis zur Aufklärung.
Frühe Neuzeit:
Die Vertreibung aus Spanien (1492) und Portugal (1496) wurde im Judentum als Epochenmarke und als Anzeichen des nahen Endes empfunden. Das Osmanische Reich, religiös tolerant und an wirtschaftlicher Entwicklung interessiert, bot vielen Emigranten Asyl, und so entstanden in Griechenland, Kleinasien und Palästina blühende sefardischen Gemeinden (Sefarad), die jedoch mit dem Niedergang des Reiches im 18. Jahrhundert wieder verfielen.
Im Westen (v. a. in Amsterdam, Hamburg, London und in Übersee) entstanden sefardische Kolonien, die im Fernhandel eine wichtige Rolle spielten und wie die »Hofjuden«, die von den Herrschern Mitteleuropas als Berater in Finanz- und Versorgungsfragen angestellt und entsprechend privilegiert waren, eine gewisse Emanzipation und Säkularisierung vorwegnahmen. In Osteuropa, wo die Juden zunächst vom polnischen König Privilegien erhalten hatten, folgte auf eine Blütezeit im 16. Jahrhundert nach den Kosakenrevolten von 1648 und der pseudomessianischen Bewegung des Sabbatianismus (um 1666), welche die ganze Diaspora erfasst hatte, ein sozialer Verfall bei rapidem Bevölkerungszuwachs.
Aus den Aschkenasim ging im 18. Jahrhundert das Ostjudentum hervor, mit seiner lange Zeit das - in Westeuropa auch negative - Bild des Judentums prägenden Kultur: strenge Frömmigkeit, weitgehende Abschließung gegenüber den Einflüssen der Moderne, traditionell festgelegte Kleidung und Haartracht, Leben im Stetl. Die soziale und geistig-religiöse Krise förderte die Ausbreitung des mystischen Chassidismus, der als volkstümliche Bewegung zunächst in scharfer Gegnerschaft zur Orthodoxie der rabbinischen Gelehrtenschicht stand. Auch im Westen waren die Gemeinden machtlos gegenüber der wachsenden Armut und den sozialen Problemen. Der aufgeklärte Absolutismus und jüdische Aufklärer strebten daher nach »Verbesserung« der Juden im Sinne sozialen und fiskalischen Nutzens mit entsprechend größeren Rechten.
Aufklärung und Emanzipation:
Die Erschütterung durch den Sabbatianismus bereitete im Judentum Mittel- und Westeuropas den Boden für die Aufklärung (Haskala), deren Ziele (Regeneration der hebräischen Sprache und Literatur, gegenwartsbezogene Erziehung, Assimilation) jedoch nicht ohne innerjüd. Widerstand blieben. Religiös rückten Aufklärer und Reformer den Akzent von Thorafrömmigkeit und kabbalistische Mystik auf den ethischen Monotheismus eines prophetischen Judentums. Die messianische Hoffnung wurde durch den Glauben an den moralischen Fortschritt der Menschheit mit dem Judentum als Vorreiter ersetzt. Dem Christentum als Mischung aus Judentum und Heidentum fiel dabei die Aufgabe der missionarischen Vermittlung zu. Im Reformjudentum erfolgten Angleichungen an christliche Bräuche und eine weit reichende Preisgabe jüdischer Traditionen, gemäßigter auch im konservativen Judentum und zum Teil in der Neo-Orthodoxie.
Die Emanzipation traf insoweit auch auf innerjüd. Vorbehalte, als mit einer Gleichstellung der Verzicht auf die Gemeinde- und Rechtsautonomie und somit die weitgehende Aufhebung des jüdischen Rechts zugunsten des staatlichen Einheitsrechts verbunden war. Im revolutionären Frankreich wurde der jüdischen Minderheit 1791 die Emanzipation durch Verleihung vollen Bürgerrechts gewährt, in den USA bereits 1776 mit der Virginia Bill of Rights. Die deutschen Staaten verfolgten demgegenüber eine Politik, die den Juden eine rechtliche Gleichstellung nur schrittweise zugestand und dies zudem jeweils von der Entwicklung ihrer sozialen und kulturellen Verhältnisse abhängig machte. Nach schwerem Rückschlag im Ergebnis des Wiener Kongresses ab 1815 schritt die Emanzipation daher in den einzelnen Staaten nur allmählich und in uneinheitlichem Verlauf voran; schließlich wurde 1871 die rechtliche Gleichstellung der Juden im Deutschen Reich vollendet (in Belgien 1831, den Niederlanden 1848, Großbritannien 1858, Italien 1870, Schweiz 1874). Als Gegenreaktion entstanden antisemitische Parteien und Gruppen, bald auch mit rassistischen Tendenzen. Der moderne Antisemitismus verhinderte so im Zusammenwirken mit konservativ-christlichen und nationalistischen, aber auch sozialistischen Ressentiments trotz weitgehender kultureller und nationaler Assimilation der jüdischen Bevölkerung eine volle Auswirkung der in Mittel- und Westeuropa erreichten Emanzipation.
Von 1882 bis 1948:
Russland (mit dem Großteil Polens) betrieb gegenüber seiner starken jüdischen Minderheit eine widersprüchliche Politik, förderte jüdische Aufklärer und Assimilanten und beschränkte zugleich Niederlassung und Rechte, gedeckt durch kirchlich-nationalistische Kräfte. Nach den judenfeindlichen Pogromen von 1881/82 resignierten die Aufklärer; die jüdische Aufklärung und deren Assimilationsprogramm erwiesen sich als gescheitert. Der russische Arzt und Schriftsteller Leon Pinsker (* 1821, ✝ 1891) gab 1882 mit der Losung »Autoemanzipation« (Emanzipation als Nation) den Anstoß zu einer palästina-orientierten nationalen Bewegung (Palästinasiedlungsbewegung), die im Bunde mit Religiösen später die 1897 gegründete zionistische Bewegung auf Palästina und die hebräische Sprache festlegte (Zionismus). Ferner entstanden sozialistische Strömungen: antizionistische (jiddischsprachige), die die Lösung der jüdischen Frage in der klassenlosen Gesellschaft, zum Teil auch im Sinne nationaler Autonomie (Territorial- oder Personalautonomie) erhofften, zionistische mit dem Ziel einer jüdischen Idealgesellschaft, vorgeformt in Kibbuz-Kollektivsiedlungen, sowie anarchistischen Gruppen. Zugleich nahm die Attraktivität revolutionärer Bewegungen zu. Diese sozialistisch-revolutionären Tendenzen wirkten unter den Auswanderern im Westen fort, wurden jedoch schon bald durch den Verbürgerlichungsprozess überholt.
Die Selbstdefinition als Nation mit Anspruch auf Territorium und Staatsbildung, wie sie von der zionistischen Bewegung vertreten wurde, widersprach den Positionen der assimilierten Mehrheit im Westen und auch den religiösen Überzeugungen der Orthodoxie. Doch der moderne Antisemitismus und v. a. die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland und Europa (1933-45) mit ihren Massenmorden bestätigten das zionistische Anliegen, während der optomistische Glaube an den moralischen Fortschritt der Menschheit zerbrach. Die Balfour-Deklaration von 1917 förderte den Zionismus, während die britische Mandatsmacht in Palästina nach 1920 gegenüber der zionistischen Siedlungsbewegung eine widersprüchliche und phasenweise oppressive Politik verfolgte. In der Diaspora verstärkte sich die Identifizierung vieler Juden mit dem Zionismus. Dieser umfasste politisch das ganze Spektrum der Parteien, religiös jedoch nur eine kleine orthodoxe Partei (Mizrachi), die allerdings überproportionalen Einfluss gewann.
Die Vernichtung eines Drittels des gesamten Judentums während der nationalsozialistischen Judenverfolgung durch die Schoah (Holocaust) bestärkte die zionistische Bewegung. Die Pioniergesellschaft des jüdischen Palästina (Jewish Agency for Palestine) und der 1948 nach UN-Beschluss gegründete Staat Israel boten die Möglichkeit der freien Selbstentfaltung und der Selbstbestimmung. Dennoch vermag Israel nur einen Teil der Judenheit aufzunehmen; für die Einwanderung wirkt die 1948 geschaffene Jewish Agency for Israel. - Die zionistischen Pioniere Palästinas wurden trotz ihrer religiösen Indifferenz zu Leitbildern für ein neues jüdisches Selbstbewusstsein. Diese religiöse Indifferenz ermöglichte in Palästina/Israel ein orthodoxjüd. Religionsmonopol, das sich aus koalitionspolitischen Gründen weiter verfestigte (Israel, Geschichte).
Das Judentum der Gegenwart wird heute in Erscheinung und Entwicklung von den Juden Israels und den Juden in den USA (organisiert in vier Denominationen) bestimmt. Im Mai 1991 übersiedelten die letzten 15 000 Falascha aus Äthiopien nach Israel. - Dachorganisation der Juden in 70 Ländern ist der World Jewish Congress; analog existierten der Europäische Jüdische Kongress und der Zentralrat der Juden in Deutschland.
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Ju|den|tum, das; -s: 1. Gesamtheit der Juden in ihrer religions- u. volksmäßigen Zusammengehörigkeit; das jüdische Volk: Ihr unterschätzt den Einfluss des internationalen -s (Marchwitza, Kumiaks 74). 2. ↑Judaismus (1). 3. a) Gesamtheit der für den Juden typischen Lebensäußerungen, der durch Religion, Kultur, Geschichte geprägten jüdischen Eigenschaften, Eigenheiten; jüdisches Wesen: Ich sage nur, dass ich ja innerlich und äußerlich schon längst dem J. entfremdet bin (Hochhuth, Stellvertreter 140); b) Zugehörigkeit, Gefühl der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk, zur jüdischen Religion; das Judesein: er hat sein J. nie verleugnet.
Universal-Lexikon. 2012.