Ịn|di|en; -s:
Staat in Südasien.
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Ịndi|en,
Fläche: 3 287 263 km2
Einwohner: (2001) 1 027,02 Mio.
Hauptstadt: Neu-Delhi (Delhi)
Amtssprache: Hindi
Nationalfeiertage: 26. 1. und 15. 8.
Zeitzone: 1630 Delhi = 1200 MEZ
Republik Indien, amtlicher Namen: Hindi Bharat, englisch Republic of India [rɪ'pʌblik əv 'ɪndɪə], Staat in Südasien, reicht vom Himalaja bis zur Südspitze der Halbinsel Vorderindien im Indischen Ozean und grenzt im Nordwesten an Pakistan, im Norden an China, Nepal und Bhutan, im Osten an Bangladesh und Birma; zu Indien gehörende Inselgruppen sind die Lakkadiven im Arabischen Meer, die Andamanen und Nikobaren im Golf von Bengalen. Indien hat eine Fläche von 3 287 263 km2 und (2001) 1 027,02 Mio. Einwohner; Hauptstadt ist Delhi (Neu-Delhi). Amtssprache ist Hindi (seit 1965); Englisch ist assoziierte Sprache. Währung: 1 Indische Rupie (iR) = 100 Paise (P.). Uhrzeit: 1630 Delhi = 1200 MEZ.
Staat und Recht:
Nach der am 26. 11. 1949 von der Verfassunggebenden Versammlung verabschiedeten und am 26. 1. 1950 in Kraft getretenen Verfassung (mehrfach geändert) ist Indien ein Bundesstaat (»Union of States«) mit parlamentarisch-demokratischem Regierungssystem In den Bestand der Bundesstaaten (Gliedstaaten) kann durch Unionsgesetz eingegriffen werden. Hiervon ist u. a. grundlegend im »States Reorganization Act« von 1956 Gebrauch gemacht worden, der das Bundesgebiet über die früheren Einteilungen hinweg unter Berücksichtigung der Sprachregionen neu gliederte. Indien besteht (1996) aus 25 Bundesstaaten und sieben Unionsterritorien. Die Bundesstaaten haben keine Verfassungs-Autonomie, sondern sind durch die Bundesverfassung einheitlich nach dem auch für die Union maßgebenden Gewaltenschema organisiert. Der Staat Jammu and Kashmir genießt Teilautonomie.
Staatsoberhaupt ist der Präsident. Er wird von einem Gremium auf fünf Jahre (Wiederwahl möglich) gewählt, das je zur Hälfte aus Mitgliedern des Unionsparlaments und aller Staatenparlamente besteht. Der Präsident übt formell die Exekutivgewalt der Union aus, handelt dabei aber stets auf Vorschlag des von ihm ernannten und dem Parlament veranwortlichen Ministerrats unter Vorsitz des Premierministers. Das Zusammenwirken von Präsident und Ministerrat richtet sich nach den Konventionen des britischen Kabinettsystems.
Die Legislative liegt beim Zweikammerparlament, bestehend aus dem Haus der Staaten (Rajya Sabha, Oberhaus) und dem Haus des Volkes (Lok Sabha, Unterhaus). Ersteres setzt sich aus maximal 250 Mitgliedern zusammen, die zum Teil vom Präsidenten ernannt, überwiegend aber von den Parlamenten der Bundesstaaten für sechs Jahre gewählt werden (alle zwei Jahre jeweils ein Drittel der Mitglieder). Das Staatenhaus ist ein ständiges, nicht auflösbares Organ; sein Präsident ist von Amts wegen Vizepräsident der Union. Die 543 Abgeordneten des Volkshauses (maximal 17 repräsentieren die Unionsterritorien) werden - bis auf drei vom Präsidenten ernannte Abgeordnete der angloindischen Gemeinschaft - direkt für fünf Jahre in Einer-Wahlkreisen gewählt. Ihnen gegenüber ist die Unionsregierung verantwortlich, an deren Spitze der vom Präsidenten ernannte Premierminister steht. Gesetzesinitiativen können beiden Häusern des Parlaments vorgelegt werden; zu ihrem In-Kraft-Treten bedürfen Gesetze der Zustimmung beider Kammern sowie der Gegenzeichnung durch den Präsidenten. Über Haushaltsfragen bestimmt letztlich das Haus des Volkes. Die Gesetzgebungszuständigkeit ist zwischen Union und Staaten nach einem Drei-Listen-System (Unions-, Staaten- und konkurrierende Kompetenz) aufgeteilt. Während z. B. auswärtige Beziehungen, Verteidigungs- und Kernenergiesachen in die Unionskompetenz fallen, gehören Angelegenheiten der Polizei, des Gesundheits- und Erziehungswesens in die Zuständigkeit der Bundesstaaten.
Bei Gefahr äußerer Angriffe oder innerer Unruhen kann vom Präsidenten der nationale Notstand erklärt werden. Er führt zu weitgehender Suspendierung der durch die Verfassung garantierten Grundrechte; auch kann der Präsident einzelne Staaten befristet unter direkte Unionsverwaltung (President's Rule) stellen. Verfassungsänderungen sind nur durch ein mit Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Parlaments (in bestimmten Fällen unter Zustimmung mindestens der Hälfte aller Staatenparlamente) beschlossenes Gesetz möglich.
Parteien:
Einflussreichste Parteien sind der sozialliberale Indische Nationalkongress (INC; gegründet 1885), als Träger der Unabhängigkeitsbewegung lange Zeit die führende politische Kraft Indiens; die hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP; deutsch Indische Volkspartei; gegründet 1979), die dem in der Verfassung verankerten Prinzip des Säkularismus diametral entgegensteht; die sozialistisch orientierte Janata Dal (JD, deutsche Volkspartei; gegründet 1988), die gemäßigte Communist Party of India (CPI; gegründet 1920) und die prochinesische Communist Party of India (Marxist) (CPIM; gegründet 1964). Darüber hinaus bestehen zahlreiche regional orientierte politische Parteien und Gruppierungen, z. B. die Akali Dal in Punjab, die All-India Anna Dravida Munnetra Kalakam (AIADMK) in Tamil Nadu und die Telugu Desam Party in Andhra Pradesh.
Die erste Gewerkschaft in Indien wurde 1890 unter den Textilarbeitern in Bombay von Sozialreformern in Anlehnung an die britische Gewerkschaftsbewegung gegründet. Die erste Landeszentrale, der All India Trade Union Congress (AITUC), wurde 1920 gebildet, um Arbeitnehmervertreter für die Internationale Arbeitsorganisation zu entsenden. Rechtsschutz erhielten die Gewerkschaften 1926 durch Gesetze nach britischem Muster (Immunität gegen Gerichtsverfahren wegen rechtmäßiger Gewerkschaftstätigkeit). Nach der Unabhängigkeit 1947 spalteten sich die Gewerkschaften entsprechend den parteipolitischen Linien.
Wichtigste Dachverbände der Gewerkschaften (1994): Indian National Trade Union Congress (INTUC; gegründet 1947) mit rd. 5,4 Mio. Mitgliedern (dem INC nahe stehend), AITUC mit rd. 3,3 Mio. Mitgliedern (der CPI nahe stehend), Hind Mazdoor Sabha (HMS; gegründet 1949) mit rd. 4,5 Mio. Mitgliedern (sozialistisch), Centre of Indian Trade Unions (CITU; gegründet 1970) mit rd. 2,5 Mio. Mitgliedern (der CPIM nahe stehend), Bharatiya Mazdoor Sangh (BMS) mit rd. 4,3 Mio. Mitgliedern (hinduistisch). Insgesamt gibt es rd. 30 000 Gewerkschaften, die nach dem Industrieprinzip organisiert sind. INTUC und HMS sind Mitbegründer des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften.
Das Wappen (seit 1949) zeigt das Löwenkapitell der Säule, die Kaiser Ashoka im 3. Jahrhundert v. Chr. in Sarnath errichten ließ. Es zeigt drei sitzende Löwen auf einer Platte, auf deren Vorderseite das von einem Pferd und einem Zebu flankierte »Dharmacakra« (Rad der Lehre) mit 24 Speichen abgebildet ist. Es versinnbildlicht den ewigen Lauf des Lebens und die alte Kultur Indiens. Der meist weggelassene Wahlspruch unterhalb des Kapitells lautet »Satyameva jayate« (»Wahrheit allein obsiegt«).
Nationalfeiertage:
Nationalfeiertage sind der 26. Januar (Tag der Republik) und der 15. August, der an die Erlangung der Unabhängigkeit 1947 erinnert.
Die 28 Bundesstaaten besitzen das Recht zur Selbstverwaltung. Die Union wird durch einen Gouverneur repräsentiert, der für fünf Jahre vom Präsidenten ernannt wird. In jedem Staat existiert eine aus allgemeinen Wahlen hervorgehende Legislative (Parlament), die meist aus einer Kammer, in einigen Staaten in Analogie zur Union aus zwei Kammern besteht. Die Exekutive liegt in der Hand einer Staatsregierung unter Vorsitz eines Chefministers. Die sieben Unionsterritorien werden jeweils von einem vom Präsidenten ernannten Administrator (oder Gouverneur-Leutnant) regiert. Die mittlere und untere Verwaltung fallen weitgehend in die Kompetenz der Staaten. Eine gewisse Einheitlichkeit ist durch gemeinsame Beamtenkader der Union und der Staaten gewahrt, darunter v. a. durch den »Indian Administrative Service« (IAS). Er stellt jeweils den leitenden Beamten der örtlichen Verwaltungseinheit, des aus britischer Zeit übernommenen Distrikts.
In jedem Staat besteht ein Obergericht (High Court) mit Universalzuständigkeit, zugleich Aufsichtsinstanz über die nachgeordneten ordentlichen Gerichte und Verwaltungsgerichte. Oberstes Appellationsgericht ist der Supreme Court der Union. Seine (höchstens 26) Richter werden vom Präsidenten der Union ernannt. Diesen oberen Gerichten ist die Verfassungs-Jurisdiktion (Normenkontrolle und individuelle Grundrechtsbeschwerde) ausdrücklich vorbehalten. Der Grundrechtsteil der Verfassung enthält die herkömmlichen Individualrechte, kulturelle und religiöse Minderheitengarantien sowie das Verbot der Unberührbarkeit und der Diskriminierung. Die Freiheitsgarantien sind relativiert durch die Zulassung von Präventivhaftgesetzen. Gemäß Art. 372 der Verfassung gelten im Zivilrecht weiterhin britische Kolonialgesetze sowie das Common Law, wenngleich sie zunehmend durch indische Gesetze ersetzt werden sollen. Familien- und Erbrecht sind nach der Religionszugehörigkeit verschieden. Für Hindus gilt religiöses Recht (Shastra), für Muslime die Scharia nach hanefitischem Ritus (Scheidung der Frau erleichtert). Seit dem Hindu-Ehegesetz von 1955 gelten für alle Kasten Scheidung und Einehe; dem Gesetz nach ist die indische Frau seit 1956 im Erb-, Unterhalts- und Adoptionsrecht in etwa gleichberechtigt.
Die Gesamtstärke der Freiwilligenarmee beträgt 1,27 Mio. Mann, die der paramilitärischen Kräfte (u. a. zentrale Polizeireserve, Grenzsicherungskräfte) rd. 200 000 Mann. Das Heer (1,1 Mio. Soldaten) umfasst je eine luftbewegliche und mechanisierte Division, zwei Panzer-, 22 Infanterie- und 10 Gebirgsdivisionen sowie eine größere Anzahl selbstständiger Brigaden: zwei Fallschirmjäger-, fünf Panzer-, sieben Infanterie-, drei Artillerie-, fünf Pionierbrigaden; diese Großverbände sind elf Korpsstäben zugeordnet. Die Luftwaffe hat 115 000, die Marine 55 000 Soldaten. Die Ausrüstung an Großgerät umfasst im Wesentlichen 3 000 Kampfpanzer (1 250 indische Vijayantapanzer, 250 T-54/55 und 1 500 T-72), rd. 700 Kampfflugzeuge (hauptsächlich MIG-Typen, daneben 45 französische Mirage 2 000 und britische Jaguar), zwei leichte Flugzeugträger, fünf Zerstörer, 30 Fregatten, 17 U-Boote und 20 Kleine Kampfschiffe. - Die Republik Indien verwendet etwa 15 % der Staatsausgaben für die Verteidigung.
Landesnatur und Bevölkerung:
Indien gliedert sich in drei tektonische Großlandschaften. Im Nordwesten und Nordosten hat Indien Anteil am Gebirgssystem des Himalaja, außerdem im Nordwesten Anteil am Karakorum. Höchste Erhebungen sind im westlichen Himalaja Nanda Devi (7 817 m über dem Meeresspiegel), im Karakorum Saser Kangri (7 672 m über dem Meeresspiegel). Im östlichen Himalaja werden nur im Bereich der Nordgrenze Indiens Gipfelhöhen von mehr als 7 000 m über dem Meeresspiegel erreicht; höchster Gipfel ist hier der Kangchendzönga (8 586 m über dem Meeresspiegel; an der Grenze zwischen dem Bundesstaat Sikkim und Nepal).
Südlich des Himalaja erstreckt sich durch Nordindien die Ganges-Brahmaputra-Ebene, ein größtenteils von ertragreichen Lehmböden bedecktes Schwemmland. Nur in den Bundesstaaten Assam und Meghalaya im Osten und im Übergangsgebiet zwischen der Gangesebene und dem Industiefland bei Delhi im Westen treten Gesteine des geologischen Untergrunds zutage. In der ebenen Landschaft neigen die Flüsse (besonders in den Bundesstaaten West Bengal, Bihar und Assam) während der Regenzeit zu Überflutungen und Laufverlegungen. Die katastrophalen Überschwemmungen in jüngster Zeit stehen aber auch in direktem Zusammenhang mit der in alarmierendem Tempo voranschreitenden Vernichtung der natürlichen Vegetationsdecke. Das Wasserhaltevermögen des seiner natürlichen Wald- und Pflanzendecke beraubten Bodens ist stark beeinträchtigt. - An der Grenze zu Pakistan hat Indien Anteil am östlichen Pandschab (Fünfstromland), der nach Süden in die Wüstensteppen der Thar übergeht.
Etwa südlich von 25º nördliche Breite bildet der Dekhan die Halbinsel Vorderindien. Im Norden des Dekhan wird die Hochfläche von einzelnen Gebirgszügen (Arawalligebirge, Vindhyakette, Satpuragebirge) überragt, die durch Hebungen während der Gebirgsbildung des Himalaja entstanden sind. Die Ränder des Hochlands von Dekhan wölben sich in den küstenparallelen Gebirgen der steil zum Arabischen Meer abfallenden Westghats (Anai Mudi 2 695 m über dem Meeresspiegel) und der zum Golf von Bengalen abfallenden Ostghats. Die Küstenebene im Westen (Malabarküste und nördlich anschließender Küstenabschnitt) ist schmal; im Osten (Koromandelküste sowie nördlich und südlich anschließende Küstenbereiche) ist ein breiterer Tieflandsaum vorhanden, die Flüsse schieben ihr Delta ins Meer vor.
Das subtropische bis tropische Klima wird bestimmt durch den jahreszeitlichen Wechsel der Monsune. In den Wintermonaten (etwa November bis Juni) weht der trockene Nordostmonsun, im Sommer der Regen bringende Südwestmonsun. Die Südostküste Indiens hat infolge der tropischen Bengalenzyklonen von Oktober bis Dezember eine zweite Regenzeit. Der Zeitpunkt des Beginns, die Dauer und die Niederschlagsmenge des im Sommer wehenden Monsuns sind für die Landwirtschaft von Bedeutung. Die meisten Niederschläge erhalten der Nordosten (Cherrapunji) und die Westküste des Dekhan (jährlich 2 000-3 000 mm), die geringsten der flache Nordwesten (unter 200 mm jährlich) und die im Regenschatten der Westghats gelegenen Gebiete. Die Ostküste erhält etwa 1 300-1 600 mm Niederschlag pro Jahr.
Die Temperaturen sind im Jahresmittel, ausgenommen im Gebirge, in ganz Indien fast gleich (im Norden liegen sie bei 25 ºC, im Süden bei 27 ºC). Die Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter sind jedoch im Norden bedeutend größer als im S. Am heißesten ist die Zeit vor dem Sommermonsun (im Norden 34 ºC, im Süden 29 ºC). In Höhenlagen ab etwa 5 500 m über dem Meeresspiegel im Himalaja und Karakorum fallen auch im Sommer die Niederschläge als Schnee.
Durch die regional unterschiedliche Niederschlagsmengen bedingt, haben sich sehr unterschiedliche Pflanzenformationen ausgebildet. Soweit sie nicht durch den Menschen zerstört wurden, finden sich im Westen Indiens (Westghats, Malabarküste), am Südrand des Himalaja, im Nordosten (Assam) und in den Bergländern des Südens (Nilgiriberge) tropischer Regenwälder, wobei die Vegetation der Nilgiriberge derjenigen Assams gleicht (Rhododendren, Epiphyten, Orchideen, Teestrauch); Assam gilt als eines der orchideenreichsten Gebiete der Erde und als Heimat des Teestrauchs (neben Südwestchina und Nordbirma). In Zentralindien dominieren im Bereich der Ostghats Savannen mit kümmerlicher Vegetation, weiter südlich Salbaum- und Bambuswälder und nach Westen hin Monsunregenwälder, unterbrochen von Ackerland und Grasfluren. Nach Nordwesten hin gehen die Monsunwälder in Halbwüsten und Wüsten über. In den Mündungsbereichen der Flüsse wachsen Mangrovewälder.
Die Tierwelt Indiens gehört größtenteils der orientalischen Region an, dennoch werden rd. 55 % der Säugetiere der Wüstengebiete im Nordwesten der paläarktischen Fauna zugeordnet; sie sind wahrscheinlich in den letzten Jahrtausenden eingewandert. Typ. Bewohner des Nordwesten sind Nilgauantilope, Hirschziegenantilope, Rhesusaffe und der als heilig verehrte Hulman; der Gepard wurde inzwischen ausgerottet. Südlich von Delhi befindet sich das größte Überwinterungsgebiet für Wasservögel in Indien. Auf der Halbinsel Kathiawar leben Restbestände des Indischen Halbesels und des Persischen Löwen. In den regenreichen Gebieten des Nordostens finden sich u. a. größere Bestände des Indischen Elefanten, das Indische Panzernashorn (nur rd. 1 000 Tiere, die zwar geschützt, aber von Wilderei bedroht sind), Wasserbüffel, Gaur, Axishirsch und eine ungewöhnlich artenreiche Vogelwelt, außerdem Gangesdelphin und Gangesgavial. Charakteristisch für das Hochland von Dekhan ist das Vorkommen vieler in Indien endemischer Großtiere: Lippenbär, Axishirsch, Nilgauantilope, Hirschziegenantilope, Vierhornantilope; außerdem leben hier Tiger, Leoparden, Schlankloris und Palmhörnchen; die auch hier außergewöhnlich reiche Vogelwelt umfasst rund 2 400 Arten, darunter den Antigonekranich (Grus antigone), der aufgrund seiner lebenslangen Paarbildung als Symbol für eine glückliche Ehe gilt, sowie das Bankivahuhn, die Stammform des Haushuhns.
Indien ist nach China der volkreichste Staat der Erde. Nach der Volkszählung von 1991 hatte es 846,3 Mio. Einwohner (1961: 439,2 Mio., 1971: 548,1 Mio., 1981: 685,2 Mio.). Die jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung lag 1961-71 bei 2,24 %, 1971-81 bei 2,26 %, sank jedoch 1981-91 erstmals seit langem wieder ab (2,13 %). Die Bevölkerungsdichte stieg von (1981) 208 Einwohner je km2 auf (1991) 306 Einwohner je km2. Der Anteil der männlichen Bevölkerung betrug (1991) 51,8 %. Der Bevölkerungsanstieg der letzten Jahrzehnte ist in erster Linie eine Folge gesunkener Sterberaten (1960-65: 1,94 %, 1965-70: 1,75 %, 1970-75: 1,58 %, 1975-80: 1,39 %, 1980-85: 1,23 %, 1991: 0,98 %) bei zwar sinkender, aber dennoch hoher Geburtenrate (1960-65: 4,2 %, 1965-70: 4,02 %, 1970-75: 3,82 %, 1975-80: 3,47 %, 1980-85: 3,17 %, 1991: 2,93 %). Letztere ist trotz der schon 1952 eingeführten Familienplanung hoch, da deren Akzeptanz regional sehr unterschiedlich ist und flankierende Maßnahmen zur Ausbildung von Frauen und zur Absicherung im Alter teils defizitär sind. Nachwirkend haben Maßnahmen der Zwangssterilisation zwischen 1975 und 1977 die Durchsetzung der Familienplanung erschwert. Ihr Erfolg ist in den einzelnen Bundesstaaten unterschiedlich; weit unter dem Gesamtdurchschnitt Indiens liegt die Geburtenrate in Kerala und Tamil Nadu, weit darüber in Uttar Pradesh, Madhya Pradesh und Rajasthan. Die Kindersterblichkeit konnte von 150 (1965) je 1 000 lebend Geborene auf 82 (1992) reduziert werden. Die Lebenserwartung erhöhte sich von 31,1 Jahre (1951) auf 45,6 Jahre (1971) sowie auf 59,9 Jahre (1991). Anfang der 90er-Jahre waren 37% der Bevölkerung jünger als 15 Jahre.
Besonders dicht besiedelt sind die Ganges-Brahmaputra-Ebene, die Westküste (Bundesstaaten Kerala und Gujarat) und die Flussdeltas um Madras, gering besiedelt sind die Himalajaregion, Rajasthan und das Dekhanplateau. In Städten lebten Mitte der 90er-Jahre rd. 27 % der Bevölkerung (1961: 18 %, 1981: 23 %). Etwa 40 % der Stadtbewohner wohnen in Elendsvierteln, meist ohne Strom- und Wasseranschluss.
Die ethnische Struktur der Bevölkerung ist außerordentlich differenziert. Die beiden ethnischen Hauptgruppen bilden die Indiden (Indoarier) und die Melaniden (Schwarzinder). Indide herrschen in der Gangesebene, in Rajasthan und im zentralen Dekhan vor, Melanide in Südostindien (Tamil Nadu) und im äußersten Nordosten des Dekhan. Weddide leben in den Wäldern des Dekhan. Zu den Mongoliden gehören viele Bergvölker des Himalaja und Nordostindiens.
Das im Hinduismus begründete Kastenwesen (Kaste) ist noch immer ein Hindernis für die gesellschaftliche Entwicklung, obwohl seine schlimmsten Auswüchse (Unberührbarkeit) mit der Verfassung abgeschafft wurden und die Modernisierung und Verstädterung Möglichkeiten zur Flucht aus überkommenen Kastenschranken bieten. Den Kastenlosen (Unberührbaren, Harijans; heute 135 Mio.) und den Angehörigen der Bergstämme räumte die Verfassung eine Vorzugsbehandlung im Ausbildungssystem und bei der Anstellung im öffentlichen Dienst ein; sie sind aber v. a. im ländlichen Raum immer noch Opfer starker sozialer und wirtschaftlicher Diskriminierung.
Sprachen:
Neben Hindi und Englisch als Amts- beziehungsweise assoziierte Sprachen erkennt die Verfassung 14 Regionalsprachen an: Assami (gesprochen von rd. 9 Mio. Menschen), Bengali (63 Mio.), Gujarati (20-35 Mio.), Kannada (27 Mio.), Kaschmiri (3 Mio.), Malayalam (30 Mio.), Marathi (50 Mio.), Oriya (20-25 Mio.), Panjabi (20 Mio.), Sanskrit, Sindhi (2 Mio.), Tamil (50 Mio.), Telugu (45 Mio.) und Urdu (28 Mio.). Darüber hinaus sprechen viele Inder (besonders die Stammesangehörigen) Sprachen, die zu kleineren Sprachgruppen gehören. - In Indien hat die Bildung von Teilstaaten auf sprachgeographischer Grundlage politische Konfliktstoff beseitigt. Allerdings wurde die Gründung von Andhra Pradesh (1953), Gujarat und Maharashtra (1960) sowie Haryana (1966) nur nach schweren Unruhen zugestanden. Urdu, Sanskrit und Sindhi genießen in Indien den besonderen Schutz der Verfassung. - Den Streit um die Nationalsprache Hindi, der sich v. a. Tamilen und Bengalen widersetzten, hat (1963) die Zentralregierung durch das Zugeständnis beigelegt, Englisch im Verkehr mit den Nicht-Hindi-Staaten unbefristet beizubehalten. An den Schulen Indiens sollten eigentlich Regionalsprache, Hindi und Englisch unterrichtet werden (»Drei-Sprachen-Formel«), doch wird dem Hindi im Süden und Osten des Landes nur wenig oder gar kein Platz in den Lehrplänen eingeräumt.
Die Religionsfreiheit ist durch die Verfassung garantiert. Alle Religionsgemeinschaften sind rechtlich gleichgestellt. Mit über 80 % bilden die Hindus die Mehrheit der Bevölkerung. Innerhalb des Hinduismus gewinnt seit Ende der 1980er-Jahre ein auch politisch organisierter Hindu-Fundamentalismus an Einfluss, der gegen die staatliche Religionspolitik die direkte Einflussnahme auf die Gesetzgebung anstrebt; z. B. ein Verbot des Übertrittes (v. a. Angehöriger niederer Kasten und Kastenloser) zum Islam oder Christentum. - Die größte religiöse Minderheit sind mit fast 12 % die Muslime. Etwa 80 % sind Sunniten (mehrheitlich der hanefitischen Rechtsschule; kleinere Gruppen Schafiiten), rd. 20 % Schiiten (mehrheitlich Imamiten; kleinere Gruppen Ismailiten). In Jammu and Kashmir bilden sie mit über 64 % die Bevölkerungsmehrheit. - Rd. 2,6 % sind Christen (1,4 % Katholiken, 1 % Protestanten [besonders Baptisten, Methodisten und Lutheraner], 0,2 % Syrisch-Orthodoxe). Das traditionelle Zentrum des indischen Christentums ist die Malabarküste (Thomaschristen). In Nordostindien bilden die Christen in Mizoram, Nagaland und Meghalaya die Mehrheit der Bevölkerung. Zum v. a. in Nordwestindien verbreiteten Sikhismus bekennen sich 1,9 % der Bevölkerung. In Punjab bilden die Sikhs mit über 63 % die Bevölkerungsmehrheit. Etwa 0,7 % der Bevölkerung sind Buddhisten. In der Form des Lamaismus ist der Buddhismus in Nordostindien (Sikkim, Arunachal Pradesh) und in Jammu and Kashmir (Ladakh) verbreitet. Die Jainas (0,5 %) leben fast ausschließlich in Gujarat. Weitere religiöse Minderheiten bilden die rd. 130 000 Parsen (in Bombay und Gujarat), die Bahais und die in Indien missionarisch tätige Ahmadija-Bewegung. Die meisten der rd. 6 000 Juden leben in Bombay und Kalkutta. Die an der Malabarküste lebenden Cochin-Juden (Beni Israel) sind bis auf wenige Familien nach Israel ausgewandert. - Traditionelle Volks- und Stammesreligionen haben sich in Arunachal Pradesh, Bihar, Meghalaya und Orissa erhalten.
Die Schulverwaltung liegt bei den Bundesstaaten. Nach der Verfassung besteht allgemeine Schulpflicht vom 7. bis 15. Lebensjahr. Schwierigkeiten bei ihrer Verwirklichung entstanden durch die großen sprachlichen, religiösen und sozialen Unterschiede, das starke Bevölkerungswachstum und durch den Mangel an Lehrern und Schulmaterial. Die unentgeltliche untere Primarstufe (fünf Jahre) wird von nahezu allen Kindern besucht, jedoch nur von 65 % der Jungen und 60 % der Mädchen beendet. Die obere Primarstufe (drei Jahre) wird von 77 % der Jungen und 69 % der Mädchen des jeweiligen Jahrgangs besucht, aber nur von 46 beziehungsweise 29 % beendet. 1985 wurde in den meisten Bundesstaaten die Primarschulzeit auf zehn Jahre erhöht, daran schließt sich dieSekundarstufe (drei Jahre) an; auf ihr baut ein weiterer Zyklus auf (Sekundarstufe II). Das indische Unionsparlament beschloss 1986 ein Förderungsprogramm für den Schulbesuch und die Ausbildung unterprivilegierter Schichten, 1993 folgte ein Primarschulprogramm auf Distriktebene, das v. a. Distrikten mit unterdurchschnittlicher Ausbildung von Mädchen zugute kommen soll. Der immer noch hohen Analphabetenquote (46,5 %) wird durch das National adult education programme gegenzusteuern versucht, das dabei auch Fernsehsendungen einsetzt. Das Fachschulwesen (Landwirtschaft, Handwerk, Technik) wird besonders gefördert, um die Hochschulen zu entlasten. Es gibt insgesamt 176 Universitäten und Institute mit Universitätsrang.
Presse: Die Anzahl periodischer Druckschriften stieg mit zunehmender Lesefähigkeit der Bevölkerung von 17 100 (1979) auf 35 500 (1993). Die Zahl der Tageszeitungen wuchs von 1 087 (1979) auf 3 800 (1993) Titel. Zeitungen, Wochenblätter und Zeitschriften werden in 93 verschiedenen Sprachen gedruckt. Rd. 60 % der Tageszeitungen erscheinen in einer Regionalsprache, rd. 30 % in Hindi, rd. 10 % in englischer Sprache. Ein großer Teil der Tages- und Wochenpresse wird von vier Medienunternehmen herausgegeben: 1) In der Times-of-India-Gruppe erscheinen die »Times of India« (gegründet 1838), eine Wirtschaftszeitung, zwei regionalsprachliche Blätter und mehrere Zeitschriften; 2) in der Indian-Express-Gruppe erscheinen der »Indian Express« (gegründet 1932), eine Wirtschaftszeitung, vier regionalsprachliche Tageszeitungen und mehrere Wochenzeitschriften; 3) in der Hindustan-Times-Gruppe erscheinen die »Hindustan Times« (gegründet 1923) mit einer Ausgabe in Patna, zwei regionalsprachliche Tageszeitungen und mehrere Periodika; 4) in der Ananda-Bazar-Patrika-Gruppe erscheinen »Ananda Bazar Patrika« (gegründet 1922) in Bengali, eine Wirtschaftszeitung, eine englischsprachige Tageszeitung und mehrere Wochen- beziehungsweise Monatszeitschriften. Das englische Blatt »The Hindu« (gegründet 1878) erscheint in Madras und sieben weiteren Städten, das englische Blatt »Statesman« (gegründet 1875) in Kalkutta und Neu-Delhi. - Nachrichtenagenturen: »Press Trust of India - PTI« (gegründet 1948); »Hindustan Samachar - HS« (gegründet 1948); »United News of India - UNI« (gegründet 1959); »Samachar-Bharati - SB«. - Rundfunk: Die staatliche Rundfunkgesellschaft »All India Radio - AIR«, gegründet 1930 als »Indian State Broadcasting Company«, seit 1936 heutiger Name, untersteht dem Ministerium für Information und Rundfunk, wird aus Haushaltsmitteln und Werbeeinkünften finanziert und verbreitet regionale und lokale Hörfunkprogramme in 60 indischen Sprachen und Dialekten, ferner den Auslandsdienst »AIR External Services« in acht indischen und 16 Fremdsprachen (u. a. Französisch, Russisch, Arabisch, Chinesisch). Die staatliche Rundfunkgesellschaft »Radio Kashmir« verbreitet je zwei Hörfunkprogramme in sechs Sprachen. Seit 1976 besteht die staatliche Fernsehgesellschaft »Doordarshan India - Television India - TVI«, sie sendet ein landesweites Fernsehprogramm, seit 1981 in Farbe; 1981 installierte sie das erste Satellitenprogramm, 1993 folgten zwei weitere. Ein solches wird seit 1991 auch durch »Star-TV« mit Sitz in Hongkong angeboten.
Wirtschaft und Verkehr:
Obwohl Indien trotz seiner noch stark agrarisch geprägten Erwerbsstruktur zu den zehn führenden Industrienationen der Erde gehört, zählt es mit einem durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner von (1994) 354 US-$ auch zu den ärmsten Ländern der Welt. Indien praktizierte früher das System einer »mixed economy«, d. h. einem breiten, wenn auch staatlich gesteuerten Privatsektor stand ein ausgedehnter Staatssektor und eine über Fünfjahrpläne erfolgende Wirtschaftssteuerung entgegen. Seit Mitte der 80er-Jahre, verstärkt seit 1991, hat sich Indien dem Weltmarkt durch Abbau der Importzölle, Erleichterungen für ausländische Unternehmen und die reale Abwertung der Rupie geöffnet, das System übermäßiger staatlicher Regulierungen (Produktionslizenzen) liberalisiert und auch (zögerlich) Staatsunternehmen privatisiert. Nur noch wenige strategische Sektoren sind in- und ausländischem Privatkapital verschlossen. Als Folge haben sich die einstmals bescheidenen Wachstumsraten der indischen Wirtschaft deutlich erhöht (seit Mitte der 80er-Jahre real durchschnittlich über 5 %), insbesondere im industriellen Bereich, der Export dynamisiert und der immer noch hohe Anteil absolut Armer an der Bevölkerung deutlich verringert (auf rd. 25 %).
Trotz des forcierten Ausbaus der Industrie arbeiten (1993/94) noch knapp 60 % der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft. Sie erwirtschafteten 30 % des BIP (1965: 47 %). Der Ackerbau bildet die Grundlage der Nahrungsmittelversorgung. Reis und Weizen sind mit weitem Abstand die wichtigsten Nahrungsmittel. Reisanbau findet man vornehmlich im Osten und Süden sowie in der Gangesebene, während sich der Weizenanbau auf Nordindien konzentriert. Dank »grüner Revolution« (und damit zunehmender Bewässerung) ist die Getreideernte kontinuierlich (von wetterbedingten Einbrüchen abgesehen) und schneller als das Bevölkerungswachstum gestiegen, Getreideimporte finden praktisch nicht mehr statt, in einigen Jahren konnten sogar Überschüsse exportiert werden. Bei den anderen Agrarerzeugnissen war die Steigerung der Ernten und der Hektarproduktivität weniger ausgeprägt, bedingt durch geringe Zunahme der bewässerten Flächen und langsame Einführung von Hochertragssorten. Eine Ausnahme bildet Rohrzucker, dessen Produktion sich auf über 230 Mio. t gesteigert hat, womit sich Indien zum größten Zuckerproduzenten der Welt entwickelte. Ansonsten kommt Indien eine wichtige Position bei Jute, dessen Produktion aber nahezu stagniert, bei Baumwolle, v. a. aber bei Gewürzen, die einen hohen Exportbeitrag leisten, und bei Tee zu, wo Indien zwar größter Produzent der Erde (1994: 770 Mio. kg) ist, aber wegen zunehmenden internen Konsums nur noch rückläufige Mengen exportiert. Obwohl Indien rd. 200 Mio. Rinder (12 % des Weltbestandes) besitzt, hat die Viehwirtschaft aus religiösen Gründen (heilige Kühe) nur geringe Bedeutung. Fleisch spielt beim durchschnittlich geringen Einkommen und wegen verbreiteter vegetarischer Ernährungsweise nur eine geringe Rolle. Milch wird hauptsächlich für die Ernährung von Kleinkindern verarbeitet.
Mit hohem Mitteleinsatz für die Bewässerung, die Elektrifizierung und die Kreditfinanzierung der Bauern konnte die landwirtschaftliche Produktion in Indien in den letzten zwei Dekaden leicht über die Rate des Bevölkerungswachstums angehoben werden, sodass Selbstversorgung erreicht, die staatliche Lagerhaltung aufgestockt und Hungersnöte der Vergangenheit vermieden werden konnten. Die Erntesteigerungen konzentrierten sich allerdings in den ohnedies schon prosperierenden Landesteilen und produktweise bei Weizen und Reis. Die Kosten der Agrarförderung (v. a. hohe Inputsubventionen) gerieten in den letzten Jahren in ein zunehmendes Missverhältnis zur Produktionssteigerung, die extensive Bewässerung brachte erhebliche Umweltprobleme (Bodenerosion, Versalzung und Versumpfung) mit sich. Die Landverteilung ist trotz Landreformen nach der Unabhängigkeit und in den 60er-/70er-Jahren recht ungleich, Pachtverhältnisse trotz Reformen durch hohe Abgabeverpflichtungen belastet. V. a. aber verursacht die wachsende Bevölkerung eine ständige Verkleinerung der landwirtschaftlichen Betriebsgrößen, die durchschnittlich unter 0,5 ha liegen; die Landbevölkerung wird in zunehmendem Maße landlos.
Trotz relativ restriktiver Forstgesetze und der Ausgrenzung ausgedehnter Schutzgebiete ist die Abholzung durch Holzeinschlag, Brandrodung und den Waldverbrauch staatlicher Entwicklungsprojekte schnell, seit Mitte der 70er-Jahre aber etwas langsamer vorangeschritten und hat v. a. im Himalajavorland das ökologische Gleichgewicht gefährdet. Der ursprüngliche Waldbestand ist um 80 % reduziert; heute sind noch 19 % der Landfläche mit Wald bedeckt, zum geringeren Teil mit Primärwald. Der Holzeinschlag liegt bei jährlich 235 Mio. m3, ökologisch vertretbar wäre ein Achtel dieser Menge.
Fischfang wird sowohl als Binnen- als auch als Hochseefischerei betrieben. Indien hat seine Fangflotte seit Beginn der 80er-Jahre stark erweitert. Die Fangmengen erreichten 1992 4,2 Mio. t. In den stark zunehmenden Export gelangten v. a. Garnelen und verarbeiteter Fisch.
Indien verfügt mit seinen Bodenschätzen, v. a. Kohle und Eisenerz (Hauptvorkommen in Goa), über eine gute Rohstoffbasis. Die erheblichen Eisenerzreserven (geschätzte 22 000 Mio. t) reichen für die eigenen industriellen Bedürfnisse aus und gestatten auch nennenswerte Exporte. Die Kohlevorräte (hauptsächlich im nordöstlichen Dekhan) betragen rd. 80 000 Mio. t. Der seit 1973 verstaatliche Kohlenbergbau arbeitet noch weitgehend in veralteten Gruben mit geringer durchschnittlicher Förderleistung, die Produktion stieg aber kontinuierlich (1993/94: 245 Mio. t). Neben Eisenerz (Förderung 1993/94: 56,4 Mio. t) sind Mangan (1,8 Mio. t), Bauxit (5 Mio. t), Kupfererz (5,2 Mio. t) und Glimmer bedeutsam.
Bei Erdöl gehört Indien als Nichtmitglied der OPEC mit einer Fördermenge von (1993/94) 27,02 Mio. t zu den größeren Produzenten. Die Erschließung der eigenen Ölfelder (hauptsächlich Offshorefelder in der Nähe von Bombay) durch die Staatsunternehmen erfolgte jedoch langsam, sodass sie 1986 von der Regierung ausländischen Konzernen zur Exploration angeboten wurden.
Indiens Energieverbrauch ist im Zuge der Industrialisierung rasch gestiegen (5,9 % pro Jahr). Die Stromerzeugung belief sich 1991/92 auf 287 Mrd. kWh; davon lieferten Wasserkraftwerke rd. 28 %, Wärmekraftwerke rd. 70 %, der Rest entfiel auf nuklear erzeugte Energie. Rund 65 % der von der Industrie verbrauchten Energie entfallen auf Kohle als Energieträger. Die Energieausnutzung hat sich verbessert, die Energiegewinnung deckt dennoch seit Jahren nicht den ständig zunehmenden Bedarf, leidet bei Wasserkraftwerken auch unter Schwankungen der Wasserstände und allgemein unter hohen Transmissionsverlusten. Angesichts allgemeiner Knappheit öffentlicher Mittel hat die indische Regierung den Energiebereich (nicht die Übertragung) dem Privatkapital geöffnet. Geplante Projekte mit ausländischen Unternehmen trafen jedoch auf lokale Widerstände (Strom ist hochgradig subventioniert).
Die industrielle Entwicklung hat seit der Unabhängigkeit, als Indien nur eine beschränkte Anzahl industrieller Produkte herstellte, große Fortschritte gemacht. Bei Verstaatlichung der Schwerindustrie und einer Reihe anderer Sektoren, extensivem Schutz des Binnenmarkts und der Kleinindustrie sowie restriktiven Auflagen für das verbleibende Auslandskapital wurde mit erheblichem finanziellen Aufwand eine breit gefächerte Industriestruktur aufgebaut, die den indischen Bedarf bis auf geringe Import-Restbestände (v.a. bei Investitionsgütern) selbst decken konnte. Nachlassende Dynamik und geringe Arbeitsplatzeffekte dieser Industrialisierung, hohe Defizite der Staatsbetriebe, v. a. aber Exportschwäche sowie mangelnde Qualität und technologisches Niveau der indischen Industrieproduktion haben aber seit Mitte der 80er-Jahre und besonders seit 1991 einen fast vollständigen industriepolitischen Kurswechsel gebracht. Sukzessive wurden die Produktionslizenzen gelockert beziehungsweise abgeschafft, die Zollsätze (vornehmlich auf Halberzeugnisse und kapitalintensive Güter) reduziert, Staatsbetrieben vorbehaltene Sektoren dem Privatkapital geöffnet und die Restriktionen für ausländisches Kapital fast gänzlich abgeschafft. Das Industriewachstum hat sich seit Mitte der 80er-Jahre deutlich gesteigert (auf zumeist über 8 % pro Jahr), unterbrochen von einem leichten Wachstumsrückgang 1991-93. Der Anteil des industriellen Sektors am BIP liegt bei (1994) 28 % (1980: 20,2 %), die Zahl der Beschäftigten in Privatbetrieben (über 10 Angestellte) bei 7,85 Mio. (1991), in Staatsunternehmen bei 8,2 Mio. Der große, aber zurückgehende Anteil der Schwerindustrie an der industriellen Wertschöpfung, v. a. der Erdöl- und Stahlverarbeitung, weist auf die sozialistische Tradition der Industrialisierung hin. Größte Industriesektoren waren (1994) die chemische Industrie (12,5 %), die Baumwollverarbeitung (12,3 %), Eisen- und Stahlindustrie (9,8 %), Fahrzeugbau (6,4 %), Maschinenbau (6,2 %) und Elektrotechnik (5,8 %).
Der Subkontinent Indien bietet durch seine landschaftliche und ethnisch-kulturelle Vielfalt zahlreiche und sehr unterschiedliche Reiseziele. Touristen und Pilger strömen v. a. nach Delhi, zum Taj Mahal in Agra oder zur heiligen Stadt Varanasi am Ganges. War Indien früher berühmt für seine Großwildjagd, so besuchen heute viele Urlauber die Naturparks und Wildschutzgehege (u. a. Gir-Nationalpark). Es fehlt jedoch vielerorts an einer westlichen Ansprüchen genügenden Infrastruktur. Die Zahl der ausländischen Besucher stieg von 410 000 (1973) auf 1,7 Mio. (1990), nahm danach allerdings leicht ab. Sie kamen v. a. aus Großbritannien, den USA, Westeuropa und den südasiatischen Nachbarländern.
Die indische Handelsbilanz ist seit 1965 fast ständig negativ, besonders krisenhaft waren die Perioden nach den Ölpreiserhöhungen und Anfang der 90er-Jahre, die die indische Regierung zu breiten, marktorientierten Reformen (zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit) und kurzfristigen Importbeschränkungen nötigten. Die weitgehende Abschaffung der Importlizenzen, die teilweise Freigabe des Wechselkurses und die Liberalisierung von Auslandsinvestitionen brachten dann in den Folgejahren einen deutlichen Anstieg der Exporte (deutlich über 10 % pro Jahr), eine Verringerung des Handelsbilanzdefizits (Exporte 1995: 26,8 Mrd. US-$, Importe 29,5 Mrd.) und einen sehr starken Anstieg der Auslandsinvestitionen (1992: 460 Mio. US-$, 1994: 6,74 Mrd. US-$). Wichtigste Einfuhrgüter sind Erdöl und -produkte, Maschinenbauerzeugnisse und Fahrzeuge, Edelsteine sowie Düngemittel. Die Einfuhr von Nahrungsmitteln spielt bei rechnerischer Selbstversorgung nur eine marginale Rolle, der Konsumgüterimport wird immer noch durch Lizenzen und hohe Zölle behindert. Bei den Exportgütern stehen Schmuck und Edelsteine, Textil und Bekleidung, Maschinen, chemische Produkte, Lederwaren und Gewürze an der Spitze. Wichtigste Handelspartner sind die USA (1993/94: 18 % der Exporte), Japan (7,8 %) und Deutschland (6,9 %). Das Defizit in der Leistungsbilanz hat sich durch externe private Kapitalzuflüsse (hauptsächlich Direktinvestitionen) beträchtlich verringert (1993/94: 685 Mio. US-$), die Auslandsverschuldung ist zwar erheblich gestiegen (1970: 8 Mrd. US-$, 1994: 90 Mrd. US-$), gemessen an den Exporten und den erheblichen Devisenreserven ist die Belastung seit 1990 aber rückläufig (Schuldendienstquote 1990: 30 %, 1994: 26 %). Indien ist zweitgrößter Empfänger von Entwicklungshilfe (unlängst von China überholt), bezogen auf das BIP erhält es aber seit Jahren sehr wenig (1994: 0,7 %).
Verkehr:
Indien verfügt mit einem Streckennetz von 62 486 km (1992/93) über das größte Eisenbahnnetz Asiens und das viertgrößte der Erde. Die Eisenbahnunternehmen wurden schon vor der Unabhängigkeit verstaatlicht und fallen unter die Zuständigkeit der Unionsregierung. Sie sind gleichzeitig größter Arbeitgeber des Landes. Die Hauptlinien des Streckennetzes verbinden die Überseehäfen mit den wichtigsten Industriegebieten und den Metropolen des Landes. Umfangreiche Bauvorhaben - darunter v. a. die Elektrifizierung vieler Strecken und die Umstellung von Schmal- auf Breitspur - sowie die meist eingleisigen Anlagen behindern die Schnelligkeit des Transports, v. a. des Güterverkehrs. Entgegen der Politik der indischen Regierung verliert die Eisenbahn ständig Anteile am Fracht- (zurzeit 40 %) und Personenverkehr (20 %). Indien verfügt über eines der weltweit größten Straßennetze (1990: über 2 Mio. km), das mit beträchtlichem finanziellen Aufwand (unter Hilfe der Weltbank und der Asiatischen Entwicklungsbank) modernisiert wird. Dies betrifft auch die Fernstraßen (1993: 34 085 km), die zum größten Teil auf zwei beziehungsweise vier Fahrspuren erweitert wurden. Ein neues Programm sieht die Verbindung aller Ortschaften mit mehr als 1 500 Einwohnern mit allwettertauglichen Straßen vor. Eine Sonderbehörde kümmert sich um den Ausbau der bisher wenig tauglichen Straßen in den Grenzgebieten und hat bislang 24 000 km fertig gestellt. Der Straßengüterverkehr ist fast ausschließlich in privater Hand, die Verkehrsdichte hat insgesamt mit dem rapide steigenden PKW-Anteil stark zugenommen und stellt v. a. in den städtischen Agglomerationen ein ernstes wirtschaftliches Hindernis dar.
Die Binnenschifffahrt hat durch den Bau der Eisenbahnen, später den Bau von Bewässerungsanlagen und Sperrwehren an Bedeutung verloren; von den etwa 14 500 km schiffbarer Flüsse werden nur rd. 2 000 km genutzt (überwiegend zum Erztransport). Die Seeschifffahrt litt lange an der indischen Abkoppelung vom Weltmarkt und den technisch veralteten Hafenanlagen; ein guter Teil des Handels mit Indien lief daher über den Knotenpunkt Singapur. Die Regierung versucht seit einiger Zeit diesen Trend durch den Ausbau neuer Häfen zu stoppen. Die indische Handelsflotte steht mit 6,3 Mio. BRT an 17. Stelle in der Welt. Wichtigste Häfen sind Bombay (Umschlag: 28,3 Mio. t), Madras, Kandla, Visakhapatnam und Kalkutta.
Der Luftverkehr spielt bei den weiten Entfernungen im Inland eine wichtige Rolle, die internationale Bedeutung indischer Flughäfen hat aber durch die restriktive Politik bei der Vergabe von Landerechten an ausländische Unternehmen gelitten. Die Inlandflüge wurden bis unlängst ausschließlich von den staatlichen Indian Airlines bestritten, der knapp 90 Flughäfen zur Verfügung standen, neuerdings sind auch private Gesellschaften zugelassen. Internationale Flughäfen befinden sich in Neu-Delhi, Bombay, Kalkutta, Madras und Thiruvananthapuram.
Die Anwesenheit von Menschen der frühen Altsteinzeit ist durch die vom Kaukasus über Pakistan bis Indien verbreitete Kulturgruppe Soanien bezeugt. Die älteste Phase dieser Formengruppe ist u. a. durch Geröll- und Abschlaggeräte nachgewiesen. Östlich des Industals kommen zweiseitig bearbeitete, der Kulturstufe des Acheuléen ähnliche Steingeräte vor, die (noch ungeklärte) Verbindungen zu Ostafrika aufweisen. Zahlreiche Funde (v. a. Mikrolithen) und Höhlenzeichnungen deuten auf höher entwickelte Jagdtechniken (Harpunenfischfang, domestizierte Hunde) in der Mittelsteinzeit (seit 8000 v. Chr.). Während in Zentral- und Südindien die Nachweise für eine Besiedlung in der Jungsteinzeit auf sporadische Funde begrenzt sind, lässt sich im Nordwesten des Subkontinents für die Zeit um 3000 v. Chr. eine größere Anzahl neolithischer Kulturen belegen (Brandrodung im Bergland, bäuerliche Siedlungen in den Flusstälern, domestizierte Hühner, Schweine, Ziegen, Rinder). Die diesem Zeitraum entsprechenden archäologischen Schichten der Kulturen in Quetta, Nal-Nundar, Amri und Mehi-Kulli führen u. a. eine typische lederfarbene Keramik, die der Präharappa-Gruppe (Amri, Kot Diji, Kalibangan) eine rote Ware. Die daran anschließende Harappakultur (v. a. Keramik mit schwarzer Bemalung auf rotem Überzug) leitete ins Chalkolithikum (Kupfersteinzeit, etwa seit 2000 v. Chr.) über. Als repräsentativ für die in zahlreichen regionalen Ausprägungen verbreitete Kultur gilt die wohl älteste Ausgrabungsstätte in Navdatoli in Mittelindien am Narmadafluss mit Rundbauten (Speichern) und rechteckigen Behausungen. Ihre untersten Schichten enthielten Weizen, die oberen (etwa 1500-1000) dagegen Hülsenfrüchte und v. a. Reis. Gefunden wurden ferner Keramikgefäße mit rotem Überzug und schwarzer Bemalung (1700-1200). Diese treten auch im nordindischen Raum zusammen mit einer »grauen bemalten Ware« auf, die sich in spätved. Zeit (1000-600 v. Chr.) dort ausbreitete. Gleichzeitige Funde (Kupfergeräte, erste Geräte aus Eisen, Abbild eines Pferdes in Ton) lassen vermuten, dass die Träger dieser Kultur Halbnomaden der indogermanischen Sprachgruppe waren. Die graue Keramik wurde allmählich von einer schwarz glänzenden Variante abgelöst, die sich um 500 v. Chr. durchsetzte und bis in die Mauryazeit (4.-3. Jahrhundert v. Chr.) reichte (indische Kunst).
Arische Einwanderung
In der 2. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. (um 1200) wanderten arische Hirtenkrieger (Arier) nach Nordwestindien ein, die durch ihre überlegene Kriegstechnik (Streitwagen) in der Lage waren, große Gebiete zu erobern. Sie selbst bezeichneten sich als Arya (»Edle«); ihre Herkunft ist bisher noch nicht endgültig geklärt; auch die Frage, ob sie zum Untergang der Harappakultur beitrugen, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Ihre religiösen Vorstellungen sind in den Veden (Veda), den Hauptquellen der frühen indischen Geschichte, überliefert. Ausdruck einer allmählichen kulturellen Überlagerung der älteren Bevölkerung war das Kastensystem (Kaste). Die politische Organisation der Einwanderer passte sich den Gegebenheiten der langsamen Durchdringung der nordindischen Ebene an; Brahmanen spielten als Opferpriester und Berater eine große Rolle an den zahlreichen kleinen Königshöfen.
Mauryareich
Nachdem die neue Kultur die gesamte Gangesebene durchdrungen hatte, bildete sich im Osten der Ebene, in Magadha (im heutigen Bihar), ein Kultur- und Machtzentrum. Hier wirkten um die Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. Buddha, der mit seiner neuen Lehre die brahmanischen Opferpriester verdrängte, und Mahavira (Jaina), und hier fand vom 4. bis 3. Jahrhundert die Dynastie der Maurya ihre Machtgrundlage. Mit der Kontrolle über die wichtigsten Handelswege, einer durchdachten Staatsverwaltung und schließlich dem Anspruch auf eine indische Universalmonarchie hatte diese Dynastie Machtmittel zur Verfügung, die die Möglichkeiten ihrer Vorgänger weit überstieg. Das Staatslehrbuch Arthashastra, die Edikte Ashokas, des dritten und bedeutendsten Mauryaherrschers, und schließlich die Berichte des griechischen Gesandten Megasthenes vermitteln ein deutliches Bild dieses Staatswesens.
Das Mauryareich entstand kurz nach dem Einfall Alexanders des Großen in Nordwestindien (327-325 v. Chr.) und bildete einen Gegenpol zum Seleukidenreich. Nach dem Verfall des Mauryareiches, der schon nach dem Tod Ashokas (232 v. Chr.) einsetzte, gelang es dem hellenobaktrischen König Demetrios Indien ab 183 v. Chr., Indien im Süden bis nach Kathiawar und Gujarat, im Osten bis zur Hauptstadt Pataliputra (Patna) zu besetzen. Die griechischen Herrscher, unter denen Menander, der den Buddhismus förderte, hervorragte, konnten sich aber nur in Nordwestindien halten, bis sie in der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. den aus Norden einbrechenden Saken erlagen, die das erste der indoskythischen Reiche gründeten. Nach einer parthischen Zwischenherrschaft im 1. Jahrhundert n. Chr., in der König Gondophernes größere Bedeutung gewann, errichteten die tocharischen Kushana ein Reich, das unter König Kanishka außer Nordindien und Kaschmir auch das heutige Afghanistan und Turkestan umfasste.
Guptadynastie
Nach dem Niedergang der buddhistischen Großreiche machte sich in Indien eine brahmanische Renaissance bemerkbar. Viele kleine Fürstenhäuser nutzten den Verfall der Großreiche und förderten anstelle der buddhistischen Mönchsorden, die selbst größeren Staaten zur Last fielen, die Brahmanen, die die Legitimität der Herrscherhäuser durch Ritual und Rat untermauerten. Aus der Mitte dieser kleinen Herrscherhäuser stieg schließlich im 4. Jahrhundert die Guptadynastie (Gupta) empor, die es verstand, durch eine Art Feudalsystem verschiedene Fürstenhäuser an sich zu binden, eine neue höfische Kultur zu verbreiten und sich durch die Pflege des klassischen Sanskrit Ansehen zu verschaffen. Auch für die Gupta war Magadha die Grundlage ihrer Macht. Samudragupta (etwa 335-375) unterwarf weite Gebiete Südindiens. Unter Candragupta IIndien, der den Beinamen Vikramaditya (Sonne der Stärke) führte, erreichte die Gupta-Ära ihren politischen und kulturellen Höhepunkt. Das Guptareich wurde durch die Einfälle der Hunnen unter ihren Königen Toramana und Mihiracula (502-528) zerstört. Diese waren nicht in der Lage, ihrerseits ein indisches Reich zu errichten, und unter König Hashavardhana von Kanauj (606-647) wurde für einige Jahrzehnte noch einmal eine Blüte erreicht. Nach seinem Tod bildeten sich in Nordindien zahlreiche kleine Dynastien, die auf ihre Weise die Tradition fortzusetzen versuchten. Im 9. Jahrhundert gelang es den Gurjara-Pratihara (Gujar), große Teile des nördlichen Subkontinents zu erobern und ein Großreich (Zentrum Kanauj) zu errichten, das bis ins beginnende 11. Jahrhundert ein hinduistisches Bollwerk gegen die vordringenden islamischen Eroberer bildete.
Die südindischen Dynastien
Über die Vor- und Frühgeschichte des dravidischen Südens ist bisher nur wenig bekannt. Zu Beginn der südindischen Eisenzeit (500 v. Chr.) entwickelte sich eine Megalithkultur mit einer einheitlichen Schwarz-Rot-Keramik, die erst im 1. Jahrhundert n. Chr. von einer Tonware, die römischen Einfluss aufweist, abgelöst wurde. Das im 2. Jahrhundert v. Chr. entstandene Andhrareich tritt nur in vagen Umrissen aus dem Dunkel. Die Shatavahanadynastie, die bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. weite Gebiete der südlichen Halbinsel beherrschte, kannte bereits einen hohen Grad höfischer Kultur. Römische Münzfunde an mehr als 50 Fundstellen auf der Halbinsel zeigen rege Handelsverbindungen mit dem Westen. Die bedeutendste südindische Dynastie ist die der Pallava (4.-8. Jahrhundert), die zuerst im heutigen Andhra Pradesh, dann in der Nähe von Madras (Kanchipuram, Mahabalipuram) herrschte und sich auf die fruchtbaren Gebiete der südindischen Ostküste stützen konnte. Wie die Gupta pflegten auch die Pallava das klassische Sanskrit. Ihr kultureller Einfluss reichte bis Südostasien. Sie fanden ihre größten Rivalen und Nachahmer in der Calukyadynastie von Badami. Diese Dynastie beherrschte vom 6. bis 8. Jahrhundert (und erneut vom 10. bis 12. Jahrhundert) das wichtige Hochland des Dekhan, imitierte Baustil und Kultur der Pallava und unternahm oft Kriegszüge in die fruchtbaren Küstenniederungen. Der bedeutendste Calukyakönig, Pulakeshin IIndien (608-642), kämpfte sowohl gegen Hashavardhana von Kanauj als auch gegen die Pallava. Die Calukya wurden in ihrer Vormachtstellung auf dem Dekhan von den Rashtrakuta abgelöst, deren Machtzentrum weiter im Norden lag. Der bedeutende Rashtrakutakönig Krishna Indien (um 756-773) ist der Erbauer des Shivatempels Kailasanatha von Elura. An der Ostküste lösten die Cola die Pallava ab. Vom 9. bis 12. Jahrhundert herrschten sie über weite Gebiete Südindiens und Ceylons und hatten großen Einfluss auf Südostasien. Der Colakönig Rajendra Indien (1014-35) unternahm eine Flottenexpedition gegen das indonesische Königreich Srivijaya, vermutlich um die Handelsinteressen des Colareiches in Südostasien zu verteidigen. Kulottunga Indien (1070-1120) vereinigte die Coladynastie mit dem östlichen Zweig der Calukyadynastie, den Calukya von Vengi. Auf diese Weise entstand eine mächtige Dynastie, die bis 1310 den größten und fruchtbarsten Teil Südindiens beherrschte. Nach dem Niedergang der Cola, Calukya und Rashtrakuta sowie kleiner Dynastien wie der der Hoysala von Karnataka entstand nach 1370 ein weiteres Großreich, benannt nach seiner Hauptstadt Vijayanagar, die in der Mitte des Subkontinents lag und von der aus die Küste im Osten und das Hochland im Westen beherrscht werden konnten.
Islamische Herrschaft
Die ersten Ansätze zu einer islamischen Staatenbildung in Indien ergaben sich im 8. Jahrhundert in Sind, doch dieses Reich arabischer Eroberer zerfiel bald wieder. Der afghanisch-türkische Herrscher Mahmud von Ghazni unternahm um 1000 mehrere Raubzüge nach Indien, wo er dem Gurjara-Pratihara-Reich ein Ende bereitete, konnte seine Herrschaft aber nur über einige Teile des Nordwesten ausdehnen. Das Reich der Ghasnawiden wurde 1187 durch die Ghoriden vernichtet, die Pandschab und Sind eroberten. General Qutb-ud-din Aibak gründete 1206 das Sultanat Delhi; damit war der erste Ansatzpunkt für eine islamische Staatsbildung gegeben. Unter der Khiljidynastie wurde das Sultanat gesichert. Ala-ud-din Khilji (1296-1316) führte ein strenges Regiment, stärkte die Staatsverwaltung und dehnte seine Herrschaft weit nach Süden aus. Der Einfall Timurs (Plünderung Delhis 1398) führte zum Zerfall des Sultanats Delhi. Kleinere islamische Staatsgründungen erfolgten in ganz Indien. Die Bildung eines islamischen Großreiches gelang erst den Großmoguln im 16. Jahrhundert. Der Nachkomme Timurs und Dschingis Khans, Babur, unterwarf nach einer entscheidenden Schlacht bei Panipat (1526) viele kleinere Herrscher, wurde aber von dem Afghanen Sher Shah abgelöst. Baburs Sohn Humayun musste sich erneut die Vorherrschaft erkämpfen (zweite Schlacht bei Panipat 1555). Er starb kurz darauf, und sein Sohn Akbar, der bedeutendste der Mogulherrscher (1556-1605), eroberte nahezu ganz Indien. Da er selbst Sohn einer Rajputenprinzessin war, gelang es ihm, die meisten Rajputen für sich zu gewinnen. Er verfolgte den Hindus gegenüber eine Politik der Toleranz und war so in der Lage, sein Reich ohne großen Widerstand auszubauen. Seine Nachfolger Shah Jahan und Jahangir verfolgten dieselbe Politik. Aber Aurangseb (1658-1707) wollte ein islamisches Staatswesen nach den Vorschriften des Korans errichten und führte die von Akbar abgeschaffte Kopfsteuer für Nichtmuslime wieder ein. Er musste gegen den Widerstand der Hindus in vielen Teilen des Landes kämpfen. Besonders die Marathen auf dem Dekhan unter ihrem Führer Shivaji forderten den Großmogul heraus. Der Aufstieg der Marathenherrschaft und der Verfall des Mogulreiches im 17. und 18. Jahrhundert, die erneuten Invasionen afghanischer Eroberer und das Erstarken der europäischen Eindringlinge führten zu einer Veränderung der Machtverhältnisse.
Britische Durchdringung Indiens.
Europäische Mächte hatten schon seit mehreren Jahrhunderten Handelsniederlassungen an den Küsten Indiens, seit Vasco da Gama 1498 in Calicut gelandet war. Die europäischen Ostindiengesellschaften waren mit staatlichen Machtbefugnissen ausgestattet, erwarben aber zunächst nur eine beschränkte Territorialherrschaft unter der Oberhoheit indischer Fürsten. Die britische Ostindische Kompanie (gegründet 1600) übertraf bald alle anderen, musste sich aber im 18. Jahrhundert mit der französischen Gesellschaft auseinander setzen, die unter der Statthalterschaft von J.-F. Dupleix (1742-54) eine aktive Territorialpolitik betrieb. Dupleix' britischer Gegenspieler R. Clive verfolgte eine ähnliche Politik, er besiegte 1757 in einem Gefecht bei Plassey den Nawab von Bengalen und sicherte den Briten die Vorherrschaft in diesem Gebiet. 1761 rieben sich Marathen und Afghanen in einer großen Schlacht bei Panipat auf, und es entstand ein Machtvakuum in Nordindien 1763 setzte der Friede von Paris den französischen Ambitionen in Indien ein Ende.
1765 übertrug der Großmogul der britischen Ostindischen Handelskompanie die Verwaltungshoheit (Diwani) über Bengalen. Damit war die Ausgangsbasis für die britische Territorialherrschaft geschaffen. Madras (britisch seit 1639) und Bombay (seit 1661) boten weitere Ansatzpunkte. Die Gouverneure von Madras und Bombay wurden dem Generalgouverneur von Bengalen unterstellt. W. Hastings, der 1774 als erster Generalgouverneur eingesetzt wurde, festigte die britische Macht. Unter seinen Nachfolgern wurden in den nächsten Jahrzehnten weite Gebiete Indiens erobert. Tipu Sultan, der im Süden ein großes Reich errichtet hatte, wurde 1799 geschlagen. Die Marathenfürsten wurden 1818 endgültig unterworfen. Die eroberten Territorien wurden entweder direkt unter britische Verwaltung gebracht oder unter der Herrschaft von indischen Fürsten belassen, die in besonderen Verträgen die Herrschaft der britischen Krone anerkannten.
1833 verlor die britische Ostindische Handelskompanie ihre Privilegien. Reformer in Großbritannien betonten die humanitären Aufgaben der britischen Herrschaft in Indien, forderten die Abschaffung der Witwenverbrennung und Freizügigkeit für Missionare. Generalgouverneur Lord W. H. Bentinck setzte sich in diesem Sinne ein, sein Justizminister T. Macaulay förderte die Einführung des britischen Bildungssystems und die Verbreitung der englischen Sprache. Einheimische Kreise unterstützten diese Bestrebungen, um den Indern Aufstiegsmöglichkeiten im neuen Herrschaftssystem zu sichern. Nach dieser Phase der inneren Konsolidierung folgte eine weitere Phase der territorialen Expansion. 1838-42 führten die Briten den ersten Krieg mit Afghanistan, 1843 wurde Sind annektiert, 1849 das Reich der Sikh, die unter Maharadscha Ranjit Singh (✝ 1839) im Pandschab ihre Herrschaft errichtet hatten, nach mehreren Kriegszügen unterworfen. 1852 wurde das südliche Birma annektiert. Damit waren die Grenzen Britisch-Indiens abgesteckt. Die Machtvollkommenheit der britischen Herrschaft ermutigte Generalgouverneur Lord Dalhousie dazu, in einer neuen Phase der inneren Festigung die indischen Fürstentümer zu beseitigen, die als Enklaven im britisch-indischen Gebiet fortbestanden hatten. Der Tod des Fürsten und das Fehlen eines legitimen Erben (z. B. Nagpur, Jhansi) oder Misswirtschaft (Oudh) wurden zum Anlass genommen, um Fürstentümer einzuziehen. Die Annexion von Oudh (1856) führte jedoch zu einem bewaffneten Aufstand (1857-59, »Mutiny« beziehungsweise »Sepoyaufstand« genannt), in dem sich meuternde Truppen der britisch-indischen Armee (Sepoys) mit der entmachteten Oberschicht zusammentaten. Die Witwe des Fürsten von Jhansi und der im nordindischen Exil lebende Marathenfürst Nana Sahib spielten als Führer des Aufstandes eine bedeutende Rolle. Der Aufstand war aber schlecht organisiert, er blieb auf Nordindien beschränkt. Mithilfe der Sikhtruppen gelang es den Briten, ihn rasch niederzuschlagen. Als Folge des Aufstandes wurde die Ostindische Kompanie aufgelöst und Indien direkt der Krone unterstellt; der Generalgouverneur wurde Vizekönig (1858).
In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die britisch-indische Verwaltung ausgebaut. Unterstützt durch Regierungs-Bürgschaften wurde ein großes Eisenbahnnetz angelegt, die Ausfuhr von Rohprodukten und die Einfuhr von Fertigwaren vorangetrieben. Die Regierung war auf Grundsteuer, Opiummonopol und Salzsteuer als Haupteinnahmequellen angewiesen und musste außer den Verteidigungskosten des Weltreiches auch noch beträchtliche Summen nach Großbritannien überweisen, eine unabhängige Zollpolitik wurde ihr im Interesse des britischen Freihandels verwehrt. Die einheimische Industrie wurde nicht gefördert. Eine expansive Grenzpolitik (2. angloafghanischer Krieg 1878-80, Annexion Oberbirmas 1885) belastete den Staatshaushalt. Erhöhungen der Grundsteuer, Spannungen zwischen Grundbesitzern und Pächtern, Bauern und Geldleihern und häufige Hungersnöte schufen Unruhe. Die neue indische Bildungsschicht übte Kritik an der britisch-indischen Regierung, der indische Nationalismus wurde geboren.
Der Kampf um die Unabhängigkeit (1885-1947)
Der liberale Vizekönig Lord Ripon (1880-84; * 1827, ✝ 1909) hatte die Hoffnung vieler v. a. gebildeter Inder auf eine Demokratisierung des britisch-indischen Herrschaftssystems geweckt, aber diese Erwartungen wurden enttäuscht. Mit dem Ziel gleichberechtigter Teilnahme der einheimischen Bevölkerung am politischen Leben gründeten 1885 Persönlichkeiten aus der indischen Bildungsschicht den Indischen Nationalkongress (INC), der im Verlauf der folgenden Jahrzehnte zum richtungweisenden Träger der indischen Nationalbewegung wurde. Unter dem Vizekönig Lord Lansdowne (1888-94; * 1845, ✝ 1927) leitete die britisch-indische Regierung eine begrenzte Verfassungsreform ein. Die autokratische Herrschaftsweise des Vizekönigs Lord Curzon (1898-1905) verschärfte jedoch die politischen Spannungen auf dem indischen Subkontinent. Die Teilung Bengalens (1905) löste politische Empörung in der indischen Bildungsschicht aus und führte in Bengalen selbst zu Unruhen. Zugleich gab diese Entwicklung der nationalen Bewegung Auftrieb. Die von Staatssekretär Lord Morley und dem Vizekönig Lord Minto (1905-10) durchgeführte Reform des britisch-indischen Regierungssystems (1909) brachte den Indern zwar die gewünschte Volksvertretung, behandelte aber unter dem Druck der 1906 gegründeten Muslimliga die muslimische Bevölkerungsgruppe Indiens als eigenständige Wählerschaft, die in separater Wahl ihre Vertreter in die zu wählenden Körperschaften entsenden durfte; dies löste nun Spannungen zwischen der indischen Nationalbewegung und der britisch-indischen Regierung einerseits und neue Konflikte zwischen der muslimischen Minderheit und der hinduistischen Mehrheit Indiens andererseits aus.
Im Ersten Weltkrieg unterstützten sowohl die indischen Fürsten als auch die Mehrheit der Vertreter des INC (u. a. B. G. Tilak und M. K. Gandhi) die Kriegsanstrengungen der britisch-indischen Regierung unter Vizekönig Lord Hardinge (1910-16), die eine hohe Zahl von Truppen auf britischer Seite in den Krieg entsandte. Indische Divisionen kämpften gegen die Mittelmächte an der europäischen Front (z. B. in Flandern) und gegen das Osmanische Reich im Nahen Osten (besonders im Zweistromland), dabei erlitten sie große Verluste. Die indischen Muslime waren in ihrer Loyalität in einem starken Zwiespalt: Aus Gründen staatlicher Zugehörigkeit waren sie mehr der britisch-indischen Regierung verpflichtet, nach den Lehren ihrer Religion mehr dem Herrscher des Osmanischen Reiches, der als Kalif für alle Muslime (besonders der sunnitischen Richtung) eine besondere Autorität besaß. Die indischen Muslime waren in ihren politischen Bestrebungen weniger »allindisch« als vielmehr »panislamisch« orientiert. Im »Pakt von Lucknow« (Dezember 1916) einigten sich der INC und die Muslimliga (geführt von M. A. Jinnah) auf ein gemeinsames Minimalprogramm bei der Durchsetzung ihrer Ziele bei der britisch-indischen Regierung, auf eine erweiterte politische Mitbestimmung der Inder auf Provinzebene.
Angesichts der starken militärischen Beteiligung Indiens am Kriege hegte die indische Nationalbewegung hohe Erwartungen im Hinblick auf die politische Gleichberechtigung der indischen Bevölkerung, sah sich jedoch bald nach dem Krieg getäuscht. Nach der blutigen Niederschlagung einer friedlichen Protestversammlung in Amritsar (April 1919) gegen bestimmte als diskriminierend empfundene Sicherheitsgesetze (Februar 1919) löste Gandhi im Rahmen seiner Lehre vom friedlichen Protest (Satyagraha) 1920 eine Kampagne des »zivilen Ungehorsams« und der »Nichtzusammenarbeit« mit den Organen des Staates (z. B. im Verwaltungs-, Gerichts- und Schulbereich) aus. Er rief gleichzeitig zum Boykott britischer Waren (v. a. Textilien) auf und aktivierte mit großem Widerhall in der Bevölkerung die in den handwerklichen Traditionen des Landes wurzelnde Handspinnerei. Gandhi suchte zugleich die Zusammenarbeit mit der muslimischen Khilafatbewegung, einer panislamisch orientierten Bewegung (besonders unter den indischen Muslimen), die den Herrscher des Osmanischen Reiches als Inhaber des Kalifentitels gegen die europäischen Mächte, besonders Großbritannien, unterstützte. Nach dem Ausbruch von Unruhen brach Gandhi 1922 die Kampagne ab. Nach dem Zusammenbruch der Khilafatbewegung (Absetzung des Kalifen durch die Türken selbst, 1924) trennten sich die indischen Muslime wieder von der indischen Nationalbewegung, die seitdem gespalten blieb. In der Kampagne von 1920-22 hatte sich der INC - v. a. als Träger der Ideen Gandhis - von einer Honoratiorenvereinigung zu einer Massenbewegung entwickelt, die die große Masse der Bauern ebenso ansprach wie die Intellektuellen. Um der seit 1919 steigenden nationalindischen Protestbewegung entgegenzuwirken, hatte Großbritannien unter Federführung des Staatssekretärs E. S. Montagu und des Vizekönigs Lord Chelmsford (1916-21) mit dem Government of India Act of 1919 eine Verfassungsreform durchgeführt, die unter Beibehaltung der separaten Wählerschaften für die Muslime den Indern mehr politische Mitsprachemöglichkeiten gab.
Nachdem die britische Regierung die Forderung des INC abgelehnt hatte, Indien den Dominionstatus zu gewähren, löste Gandhi die zweite Massenkampagne (1930-32) aus: Im Sinne seiner Strategie des gewaltlosen Übertretens ungerechter Gesetze führte er 1930 eine Demonstration zum Meer, um mit seinen Anhängern durch eigenhändige Gewinnung von Salz gegen das Salzmonopolgesetz zu verstoßen; Hunderttausende folgten ihm und ließen sich verhaften. Im November 1930 und November 1931 fanden in London »Konferenzen am runden Tisch« zur Lösung der indischen Verfassungsfrage statt. Mit dem Government of India Act of 1935 unternahm die britische Regierung erneut einen Versuch, die indische Frage zu lösen. Die neue Verfassung gewährte den Indern die Regierungsbildung auf Provinzebene und sah einen indischen Bundesstaat vor, dessen Zustandekommen jedoch von der Beteiligung der indischen Fürsten abhing. Dieser kam nicht zustande; die verfassungsrechtliche Lücke, die auf diese Weise entstand, wurde durch die Ausdehnung der Machtbefugnisse des Vizekönigs ausgefüllt. Bei den Wahlen zu den Provinzparlamenten (1936/37) gewann der INC in sieben Provinzen die Mehrheit der Mandate, in den muslimischen Provinzen errangen lokale muslimische Parteien die Mehrheit.
Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lehnte die Mehrheit des INC eine Zusammenarbeit mit den Kriegsgegnern Großbritanniens ab. Nur eine Minderheit um S. C. Bose trat für eine Zusammenarbeit mit den Achsenmächten ein. Als führender Repräsentant der Muslimliga forderte Jinnah seit 1940 mit wachsendem Erfolg einen eigenen Staat »Pakistan« für die indischen Muslime; er berief sich dabei auf die »Zweinationentheorie«, nach der die Muslime in Indien keine Minderheit, sondern eine eigene Nation darstellten. 1942 entsandte die britische Regierung S. Cripps nach Indien (»Cripps' mission«), um die indische Nationalbewegung für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Das Angebot der britischen Regierung, Indien nach dem Kriege die Unabhängigkeit zu gewähren, lehnte der INC ab; Gandhi forderte stattdessen Großbritannien auf, Indien sofort zu verlassen (»Quit India«) und den Indern selbst den Kampf gegen Japan zu überlassen. Die gesamte Führung des INC wurde verhaftet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, an dem unter britischem Oberkommando zahlreiche indische Truppenverbände teilgenommen hatten, trat die Frage der Unabhängigkeit immer stärker in den Vordergrund; dabei konnte sich Jinnah mit seiner Forderung nach einem eigenen muslimischen Staat durchsetzen. Die von Vizekönig Lord Wavell (1943-47) einberufene Konferenz von Simla (1945) sowie eine vom britischen Kabinett direkt gestartete Initiative (»Cabinet mission«, 1946) konnte die Teilung Indiens nicht verhindern. Auch der INC stimmte schließlich der Teilung zu. Lord Mountbatten, der letzte Vizekönig (1947), unterstützte den Teilungsplan als letzte Möglichkeit, blutige Unruhen im ganzen Land zu verhindern. Am 11. 6. 1947 verabschiedete das britische Unterhaus den »Independence of India Act«; in seinem Rahmen entließ Großbritannien am 14. 8. 1947 Pakistan (die mehrheitlich islamischen Gebiete) und am 15. 8. 1947 Indien (reduziert auf die mehrheitlich von Hindus bewohnten Gebiete) als Dominions in die Unabhängigkeit.
Die Indische Union (1947-77)
J. Nehru, der bereits 1946 vom Vizekönig zum Premierminister ernannt worden war, übernahm die Führung des indischen Staates. Infolge von Grenzstreitigkeiten mit Pakistan und der Umsiedlung von etwa 8,4 Mio. Menschen zwischen beiden Staaten kamen über 1 Mio. Menschen bei Unruhen ums Leben. Mit einer Fastenaktion erzwang Gandhi (1948 ermordet) die Beendigung blutiger Ausschreitungen in Kalkutta. Der Anspruch sowohl Indiens als auch Pakistans auf Kaschmir begründete einen politischen Dauerkonflikt zwischen beiden Ländern, der auch zu militärischen Auseinandersetzungen führte. Während die meisten der 566 Fürsten ohne größeren Widerstand dem neuen indischen Staat beigetreten waren, zwangen indische Truppen 1948 den Nisam von Hyderabad mit Waffengewalt zum Verzicht auf seine Herrschaft. Mit der Verfassung von 1950 wurde Indien als »Indische Union« eine nach föderativen Gesichtspunkten gegliederte Republik. 1956-60 wurden die innerstaatlichen Grenzen nach sprachlichen Gesichtspunkten neu festgelegt. Während die Regierung Nehru die Gebiete Französisch-Indiens nach Verhandlungen mit Frankreich bis 1954 in das indische Staatsgebiet einfügen konnte, ließ sie 1961 Truppen in Portugiesisch-Indien einmarschieren, da Portugal sich weigerte, seine indischen Besitzungen aufzugeben.
Innenpolitisch entwickelte sich die Indische Union unter den Prämissen einer parlamentarischen Demokratie. Auf nationaler Ebene wie auch im Bereich der meisten Bundesstaaten war der INC bis in die 70er-Jahre hinein unangefochten die weitaus stärkste politische Kraft. Er stellte in dieser Zeit sowohl die Staatspräsidenten (1950-62 R. Prasad, 1962-67 S. Radhakrishnan, 1969-74 V. V. Giri und 1974-77 F. A. Ahmed) als auch die Premierminister (bis 1964 Nehru, 1964-66 L. B. Shastri, 1966-77 Indira Gandhi). Vom INC spaltete sich 1948 eine Sozialistische Partei ab. Die indische KP, die v. a. während des Zweiten Weltkriegs stark angewachsen war, teilte sich in den 60er-Jahren in eine prosowjetische und prochinesische Gruppe (stark vertreten v. a. in Kerala und West Bengal). Darüber hinaus entstanden religiös-hinduistische und sprachbezogen-ethnische Parteien.
Bestimmt von sozialistischen Grundvorstellungen, suchten Nehru und seine Nachfolger im Amt, besonders seine Tochter Indira Gandhi, im Rahmen von Fünfjahresplänen die wirtschaftliche Unterentwicklung Indiens zu beheben (z. B. Aufbau einer Schwerindustrie) und die von einem explosiven Bevölkerungswachstum begleitete soziale Not v. a. auf dem Lande zu bekämpfen. Mit der Verstaatlichung der Banken (1969) intensivierte Indira Gandhi den sozialistischen Kurs, spaltete dabei aber den INC. In den Wahlen von 1971 errang der von ihr geführte »neue« Indische Nationalkongress einen hohen Wahlsieg, v. a. da es ihr gelungen war, der Wahl einen plebiszitären Charakter zu geben. Die Anfechtung ihrer Wiederwahl als Abgeordnete des indischen Unterhauses (1971), die gerichtlich zwar zu ihren Gunsten entschieden wurde, politisch aber ihren Gegnern als Mittel zu ihrem Sturz dienen sollte, veranlasste sie 1975, den Notstand auszurufen, das Land mit diktatorischen Vollmachten zu regieren, die meisten Oppositionspolitiker zu verhaften und die 1976 fälligen Wahlen zu verschieben. Als sie 1977 überraschend Wahlen anberaumte, erlitt sie eine schwere Niederlage. Ihre Partei gab ihre führende Stellung an die Janata Party ab.
Außenpolitisch leitete Nehru eine Politik der »Blockfreiheit« ein, um die Unabhängigkeit seines Landes, v. a. angesichts des Ost-West-Konflikts, zu wahren; er verband diese Maxime mit dem Gedanken der Koexistenz von Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftssystemen. Zusammen mit Indonesien (Präsident Sukarno), Ägypten (Präsident G. Abd el-Nasser) und Jugoslawien (Präsident Tito) entwickelte sich Indien zu einem der tonangebenden Staaten der Dritten Welt, was in den 50er-Jahren v. a. auf der Bandungkonferenz (1955) sichtbar wurde und in die Bewegung der blockfreien Staaten mündete. Da die indische Nationalbewegung ihren Kampf um die Unabhängigkeit Indiens zugleich als Kampf für nationale Selbstbestimmung aller abhängigen Völker betrachtete, setzte sich das unabhängige Indien für die Entkolonialisierung der in kolonialer Abhängigkeit von europäischen Mächten lebenden Nationen ein. Nach anfänglicher Zurückhaltung entwickelte sich ein »gutes Einvernehmen« mit der Volksrepublik China auf der Grundlage der fünf Grundsätze (»pancha shila«) der Koexistenz, die im Vertrag über den tibetanischen Grenzverkehr (1954) verankert worden waren. Auf der Bandungkonferenz versuchte die Regierung Nehru, die Volksrepublik China (Ministerpräsident Zhou Enlai) noch einmal auf diese Prinzipien festzulegen. Im Gegensatz zu seinem distanzierten, nicht konfliktfreien Verhältnis zu den USA, die seit 1954 Pakistan Rüstungshilfe leisteten, begründete Nehru ein freundschaftliches Verhältnis seines Landes zur UdSSR.
Als Indien seit etwa 1957/58 stärker von der Wirtschaftshilfe der westlichen Industriestaaten abhängig wurde, verbesserten sich die Beziehungen zu den USA. Angesichts chinesischer Gebietsansprüche entlang der gemeinsamen Grenze wuchsen die Spannungen zwischen beiden Staaten. Im Zuge der Invasion chinesischer Streitkräfte in das umstrittene Grenzgebiet (v. a. im Bereich von Ladakh) erlitt Indien 1962 eine militärische Niederlage. Die westliche Staatenwelt, besonders die USA, leisteten im Gegenzug Militärhilfe, ebenso die UdSSR. Nach dem Krieg mit Pakistan um Kaschmir (1965) verzichteten 1966 beide Mächte auf weitere Gewaltanwendung.
In der ersten Phase der Regierungszeit Indira Gandhis (1966-77), die im Prinzip an der Politik der »Blockfreiheit« in den internationalen Beziehungen festhielt, hatte jedoch die Erringung einer regionalen Vormachtstellung Indiens im südasiatischen Raum Vorrang vor der global orientierten Vermittlungspolitik Nehrus. Gestärkt durch den Freundschaftsvertrag mit der UdSSR (1971), erzwang Indien im selben Jahr in einem Krieg gegen Pakistan die staatliche Verselbstständigung Ostpakistans als Bangladesh. 1975 wurde Sikkim der Indischen Union als Bundesstaat eingegliedert.
Die Entwicklung Indiens seit 1977
Nach dem Wahlsieg der Janata Party übernahm M. R. Desai 1977 als Premierminister die Führung des Landes und stellte die Regierungs-Tätigkeit wieder in den Rahmen parlamentarisch-demokratischer Normen. Infolge schwerer Flügelkämpfe innerhalb des Regierungs-Lagers verlor seine Regierung in den folgenden Jahren jedoch die parlamentarische Basis. 1979 trat Desai zurück. Der Verfall der Janata Party und der Zwist ihrer Führer begünstigten den Wiederaufstieg Indira Gandhis. In einem von ihr erneut maßgeblich beeinflussten Spaltungsprozess der Kongresspartei übernahm sie die Führung des von ihr beherrschten Flügels, der als INC (I) beziehungsweise »Congress (I)« (I für Indira) bei den allgemeinen Wahlen von 1980 eine Zweidrittelmehrheit im Parlament errang. Nach dem Rücktritt von Staatspräsident N. S. Reddy (1977-82) trat Zail Singh seine Nachfolge an (bis 1987). Militante separatistische Bewegungen und religiös-ethnische Spannungen bewirkten auch in den 80er- und 90er-Jahren eine instabile innenpolitische Situation. V. a. in Punjab kam es wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den nach staatlicher Autonomie strebenden Sikhs. Seinen Höhepunkt erreichte dieser Konflikt mit der Besetzung des Goldenen Tempels von Amritsar (Nationalheiligtum der Sikhs) im Juni 1984; kurz darauf wurde Premierminister Indira Gandhi durch zwei ihrer Sikh-Leibwächter ermordet (31. 10. 1984). Ihre Amtsnachfolge trat ihr Sohn R. Gandhi an, dessen Kongresspartei bei den Wahlen im Dezember 1984 eine Zweidrittelmehrheit im Unionsparlament erreichen konnte. Außenpolitische Versuche, das Verhältnis zu Pakistan zu verbessern, wurden v. a. durch das ungelöste Kaschmirproblem erschwert. 1987-90 unterhielt Indien in Sri Lanka ein Truppenkontingent, um dort die blutigen Unruhen zwischen Tamilen und Singhalesen einzudämmen. 1987 wurden die Gebiete Arunachal Pradesh, Goa und Mizoram zu Bundesstaaten erhoben; im selben Jahr übernahm Ramaswamy Venkataraman (* 1910) das Amt des Staatspräsidenten (bis 1992). Bei den Wahlen im November 1989 verlor die Kongresspartei ihre absolute Mehrheit; nach dem Rücktritt R. Gandhis als Premierminister bildete V. P. Singh (Janata Dal, JD) eine Minderheitsregierung der Nationalen Front (Mehrparteienkoalition). Sein Versuch, den niedrigen Kasten größere soziale Rechte einzuräumen, sowie gewaltsame Ausschreitungen bei einem religiösen Streit zwischen Muslimen und Hindus um einen Tempel in Ayodhya lösten 1990 eine Regierungs-Krise aus. Nach dem Sturz Singhs (November 1990) und dem Rücktritt (März 1991) seines Nachfolgers C. Shekar (JD) kam es zu einem von blutigen Ausschreitungen überschatteten Wahlkampf, in dessen Verlauf R. Gandhi am 21. 5. 1991 durch ein (nach indischen Angaben von der tamilischen Guerillaorganisation »Liberation Tigers of Tamil Eelam« verübtes) Bombenattentat ermordet wurde; sein Nachfolger als Vorsitzender des INC (I), P. V. Narasimha Rao (* 1921), trat nach dem Sieg seiner Partei bei den Parlamentswahlen im Juni 1991 das Amt des Regierungschefs an. Angesichts der schweren Wirtschaftskrise des Landes leitete er ein wirtschaftliches Reformprogramm (Privatisierung von Staatsbetrieben, Zulassung von Mehrheitsbeteiligungen ausländischer Investoren, Abwertung der Rupie) ein. Im September 1991 begann die indische Armee in Assam eine militärische Offensive gegen die separatistische Guerillabewegung »Vereinigte Befreiungsfront von Assam« (ULFA). 1992-97 war S. D. Sharma Staatspräsident. Mit der Zerstörung der Babri-Moschee in Ayodhya (Uttar Pradesh) im Dezember 1992 durch fanatische Hindus brach eine Welle religiöser Unruhen aus, die auch auf Großstädte (Bombay, Kalkutta) übergriff. Die Moschee war vom Großmogul Babur angeblich über einem Tempel erbaut worden, der den Geburtsort des Gottkönigs Rama bezeichnete. Die Bharatiya Janata Party (BJP) hatte eine Kampagne zur Wiedererrichtung dieses Tempels organisiert; als Regierungspartei des zuständigen Bundesstaates übernahm sie die Verantwortung für den Abriss der Moschee. Die Bundesregierung entließ daraufhin vier von der BJP gestellte Regierung (in Uttar Pradesh, Himachal Pradesh, Madhya Pradesh und Rajasthan). Bei Neuwahlen im November 1993 erlitt die BJP in drei dieser Staaten (Ausnahme Rajasthan) empfindlichen Verluste. Ende 1993 schlossen sich auf Bundesebene zehn oppositionelle Parlamentsabgeordnete der JD dem regierenden INC (I) an, der sich damit 266 der insgesamt 528 Sitze sicherte. Aber in verschiedenen Bundesstaaten kamen bei den Wahlen zwischen November 1994 und März 1995 Oppositionsparteien zum Zuge, so in Sikkim, Karnataka, Andra Pradesh, Maharashtra.
Aufgrund ethnischer und sozialer Spannungen nahm die indische Zentralregierung mehrere Bundesstaaten unter ihre direkte Herrschaft: so 1987 Punjab, 1990 Jammu and Kashmir (1996 unter starken Sicherheitsvorkehrungen wieder Parlamentswahlen und Einsetzung einer neuen Regierung) und 1995 Uttar Pradesh. Aufstände gegen die indische Regierung in Kaschmir (Bundesstaat Jammu and Kashmir) und das harte Vorgehen der indischen Soldaten gegen die dortige Bevölkerung belasteten die Beziehungen zu Pakistan.
Im Januar 1996 eskalierte mit der Anklageerhebung gegen mehrere Spitzenpolitiker die bislang schwerste Korruptionsaffäre in Indien (so genannte »Hawala-Affäre«, in der 1988-91 an rd. 115 Politiker und hohe Beamte etwa 650 Mio. Rupien gezahlt worden sein sollen, im September 1996 auch Anklage gegen P. V. Narasimha Rao). Bei den Wahlen zum Unterhaus (Lok Sabha) im April/Mai 1996 musste der INC (I) seine bisher schwerste Niederlage hinnehmen (nur noch 140 von 543 Direktmandaten); als stärkste Partei ging die BJP aus den Wahlen hervor. Die am 16. 5. 1996 vereidigte Minderheitsregierung von Atal Behari Vajpayee (BJP) trat bereits am 28. 5. 1996 zurück, da sie keine Parlamentsmehrheit auf sich vereinigen konnte; Regierungschef wurde daraufhin Haradanahalli Doddegowda Deve Gowda (* 1933, JD), der im Juni 1996 an die Spitze einer Mitte-links-Koalition trat. Nach dem Sturz der Regierung Gowda, die am 11. 4. 1997 eine Vertrauensabstimmung im Unterhaus verlor, wurde im selben Monat Inder Kumar Gujral (JD) Premierminister einer Minderheitsregierung. Mit Kocheril Raman Narayanan erhielt im Juli 1997 erstmals ein Kastenloser das Amt des Staatspräsidenten.
Bei den von blutigen Ausschreitungen begleiteten Wahlen im Februar /März 1998 wurde die nationalistische Hindu-Partei BJP stärkste Kraft; der BJP-Politiker A. B. Vajpayee übernahm erneut das Amt des Premierministers. Unter der aus dem indischen Freiheitskampf bekannten Losung »Swadeshi« (Ziel, »dass Indien von den Indern aufgebaut wird«) leitete seine Regierung eine nationalistisch akzentuierte Wirtschafts- und Sicherheitspolitik ein. Die nach 24 Jahren Pause im Mai 1998 überraschend von Indien durchgeführten Nuklearwaffentests (Proklamation Indiens zur Atommacht) stießen auf heftige internationale Kritik (Verurteilung durch die Mitgliedsstaaten der Genfer Abrüstungskonferenz, Technologie- und Finanzboykott seitens der USA) und verschärften erneut die Spannung zum (ebenfalls Kernwaffentests durchführenden) Nachbarstaat Pakistan. Trotz eines auf Ausgleich orientierten Gipfeltreffens Vajpayees mit dem pakistanischen Premierminister M. Nawaz Sharif vom Februar 1999 in Lahore brachen wenige Monate später auch wieder die (von militärischen Gefechten begleiteten) Auseinandersetzungen um Kaschmir auf. Im Juli 1999 erklärte Indien die Kämpfe für beendet; allerdings kam es auch danach immer wieder zu Zwischenfällen.
Nach dem Sturz der Regierung Vajpayee im April 1999 versuchte die seit 1998 an der Spitze der Kongresspartei stehende Sonia Gandhi, aus Italien stammende Witwe Rajiv Gandhis, erfolglos eine neue Regierung zu bilden. Aus den Neuwahlen im September/Oktober 1999 gingen die BJP und die mit ihr verbündeten Regionalparteien als Sieger hervor; die Kongresspartei erzielte das schlechteste Wahlergebnis seit der Unabhängigkeit Indiens (nur 112 der 545 Parlamentssitze). Der im Amt bestätigte Premierminister Vajpayee bildete unter Berücksichtigung seiner zahlreichen Bündnispartner ein aus rd. 70 Minister bestehendes Kabinett. In Weiterführung des bereits 1993 zwischen Indien und Russland geschlossenen Vertrages über Freundschaft und Zusammenarbeit, der den von 1971 ablöste und keine Beistandsklausel mehr erhielt, vereinbarten die beiden Staaten bei einem Besuch des russischen Präsidenten W. Putin in Indien im Oktober 2000 eine »strategische Partnerschaft« sowie eine engere Zusammenarbeit im militärisch-technischen Bereich (Rüstungslieferungen) und sicherten sich (unter Hinweis auf Kaschmir und Tschetschenien) gegenseitige Unterstützung beim Kampf gegen Separatismus und islamistischen Extremismus zu.
Das bisher schwerste Erdbeben in Indien am 26. 1. 2001 (mit einer Stärke von 7,9 auf der Richter-Skala) zerstörte zahlreiche Ortschaften im Nordwesten des Landes (Gujarat) und forderte Tausende Tote.
Ein von Jammu and Kashmir im Juni 2000 ausgegangenes Ersuchen um Autonomie wurde von der indischen Zentralregierung zwar umgehend abgelehnt; im November 2000 verkündete sie aber eine einseitige Waffenruhe für das Gebiet, die jedoch angesichts immer neuer blutiger Attacken der muslimischen Separatisten scheiterte (aufgehoben im Mai 2001).
Nachdem es bei einem indisch-pakistanischen Gipfeltreffen in Agra vom 14. bis 16. 7. 2001 zu keiner entscheidenden Annäherung in der Kaschmirfrage gekommen war, eskalierte diese erneut, als Terroristen am 13. 12. 2001 einen Selbstmordanschlag auf das Unionsparlament in Neu-Delhi verübten und Indien dafür von Pakistan aus agierende islamistische Organisationen verantwortlich machte (Truppenmassierung und neue Gefechte an der indisch-pakistanischen Grenze). Indien, das sich nach den Terroranschlägen auf die USA im September 2001 rasch der internationalen Antiterrorkoalition angeschlossen hatte (daraufhin am 22. 9. 2001 Aufhebung der amerikanischen Sanktionen von 1998), forderte zur Konfliktbeilegung von Pakistan eine Beendigung der Unterstützung der islamistischen Untergrundbewegungen in Jammu and Kashmir sowie ein konsequentes Vorgehen gegen terroristische Kräfte und deren grenzüberschreitendes Wirken. Nach einem weiteren blutigen Rebellenangriff auf eine indische Militärstation in Kaschmir im Mai 2002 erreichte der Konflikt einen neuen (vom atomaren Gefährdungspotenzial Indiens und Pakistans überschatteten) Höhepunkt, angesichts dessen besonders die USA ihre Vermittlungsbemühungen verstärkten.
Bei einer Kabinettsumbildung berief Regierungschef Vajpayee Anfang Juli 2002 den Innenminister Lal Krishna Advani, einen fundamentalistischen BJP-Politiker, in das neu geschaffenen Amt des stellvertretenden Premierministers. Ebenfalls im Juli 2002 wurde der muslimische Wissenschaftler Avul Pakir Jainulabdeen Abdul Kalam, der Wegbereiter des indischen Raketen- und Nuklearwaffenprogramms, zum Staatspräsidenten gewählt.
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