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Toleranz
Remedium; Verständnis; Rücksicht

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To|le|ranz [tole'rants̮], die; -:
tolerante Gesinnung, tolerantes Verhalten:
Toleranz zeigen, üben.
Syn.: Entgegenkommen, Verständnis.

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To|le|rạnz 〈f. 20
I 〈unz.〉 Ggs Intoleranz
1. tolerantes Verhalten, Duldsamkeit
2. Respektierung der Meinungen, Wertvorstellungen, Verhaltensweisen anderer
● religiöse \Toleranz
II 〈zählb.〉 zulässige Abweichung von Maßen
[<lat. tolerantia „das Ertragen, Erdulden, Geduld, Duldsamkeit“]

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To|le|rạnz [lat. tolerare = ertragen, dulden], die; -, -en: in Biologie u. Medizin Bez. für die Widerstandsfähigkeit bzw. Indifferenz pflanzlicher oder tierischer Organismen gegenüber schädigenden äußeren Einwirkungen, z. B. Antigenen, Giften, Strahlung, Lärm etc., in der Technik Bez. für die gerade eben noch – z. B. durch Normen – zugelassene Differenz zwischen dem Istwert u. dem Soll- oder Nennwert einer messbaren Größe, z. B. Länge, Druck, elektr. Spannung.

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To|le|rạnz , die; -, -en:
1. <o. Pl.> [lat. tolerantia, zu: tolerare, tolerieren] (bildungsspr.) das ↑ Tolerantsein (1); Duldsamkeit:
keine, null T. an den Tag legen;
T. gegenüber jmdm./gegen jmdn. üben, zeigen.
2. (Med.) begrenzte Widerstandsfähigkeit des Organismus gegenüber [schädlichen] äußeren Einwirkungen (bes. gegenüber Giftstoffen od. Strahlen).
3. (bes. Technik) zulässige Differenz zwischen der angestrebten Norm u. den tatsächlichen Maßen, Größen, Mengen o. Ä.:
maximale, enge -en.

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Tolerạnz
 
die, -/-en,  
 1) ohne Plural, allgemein: Haltung, andere Anschauungen, Einstellungen, Sitten, Gewohnheiten u. Ä. zu akzeptieren; Duldsamkeit.
 
 2) Medizin: 1) Widerstandsfähigkeit oder Reaktionslosigkeit des Organismus gegenüber äußeren Einwirkungen (Reizen), z. B. gegen Antigene bei Immuntoleranz; 2) Wirkungsabnahme bei wiederholter Anwendung eines Arzneimittels.
 
 3) Messtechnik: die Differenz zwischen dem größten und dem kleinsten zulässigen Wert einer messbaren Größe (z. B. Länge, Druck, Kenngrößen von elektronischen Bauelementen, elektrische Spannung) bei einem vorgegebenen Sachverhalt. Die v. a. in der Fertigungstechnik wichtigen Toleranz für Längenmaße geben den Bereich an, in dem Abweichungen von Maß (Maßtoleranz: Unterschied zwischen den Grenzmaßen Größt- und Kleinstmaß), Form (Formtoleranz: Abweichung von der Idealform, z. B. von der Geradheit, Rundheit, Ebenheit), Lage (Lagetoleranz: Abweichung von der Ideallage, z. B. von Parallelität, Rechtwinkligkeit, Symmetrie, Rundlauf) und Oberflächenbeschaffenheit (z. B. Rauheit) zulässig sind.
 
Da es nicht möglich ist, ein Werkstück auf das gewünschte Nennmaß genau zu fertigen, wird je nach Herstellungsart und -kosten, Funktion und Austauschbarkeit ein bestimmter Bereich (die Toleranz) festgelegt, in dem das dann am Werkstück gemessene Istmaß liegen darf. Die Differenz zwischen dem Größtmaß und dem Nennmaß wird als oberes Abmaß, die Differenz zwischen Kleinstmaß und Nennmaß als unteres Abmaß bezeichnet (bei z. B. 10+0,1—0,2 ist 10 mm das Nennmaß, + 0,1 mm das obere und —0,2 mm das untere Abmaß). In der bildlichen Darstellung wird das Nennmaß durch die Nulllinie verkörpert, auf die sich alle anderen Maße beziehen. Die Toleranz wird als Toleranzfeld dargestellt. Dabei wird das Abmaß mit dem kleinsten Abstand zur Nulllinie als Grundabmaß bezeichnet. Bei Maßen ohne Toleranzangabe gelten nach DIN 7168 festgelegte Allgemeintoleranzen (Freimaßtoleranz).
 
Im Toleranzsystem der ISO wird die Lage der Toleranzfelder (das Grundabmaß) für Bohrungen durch große und für Wellen durch kleine Buchstaben angegeben. Die Größe der Toleranzfelder ergibt sich aus dem Toleranzgrad und dem Wert des Nennmaßes; sie wird mit einer Zahl angegeben. Die Internationalen Toleranzen (IT) sind in 20 Grundtoleranzgrade (IT 01, 0, 1 bis 18) eingeteilt, die für Nennmaße von 1 mm bis 3 150 mm gelten und nach Anwendungsgebieten und Fertigungsverfahren ausgewählt werden; für ein bestimmtes Nennmaß ist die Toleranz beim Toleranzgrad IT 01 am kleinsten. Die sich aus der Kombination von einem Buchstaben und einer Zahl ergebenden Toleranzklassen (z. B. H8) sind tabellarisch in Toleranzreihen festgelegt und erleichtern so z. B. die Auswahl der Toleranz für bestimmte Passungsarten (Passung).
 
 4) Münztechnik: Remedium.
 
 5) Sozialethik: die Bereitschaft, in Fragen der religiösen, politischen, weltanschaulichen und kulturellen Überzeugung andere Anschauungen, Einstellungen, Sitten und Gewohnheiten gelten zu lassen beziehungsweise anzuerkennen, im Gegensatz zu Fanatismus und Intoleranz. Abgeleitet von lateinisch tolerare (zu tolus »Last«) meint Toleranz das Ertragen einer physischen, psychischen oder geistigen Last. »Toleranz üben« heißt demnach, die Beanspruchung, die eine fremde Lebensform oder Weltanschauung für die eigene Überzeugung bedeutet, ertragen zu können.
 
Historisch zunächst auf den religiösen Bereich bezogen, wurde der Toleranzbegriff seit dem Humanismus auch auf politische und staatsrechtliche Zusammenhänge angewendet. Mit den Religionskriegen und der Aufklärung wurde Toleranz zu einem Postulat, dessen Verwirklichung zur politischen Gewährung der Freiheiten des Glaubens, Denkens, der Meinung, des Gewissens führte und darüber hinaus zu den Ermöglichungsgrundlagen freiheitlichen-demokratischen Zusammenlebens gehört. Heute erstreckt sich das Verständnis von Toleranz vom privaten (Akzeptanz individueller Lebensformen, z. B. hinsichtlich Kleidermoden, sexueller Neigungen) über den gesellschaftlichen (wechselseitige Toleranz von Einzelnen und Gruppen unterschiedlicher weltanschaulicher Überzeugung) und den religiösen (gleichwertige Koexistenz der Religionen) bis in den politischen Bereich. Im Rahmen freiheitlicher-demokratischer Ordnung ist Toleranz nicht nur im Sinne einer Duldung abweichender Auffassungen zu verstehen, etwa darin begründet, dass persönliche Einstellungen und das Gewissen äußerem Zugriff grundsätzlich entzogen sind; vielmehr ist sie in Verbindung mit den allgemeinen Menschenrechten Teil der Verantwortung des Staates geworden.
 
In der menschlichen Kommunikation ist Toleranz eine Vor- und Grundbedingung freier vernünftiger Auseinandersetzung zwischen konkurrierenden Wahrheits- und Geltungsansprüchen von Erkenntnissen und Normen. Die Unverzichtbarkeit von Toleranz wird vornehmlich damit begründet, dass kein Mensch im Vollbesitz der Wahrheit sei, Wahrheitsfindung sich vielmehr als ein historischer Prozess vollziehe; bei universalem Wahrheitsanspruch (z. B. einer Religion) ist Toleranz in der Achtung vor der abweichenden Überzeugung begründet.
 
 Zur Geschichte der Toleranzidee
 
Religionswissenschaftlich bezeichnet formale Toleranz eine Position, die den Glauben und die Religion anderer nur respektiert, solange die staatliche Einheit durch diese nicht gefährdet erscheint. So wurde mit dem Edikt von Mailand 313 eine Gleichstellung der christlichen Religion im Sinne einer der Einheit des Römischen Reiches nachgeordneten Duldungsbereitschaft gegenüber Fremdreligionen erreicht und damit zugleich eine formale Intoleranz, wie sie in den Christenverfolgungen ihren Ausdruck fand, beendet. Inhaltliche Toleranz kennzeichnet eine Position, die darüber hinaus der jeweils anderen Religion oder Konfession und deren religiöser Praxis eine positive Anerkennung gewährt (Beispiele hierfür sind die römische Religion mit ihrer Aufnahmebereitschaft fremder Götter in dem Maße, in dem das römische Imperium wuchs, in der Neuzeit die Schriften von Erasmus von Rotterdam, später die ökumenische Bewegung). Die Offenbarungsreligionen werden zum Teil wegen ihres absoluten Wahrheitsanspruches als »intolerant« und die mystischen Religionen (Buddhismus, Hinduismus, Sufismus) wegen ihrer Anerkennung der verschiedenartigen Religionen als gleichwertigen Wegen zum Göttlichen als »tolerant« bezeichnet.
 
Das Mittelalter fand, ausgehend von der Einheit von Kirche und Reich und dem Absolutheitsanspruch christlicher Heilswahrheit, nicht zu einer Begründung von Toleranz; während es für berechtigt galt, gegen Ketzer mit Gewalt vorzugehen, herrschte Nichtchristen gegenüber die Auffassung, niemand dürfe zum christlichen Glauben gezwungen werden. Neben Ketzerverfolgung, Inquisition und bedingungslose Unterwerfung fordernden Theologenprozessen stand die Auseinandersetzung mit griechischen, arabischen und jüdischen Philosophen. Ansätze zur Begründung der Toleranzidee finden sich im Humanismus (M. Ficino, Nikolaus von Kues, Erasmus von Rotterdam u. a.), jedoch konnte auch die Reformation, trotz einzelner Versuche (S. Franck, S. Castellio u. a.), ein allgemeines Toleranzprinzip nicht durchsetzen; intolerantes Verhalten fand sich auch auf protestantischer Seite. Das Verhältnis der konkurrierenden Konfessionen wurde zunächst nach Maßgabe territorialer Souveränität geregelt (Augsburger Religionsfriede 1555, Westfälischer Friede 1648). Die Glaubensspaltung und die Religionskriege wie auch die Begegnung mit fremden Kulturen bereiteten die Toleranzidee vor, wie sie in der Aufklärung (z. B. P. Bayle, G. E. Lessing, Voltaire) systematisch vertreten und verbreitet wurde. Dabei nahm z. B. J. Locke (»A letter concerning toleration«, 1689) einen Kernbestand religiöser und politischer Wahrheiten (natürliche Religion; Trennung von Staat und Kirche, Erhaltung des liberalen Staates) als Basis der allgemeinen Toleranzforderung an. Im 18. und 19. Jahrhundert fand die Toleranzidee, ausgehend von den angelsächsischen Ländern im Sinne eines Rechts auf allgemeine Religions-, Glaubens- und Kultfreiheit, in die Verfassungen der USA und der meisten europäischen Staaten Eingang. Mit der Erklärung der Menschenrechte in den USA (1776/91) und in der Französischen Revolution (1789) wurde Toleranz in Verbindung mit den Menschenrechten der Gewissens- und Religionsfreiheit als ein jedem Menschen zukommender Anspruch begründet.
 
 Toleranz in ethischer und politischer Bedeutung
 
In Staat und Gesellschaft hat die Toleranz (allgemein-rechtlich wie individuell-ethisch) eine doppelte Schutzfunktion: Sie schützt zum einen das allgemein geltende gesellschaftliche und politische Normen- und Wertesystem vor Infragestellung und Auflösung, wobei Wahrheitsansprüche, Werte und Traditionen Einzelner wie von Gruppen toleriert, d. h. hingenommen werden; zum anderen hat sie die Funktion, Andersdenkende und -lebende vor Repressionen, Diskriminierung, psychischen und physischen Angriffen zu schützen. Toleranz ermöglicht somit Humanität und schafft die Voraussetzung für ein friedliches Austragen von Konflikten. Gleichwohl kann mit Toleranz nicht das Prinzip der indifferenten, alles integrierenden »fortgeschrittenen Industriegemeinschaft« als Ideologie des Status quo gemeint sein (H. Marcuse). Vielmehr fordert gerade die ursprüngliche Heterogenität von Überzeugungen, Anschauungen, Traditionen miteinander lebender und kommunizierender Menschen dazu auf, diese wahrzunehmen, sie anzuerkennen, in den Dialog zu treten und dabei auch nach gemeinsamen Wertorientierungen als Basis der gemeinsamen Lebenspraxis zu fragen. Toleranz setzt, anknüpfend an die Aufklärung, auf der Seite des Staates die Trennung des Politischen von Religion und Weltanschauungsfragen sowie eine Bindung an die allgemeinen Menschenrechte und die Verfassung voraus. Seitens des Individuums ist im Verhältnis zu Staat und Gesellschaft eine Anerkennung und Wahrung der Prinzipien, Normen und Regeln des freiheitlichen Staates gefordert, selbst wenn, bezogen auf die Mehrheit, abweichende politische und weltanschauliche Grundsätze vertreten werden. Diese Rahmenbedingungen friedlichen Zusammenlebens setzen die Grenzen von Toleranz dort, wo Überzeugungen und Lebensformen mit Gewalt auf Einzelne, auf gesellschaftlichen Gruppen oder die politische Gemeinschaft einwirken (z. B. jede Form des Radikalismus, Rassismus). Eine pluralistische Gesellschaft ist ohne Toleranz nicht funktionsfähig.
 
Literatur:
 
Zur Gesch. der T. u. Religionsfreiheit, hg. v. H. Lutz (1977);
 A. T. Khoury: T. im Islam (1980);
 
Religiöse T. Dokumente zur Gesch. einer Forderung, hg. v. H. R. Guggisberg (1984);
 I. Fetscher: T. Von der Unentbehrlichkeit einer kleinen Tugend für die Demokratie (1990);
 K. Schreiner u. G. Besier: T., in: Geschichtl. Grundbegriffe, hg. v. O. Brunner u. a., Bd. 6 (1990, Nachdr. 1997);
 Annette Schmitt: T. - Tugend ohne Grenzen? (1993);
 
Christentum u. T., hg. v. I. Broer u. R. Schlüter (1996);
 
Kulturthema T. Zur Grundlegung einer interdisziplinären u. interkulturellen T.-Forschung, hg. v. A. Wierlacher (1996);
 M. Walzer: Über T. Von der Zivilisierung der Differenz (a. d. Amerikan., 1998).

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To|le|rạnz, die; -, -en [1: lat. tolerantia, zu: tolerare, ↑tolerieren]: 1. <o. Pl.> (bildungsspr.) das Tolerantsein (1); Duldsamkeit: T. gegen jmdn. üben; T. zu praktizieren ... ist bedeutend schwieriger, als T. zu predigen (Ziegler, Kein Recht 161); ein Klima der T. und Liberalität (profil 17, 1979,12). 2. (Med.) begrenzte Widerstandsfähigkeit des Organismus gegenüber [schädlichen] äußeren Einwirkungen (bes. gegenüber Giftstoffen od. Strahlen). 3. (bes. Technik) zulässige Differenz zwischen der angestrebten Norm u. den tatsächlichen Maßen, Größen, Mengen o. Ä.: maximale, enge -en; Die -en des Raumluftzustandes sollten möglichst groß sein (CCI 9, 1984, 46).

Universal-Lexikon. 2012.