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Grundrechte
Grundrechte,
 
der Einzelperson zustehende Freiheitsrechte, die in modernen Verfassungen meist verbürgt sind. Teilweise handelt es sich um Rechte, die als Menschenrechte jedem Einzelnen unabhängig von staatlicher Verleihung oder Anerkennung als im Kern unantastbare und unveräußerliche Rechte zustehen, teilweise sind Grundrechte Elementarrechte, deren Anerkennung und Ausgestaltung vom Willen des Verfassunggebers abhängen.
 
 Geschichte
 
Die Grundrechte haben ihren Ursprung im Naturrechtsgedanken der Antike, in den germanischen »Volksrechten« und in den Rechten der mittelalterlichen Stände gegenüber der staatlichen Obrigkeit. Die Idee der Grundrechte wurde weiter vertieft durch die Naturrechtslehre der Scholastik, durch die reformatorische Lehre von der Freiheit des christlichen Gewissens und v. a. durch die Naturrechtslehre des 17. und 18. Jahrhunderts, die aus dem Gedanken der Menschenwürde die Freiheit und Gleichheit aller Menschen herleitete. Als erste Verbriefung der Grundrechte gilt vielfach die englische »Magna Charta libertatum« (1215), die jedoch nicht die allgemeine Freiheit des Individuums proklamierte, sondern nur die Lehnsleute vor dem Missbrauch der königlichen Gewalt sicherte. Auch die englische »Petition of Right« (1628) bestätigte nur feudale Vorrechte. Individualrechte im modernen Sinn wurden dagegen in der cromwellschen Revolution im »Agreement of the People«, dem Verfassungs-Entwurf von 1647, verfochten und von J. Locke verfassungstheoretisch begründet; verfassungsrechtlich anerkannt wurden sie erstmals in England in der »Habeas-Corpus-Akte« (1679) und in der »Bill of Rights« (1689). In den USA wurden die Grundrechte bei der Lösung von England in verfassungsgesetzlichen Katalogen der Einzelstaaten (z. B. Erklärung der Rechte Virginias, 1776) und in den Zusatzartikeln (Amendments) zu der Unionsverfassung gewährleistet: »Federal Bill of Rights« von 1791 und spätere Zusätze, z. B. das 13. Amendment von 1865 (Abschaffung der Sklaverei). An die amerikanischen Vorbilder lehnte sich die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die »Déclaration des droits de l'homme et du citoyen« von 1789, an. Sie gilt als das klassische Dokument für die Grundrechte und als eine bedeutende Verkörperung der Ideen der Französischen Revolution.
 
Unter ihrem Eindruck setzte sich im 19. Jahrhundert die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Grundrechte allgemein durch. Fast alle deutsche Landesverfassungen des 19. Jahrhunderts enthielten Kataloge von Grundrechten (Bayern, Baden, Württemberg 1818/19, Kurhessen und Sachsen 1831, Preußen 1848/50), wobei diese Grundrechte vorwiegend als vom Staat beziehungsweise vom Monarchen gewährte und somit als grundsätzlich rücknehmbare Rechte verstanden wurden. Für den Gesetzgeber hatten sie Programmcharakter, dem Bürger garantierten sie insbesondere das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, da Grundrechtseingriffe einer gesetzlichen Grundlage bedurften. Die Frankfurter Nationalversammlung legte die Grundrechte der Deutschen durch das Reichsgesetz vom 27. 12. 1848 fest, das zwar nur kurze Zeit (bis 23. 8. 1851) galt, aber ein Vorbild für die spätere deutsche Rechtsentwicklung wurde. Die Reichsverfassung von 1871 verzichtete auf Grundrechte, u. a. weil diese nach dem föderativen Aufbau des Reiches zur Kompetenz der Länder gehörten. Einzelne besonders wichtige Grundrechte wurden durch Bundes- oder Reichsgesetze gesichert (Freizügigkeit 1867, Gewerbefreiheit 1869, Verbot rückwirkender Strafgesetze 1870, Pressefreiheit 1874, Vereins- und Versammlungsfreiheit 1908). Die Weimarer Reichsverfassung enthielt in ihrem 2. Hauptteil die »Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen«, die sich teils an die liberale Überlieferung von 1848 anlehnten, teils aber auch neue soziale Grundrechte zu schaffen suchten (z. B. soziale Bindungen des Eigentums, gemeinwirtschaftliche Einrichtungen). Neben die Freiheitsrechte des Individuums stellte sie Institutsgarantien (z. B. Unantastbarkeit des Eigentums als Rechtsinstitut) und institutionelle Garantien (z. B. Gewährleistung des Berufsbeamtentums, der kommunalen Selbstverwaltung).
 
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurden die Grundrechte z. T. ausdrücklich (durch die Notverordnung vom 28. 2. 1933 »zum Schutz von Volk und Staat«, dann durch das Ermächtigungsgesetz vom 24. 3. 1933), sonst faktisch außer Kraft gesetzt.
 
 Grundrechte in der Bundesrepublik Deutschland
 
In der Bundesrepublik Deutschland knüpft das Grundgesetz an die Tradition der Frankfurter Reichsverfassung von 1849 und der Weimarer Reichsverfassung von 1919 an. Es verbürgt die Grundrechte v. a. in seinen Art. 1-19. Im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung stellt es den Grundrechtskatalog an die Spitze seines Normengefüges, um programmatisch ihre Bedeutung für den Charakter dieser Verfassung zu unterstreichen. Im Einzelnen betrifft der Katalog die Menschenwürde (Art. 1), das allgemeine Persönlichkeitsrecht, besonders das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person (Art. 2), die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3), die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4), das Recht der freien Meinungsäußerung (Art. 5), die Garantie von Ehe und Familie einschließlich der Rechte nichtehelicher Kinder (Art. 6), das Schulwesen (Art. 7), die Versammlungsfreiheit (Art. 8), die Vereinigungsfreiheit (Art. 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10), die Freizügigkeit (Art. 11), die Berufsfreiheit (Art. 12), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13), das Eigentums- und das Erbrecht (Art. 14) mit der Möglichkeit partieller Sozialisierung (Art. 15), den Schutz vor Ausbürgerung und Auslieferung (Art. 16), das Asylrecht (Art. 16 a), das Petitionsrecht (Art. 17), die Wesensgehaltsgarantie bei Grundrechtseinschränkungen (Art. 19 Absatz 2). Grundrechtsähnliche Verbürgungen enthalten ferner Art. 20 Absatz 4 (Widerstandsrecht), Art. 33 (staatsbürgerliche Rechte, z. B. den gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern), Art. 38 Absatz 1 (Wahlrecht) sowie die Justizgewährleistungsrechte der Art. 101 Absatz 1, 103 Absatz 1, 104 (u. a. Verbot von Ausnahmegerichten, Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht). Auch die Verfassung der Länder enthalten Grundrechte, die gültig bleiben, soweit sie mit den Art. 1-18 GG übereinstimmen (Art. 142 GG).
 
Träger der Grundrechte können sowohl natürliche als auch juristische Personen sein, wobei zu differenzieren ist, dass bestimmte Grundrechte als Menschenrechte (z. B. die Menschenwürde) jedermann zustehen, während andere Grundrechte als »Bürgerrechte« im Allgemeinen nur Deutschen, im Kern jedoch auch Ausländern Schutz gewähren (z. B. die Versammlungsfreiheit). Für juristische Personen des Privatrechts bestimmt Art. 19 Absatz 3, dass sich inländische juristische Personen auf die Grundrechte berufen können, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich auf die Grundrechte grundsätzlich nicht berufen, da das Wesen der Grundrechte es verbietet, den Staat, der sie zu bewahren hat, gleichzeitig als ihren Nutznießer zu betrachten.
 
Ihrem Wesen und ihrer Funktion nach sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitsrechte des Einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; insoweit sind sie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat (»status negativus«). Gleichzeitig verbürgen sie aber auch das Recht der Grundrechtsträger auf freie Mitwirkung und Mitgestaltung im staatlichen Gemeinwesen (»status activus«). In Ergänzung hierzu bilden die Grundrechte ferner die Grundlage für den Anspruch auf Teilhabe an den vorhandenen staatlichen Leistungssystemen (»status positivus«), vom Bundesverfassungsgericht z. B. besonders hervorgehoben im Zusammenhang mit dem Recht der freien Wahl des Studienganges und dem »einklagbaren Anspruch des Staatsbürgers auf Schaffung von Studienplätzen« (»Numerus-clausus-Urteil«). Allerdings stehen diese Teilhaberechte unter dem »Vorbehalt des Möglichen«, dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann.
 
Neben ihren Verbürgungen für den Einzelnen verkörpern die Grundrechte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugleich eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt.
 
Adressat der Grundrechte, d. h. Pflichtiger, ist die Gesamtheit der öffentlichen Gewalt, also Gesetzgebung, Exekutive (Verwaltung) und Rechtsprechung in all ihren Zweigen. Allgemein bejaht wird die Grundrechtsbindung der öffentlichen Hand auch dort, wo sie sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben privatrechtlicher Formen bedient.
 
Ein besonderes Problem bildet die Drittwirkung der Grundrechte, also die Frage, inwieweit die Befehlswirkung der Grundrechte über den staatlichen Bereich hinaus auch das Verhältnis Privater zueinander erfasst. Nach herrschender Meinung wird eine solche Drittwirkung im Allgemeinen abgelehnt, u. a. weil sie die Privatautonomie einenge. Das GG selbst spricht die Drittwirkung nur vereinzelt, so in Art. 9 Absatz 3 (Koalitionsfreiheit), an. Das Bundesarbeitsgericht bejaht indessen für die arbeitsrechtliche Beziehungen die Drittwirkung der Grundrechte, besonders bei Art. 3 (Gleichheitssatz). Eine mittelbare Drittwirkung wird jedoch darüber hinaus wegen des Charakters der Grundrechte als Maßstab einer objektiven Wertordnung angenommen (»Ausstrahlungswirkung der Grundrechte«); sie beeinflusst also auch das Rechtsverhältnis Privater, z. B. bei der Auslegung weit gefasster Generalklauseln.
 
Grundrechte gelten in der Regel nicht schrankenlos. Die Verfassung selbst setzt dem Umfang einzelner Grundrechte Grenzen, indem sie sie mit Gesetzesvorbehalten versieht. Hierbei sind Begrenzungen »durch Gesetz« sowie »aufgrund eines Gesetzes« zu unterscheiden. Während im ersten Fall der Gesetzgeber die Beschränkungen selbst vornimmt, bestimmt er im anderen Fall den Rahmen, innerhalb dessen Exekutive oder Rechtsprechung in die Grundrechte eingreifen dürfen. Beide Arten geben dem Gesetzgeber aber keine uferlose Vollmacht zur Einschränkung der Grundrechte. Vielmehr sind die Beschränkungen stets »im Lichte der Bedeutung der Grundrechte« zu sehen, d. h., es muss der besondere Gehalt eines einschränkbaren Grundrechts stets gewahrt bleiben, sodass Grundrecht und einschränkendes Gesetz sich wechselseitig beeinflussen. - Begrenzungen erfolgen ferner durch Grundrechtskollisionen, d. h. dort, wo das GG mit Rücksicht auf kollidierende Grundrechte Dritter und die Einheit der Verfassung selbst Schranken errichtet (z. B. Art. 18). Auch vorbehaltlose Grundrechtsverbürgungen können, wenn ihre Ausübung mit Rechtswerten in Konflikt gerät, die im Verfassungsrang stehen, in gewissen Hinsichten begrenzt werden. Stets ist das Übermaßverbot zu beachten. Das GG trifft daneben in Art. 19 selbst Vorkehrungen zum Schutz der Grundrechte, wenngleich mit unterschiedlichem Gewicht. Art. 19 Absatz 1 verankert das Verbot von Einzelfallgesetzen, also das Verbot grundrechtsbeschränkender Individualgesetze. Art. 19 Absatz 1 Satz 2 verlangt, dass das grundrechtsbeschränkende Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Art. nennen muss. Dieses Zitiergebot soll v. a. den Gesetzgeber an die Tragweite seiner Entscheidungen erinnern. Bei aller Möglichkeit, in Grundrechte einzugreifen, muss der Kern der Grundrechte unangetastet bleiben (Wesensgehaltsgarantie). Diese Zielrichtung verfolgt Art. 19 Absatz 2, wobei umstritten ist, an welchem Maßstab der Wesensgehalt eines Grundrechts zu messen ist. Schließlich eröffnet Art. 19 Absatz 4 dem Einzelnen die Möglichkeit, den Schutz der Grundrechte auch effektiv durch Inanspruchnahme des Rechtsweges (z. B. durch Verfassungs-Beschwerde) durchzusetzen.
 
Grundrechtsschutz enthalten auch internationales Abkommen, die in Deutschland jedoch nur den Rang eines einfachen Gesetzes haben, also unterhalb des GG stehen. Dazu gehören die Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. 11. 1950, die Europäische Sozialcharta vom 18. 10. 1961, die UN-Rassenkonvention, der UN-Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte vom 19. 12. 1966 und der UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. 12. 1966.
 
Die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften enthalten keinen Grundrechtskatalog, jedoch regelt der EG-Vertrag einige spezifische auf die EG bezogene Grundrechte, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der EU zustehen beziehungsweise zum Teil auch Staatsangehörigen aus Drittländern zugute kommen: Verbot jeglicher Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 12 EG-Vertrag), Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 18), gleiches Entgelt für Männer und Frauen (Art. 141) u. a. 1977 bekannten sich das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission in einer gemeinsamen Erklärung zur Geltung der Grundrechte in der Gemeinschaftsrechtsordnung. Der Europäische Gerichtshof entwickelte auf der Grundlage allgemeiner, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamer Rechtsgrundsätze eine immer umfassendere Rechtsprechung zum Grundrechtsschutz in den EG. Danach gelten: Grundrechte, die den Verfassungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind beziehungsweise die in den von allen Mitgliedstaaten abgeschlossenen internationalen Verträgen enthalten sind, am gemeinschaftlichen Allgemeinwohl orientierte Grundrechtsschranken sowie die Wesensgehaltsgarantie bei der Beschränkung von Grundrechten. Auf Beschluss der Europäischen Räte in Köln (3./4. 6. 1999) und Tampere (15. /16. 10. 1999) wurden die auf Ebene der EU geltenden Grundrechte, die sich als allgemeine Rechtsgrundsätze aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und den gemeinsamen Verfassungs-Überlieferungen der Mitgliedsstaaten der EU ergeben, in der Europäischen Grundrechte-Charta zusammengefasst und am 7. 12. 2000 in Nizza verkündet. Die Charta wurde zunächst nicht in den EU-Vertrag aufgenommen; die Grundrechte haben keinen Verfassungsrang.
 
In der DDR wurden die in der Verfassung umfangreich enthaltenen Grundrechte (u. a. allgemeines Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsrecht, Recht auf Arbeit, Recht auf Bildung) nicht als Schutz gegen staatlichen Eingriff verstanden, sondern ihr Gebrauch sollte der Integration des Einzelnen in Staat und Gesellschaft dienen. Die Grundrechte wurden als Einheit von Recht und Pflicht begriffen. Einige Grundrechte fehlten völlig (z. B. Ausreise- und Auswanderungsfreiheit). Der Vorrang der gesellschaftlichen Interessen und einengende Gesetze und Verordnungen ermöglichten die Einschränkung von Grundrechten; die fehlende Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit machte es dem Einzelnen unmöglich, dagegen vorzugehen. Ab Mitte der 80er-Jahre erfolgten unter innerem und äußerem Druck Zugeständnisse, z. B. die Zulassung der gerichtlichen Überprüfung bestimmter Verwaltungsentscheidungen. Mit der politischen Wende im Herbst 1989 und besonders durch die im März 1990 neu gewählte Volkskammer begann eine grundsätzliche Veränderung der Verfassungs- und Rechtsordnung, die das Grundrechtsverständnis, die juristische Ausgestaltung und Gewährleistung der Grundrechte (Vereinigungsgesetz, Versammlungsgesetz usw.) und die vollständige Eröffnung des Rechtsweges bei Grundrechtsverletzungen einschloss. Auch bei der Konzipierung und Formulierung der Landesverfassung in den wieder errichteten Ländern des Beitrittsgebietes spielte die Grundrechtsproblematik eine herausragende Rolle. Im vom GG vorgegebenen Rahmen reicht die Breite der Grundrechtskataloge in den Landesverfassungen von einer nahezu ausschließlichen Bezugnahme auf das GG (z. B. Mecklenburg-Vorpommern) bis zur Aufnahme neuer Grundrechte (z. B. Brandenburg).
 
 Österreich, Schweiz
 
Österreich
 
kennt keine einheitliche Kodifikation der Grundrechte. Im Bundesverfassungsgesetz (B-VG) sind der Gleichheitssatz (Art. 7) und das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 83 Absatz 2) verankert. Im Übrigen wurde durch Art. 149 B-VG das Staatsgrundgesetz vom 21. 12. 1867 als Bundesverfassungsgesetz übergeleitet; dieser Grundrechtskatalog der Monarchie enthält die klassischen liberalen Grundrechte. 1964 wurde die Europäische Menschenrechtskonvention als österreichisches Verfassungsrecht in Geltung gesetzt. Vereinzelt finden sich Grundrechte auch in Sondergesetzen (z. B. betreffend Datenschutz, Auslieferungsverbot, Zivildienst). Den Ländern ist nach herrschender Ansicht die Statuierung von Grundrechten im eigentlichen Sinn verwehrt.
 
Die Auslegung der den einzelnen Grundrechten beigefügten Gesetzesvorbehalte muss dementsprechend differenzierend erfolgen, und Fragen der Drittwirkung werden in Anbetracht dieses Grundrechtsbestandes zurückhaltend behandelt. Die Grundrechte sind von allen Staatsgewalten zu beachten, eine unmittelbare Grundrechtsbeschwerde ist nur gegen letztinstanzliche Verwaltungsakte vor dem Verfassungsgerichtshof in Wien vorgesehen.
 
In der Schweiz sind die Grundrechte im zweiten Titel der Bundesverfassung (BV) vom 18. 4. 1999 sowie in den Kantonsverfassungen enthalten. Grundrechte der BV sind: Rechtsgleichheit (Art. 8), Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15), Medienfreiheit (Art. 17), Vereinsfreiheit (Art. 23), Niederlassungsfreiheit (für schweizerische Staatsangehörige, Art. 24), Eigentumsgarantie (Art. 26), Wirtschaftsfreiheit (Art. 27) sowie verschiedene Verfahrensgrundsätze (u. a. Willkürverbot, Art. 9, rechtliches Gehör, Art. 29). In einzelnen Kantonsverfassungen verankert sind »soziale Grundrechte« (Recht auf Arbeit, Wohnung). Die BV enthält dagegen Sozialziele, aus denen jedoch keine unmittelbaren Ansprüche auf staatliche Leistungen abgeleitet werden können (z. B. soziale Sicherheit, angemessene Wohnung, Art. 41). Die seit 1960 durch das Bundesgericht anerkannten ungeschriebenen Grundrechte der BV wurden in die neue BV übernommen, wie persönliche Freiheit (Art. 10), Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 16), Sprachen- (Art. 18), Versammlungsfreiheit (Art. 22). Das Bundesgericht nimmt schließlich - was die Anwendbarkeit betrifft - für die in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerten Rechte prinzipielle Gleichrangigkeit von BV und EMRK an. - Gemäß Art. 36 BV bedarf der Eingriff in Grundrechte gesetzlicher Grundlage und eines überwiegenden öffentlichen Interesses, ferner muss der Eingriff verhältnismäßig sein und den Kerngehalt des Grundrechts wahren. Das Bundesgericht anerkennt beim Vorliegen bestimmter Umstände eine »indirekte Drittwirkung« der Grundrechte. Teilweise sieht die BV selbst eine direkte Drittwirkung vor, so z. B. im Rahmen des Geschlechtergleichbehandlungsgebotes von Art. 8 Absatz 3 Bundesverfassung.
 
Literatur:
 
G. Oestreich: Gesch. der Menschenrechte u. Grundfreiheiten im Umriß (21978);
 
G. u. soziale Wirklichkeit, hg. v. W. Hassemer u. a. (1982);
 
Gemeinwohl u. individuelle Freiheitsrechte, bearb. v. G. Ermisch u. a. (1984);
 
Die Entwicklung der Menschen- u. Bürgerrechte von 1776 bis zur Gegenwart, hg. v. G. Commichau (51985);
 W. Höfling: Offene Grundrechtsinterpretation. Grundrechtsauslegung zw. amtl. Interpretationsmonopol u. privater Konkretisierungskompetenz (1987);
 
Persönlichkeit, Familie, Eigentum. G. aus der Sicht der Sozial- u. Verhaltenswiss.en, hg. v. E.-J. Lampe (1987);
 G. Scholz: Grundgesetz, Bd. 1: Grundlagen. Die G. (61990);
 
Die Schweiz u. die UNO-Menschenrechtspakte, bearb. v. W. Kälin u. a. (Basel u. a. 1991);
 
Grundgesetz-Kommentar, begr. v. I. von Münch, hg. v. P. Kunig, Bd. 1 (41992);
 H.-W. Rengeling: Grundrechtsschutz in der Europ. Gemeinschaft (1992);
 J. Dietlein: Die G. in den Verfassungen der neuen Bundesländer (1993);
 
Hb. des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Dtl., hg. v. E. Benda u. a. (21994);
 B. Pieroth u. B. Schlink: G. (101994);
 W. Berka: Die G. Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich (Wien, New York 1999);
 Jörg P. Müller: Die G. der schweizer. Bundesverfassung (Bern 31999);
 
Die europ. Charta der G., hg. v. Vertretung der Europ. Kommission in der Bundesrep. Dtl. (1999).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Menschenrechte: Von kollektiven und individuellen Rechten
 

Universal-Lexikon. 2012.