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Schmidt
Schmịdt,
 
1) Alfred, Philosoph und Soziologe, * Berlin 19. 5. 1931; seit 1972 Professor in Frankfurt am Main; Schmidt gehört der Frankfurter Schule der kritischen Theorie an (Mitherausgeber der Gesammelten Schriften M. Horkheimers, Übersetzer von Werken H. Marcuses) und beschäftigt sich v. a. mit dem Fortwirken der Aufklärung und mit marxistischer Philosophie.
 
Werke: Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx (1962); Drei Studien über Materialismus. Schopenhauer, Horkheimer, Glücksproblem (1977); Kritische Theorie, Humanismus, Aufklärung (1981); Goethes herrlich leuchtende Natur (1984); Idee und Weltwille. Schopenhauer als Kritiker Hegels (1988).
 
Literatur:
 
Idee, Natur u. Gesch. A. S. zum sechzigsten Geburtstag, hg. v. K.-J. Grün u. a. (1991).
 
 2) Annie Maria Geertruida, niederländische Schriftstellerin, * Kapelle (Provinz Seeland) 20. 5. 1911, ✝ Amsterdam 21. 5. 1995; Verfasserin von erfolgreichen Kinder- und Jugendbüchern (»Otje«, 1980, deutsch »Otje und ihr Papa Toss«; »Heksen en zo. Sprookjes«, 1964, deutsch »Von Hexen, Riesen und so weiter«), Kabarett- und Musicaltexten. Zu großer Popularität gelangte sie auch als Autorin mehrerer Fernsehserien.
 
 3) Arno Otto, Schriftsteller, * Hamburg 18. 1. 1914, ✝ Celle 3. 6. 1979; ab 1947 freier Schriftsteller, lebte seit 1958 in Bargfeld (heute zu Eldingen, Landkreis Celle). Schmidt lässt sich, von expressionistischen Stilelementen der frühen Prosa abgesehen, keiner zeitgenössischen Literaturrichtung zuordnen. Sein durch assoziationsreiche Sprache und eigenwillige Orthographie gekennzeichnetes Werk war zunächst erzählerischer Art (»Leviathan«, 1949); es bildete sich bald ein eigenes Kompositionsprinzip aus: Schmidt wollte eine konforme Abbildung der diskontinuierlichen Wirklichkeit geben und glaubte, dies nur in der Abbildung von Bewusstseinsprozessen leisten zu können, die er in Textkürzeln, so genannten »Fotos«, zu Erzählungen zusammenfügte. Dabei zeichnen die Texte, die zunehmend ihren Autor als wenig kommunikationsfreudigen Sonderling erkennen lassen, autobiographische Erfahrungen nach (»Die Umsiedler«, 1953) oder demonstrieren radikale Aggressivität (»Seelandschaft mit Pocahontas«, in: »Rosen & Porree«, 1959). Neben den zeitgenössischen Nachkriegsverhältnissen (»Brand's Haide«, 1951, mit den Erzählungen »Schwarze Spiegel«, 1951, und »Aus dem Leben eines Fauns«, 1953, zusammengefasst zur Trilogie »Nobodaddy's Kinder«, 1963; »Das steinerne Herz«, 1956) erscheinen in den fiktiven Werken Schmidts Entwürfe alptraumhafter Utopien (»Die Gelehrtenrepublik«, 1957). Auch richtete er sein Interesse auf andere Autoren: in Form der wissenschaftlichen Biographie (»Fouqué und einige seiner Zeitgenossen«, 1958), in eigenwilligen Übersetzungen aus dem Englischen (u. a. J. F. Cooper, W. Faulkner, E. A. Poe, W. Collins, E. G. Bulwer-Lytton) und in einer Gruppe von (überwiegend zunächst für den Rundfunk geschriebenen) Essays, in denen er aus subjektiver Sicht das Verhältnis einzelner Autoren zu ihrer Zeit und ihrem Werk untersucht (Sammlungen »Dya na sore«, 1958; »Belphegor«, 1961; »Die Ritter vom Geist«, 1965). In »Kaff auch Mare crisium« (1960) erweiterte Schmidt die frühere »Foto«-Technik zum zweisträngigen Erzählen, das auch drucktechnisch wiedergegeben ist. Das dreisträngig erzählte Hauptwerk Schmidts, der Roman »Zettels Traum« (1970), vermischt schließlich alle Stilebenen, Techniken und Themen im Nebeneinander einer Analyse E. A. Poes, eines Tagesablaufs und kritischer Randnotizen, die ineinander übergreifen, sich gegenseitig bedingen und infrage stellen. Diese komplizierte Struktur ist in dem als Typoskript veröffentlichten Werk auch äußerlich (drei Spalten) sichtbar. Schmidts Interesse an tiefenpsychologischer Fragestellung (»Sitara und der Weg dorthin. Eine Studie über Wesen, Werk & Wirken Karl May's«, 1963) konkretisierte sich zunehmend in einer auf S. Freud und J. Joyce fußenden Theorie über den akustischen Ausdruck (»Etym«) des unbewussten Trieblebens.
 
Öffentliche Anerkennung erfuhr Schmidt erst seit den 1960er-Jahren; das extrem subjektive Werk wird in der Gegenwart von seinen Anhängern kultisch verehrt; die Arno-Schmidt-Stiftung in Bargfeld (gegründet 1981, u. a. von J. P. Reemtsma) betreut den Nachlass. Ein unmittelbarer Einfluss ist bei H. Wollschläger sichtbar, der auch zusammen mit Schmidt an der Übersetzung E. A. Poes arbeitete.
 
Weitere Werke: Kühe in Halbtrauer (1964); Trommler beim Zaren (1966); Der Triton mit dem Sonnenschirm (1969); Die Schule der Atheisten. Novellen-Comödie. .. (1972); Abend mit Goldrand. Eine Märchen-Posse (1975); Julia, oder die Gemälde. Scenen aus dem Novecento (herausgegeben 1983); Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation (herausgegeben 1984).
 
Ausgaben: Vom Grinsen des Weisen. Ausgewählte Funkessays, herausgegeben von B. Leister (1982); Briefe, herausgegeben von B. Rauschenbach, auf mehrere Bände berechnet (1985 folgende); Wundertüte. Eine Sammlung fiktiver Briefe. .., herausgegeben von demselben (1989); Das erzählerische Werk, 8 Bände und Beiheft (1985); Bargfelder Ausgabe, auf mehrere Bände berechnet (1986 folgende); Das essayistische Werk zur deutschen Literatur in 4 Bänden (1988).
 
Literatur:
 
Über A. S., hg. v. H.-M. Bock, 2 Bde. (Zürich 1984-87);
 
Zettelkasten. Aufsätze u. Arbeiten zum Werk A. S.s (1984 ff.);
 
A. S., das Frühwerk, hg. v. M. M. Schardt, 3 Bde. (1987-89);
 
A. S. Leben - Werk - Wirkung, hg. v. M. M. Schardt,: u. a. (1990);
 W. Martynkewicz: Selbstinszenierung. Unters. zum psychosozialen Habitus A. S.s (1991);
 W. Martynkewicz: A. S. (5.-12. Tsd. 1992);
 G. Strick: An den Grenzen der Sprache. Poetik, poet. Praxis u. Psychoanalyse in »Zettel's Traum«. A. S.s Freud-Rezeption (1993);
 J. Klein: A. S. als polit. Schriftsteller (1995);
 R. Weninger: A.-S.-Bibliogr. (1995);
 
»Wu hi?« A. S. in Görlitz, Lauban, Greiffenberg, hg. v. J. P. Reemtsma u. B. Rauschenbach (Neuausg. 1995);
 G. Graf: Über den Briefwechsel zw. A. S. u. Hans Wollschläger (1997);
 W. Albrecht: A. S. (1998).
 
Periodikum: Bargfelder Bote, hg. v. J. Drews (1972 ff.).
 
 4) Auguste, Frauenrechtlerin, * Breslau 3. 8. 1833, ✝ Leipzig 10. 6. 1902; gründete mit Luise Otto-Peters 1865 den »Allgemeinen Deutschen Frauenverein« und 1890 mit Helene Lange und Marie Luise Loeper-Housselle (* 1837, ✝ 1916) den »Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein«; seit 1894 war sie Vorsitzende des von ihr mitgegründeten »Bundes Deutsche Frauenvereine«. Ihre Arbeit galt v. a. der Mädchenbildung und der Gleichberechtigung der Frau.
 
 5) Bernhard Voldemar, Optiker, * Nargen (Estland) 30. 3. 1897, ✝ Hamburg 1. 12. 1935; erfand um 1931 als Mitarbeiter der Hamburger Sternwarte in Bergedorf das Schmidt-Spiegelteleskop.
 
 6) Eberhard, Strafrechtslehrer, * Jüterbog 16. 3. 1891, ✝ Heidelberg 17. 6. 1977; Professor u. a. in Breslau, Kiel, Göttingen, seit 1948 in Heidelberg; befürwortete wie sein Lehrer F. von Liszt eine zugleich rechtsstaatliche und spezialpräventive Kriminalpolitik.
 
Werke: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege (1947); Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, 3 Teile (1952-60); Deutsches Strafprozeßrecht (1967); Strafprozeß und Rechtsstaat (1970).
 
 7) Eduard, Schriftsteller, Claudius, Eduard.
 
 8) Erhard Oswald Johann, Mathematiker, * Dorpat (heute Tartu) 13. 1. 1876, ✝ Berlin 6. 12. 1959; Professor in Zürich, Erlangen, Breslau und Berlin. Schmidt leistete wichtige Beiträge zur Theorie der Integralgleichungen und der Hilbert-Räume, zur Differenzialgeometrie (Erweiterung der isoperimetrischen Ungleichung auf höhere Dimensionen) und zur Theorie der partiellen Differenzialgleichungen. Bekannt geblieben ist das schmidtsche Orthonormierungsverfahren.
 
 9) Erich, Literaturhistoriker, * Jena 20. 6. 1853, ✝ Berlin 30. 4. 1913; war ab 1877 Professor in Straßburg, ab 1880 in Wien, 1885 Direktor des Goethearchivs in Weimar, 1887 Professor in Berlin. Schmidt war ein Schüler W. Scherers und wandte dessen positivistische Methode v. a. auf Dichter, Werke und Probleme der deutschen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts (mit Schwerpunkten auf Goethe und G. E. Lessing) an. Erwarb sich große Verdienste um die goetheschen Werkausgaben; als sein Hauptwerk gilt die Biographie »Lessing. Geschichte seines Lebens und seiner Schriften« (3 Teile, 1884-92).
 
Weiteres Werk: Charakteristiken, 2 Bände (1886-1901).
 
Ausgabe: Wilhelm Scherer und E. Schmidt: Briefwechsel, herausgegeben von W. Richter u. a. (1963).
 
 10) Franz, österreichischer Komponist, * Preßburg 22. 12. 1874, ✝ Perchtoldsdorf 11. 2. 1939; war in Wien Schüler von Ferdinand Hellmesberger (* 1863, ✝ 1940), R. Fuchs und kurze Zeit von A. Bruckner, 1896-1911 Violoncellist des Hoforchesters in Wien, ab 1901 Lehrer für Violoncello am Konservatorium, ab 1914 Professor für Klavier, ab 1922 für Komposition an der Wiener Musikakademie, 1925-27 deren Leiter, 1927-31 Leiter der Musikhochschule. Schmidt schrieb die Opern »Notre Dame« (1914), »Fredigundis« (1922), das Oratorium »Das Buch mit sieben Siegeln« (1938), vier Sinfonien, zwei Klavierkonzerte, Orgelwerke, Kammer- und Klaviermusik. Seine Kompositionen knüpfen stilistisch an die sinfonische Tradition des 19. Jahrhunderts an (Bruckner, J. Brahms, F. Liszt), v. a. in der Einbindung dichter, motivischer Variationstechnik in die zyklische Großform, zeigen sich aber auch von zeitgenössischen Strömungen beeinflusst.
 
Literatur:
 
A. Liess: F. S. (Graz 1951);
 C. Nemeth: F. S. (Leipzig 1957);
 N. Tschulik: F. S. (Wien 1972);
 
Studien zu F. S., hg. v. O. Brusatti u. a., auf zahlr. Bde. ber. (ebd. 1976 ff.);
 C. Ottner: Quellen zu F. S. (ebd. 1985).
 
 11) Friedrich Freiherr von (seit 1889), Architekt, * Frickenhofen (heute zu Gschwend, Ostalbkreis) 22. 10. 1825, ✝ Wien 23. 1. 1891; war 1843-57 Mitglied der Kölner Dombauhütte. Er lehrte in Mailand (1857-59) und Wien (ab 1860 Professor an der Akademie), wo er 1863 Dombaumeister wurde. Von der Kölner Neugotik ausgehend, die v. a. seine Kirchenbauten prägte, gelangte Schmidt zu einem Gotik- und Renaissanceformen verschmelzenden Repräsentationsstil. Sein Hauptwerk ist das Neue Rathaus in Wien (1872-83).
 
 12) Friedrich Karl, Mathematiker, * Düsseldorf 22. 9. 1901, ✝ Heidelberg 25. 1. 1977; Professor in Jena (ab 1934), 1941-45 Mitarbeiter der Versuchsanstalt für Segelflug, 1952 Professor in Heidelberg; leistete wichtige Beiträge zur Theorie der algebraischen Funktionen und zur Algebra, insbesondere zur Bewertungstheorie und zur Theorie der Körpererweiterungen.
 
 13) Friedrich Wilhelm August, genannt Schmidt von Wẹrneuchen, Schriftsteller, * Fahrland (bei Potsdam) 23. 3. 1764, ✝ Werneuchen (bei Berlin) 26. 4. 1838; war ab 1795 Pfarrer in Werneuchen; Verfasser von Idyllen, die das einfache ländliche Leben und das Eheglück loben, von Goethe in »Musen und Grazien in der Mark« (1796) parodiert.
 
Ausgabe: Einfalt und Natur. Gedichte, herausgegeben von G. de Bruyn (1981).
 
 14) Fritz, Betriebswirtschaftler, * Wahrenbrück (bei Bad Liebenwerda) 13. 3. 1882, ✝ Oberursel (Taunus) 1. 2. 1950; ab 1914 Professor in Frankfurt am Main. Schmidt untersuchte neben Börsenwesen und Zahlungsverkehr besonders die Zusammenhänge zwischen Unternehmen und Konjunktur sowie den Einfluss der Inflation auf das betriebliche Rechnungswesen. Auf Schmidt geht u. a. die organische Bilanztheorie (Bilanz) zur substanziellen Kapitalerhaltung von Unternehmen zurück.
 
Werke: Die organische Bilanz im Rahmen der Wirtschaft (1921, 31929 unter dem Titel Die organische Tageswertbilanz); Der Wiederbeschaffungspreis des Umsatztages in Kalkulation und Volkswirtschaft (1923, 21930 unter dem Titel Kalkulation und Preispolitik); Die Industriekonjunktur - Ein Rechenfehler (1927, 41933 unter dem Titel Betriebswirtschaftliche Konjunkturlehre).
 
 15) Georg, schweizerischer Kunsthistoriker, * Basel 17. 3. 1896, ✝ ebenda 26. 5. 1965; war 1939-61 Direktor der Öffentlichen Kunstsammlung in Basel, ab 1958 Professor an der Akademie der Bildenden Künste in München.
 
Werke: Kleine Geschichte der modernen Malerei von Daumier bis Chagall (1955); Die Malerei in Deutschland, 2 Bände (1959-60).
 
 16) Georg Friedrich, Kupferstecher und Radierer, * Schönerlinde (bei Berlin) 24. 1. 1712, ✝ Berlin 25. 1. 1775; war in Paris, Berlin (Hofkupferstecher) und 1757-62 in Sankt Petersburg tätig. In klarer Strichführung stach Schmidt v. a. Porträts; ferner schuf er Reproduktionsstiche (u. a. Radierungen nach Gemälden von Rembrandt) und Illustrationen zu Werken Friedrichs des Grossen.
 
 17) Guido, österreichischer Politiker und Diplomat, * Bludenz 15. 1. 1901, ✝ Wien 5. 12. 1957; enger Mitarbeiter des Bundeskanzlers K. von Schuschnigg, maßgeblich am deutschen-österreichischen Abkommen vom 11. 7. 1936 beteiligt, 1936-38 Staatssekretär des Äußeren, 1938 (Februar-März) Außenminister. 1947 wurde Schmidt in einem Hochverratsprozess mangels Beweisen freigesprochen.
 
Literatur:
 
Der Hochverratsprozeß gegen Dr. G. S. vor dem Wiener Volksgericht (Wien 1947).
 
 18) Hans, schweizerischer Architekt, Stadtplaner, Architekturtheoretiker und Grafiker, * Basel 10. 12. 1893, ✝ im Bergell 18. 6. 1972; trat zunächst mit grafischen Arbeiten hervor (handkolorierte Holzschnittfolge »Die Irrfahrten des Odysseus«, 1911; Basel, Kunstmuseum). Nach dem Studium der Architektur war er 1920-24 in den Niederlanden (Einfluss von J. J. P. Oud) und als Kompagnon von P. Artaria (1925-30, Mitarbeit an der Werkbundsiedlung Neubühl bei Zürich, 1929-30) in Basel tätig. 1928 gehörte er zu den Begründern des CIAM. 1930-37 war er Berater des Volkskommissariats für Schwerindustrie in Moskau, nach seiner Übersiedlung in die DDR (1955) bis 1958 Hauptarchitekt des Instituts für Typung, dann Mitarbeiter der Deutschen Bauakademie in Berlin. Als sozial engagierter Pionier des Wohnungs- und Städtebaus befasste er sich v. a. mit den Möglichkeiten der Standardisierung und Massenfertigung. Er veröffentlichte u. a. »Gestaltung und Umgestaltung der Stadt« (1970, mit R. Linke und G. Wessel).
 
 19) Helmut, Politiker, * Hamburg 23. 12. 1918; Diplomvolkswirt; 1953-62 und 1965-87 Mitglied des Bundestags (SPD), entwickelte sich zunächst unter F. Erler zum militärpolitischen Sprecher seiner Fraktion im Bundestag. Im Rahmen der Anti-Atomtod-Kampagne der SPD in den 1950er-Jahren wandte er sich entschieden gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr. 1961-65 war er Innensenator in Hamburg, während der großen Koalition (1966-69) Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, 1968-83 stellvertretender Vorsitzender der SPD. Nach Bildung der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler W. Brandt führte Schmidt als Bundesverteidigungsminister (1969-72) Reformen in der Bundeswehr durch. Die Entspannungspolitik betrachtete er als integralen Bestandteil der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik. Nach dem Rücktritt K. Schillers war er von Juli bis Dezember 1972 dessen Nachfolger als Bundeswirtschafts- und Bundesfinanzminister, von Dezember 1972 bis Mai 1974 Bundesfinanzminister. Nach dem Rücktritt Brandts als Bundeskanzler (7. 5. 1974 wählte der Bundestag Schmidt am 16. 5. 1974 zu dessen Nachfolger und bestätigte ihn nach den Bundestagswahlen von 1976 und 1980 im Amt. Er setzte die Zusammenarbeit von SPD und FDP fort. Die Politik der Regierung Schmidt war innenpolitisch von den Herausforderungen einer Wirtschaftsrezession geprägt: Bewältigung der Arbeitslosigkeit, Förderung des wirtschaftlichen Wachstums, Erhaltung der Geldwertstabilität, Sanierung des Rentensystems und Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Mit Programmen und Initiativen auf diesen Gebieten suchte er zugleich gesellschaftspolitische Impulse zu geben. Besonders als Wirtschafts- und Finanzpolitiker gewann er großes Ansehen im In- und Ausland. Seine Regierung weitete 1976 den Bereich der Unternehmensmitbestimmung aus. Angesichts steigender Erdölpreise in den 70er-Jahren, der Hauptursache der Rezession, setzte sich Schmidt für den begrenzten Ausbau der Kernenergie zu friedlichen Zwecken ein. Die größte innenpolitische Herausforderung in seiner Amtszeit war der RAF-Terrorismus (Höhepunkt: »deutscher Herbst« 1977), den er entschlossen im Rahmen rechtsstaatlicher Normen bekämpfte; er sah sich dabei jedoch mit rechtspolitischen Bedenken konfrontiert.
 
In der Außenpolitik setzte Schmidt die Politik Brandts fort, besonders in den Bemühungen um Entspannung im Ost-West-Konflikt, u. a. auf der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE; 1973-75) und ihren Folgekonferenzen; zugleich verfolgte er die von Brandt begonnene Vertragspolitik gegenüber der UdSSR, Polen und der DDR weiter (u. a. offizielles Treffen mit E. Honecker in Schloss Hubertusstock am Werbellinsee, 11.-13. 12. 1981). Angesichts der von der UdSSR betriebenen Politik der Hochrüstung setzte der von Schmidt maßgeblich mitformulierte NATO-Doppelbeschluss (1979) neue Akzente in der internationalen Entspannungs- und Abrüstungsdiskussion. Auf Gipfelkonferenzen der führenden marktwirtschaftlich strukturierten Staaten engagierte sich Schmidt bei den Bemühungen, die wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme auf europäischer Ebene oder (v. a. bei der Lösung des Nord-Süd-Konfliktes) im weltweiten Maßstab zu lösen. Mit dem französischen Staatspräsidenten V. Giscard d'Estaing initiierte er das Europäische Währungssystem.
 
Wachsende Spannungen zwischen SPD und FDP über wirtschafts- und sozialpolitische Fragen führten am 17. 9. 1982 zum Bruch der sozialliberalen Koalition; Schmidt übernahm zusätzlich das Amt des Außenministers. Am 1. 10. 1982 wurde Schmidt als (bisher einziger) Bundeskanzler im Rahmen eines konstruktiven Misstrauensvotums vom Deutschen Bundestag abgelöst und der CDU-Vorsitzende H. Kohl zu seinem Nachfolger gewählt. - Seit 1983 ist Schmidt Mitherausgeber der Wochenzeitung »Die Zeit«.
 
Schriften: Strategie des Gleichgewichts (1969); Bundestagsreden (1971); Der Kurs heißt Frieden (1979); Weltwirtschaft ist unser Schicksal (1983); Menschen und Mächte (1987); Die Deutschen und ihre Nachbarn (1990); Handeln für Deutschland (1993); Globalisierung (1998).
 
Literatur:
 
J. Carr: H. S. (a. d. Engl., Neuausg. 1987);
 
Gesch. der Bundesrep. Dtl., hg. v. K. D. Bracher u. a., Bd. 5: Rep. im Wandel, Tl. 2: Die Ära S. (1987);
 M. Graf von Nayhauss: H. S. Mensch u. Macher (Neuausg. 1990).
 
 20) Isaak Jakob, niederländisch-russischer Sprachwissenschaftler, * Amsterdam 14. 10. 1779, ✝ Sankt Petersburg 8. 9. 1847; einer der Begründer der mongolischen und tibetanischen Sprachwissenschaft, v. a. durch lexikographische und grammatische Arbeiten sowie durch Übersetzungen.
 
Werke: Geschichte der Ost-Mongolen (1829); Grammatik der mongolischen Sprache (1831); Mongolisch-deutsch-russisches Wörterbuch (1835); Grammatik der tibetanischen Sprache (1839); Die Thaten Bogda Gesser Chan's (1839).
 
 21) Johannes, Indogermanist, * Prenzlau 29. 7. 1843, ✝ Berlin 4. 7. 1901; wurde 1873 Professor in Graz, 1876 in Berlin und begründete mit seinem Werk »Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogermanischen Sprachen« (1872) die Wellentheorie von der allmählichen räumlichen Verbreitung sprachlicher Neuerungen.
 
Weitere Werke: Zur Geschichte des indogermanischen Vocalismus, 2 Bände (1871-75); Die Pluralbildungen der indogermanischen Sprachen (1872); Die Pluralbildungen der indogermanischen Neutra (1889); Kritik der Sonantentheorie (1895).
 
 22) Joseph, rumänischer Sänger (lyrischer Tenor), * Davidende (Bukowina) 4. 3. 1904, ✝ Hinwil (Schweiz) 16. 11. 1942; debütierte 1928 beim Berliner Rundfunk; seine kleine Statur verhinderte jedoch eine Bühnenlaufbahn. Er wurde als Konzertsänger sowie durch Rundfunk, Schallplatte und Tonfilm bekannt (populär wurden u. a. die Titel »Ein Lied geht um die Welt«, 1933; »Ein Stern fällt vom Himmel«, 1935). Nach 1933 emigrierte er u. a. über Palästina, die USA und Belgien in die Schweiz.
 
 23) Julius, Astronom, * Eutin 26. 10. 1825, ✝ Athen 7. 2. 1884; Direktor der Sternwarte in Athen; beobachtete die veränderlichen Sterne. Seine Mondkarte gibt den Mond als Scheibe von 2 m Durchmesser wieder.
 
 24) Karl Horst, Sprachwissenschaftler, * Dessau 31. 5. 1929; ab 1964 Professor in Münster, ab 1966 in Bochum, ab 1974 in Bonn. Hauptarbeitsgebiete sind keltische, indogermanische und kaukasische Sprachgeschichte und Typologie.
 
Werke: Die Komposition in gallischen Personennamen (1957); Studien zur Rekonstruktion des Lautstandes der südkaukasischen Grundsprache (1962).
 
Herausgeber: Zeitschrift für celtische Philologie, Jahrgang 29 ff. (1970 ff.); Indogermanisch und Keltisch (1977); Geschichte und Kultur der Kelten (1986).
 
 25) Karl Ludwig, evangelischer Theologe, * Frankfurt am Main 5. 2. 1891, ✝ Basel 10. 1. 1956; war ab 1921 Professor für Neues Testament in Gießen, ab 1925 in Jena, ab 1929 in Bonn (1933 aus politischen Gründen entlassen), 1935-53 in Basel und daneben auch Herausgeber der »Theologischen Blätter« (1922-37) und Hauptredaktor der »Theologischen Zeitschrift« (1945-52). Mit seinem wissenschaftlichen Werk wurde er einer der Mitbegründer der formgeschichtlichen Methode (Formgeschichte).
 
Werke: Der Rahmen der Geschichte Jesu (1919); Die Judenfrage im Lichte der Kapitel 9-11 des Römerbriefes (1943); Kanon und apokryphe Evangelien und Apostelgeschichten (1944).
 
Literatur:
 
D. P. Moessner: K. L. S. 1891-1956, in: Theolog. Ztschr., Jg. 47 (Basel 1991).
 
 26) Kurt, Finanzwissenschaftler, * Sobernheim 18. 10. 1924; Professor an der TU Berlin (1963-68) und an der Universität Mainz (seit 1968); beschäftigt sich v. a. mit Steuerlehre und Finanzpolitik und ist in der wissenschaftlichen Politikberatung tätig (z. B. 1974-84 Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, seit 1968 Mitglied des wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium der Finanzen, 1986-90 dessen Vorsitzender).
 
Werke: Die Steuerprogression (1960); Die mehrjährige Finanzplanung. Wunsch und Wirklichkeit (1970, mit E. Wille); Reform der Unternehmensbesteuerung (1986); Vom Nutzen und Schaden der Schattenwirtschaft (1988); Mehr Chancen für die Vernunft. Hemmnisse einer rationalen Finanzpolitik und Möglichkeiten ihrer Überwindung (1991).
 
 27) Kurt Dietrich, evangelischer Theologe, * Uthlede (Landkreis Cuxhaven) 25. 10. 1896, ✝ Hamburg 27. 7. 1964; wurde 1929 Professor für Kirchengeschichte in Kiel (1935 wegen seiner Mitarbeit in der Bekennenden Kirche entlassen), lehrte ab 1936 am Missionsseminar Hermannsburg, ab 1948 an der kirchlichen Hochschule Hamburg und war 1953-64 Professor an der neu gegründeten theologischen Fakultät in Hamburg. Schmidt begründete die Kirchenkampfforschung und war Herausgeber der Reihe »Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes« (1958 ff.).
 
Werke: Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage, 3 Bände (1933-36); Grundriss der Kirchengeschichte (1949).
 
 28) Martin Johann, genannt Krẹmser-Schmịdt, österreichischer Maler und Radierer, * Grafenwörth (Niederösterreich) 25. 9. 1718, ✝ Stein (heute zu Krems an der Donau) 28. 6. 1801. Venezianisches Kolorit und das von Rembrandt übernommene Helldunkel in seinem malerischen und grafischen Werk stellen Schmidt in seiner Bedeutung für die österreichische Altarmalerei des 18. Jahrhunderts unmittelbar neben F. A. Maulbertsch. Stärker noch als in den Deckenfresken (Stift Dürnstein, 1755; Pfarrkirche in Krems an der Donau, 1785) entfaltet sich sein kultivierter Malstil in den großen Altarwerken und kleineren Tafelbildern mit mythologischen Szenen.
 
Literatur:
 
R. Feuchtmüller: Der Kremser Schmidt 1718-1801 (Innsbruck 1989).
 
 29) Maximilian, genannt Wạldschmidt, Schriftsteller, * Eschlkam (Landkreis Cham) 25. 2. 1832, ✝ München 8. 12. 1919; schrieb zu seiner Zeit sehr populäre Volksschauspiele, Heimaterzählungen, Humoresken und Dialektgedichte.
 
Ausgabe: Gesammelte Werke, 32 Bände (Neuausgabe 1908).
 
 30) O. E., Schriftsteller, Ernst, Otto.
 
 31) Otto Juljewitsch, auch O. J. Šmịdt [ʃ-], sowjetischer Mathematiker und Geophysiker, * Mogiljow 30. 9. 1891, ✝ Moskau 7. 9. 1956; leitete 1930-33 das Arktische Institut in Leningrad, war seit 1939 Professor für Algebra in Moskau, wurde 1942 Vizepräsident der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften, 1944 Direktor ihres Instituts für theoretische Geophysik. Seit 1928 führte Schmidt wissenschaftliche Nordpolarexpeditionen durch.
 
 32) Trudeliese, Sängerin (Mezzosopran), * Saarbrücken 7. 11. 1943; debütierte 1965 in Saarbrücken und sang u. a. an den Staatsopern in München und Hamburg. Sie trat auch bei Festspielen (Glyndebourne, Salzburg, Bayreuth) auf und wurde v. a. als Mozart- und Strauss-Interpretin sowie als Konzertsängerin bekannt.
 
 33) Werner, Kunsthistoriker, * Pirna 26. 5. 1930; wurde 1959 Direktor des Dresdner Kupferstichkabinetts, dessen Bestände er v. a. um zahlreiche Werke der westeuropäischen Moderne sowie der osteuropäischen Avantgarde (eine der größten Kollektionen sowjetischer Grafik außerhalb der damaligen Sowjetunion) bereicherte. Zu seinen Verdiensten gehört des Weiteren, durch umsichtige Ausstellungs- und Publikationstätigkeit die Traditionen der Moderne in der DDR bewahrt und gepflegt (Ausstellung »Dialoge«, 1970; Paul-Klee-Ausstellung, 1984) sowie Künstlern, die abseits vom offiziellen Kunstbetrieb standen (u. a. H. Glöckner, C. Claus, G. Altenbourg, A. R. Penck), ein Forum ermöglicht und sie damit in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt zu haben. 1990-97 war er Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Zahlreiche Publikationen (u. a. »Russische Graphik des 19. und 20. Jahrhunderts«, 1967; Herausgeber von »Ausgebürgert«, 1990).
 
 34) Wilhelm, Ingenieur, * Wegeleben 18. 2. 1858, ✝ Bethel (heute zu Bielefeld) 16. 2. 1924; konstruierte 1892 eine Heißdampfmaschine und begann 1897 mit der Einführung des Heißdampfes im Lokomotivbau.
 
 35) Wilhelm, Ethnologe, * Hörde (heute zu Dortmund) 16. 2. 1868, ✝ Freiburg im Üechtland 10. 2. 1954; seit 1883 Mitglied der Steyler Missionsgesellschaft; lehrte ab 1895 Ethnologie und Linguistik im Missionshaus Sankt Gabriel bei Mödling; 1921-38 Dozent in Wien, ab 1942 Professor für Völkerkunde in Freiburg im Üechtland; ab 1925 mit der Einrichtung des ethnographischen Missionsmuseums im Lateran betraut. Schmidt, der Begründer der Wiener Schule der Völkerkunde, gehört zu den bedeutendsten Vertretern der Kulturkreislehre. In seinem Hauptwerk »Der Ursprung der Gottesidee« (12 Bände, 1912-55) versucht er anhand umfangreichen ethnologischen Materials nachzuweisen, dass die aus einem rationalen Kausalbedürfnis entstandene kultische Verehrung eines höchsten Wesens die Urform der Religion darstellt. Schmidts Urmonotheismusthese wurde besonders wegen ihrer theologisch-apologetischen Implikationen angegriffen. - 1906 gründete Schmidt die ethnologische Zeitschrift »Anthropos« und 1932 das Anthropos-Institut in Sankt Augustin.
 
Weitere Werke: Die Sprachfamilien und Sprachenkreise der Erde (1926); Handbuch der vergleichenden Religionsgeschichte (1930); Das Eigentum auf den ältesten Stufen der Menschheit, 2 Bände (1937-40); Handbuch der Methode der kulturhistorischen Ethnologie (1937).
 
Literatur:
 
Anthropica. Gedenkschr. zum 100. Geburtstag von W. S. (1968).
 
 36) Willi, Bühnenbildner, * Dresden 19. 1. 1910, ✝ Berlin 20. 2. 1994; Schüler von R. Gliese, schuf architektonisch aufgefasste Bühnenbilder. Ab 1933 arbeitete er vorwiegend in Berlin (Volksbühne, Deutsches Theater, Staatliches Schauspielhaus), nach 1945 auch als Regisseur an führenden deutschen Schauspielhäusern; ab 1952 Lehrtätigkeit.
 
Literatur:
 
W. S. Das Bühnenwerk, hg. v. J. W. Gronius u. a. (1990).

Universal-Lexikon. 2012.