Görlitz
1) kreisfreie Stadt und Verwaltungssitz des Niederschlesischen Oberlausitzkreises, Sachsen, 210 m über dem Meeresspiegel, am Westufer der Lausitzer Neiße (Grenze zu Polen), gegenüber der Stadt Zgorzelec, die östlichste Stadt Deutschlands auf dem 15. Grad östliche Länge (Grundmeridian der MEZ), 62 900 Einwohner; katholischer Bischofssitz und Sitz der Kirchenleitung der evangelischen Kirche der schlesischen Oberlausitz; Hochschule für Technik, Wirtschaft und Sozialwesen Zittau/Görlitz (Fachhochschule), Fachhochschule für Kirchenmusik, Europäisches Bildungs- und Informationszentrum, Städtische Kunstsammlungen (u. a. mittelalterliche Plastik und Malerei, deutsche Malerei 19./20. Jahrhundert, deutsche Plastik 20. Jahrhundert, Kunstgewerbe), Staatliches Museum für Naturkunde, Landesmuseum Schlesien, Theater, Stadthalle als Niederschlesisches Kultur-, Kongress- und Messezentrum, Tierpark. Im Südwestteil der Stadt die 420 m über dem Meeresspiegel aufragende Landeskrone (bewaldeter Basaltkegel). Die wichtigsten Industriezweige sind Waggon-, Maschinen- und Turbinenbau, daneben Holz verarbeitendes Gewerbe und großes Dachziegelwerk. Südlich der Stadt Großkraftwerk Hagenwerder (1 000 MW; Stilllegung bis Ende 1997 vorgesehen). Görlitz ist Grenzübergang für den Straßen- und Eisenbahnverkehr nach Polen, in der Nähe der Stadt seit 1996 neuer LKW-Grenzübergang Ludwigsdorf (mit großem Autobahnzollamt); Fremdenverkehr.
Im Osten der Altstadt spätgotische Kirche Sankt Peter und Paul (Neubau 1423), die als Nachfolgebau einer spätromanischen Kirche des 13. Jahrhunderts (Westriegel und Säulenportal erhalten) als fünfschiffige Hallenkirche angelegt wurde, vierschiffige Krypta (Georgenkapelle, 1457 geweiht; Wandmalereien, um 1510), neugotische Turmhelme (1891); Rathaus am Untermarkt, im Kern 14./15. Jahrhundert, 16. Jahrhundert umgebaut und erweitert, mit Freitreppe und Verkündigungskanzel (1537/38); um den Untermarkt reicher Bestand an Bürgerhäusern aus Renaissance und Barock, zum Teil mit spätgotischen Gewölben und Wandmalereien. Im Westen der Altstadt Oberkirche, ehemalige Franziskanerklosterkirche, mit gotischem Chor (1371-81) und spätgotisches Langhaus (15. Jahrhundert erweitert) sowie wertvoller spätgotischer Ausstattung (Chorgestühl, 1484; Schnitzaltar, um 1510; Schmerzensmann, um 1500; Wandmalereien des 15. Jahrhunderts); spätgotische Frauenkirche (1449-86); Bauensemble des »Heiligen Grabes« (1481-1504) außerhalb der Altstadt; im Norden die spätgotische Nikolaikirche (1452-1520). Neben einigen erhaltenen Toren der ehemaligen Stadtbefestigung das Vorwerk des Reichenbacher Tors, der »Kaisertrutz« (1490 begonnen), wo sich heute ein Teil der Städtischen Kunstsammlungen befindet. Neues Rathaus im Stil der Neurenaissance (1900-02); neugotische Jakobskirche (1900); neoklassizistischer Bahnhof (1914-18); Kaufhaus in Jugendstilformen (1912-13), nach dem Vorbild des von A. Messel errichteten Berliner Kaufhauses Wertheim. Seit 1953 aufwendige Sanierung der Altstadt und Restaurierung der klassizistischen und Neurenaissancefassaden der Villenviertel.
Neben einer 1071 erstmals erwähnten slawischen Siedlung (Villa Goreliz) an der Kreuzung der Handelsstraße Stettin-Frankfurt/Oder-Prag mit der Hohen Straße Leipzig-Breslau und im Schutz einer 1126 genannten Burg der böhmischen Landesherren wurde wohl zwischen 1210 und 1220 die Stadt Görlitz gegründet (planmäßige, gitterförmige Anlage) und um 1250 in westlicher Richtung wesentlich erweitert (1303 Bestätigung des Stadtrechts). 1319-29 gehörte Görlitz zum Herzogtum Jauer, danach der böhmischen Krone (1377-96 separates Fürstentum unter Herzog Johann, dem dritten Sohn Kaiser Karls IV.). Die Stadt, die ihre wirtschaftliche Stellung der im 14./15. Jahrhundert blühenden Tuchmacherei und dem Fernhandel, v. a. mit Tuch, verdankte, besaß bedeutende politische Macht (u. a. führende Rolle im 1346 gegründeten lausitz. Sechsstädtebund), die erst durch das landesherrliche Strafgericht über Görlitz nach dem Schmalkaldischen Krieg (»Poenfall«, 1547), der zeitlich mit einer Änderung der europäischen Wirtschaftsstruktur zusammenfiel, gebrochen wurde. Einen erneuten Aufschwung v. a. durch Leinwandhandel seit etwa 1580 beendete der Dreißigjährige Krieg (1618-48); 1635 und wiederum 1648 fiel Görlitz von Böhmen an Kursachsen, 1815 an Preußen. Nach dem Eisenbahnanschluss (1847) kam es zum wirtschaftlichen Aufstieg durch die Einführung des Waggon- und Maschinenbaus und der optischen Industrie. Im Zweiten Weltkrieg (1939-45) wenig zerstört, verlor die Stadt 1945 durch die neue Grenzlage an der Oder-Neiße-Linie ihre Funktion als Verkehrsknotenpunkt; 1945 entstand aus den östlich der Neiße gelegenen Stadtteilen die polnische Stadt Zgorzelec.
2) katholisches Bistum; umfasst ein Gebiet von 9 700 km2, das sich von Görlitz bis Storkow und von Senftenberg bis Eisenhüttenstadt erstreckt. Als der westlich der Oder-Neiße-Linie liegende Teil des ehemaligen deutschen Erzbistums Breslau wurde das heutige Bistumsterritorium nach 1945 als Erzbischöfliches Amt Görlitz durch einen Kapitularvikar mit Sitz in Görlitz verwaltet (seit 1959 im Rang eines Titularbischofs). Nach Abschluss des Warschauer Vertrages 1972 wurde das Gebiet als Apostolische Administratur Görlitz einem ständigen Apostolischen Administrator mit den Vollmachten eines residierenden Bischofs unterstellt, 1973 die St.-Jakobus-Kirche in Görlitz und heutige Kathedrale zur Pro-Kathedrale und zum Sitz eines Domkapitels erhoben. Am 27. 6. 1994 (Errichtungsfeier am 3./4. 9.) wurde das Bistum Görlitz in den Grenzen der ehemaligen Apostolischen Administratur Görlitz errichtet. Görlitz gehört als Suffraganbistum zur Kirchenprovinz Berlin. Zum ersten Bischof von Görlitz wurde Rudolf Müller (* 1931; 1987-94 Weihbischof in Görlitz) ernannt. (katholische Kirche, Übersicht)
Universal-Lexikon. 2012.