Hu|ma|nịs|mus 〈m.; -; unz.〉
1. 〈13.-16. Jh.〉 geistige Strömung in Europa, die nach Erneuerung des von der Kultur des Altertums beeinflussten Bildungsideals strebte
2. 〈allg.〉 Streben nach echter Menschlichkeit, nach edlem, menschenwürdigem Leben u. Denken
[zu lat. humanus „menschlich“]
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1. (bildungsspr.) (auf das Bildungsideal der griechisch-römischen Antike gegründetes) Denken u. Handeln im Bewusstsein der Würde des Menschen; Streben nach Menschlichkeit:
in seinen Schriften offenbart sich ein echter H.
2. (von Italien ausgehende, über West- u. Mitteleuropa verbreitete) Bewegung des 14.–16. Jahrhunderts, die durch literarische, philologische u. wissenschaftliche Neuentdeckung u. Wiedererweckung der antiken Kultur, ihrer Sprachen, ihrer Kunst u. Geisteshaltung gekennzeichnet ist.
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I Humanismus
Die Begriffe Humanismus und Renaissance, als Epochenbegriffe für die Übergangszeit vom Mittelalter zur Neuzeit erst seit dem 19. Jahrhundert geläufig, werden oft in demselben Zusammenhang, zum Teil sogar gleichbedeutend gebraucht. Tatsächlich ist es unmöglich, sie klar voneinander abzugrenzen, da sie auf denselben geistigen Grundlagen beruhen; im Allgemeinen denkt man bei Humanismus an die philosophischen, philologischen und literarischen Äußerungen dieser Epoche, bei Renaissance teilweise nur an die Kunst der Zeit, teilweise an eine den Humanismus mit umfassende Strömung der Kultur- und Geistesgeschichte.
Beide Bewegungen entstanden in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Italien, dem damals kulturell und wirtschaftlich höchstentwickelten Land Europas. Dort setzte eine Rückbesinnung auf die Antike ein, zunächst auf die klassische lateinische Sprache, die römische Literatur und Wissenschaft, dann auch auf die griechische Antike. Diese »Wiedergeburt« (= Renaissance) der antiken Tradition wandte sich vor allem gegen die von der Scholastik geprägte Dogmatik der spätmittelalterlichen Kirche; aber die meisten Humanisten blieben der christlichen Lehre verpflichtet, wenn auch die Verbreitung einer von der Kirche unabhängigen Bildung eine Tendenz zur Säkularisierung (Verweltlichung) mit sich brachte.
Von Italien her strahlten Humanismus und Renaissance im 15. und 16. Jahrhundert auf Europa aus, wobei in Deutschland der Humanismus im Vordergrund stand. Kennzeichnend für den deutschen Humanismus war nicht nur der Rückgriff auf das griechisch-lateinische Bildungsgut, sondern zum Teil auch eine betont »nationale« Haltung, die den Wert der eigenen Vergangenheit hervorhob. Nicht zufällig wurde gerade in dieser Zeit Tacitus' »Germania« wieder entdeckt.
Zum Teil in Verbindung mit dem nationalen Impuls trat ein anderer Grundzug des deutschen Humanismus in Erscheinung: die Kritik an der Verweltlichung von Papsttum und Geistlichkeit, an der Geldgier der Kurie, der Verflachung der Scholastik. Ihren Höhepunkt fand die Polemik im Streit um den Tübinger Rechtslehrer Johannes Reuchlin, den Begründer der hebräischen Sprachforschung, der wegen seiner Stellungnahme gegen die Vernichtung der außerbiblischen jüdischen Literatur in Konflikt mit der Inquisition geriet. Zu seiner Verteidigung veröffentlichte Reuchlin 1514 eine Auswahl seines Briefwechsels unter dem Titel »Clarorum virorum epistolae« (Briefe berühmter Männer). Daraufhin erschien anonym eine fingierte Briefsammlung mit dem Titel »Epistolae obscurorum virorum« (Dunkelmännerbriefe), eine in barbarischem Latein verfasste Satire auf die sinnentleerte Spitzfindigkeit der Spätscholastik, auf die Borniertheit, Heuchelei und Unmoral von Mönchtum und Weltklerus.
Unbestreitbar hat der Humanismus der Reformation den Weg geebnet: durch seine Kritik an den kirchlichen Missständen, durch die Förderung der Sprachstudien, ohne die Luthers Bibelübersetzung nicht möglich gewesen wäre, und durch seine Bemühungen um das Bildungswesen. Im eigentlichen theologischen Bereich freilich blieben die Humanisten ganz überwiegend auf dem Boden der alten Kirche. Der wohl berühmteste Humanist zur Zeit der Reformation, Erasmus von Rotterdam, setzte sich zwar für eine Erneuerung des Christentums ein, doch die Radikalität der lutherischen Lehre lehnte er ab.
Humanịsmus
[lateinisch] der, -, allgemein das Bemühen um Humanität, um eine der Menschenwürde und freien Persönlichkeitsentfaltung entsprechende Gestaltung des Lebens und der Gesellschaft durch Bildung und Erziehung und/oder Schaffung der dafür notwendigen Lebens- und Umweltbedingungen selbst. - Im engeren Sinn dient der Begriff »Humanismus«, der sich zuerst zur Bezeichnung eines klassisch-philologischen, gegen die Realschulen der Aufklärung gerichteten Bildungsideals bei F. I. Niethammer findet, als Epochenbezeichnung (etwa seit G. Voigt, »Die Wiederbelebung des klassischen Altertums«, 1859), verbunden mit dem Streben nach einer am Beispiel der Griechen und Römer ausgerichteten Humanität. Humanismus wurde in diesem Sinne Epochenbezeichnung v. a. für die philologische, kulturelle und wissenschaftliche Bewegung des 14.-16. Jahrhunderts, des Renaissance-Humanismus, wie er ausgehend von Italien in Mittel- und Westeuropa Verbreitung fand; im Unterschied zum Neuhumanismus, dem »zweiten Humanismus«, und dem »dritten Humanismus« zu Beginn des 20. Jahrhunderts. - Humanismus bezeichnet weiterhin (ohne Bezug auf die Antike) eine auf den Menschen gerichtete Weltanschauung oder Philosophie.
Der Renaissance-Humanismus wandte sich zum Zwecke einer diesseitsorientierten Lebensgestaltung gegen die Scholastik, indem er die Wiederentdeckung und Pflege der lateinischen beziehungsweise römischen und griechischen Sprache, Literatur und Wissenschaft forderte. Dabei werden Humanismus und Renaissance meist in dem Sinne unterschieden, dass Humanismus für den Rückgang auf die lateinischen Schriften (besonders Cicero) steht, während Renaissance als umfassenderer Epochenbegriff durch das Bestreben einer Regeneration der Kultur durch Wiederbelebung der Antike gekennzeichnet wird. Die beiden Begriffe werden auch synonym verwendet. Der Begriff des Humanismus bezieht sich auf die »Humanisten« des 14.-16. Jahrhunderts, die Professoren und Studenten der Studia humanitatis genannten humanistischen Lehrfächer. Sie galten als Vorbilder antiker Gelehrsamkeit und des Lebensideals einer sittliche und geistige Bildung vereinigenden Humanitas, einer auf literarischer Bildung aufgebauten Menschlichkeit.
Zunächst außerhalb von Wissenschaft und Universität, waren es in Italien Vertreter des gehobenen Bürgertums: Schriftsteller wie F. Petrarca, G. Boccaccio, Staatsbeamte wie C. Salutati, L. Bruni, der päpstliche Sekretär L. B. Alberti, die sich unter Rückbesinnung auf die literarischen und allgemeinen kulturellen Leistungen des antiken Römertums gegen die politischen Auflösungserscheinungen der norditalienischen Staaten und die vielfach erstarrte und verwissenschaftlichte Theologie und kirchliche Dogmatik zu wehren suchten. Besonders die Schriften Ciceros wurden zum Vorbild einer neuen lateinischen Dichtung (G. Pontano, A. Poliziano u. a.), jedoch blieb der gesamte Humanismus von Beginn an (unter gleichzeitigem Rekurs auf Augustinus und die Kirchenväter) dem christlichen Glauben verpflichtet, für den jedoch besonders die Evangelien Grundlage wurden und dem auch die nichtchristliche Antike nicht widersprach. Der Humanismus nahm somit wesentliche Elemente des Mittelalters auf; das später auftretende Schlagwort der »gelehrten Frömmigkeit« (docta pietas) trifft bereits auf seine Anfänge zu. Grundlegend für den Humanismus waren textkritische Übersetzungen und Kommentare antiker Literatur. Durch Unterstützung des Vatikans und sorgsame philologische Arbeiten (L. Valla) fanden die meist in Klöstern verstreuten lateinischen Schriften rasch Verbreitung. Die Schriften wurden in großen Bibliotheken gesammelt und später durch die humanistischen Drucker (A. Manutius in Venedig, H. und R. Estienne in Lyon, J. Froben in Basel) herausgegeben. Ab etwa 1400 und besonders mit der Zerstörung von Byzanz (1453) kam durch den Einfluss immigrierter byzantinischer Gelehrter (G. G. Plethon, Georgios Trapezuntios, T. Gaza, Bessarion) die Beschäftigung mit der griechischen Literatur hinzu. Der Neuplatonismus erhielt neuen Auftrieb (M. Ficino und G. Pico della Mirandola); daneben wurden erstmals nichtscholastische Aristotelesüberlieferungen bekannt.
Die humanistische Bewegung in Italien wurde getragen von den Höfen der Fürsten und Päpste; bedeutend waren v. a. Papst Pius II. und das Florenz der Medici (mit den Fürsten Cosimo und Lorenzo de' Medici; an der Platonischen Akademie wirkten die Philosophen Ficino, C. Landino, Pico della Mirandola), das Ferrara der Este, Urbino (mit Federico da Montefeltro), Mantua (Guarino Veronese), Neapel und die Universitäten. - Kennzeichnend für den Humanismus waren die Hinwendung zur Antike als Vorbild eines »Paideia« (umfassende Bildung) und Menschlichkeit verbindenden Lebens, ein Interesse an moralphilosophischen, historischen und (z. B. bei N. Machiavelli) politischen Fragen, an realistischer Naturerklärung. Bedeutung gewannen das Individuum als autonome Persönlichkeit, der Gedanke der Menschenwürde; die Bildung stützte sich auf das Studium der alten Sprachen sowie auf das Trivium der Artes liberales (v. a. Rhetorik und Grammatik, insofern im moralphilosophischen Sinn Beredsamkeit, »gut denken« und »gut leben« als eine Einheit aufgefasst wurden). Humanist. Denken stand in enger Verknüpfung mit der Kunst.
Erste humanistische Einflüsse nördlich der Alpen zeigten sich durch die Verbindung zwischen Petrarca und dem Prager Hof Kaiser Karls IV. bei Johannes von Neumarkt und Johannes von Tepl. Erst durch die Konzilien von Konstanz (1414-18) und Basel (1431-49) breitete sich der Humanismus nach Frankreich (Jacob Faber, G. Budaeus, F. Rabelais), Spanien (Kardinal F. Jiménez de Cisneros, E. A. de Nebrija, J. L. Vives) und England (J. Colet, T. More, W. Shakespeare) aus. In Deutschland entstanden erstmals humanistische Zirkel als soziologische urbane Einheiten, die teils stärker christlich (paulinisch) orientiert waren als ihre italienischen Vorbilder, teils betont nationalistische antirömische Tendenzen zeigten. Der Ausweitung der humanistischen Bewegung widmete sich besonders K. Celtis. Ihren Höhepunkt fand sie in Erasmus von Rotterdam sowie in den Epistolae obscurorum virorum mit ihrer Satire gegen das »Mönchslatein« der Scholastik, an denen auch U. von Hutten beteiligt war. Zentren des Humanismus wurden Nürnberg (G. Heimburg, Niklas von Wyle, W. Pirckheimer), Augsburg (K. Peutinger), Heidelberg (Kurfürst Philipp der Aufrichtige von der Pfalz, Johann von Dalberg, R. Agricola) und Straßburg (J. Geiler von Kaysersberg, J. Wimpfeling, S. Brant). Zugleich fand der Humanismus mit C. Mutianus Rufus, E. Hessus (Erfurt), J. Reuchlin und P. Melanchthon (Tübingen) Eingang in die Universitäten.
Besonders in Deutschland und Frankreich beeinflusste der Humanismus die Bewegungen der Vorreformation und der Reformation, denen er durch die Kenntnis der antiken Sprachen, zu denen jetzt auch das Hebräische trat, das Rüstzeug für das Studium der biblischen Texte im Original lieferte (Faber, Erasmus, Reuchlin). Einige Reformatoren (U. Zwingli, Melanchthon, M. Bucer, J. Calvin) sind durch den Humanismus stark beeinflusst worden. Zu einem eigentlichen Bündnis zwischen Humanismus und Reformation kam es jedoch nicht.
Als Neuhumanismus (»zweiter Humanismus«) wird die Erneuerung der humanistischen Bewegung seit etwa 1750 und die damit verbundene erneute Hinwendung zum klassischen Altertum bezeichnet. Angebahnt wurde er durch W. Shaftesbury und die Philologen J. M. Gesner und C. G. Heyne in Göttingen, J. A. Ernesti in Leipzig. F. A. Wolf wurde zum Hauptbegründer der klassischen Philologie. J. J. Winckelmann und J. G. Herder sahen die Idee der Humanität in der harmonischen Geistes- und Leibesbildung der Griechen verwirklicht. Die Epoche war zugleich eine Blütezeit künstlerischer Erneuerung (G. E. Lessing, Goethe, Schiller, F. Hölderlin). Kulturpolitisch wirkte W. von Humboldt als Förderer des Neuhumanismus.
Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde eine schon in der Antike angelegte anthropozentrische Einstellung, die zum Teil auch von der Aufklärung und dem Neuhumanismus eingenommen worden war, nun voll entfaltet (L. Feuerbach). War der ältere Humanismus noch von dem Gedanken bestimmt, dass wahre Menschlichkeit sich in einem Bildungsprozess des Einzelnen entwickeln könne, so sah dieser philosophisch-politische Humanismus bald den Begriff des Humanen mehr als gesellschaftliches Postulat. So erscheint für M. Hess »die wahre Lehre vom Menschen« als »die Lehre von der menschlichen Vergesellschaftung, d. h. Anthropologie des Sozialismus«. In Anknüpfung an Hegels Dialektik von Herr und Knecht sah K. Marx im Humanismus die vollendete Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen mit der Aufhebung der menschlichen Selbstentfremdung durch den Kommunismus (Kommunismus als »realer Humanismus«). Zur Abgrenzung gegenüber dem dogmatischen Marxismus-Leninismus haben in der Gegenwart verschiedene marxistische Richtungen solche humanistische Ziele betont. Ohne nennenswerte Auswirkungen blieb der wohl im Zusammenhang mit der »inneren Emigration« zur Zeit des Nationalsozialismus stehende »dritte Humanismus«: die Bemühungen von W. Jaeger, L. Helbing u. a. um 1930, der Antike als grundlegendem Bildungselement für die Gegenwart neue Bedeutung zu geben. Dabei sollte die Vorherrschaft der Ästhetik im Neuhumanismus durch einen zur Staatsgesinnung erziehenden ethisch-politischen Humanismus überwunden werden.
G. Toffanin: Gesch. des H. (a. d. Ital., 1941);
R. Newald: Humanitas, H., Humanität (1947);
R. Newald: Probleme u. Gestalten des dt. H. (1963);
H. Weinstock: Die Tragödie des H. Wahrheit u. Trug im abendländ. Menschenbild (41960, Nachdr. 1989);
H., hg. v. H. Oppermann (1970);
P. O. Kristeller: H. u. Renaissance, 2 Bde. (Neuausg. 1980);
A. Buck: H. Seine europ. Entwicklung in Dokumenten u. Darst. (1987).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Geschichte: Was ist Geschichte?
Expansionismus Europas: Seine italienischen Anfänge im Spätmittelalter
Humanismus: Die Würde des Menschen bei den frühen Humanisten
Humanismus in Europa: Ausbreitung einer Bewegung
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Hu|ma|nịs|mus, der; - [zu: ↑Humanist]: 1. (bildungsspr.) (auf das Bildungsideal der griechisch-römischen Antike gegründetes) Denken u. Handeln im Bewusstsein der Würde des Menschen; Streben nach Menschlichkeit: ein echter, wahrer H. offenbart sich in den Schriften des Dichters; Das sozialistische Rumänien ... schuf weitere (= Beispiele), die allesamt die gleiche Triebkraft haben - die umfassende Sorge um den Menschen, den sozialistischen H. (horizont 12, 1977, 7). 2. (von Italien ausgehende, über West- u. Mitteleuropa verbreitete) Bewegung des 14.-16. Jahrhunderts, die durch literarische, philologische u. wissenschaftliche Neuentdeckung u. Wiedererweckung der antiken Kultur, ihrer Sprachen, ihrer Kunst u. Geisteshaltung gekennzeichnet ist.
Universal-Lexikon. 2012.