* * *
Gram|ma|tik [gra'matɪk], die; -, -en:a) <ohne Plural> Lehre vom Bau einer Sprache, ihren Formen und deren Funktion im Satz:
die Regeln der lateinischen Grammatik.
b) Buch, das den Bau einer Sprache behandelt:
er hat einige moderne Grammatiken; eine Grammatik der französischen Sprache.
Zus.: Schulgrammatik.
* * *
Gram|mạ|tik 〈f. 20〉
1. Lehre vom Bau u. von den Regeln einer Sprache; Sy Sprachlehre
2. Lehrbuch der Sprachlehre; → Lexikon der Sprachlehre
[<lat. (ars) grammatica „Sprachlehre“; im 16. Jh. entlehnt; nach grch. grammatike (techne) „Sprachwissenschaft als Lehre von den Elementen (Buchstabe, Schrift, Satz) der Sprache“; → Gramm]
* * *
Gram|mạ|tik , die; -, -en [lat. (ars) grammatica < griech. grammatike̅̓ (téchnē), zu: grammatikós = die Buchstaben, die Schrift betreffend]:
1. Teil der Sprachwissenschaft, der sich mit den sprachlichen Formen u. deren Funktion im Satz, mit den Gesetzmäßigkeiten, dem Bau einer Sprache beschäftigt; Sprachlehre:
die historische, deskriptive, traditionelle, generative G.;
die G. der deutschen Sprache, die deutsche G.;
die fehlerhafte G. (grammatische Beschaffenheit) einer Formulierung.
2. wissenschaftliche Darstellung, Lehrbuch der Grammatik (1); Sprachlehre:
eine französische G.;
eine G. der chinesischen Sprache.
* * *
I Grammatik
[griech. grammatikos »die Buchstaben, das Schreiben und Lesen betreffend«] die, das Regelsystem einer Sprache, d. h. die Menge von Regeln, die bestimmen, welche Folgen der Grundzeichen (Alphabet) zur Sprache gehören und welche nicht. (Genau genommen handelt es sich bei dieser Definition um die vom Gesichtspunkt der Informatik wichtige generative Grammatik nach Noam Chomsky, *1928.) Für natürliche Sprachen ist eine präzise Festlegung der Syntax sehr aufwendig, da sie zu umfangreich sind und sich ständig ändern. Die Struktur von formalen Sprachen und Programmiersprachen, die für den Computereinsatz entworfen sind, wird dagegen vollständig durch Grammatiken definiert. Während die Linguistik aus den gegebenen natürlichen Sprachen die Grammatik extrahiert, werden in der Informatik die formalen Sprachen und Programmiersprachen von Grammatiken abgeleitet.
II
Grammạtik
[griechisch grammatike̅́ téchnē, »Lehre von den Buchstaben« beziehungsweise »Lehre vom (richtigen) Lesen und Schreiben«, zu grammatikós, »die Buchstaben, das Lesen und Schreiben betreffend« beziehungsweise grámma, »Buchstabe, Geschriebenes«] die, -/-en, in der Sprachwissenschaft Bezeichnung für: 1) eine Teildisziplin der Sprachwissenschaft, die sich mit den Regelsystemen von Sprachen beschäftigt (im Unterschied etwa zur Sozio- oder zur Psycholinguistik), 2) die Beschreibung eines solchen Regelsystems (z. B. die Dudengrammatik), 3) dieses Regelsystem selbst sowie 4) eine Grammatiktheorie, ein grammatischer Beschreibungsrahmen (z. B. die traditionelle Grammatik, die generative Grammatik, die Dependenzgrammatik). - In der Informatik ein Regelsystem zur Darstellung und Beschreibung der Syntax von Programmiersprachen.
Grammatikkonzepte
Mit der Formulierung »Regelsystem einer Sprache« ist der Begriffsumfang von Grammatik nur annäherungsweise bestimmt, denn hinsichtlich dessen, was zur Grammatik gehört, gehen die Meinungen in der Sprachwissenschaft zum Teil weit auseinander. Gemeinsam ist allen Konzepten von Grammatik nur, dass sowohl die Morphologie als auch die Syntax der Grammatik angehören. Außer diesen beiden Bereichen wird vielfach auch die Phonologie als der Grammatik zugehörig angesehen, meist allerdings nur das System der einzelnen Laute und ihrer Kombinationsmöglichkeiten, weniger die so genannten suprasegmentalen Phänomene wie Intonation und Akzent. Meist aus grammatischen Darstellungen ausgespart bleiben die Regularitäten der Schreibung, die man in der Sprachwissenschaft lange Zeit als sekundäre, abgeleitete Phänomene angesehen hat. Hier haben sich allerdings in den letzten Jahren deutliche Veränderungen vollzogen.
Der Grammatik wird traditionell der Wortschatz einer Sprache (das Lexikon) gegenübergestellt, dessen Erforschung Aufgabe der Lexikologie ist. Die Abgrenzung zwischen Grammatik und Lexikon ist jedoch mitunter schwierig, sodass die Wortbildung - je nach theoretischer Ausrichtung - teilweise als Gegenstand der Grammatik, teilweise als Gegenstand der Lexikologie betrachtet wird. Im Falle der Zuordnung zur Grammatik ist umstritten, ob sie einen eigenen Bereich bildet oder eher als Teil der Morphologie (oder der Syntax) aufzufassen ist. Nach einem im Rahmen der generativen Grammatik vertretenen Konzept von Grammatik wird das Lexikon dagegen als Teil der Grammatik aufgefasst; Grammatik wird hier gleichbedeutend mit »Sprachsystem« verstanden, bezieht sich also auf das gesamte sprachliche Wissen, das Sprachteilhaber von ihrer Sprache haben, die so genannte (Sprach-)Kompetenz, die auch das lexikalische Wissen einschließt. Dementsprechend gehört nach diesem Konzept auch die Semantik als Lehre von der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke zur Grammatik.
Unterschiedliche Auffassungen gibt es auch darüber, ob und in welcher Weise Aspekte der Sprachverwendung in grammatischen Beschreibungen einbezogen werden sollten. So gibt es beispielsweise Vorschläge, die Grammatik um eine kommunikativ-pragmatische Komponente zu erweitern, auch Text- beziehungsweise Gesprächsstrukturen zu berücksichtigen usw.
Grammatiktheorien und Grammatikmodelle
So wie es unterschiedliche Auffassungen vom Gegenstand der Grammatik gibt, gehen auch die Meinungen darüber, auf welche Weise grammatische Phänomene erfasst und beschrieben werden sollten, zum Teil weit auseinander. Diese Vielfalt von Grammatiktheorien und -Modellen ist allerdings eine relativ junge Erscheinung, denn bis weit ins 20. Jahrhundert hinein hatte das auf die Antike zurückgehende Modell der heute oft so genannten traditionellen Grammatik ausschließliche Gültigkeit, ein Modell, das bis in die Gegenwart immer noch weit verbreitet ist. Charakteristisch für die traditionelle Grammatik, in deren Mittelpunkt die Klassifikation der Wörter in Wortarten, die Aufstellung von (Flexions-)Paradigmen sowie die Bestimmung der Satzteile stand beziehungsweise steht, ist v. a.: 1) die eher auf das Sammeln von Einzeltatsachen und Belegen, auf das Katalogisieren und Nebeneinanderstellen verschiedener Erscheinungen ausgerichtete Vorgehensweise, 2) die Vermischung beziehungsweise fehlende Trennung verschiedener Ebenen, Sicht- und Vorgehensweisen, sodass die Kriterien der Klassifikationen wie auch die Definitionen oft heterogen sind (z. B. die Klassifikation der Wortarten, bei der morphologische, syntaktische, semantisch logische und ontologische Gesichtspunkte ohne einheitliche systematische Begründung herangezogen werden), 3) die fehlende Explizitheit und die oft zu vagen Formulierungen, die sehr stark auf die Intuition des Adressaten bauen.
Entscheidende Veränderungen brachte erst der auf F. de Saussure basierende linguistische Strukturalismus ab den 1930er-Jahren, der im Gegensatz zur traditionellen Praxis auf strikte Trennung der Ebenen, auf ein methodisch streng kontrolliertes Vorgehen und auf größtmögliche Exaktheit und Explizitheit setzte, der v. a. aber Sprache als System verstand, innerhalb dessen jedes einzelne Element seinen Wert und seine Funktion allein durch seine Beziehungen zu allen anderen Elementen erhält, sodass gerade die Erfassung des Gesamtzusammenhangs einer Sprache, ihrer Struktur im Mittelpunkt steht. Die Beschreibung dieser Struktur beruht auf zwei grundlegenden Operationen: dem Segmentieren, also der Zerlegung sprachlicher Äußerungen in kleinere Teile auf verschiedene Stufen und Ebenen, sowie dem Klassifizieren, also dem Zusammenfassen von durch Segmentieren gewonnenen Teilen in Klassen aufgrund der Kombinationsmöglichkeiten dieser Teile mit anderen Teilen, ihrer Distribution. Innerhalb des Strukturalismus gibt es eine Reihe unterschiedlicher Schulen, die zu jeweils unterschiedlichen Ausprägungen grammatischen Beschreibungsinstrumentariums geführt haben, sowohl in der Phonologie und Morphologie als auch in der Syntax (hier sind insbesondere die IC-Analyse des amerikanischen Strukturalismus und die Dependenzgrammatik L. Tesnières zu nennen). In starkem Gegensatz zu strukturalistischen Ansätzen grammatischer Beschreibung steht die inhaltbezogene Grammatik, für die gerade das Inhaltliche, das Geistige den Bezugspunkt für das methodische Vorgehen wie für die Darstellung der Ergebnisse darstellt, die in ihrer Wirkung jedoch auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt blieb, wo sie aber in den 50er- und 60er-Jahren großen Einfluss ausübte.
Eine bedeutende Rolle in der grammatischen Forschung der letzten Jahrzehnte spielt die generative Grammatik, die einerseits ohne den (amerikanischen) Strukturalismus nicht möglich gewesen wäre, andererseits aber in vielem deutlich andere, zum Teil entgegengesetzte Positionen bezieht. Aufgabe einer Grammatik ist es nach diesem Konzept nicht mehr, bestimmte Erscheinungen zu bestimmen und zu klassifizieren, sondern das der Bildung von sprachlichen Einheiten bis hin zu Sätzen zugrunde liegende System auf die Weise zu erfassen, dass durch die Grammatik jedem möglichen Satz einer Sprache auf explizite und wohl definierte Weise eine Strukturbeschreibung zugeordnet wird und damit gleichzeitig die Menge der grammatischen Sätze einer Sprache von allen ungrammatischen Sätzen abgegrenzt wird. Dieser Aufgabe dient ein formaler Regelmechanismus, bei dessen Durchlaufen alle Sätze dieser Sprache zusammen mit ihren Strukturbeschreibungen erzeugt, generiert werden. Die bekannteste generative Grammatik ist die generative Transformationsgrammatik N. Chomskys. Dieses Grammatikmodell hat zum einen seit den 50er-Jahren eine Reihe teilweise nicht unerheblichen Modifikationen und Veränderungen erfahren, zum anderen wurde das ursprüngliche Konzept zu einer Theorie über die Sprachfähigkeit des Menschen (Universalgrammatik) ausgebaut. Dementsprechend wird als Gegenstand der grammatischen Beschreibung nicht mehr ein abstraktes, unabhängig vom Menschen existierendes System angenommen, sondern die Sprachfähigkeit, die Sprachkompetenz eines idealen beziehungsweise idealisierten Sprechers - Hörers verstanden. Außer den verschiedenen Versionen der chomskyschen generativen Grammatik entstammen dem generativen Paradigma noch eine Reihe anderer Grammatikmodelle wie die generative Semantik, die Kasusgrammatik, die Lexical-Functional Grammar (LFG), die Generalized Phrase Structure Grammar (GPSG) und die Head-Driven Phrase Structure Grammar (HPSG), die darüber hinaus auch wesentlich von der aus der logischen Semantik stammenden Kategorialgrammatik beeinflusst ist, deren am weitesten verbreitete Version die Montague-Grammatik ist. Diesen formal orientierten Grammatikmodellen (daher auch formale Grammatik genannt) stehen eine Reihe von funktional beziehungsweise kommunikativ ausgerichteten Konzepten gegenüber, denen die Auffassung gemeinsam ist, dass grammatische Erscheinungen nur unter Bezug auf ihre semantischen und pragmatischen Funktionen zu verstehen sind und grammatische Beschreibungen deshalb die einzelnen Phänomene immer unter dem Gesichtspunkt ihrer potenziellen kommunikativen Funktionen zu erfassen haben.
Grammatiken als mehr oder weniger vollständige Beschreibungen einer Sprache bedienen sich in der Regel mehrerer Grammatikmodelle gleichzeitig, wobei die traditionelle Grammatik noch weitaus am stärksten repräsentiert ist, während unter moderneren Modellen am ehesten noch dependenzgrammatische Ansätze Berücksichtigung finden; neuere Grammatiktheorien und -Modelle sind also fast ausschließlich auf den Bereich sprachwissenschaftlicher Forschung beschränkt, auf die Beschreibung und Erfassung einzelner grammatischer Phänomene beziehungsweise Phänomenkomplexe.
Aufgaben, Zielsetzungen und Funktionen von Grammatiken beziehungsweise grammatische Beschreibungen
Grammatischem Wissen, d. h. Wissen über die Grammatik einer Sprache, über ihr Regelsystem, ist sowohl im Hinblick auf die sprachliche Praxis als auch im Hinblick auf die Erfordernisse wissenschaftlicher Beschäftigung mit Sprache und Sprachen sinnvoll beziehungsweise notwendig. Dementsprechend kann man prinzipiell zwischen praktischen und theoretischen Zielsetzungen der Beschäftigung mit Grammatiken unterscheiden, wobei theoretische Zielsetzungen vielfach auch von der Praxis motiviert sind. Prinzipiell besteht jedoch ein Unterschied zwischen grammatischen Arbeiten, die sich nur an ein Fachpublikum richten, die nur dem Erkenntnisfortschritt der Sprachwissenschaft dienen, und grammatische Arbeiten, die für einen größeren Adressatenkreis gedacht sind. Grammatische Arbeiten der ersten Art sind meist nur einzelnen grammatischen Phänomenen beziehungsweise Teilbereichen gewidmet; die für einen größeren Kreis von Adressaten gedachten Arbeiten haben jedoch meist die Form von Grammatiken als mehr oder weniger komprimierte Zusammenfassungen der Regularitäten einer Sprache. Diese Gebrauchsgrammatiken, wie man solche Grammatiken im Unterschied zu den Grammatiken der ersten Art, den wissenschaftlichen Grammatiken, nennt, lassen sich im Hinblick auf ihre spezifische Funktionen und Adressaten weiter differenzieren, und zwar zunächst in Grammatiken für den Sprachunterricht, die pädagogischen beziehungsweise didaktischen Grammatiken, einerseits und die auf die alltägliche Sprachpraxis ausgerichteten Grammatiken, die man Alltags- oder Gebrauchsgrammatiken im engeren Sinn nennen kann. Bei den pädagogischen Grammatiken wiederum gibt es unterschiedliche Typen je nach Gegenstand des Sprachunterrichts (Grammatik für den Muttersprachunterricht, Grammatik für den Fremdsprachunterricht), nach Adressatenkreis (Lernergrammatik beziehungsweise Lehrergrammatik), nach dem Lernziel (Produktionsgrammatik, Rezeptions- beziehungsweise Verstehensgrammatik). Gebrauchsgrammatiken im engeren Sinn sind meist nicht für spezifische Zwecke konzipiert, sondern verstehen sich in der Regel als allgemein verständliche Nachschlagewerke, als Handbücher, die der Vermittlung grammatischem Wissens an den Laien, den Nicht-Sprachwissenschaftler dienen.
Grammatisches Wissen ist über die genannten Funktionen hinaus aber auch in einer Reihe weiterer Zusammenhänge notwendig: als Grundlage für sprachwissenschaftliche Untersuchungen, in der Computerlinguistik, der automatischen Sprachverarbeitung, für Übersetzer, für Sprachtherapeuten, für die Literaturwissenschaft wie überhaupt für alle Wissenschaften, die in irgendeiner Weise mit Sprache beziehungsweise Sprachen zu tun haben: die Pädagogik, die Psychologie, die Anthropologie, die Soziologie, die Philosophie, die Geschichte u. a.
Für einige dieser Bereiche sind allerdings eher wissenschaftliche Grammatiken beziehungsweise spezifische grammatische Untersuchungen einschlägig. Ein besonders enger Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher und Gebrauchsgrammatik besteht bei den kontrastiven beziehungsweise konfrontativen Grammatiken, bei denen Sprachen (in erster Linie im Hinblick auf den Fremdsprachenunterricht) zueinander in Beziehung gesetzt werden. Auch die so genannten Referenzgrammatiken, als möglichst umfassende Grammatiken, die wie ein Nachschlagewerk verwendet werden können, stehen sozusagen zwischen wissenschaftlichen und Gebrauchsgrammatiken. Dies zeigt, dass die Grenze zwischen wissenschaftlichen und Gebrauchsgrammatiken nicht immer klar gezogen werden kann, wie überhaupt gilt, dass Grammatiken meist Mischformen darstellen und eher unterschiedliche Orientierungen und Akzentuierungen aufweisen als eindeutige Ausformungen eines Grammatiktyps bilden. So verhält es sich auch beim Unterschied zwischen deskriptiver und präskriptiver beziehungsweise normativer Ausrichtung: Zwar ist die grammatische Forschung heute - im Unterschied zur früheren Praxis - prinzipiell deskriptiv, d. h. rein beschreibend, grammatische Sachverhalte wertungsfrei konstatierend, doch weisen Gebrauchsgrammatiken oft eine mehr oder minder starke normative, vorschreibende, wertende Tendenz auf. Auch die häufig getroffene Unterscheidung zwischen Resultatsgrammatik und Problemgrammatik, eine Unterscheidung, die sich darauf bezieht, ob Ergebnisse nur präsentiert werden, ohne Begründung, ohne Problematisierung, ohne Alternativen zu diskutieren, oder ob eine solche Erörterung stattfindet, ist keine ganz strikte Unterscheidung.
Aufgrund der Zielsetzungen von grammatischen Untersuchungen im Allgemeinen und von Grammatik im Besonderen ist in der Regel die (geschriebene) Standardsprache der Bezugsgegenstand grammatischer Beschäftigung. Dies ist jedoch keineswegs zwingend: Je nach Zielsetzung können auch alle anderen Sprachformen (Varietäten) Objekt grammatischer Beschreibung sein: Dialekte, gruppen- oder fachspezifische Varietäten ebenso wie ältere Sprachstufen oder die Entwicklung der Grammatik einer Sprache innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (historische beziehungsweise diachronische Grammatik). Historisch motiviert waren auch die historisch-vergleichenden Grammatiken des 19. Jahrhunderts, die mehrere verwandte Sprachen zum Gegenstand hatten.
Die Ursprünge des bis in die Gegenwart wirksamen Modells der traditionellen Grammatik liegen in der griechischen Antike, im 5. Jahrhundert v. Chr. Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit grammatischen Fragen waren aber nicht sprachwissenschaftliche, sondern philosophische Motive, Fragestellungen wie die nach dem Verhältnis von Natur und Konvention beziehungsweise die nach dem Verhältnis von Analogie und Anomalie. Dementsprechend sind sowohl Platon als auch Aristoteles wesentliche Anstöße zu verdanken, die von den Stoikern aufgenommen und ausgebaut wurden. Von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Grammatik als Wissenschaft war die alexandrinische Schule, in der die Grammatik allerdings nur dienende Funktion hatte, als Hilfsmittel für das bessere Verständnis der Literatur, wobei jedoch gewisse normative Tendenzen eine Rolle spielten. Der alexandrinischen Tradition entstammt auch die erste erhaltene Grammatik überhaupt, die des Dionysios Thrax (um 100 v. Chr.), dessen Wortartenlehre bis heute stark nachwirkt. Prägend für das Kategoriensystem der Syntax wurde die Grammatik des ebenfalls in Alexandria wirkenden Apollonios Dyskolos (2. Jahrhundert n. Chr.). Wie in vielen anderen Bereichen auch, wurde das griechische Vorbild in Rom aufgenommen und weiterentwickelt. Zwar stellt die erste bedeutende grammatische Abhandlung, »De lingua latina« von Marcus Terentius Varro (1. Jahrhundert v. Chr.), eine relativ eigenständige Leistung dar, doch waren für die Weiterentwicklung der Grammatik die ganz der griechischen Tradition verpflichteten Grammatik des Donatus (4. Jahrhundert n. Chr.) und von Priscianus (6. Jahrhundert n. Chr.) von wesentlich größerer Bedeutung. Die Beschäftigung mit grammatischen Fragen war allerdings keineswegs auf den abendländischen Kulturkreis beschränkt: Das bekannteste Beispiel ist die Sanskritgrammatik des Panini (4. Jahrhundert v. Chr.).
Die Beschäftigung mit der Grammatik im Mittelalter ist ganz entscheidend geprägt von ihrer Rolle bei der Vermittlung des Lateinischen als der beherrschenden Bildungssprache, die auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Grammatik zusammen mit Rhetorik und Dialektik das Trivium innerhalb der Septem artes liberales bildet. Dabei hatten die Grammatik des Donatus und des Priscianus fast ausschließliche Geltung. Daneben gibt es im Mittelalter aber noch einen weiteren Strang grammatischer Forschung, und zwar im Rahmen der scholastischen Philosophie, bei den Modisten, denen es um die Analyse der Struktur der Wirklichkeit mithilfe der Sprache ging (spekulative Grammatik). Gegenüber der ausschließlichen Beschäftigung mit der lateinischen Grammatik brachte die Renaissance insofern Veränderungen, als nun auch das Griechische und Hebräische Gegenstand grammatischer Forschung wurden, allerdings auch nur in dienender Funktion, als Hilfsmittel für das bessere Verständnis der Literatur. Im Zusammenhang mit dem über Jahrhunderte währenden schrittweisen Prozess der Ablösung des Lateinischen als alleiniger Bildungssprache gibt es seit dem 15. Jahrhundert auch Grammatiken anderer europäischer, teilweise sogar außereuropäischer Sprachen. Dienten diese Grammatiken zuerst noch im Wesentlichen der Erleichterung des Lateinunterrichts, so gewannen sie in zunehmendem Maße Bedeutung als Instanzen der Sprachreformierung, -reinigung und -standardisierung sowie für den Sprachunterricht. Diese im Wesentlichen normative, präskriptiv ausgerichtete Grammatiktradition war bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts dominierend und ist in ihren Auswirkungen bis heute zu spüren. Aber auch die philosophisch motivierte Beschäftigung mit der Grammatik lebte im 17. und 18. Jahrhundert - insbesondere in Frankreich - im Rahmen der logischen Grammatiken, denen es um den Nachweis der Übereinstimmung der Sprachregeln mit den notwendigen Gesetzen des Denkens ging (Grammatik von Port-Royal), wieder auf. Das 19. Jahrhundert ist v. a. durch die historischen Grammatiken geprägt, die hinsichtlich des traditionellen grammatischen Beschreibungsinstrumentariums aber keine Innovationen mit sich brachten. Neben den die Wissenschaft beherrschenden deskriptiv orientierten historischen Grammatiken lebt im 19. Jahrhundert insbesondere in der Schule aber auch die normative Grammatik weiter. Wesentliche Veränderungen brachte dann erst die Begründung der modernen Linguistik durch de Saussure, die zumindest in Europa auf de Saussure basierenden verschiedenen Schulen des Strukturalismus sowie die aus diesem erwachsende generative Grammatik, sodass wir heute eine fast unüberschaubare Fülle von Grammatikkonzepten, -Theorien und -Modellen haben, unter denen die traditionelle Grammatik insbesondere in praktischen Zusammenhängen immer noch großes Gewicht hat. Neuere Ansätze sind aus den verschiedensten Gründen noch nicht ins allgemeine Bewusstsein gedrungen und bleiben - abgesehen von ihrem Einsatz in der automatischen Sprachverarbeitung - im Wesentlichen auf den akademischen Bereich beschränkt.
R. H. Robins: Ancient and mediaeval grammatical theory in Europe (London 1951, Nachdr. Port Washington, N. Y., 1971);
M. Bierwisch: Strukturalismus, in: Kursbuch 5 (1966);
M. Bierwisch: Linguistik als kognitive Wiss., in: Ztschr. für Germanistik, Jg. 8 (1987); G. L. Bursill-Hall: Speculative grammars of the Middle Ages (Den Haag 1971);
H. Gebauer: Montague-G. (1978);
Beitrr. zur didakt. G., hg. v. K.-R. Bausch (1979);
D. Cherubim: Grammatikographie, in: Lex. der Germanist. Linguistik, hg. v. H. P. Althaus u. a. (21980);
N. Chomsky: Syntactic structures (Den Haag 141985);
J. Pinborg: Die Entwicklung der Sprachtheorie im MA. (21985);
A. Radford: Transformational grammar (Cambridge 1988, Nachdr. ebd. 1992);
L. Tesnière: Éléments de syntaxe structurale (Neudr. Paris 1988);
G. Helbig: Gesch. der neueren Sprachwiss. (81989);
G. Helbig: Probleme der Valenz- u. Kasustheorie (1992);
G. Helbig: Grammatiken u. ihre Benutzer, in: Offene Fragen - offene Antworten in der Sprachgermanistik, hg. v. V. Ágel u. R. Hessky (1992);
R. Hessky: Dt. G. (31996);
R. D. Borsley: Syntactic theory (London 1991, Nachdr. ebd. 1994);
Linguistic theory and grammatical description, hg. v. F. G. Droste u. J. E. Joseph (Amsterdam 1991);
C. Dürscheid: Modelle der Satzanalyse (1991);
H. J. Weber: Dependenz-G. (1992);
P. Eisenberg: Grundr. der dt. G. (31994);
Duden. G. der dt. Gegenwartssprache, hg. v. G. Drosdowski (51995);
H. Vater: Neuere Sprachwiss., in: Beitrr. zur Methodengesch. der neueren Philologien, hg. v. R. Harsch-Niemeyer (1995);
B. Bartschat: Methoden der Sprachwiss. (1996);
G. Grewendorf u. a.: Sprachl. Wissen (81996).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Syntax: Gliederung von Sätzen
* * *
Gram|mạ|tik, die; -, -en [lat. (ars) grammatica < griech. grammatike̅́ (téchnē), zu: grammatikós = die Buchstaben, die Schrift betreffend]: 1. Teil der Sprachwissenschaft, der sich mit den sprachlichen Formen u. deren Funktion im Satz, mit den Gesetzmäßigkeiten, dem Bau einer Sprache beschäftigt; Sprachlehre (gegliedert in Phonetik, Morphologie u. bes. Syntax): die historische, deskriptive, traditionelle, generative G.; die G. der deutschen Sprache, die deutsche G. beherrschen; Die lateinische G. ist mit Regeln gespickt wie ein Fisch mit Gräten (Thieß, Reich 405); gegen die G. verstoßen; die fehlerhafte G. (grammatische Beschaffenheit) einer Formulierung; Ü die G. (bildungsspr.; gesetzmäßige Struktur u. Verlaufsform) meteorologischer Phänomene; ... den Durchbruch ... zur unbewussten Struktur, vom bewussten Erleben zur unbewussten „Grammatik der Gefühle“ (der Sprache, Struktur der Gefühle; Sloterdijk, Kritik 112); Da erzählen einem die Leute ..., was sie wollen und wie, entwerfen eine G. ihres „Lustverhaltens“ (Frings, Liebesdinge 74). 2. wissenschaftliche Darstellung, Lehrbuch der ↑Grammatik (1); Sprachlehre: eine französische G.; eine G. der chinesischen Sprache; Ü das Werk soll eine G. (bildungsspr.; eine Darstellung des Regelsystems, ein Regelbuch) der bildenden Künste sein. 3. (Philos., Logik) a) [sprachliche] Struktur, [sprachlicher] Aufbau einer formalen Sprache; b) *logische G. (Theorie der logischen Analyse sprachlicher Ausdrücke [in Wissenschaftssprachen u. formalen Sprachen]).
Universal-Lexikon. 2012.