Akademik

Hunger
Appetit; Kohldampf (umgangssprachlich); Heißhunger; Jieper (umgangssprachlich); Schmacht (umgangssprachlich)

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Hun|ger ['hʊŋɐ], der; -s:
Bedürfnis nach Nahrung; Verlangen, etwas zu essen:
Hunger bekommen; großen Hunger haben; an/vor Hunger sterben (verhungern).
Syn.: Appetit, Kohldampf (ugs.).

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Hụn|ger 〈m.; -s; unz.〉
1. Verlangen nach Nahrung
2. 〈fig.〉 Gier, starkes Bedürfnis
● \Hunger haben; \Hunger leiden hungern; hungers sterben verhungern; seinen \Hunger stillen essen; \Hunger nach frischer Luft, nach Sonne; \Hunger nach Rache; \Hunger wie ein Wolf haben [<ahd. hungar, engl. hunger <germ. *hunhru-, *hungru-; zu idg. *kenk-, *knk- „brennen“]

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Hụn|ger , der; -s [mhd. hunger, ahd. hungar, eigtl. = brennendes Gefühl (von Hunger, Durst)]:
1.
a) [unangenehmes] Gefühl in der Magengegend, das durch das Bedürfnis nach Nahrung hervorgerufen wird; Verlangen, etw. zu essen:
großer H.;
ihn plagt der H.;
H. haben;
er hatte H. wie ein Wolf;
Spr H. ist der beste Koch (dem Hungrigen schmeckt auch weniger gutes Essen);
b) (ugs.) [große] Lust, etw. Bestimmtes zu essen; Appetit:
plötzlich verspürte er H. auf ein gebratenes Hühnchen.
2. Mangel an Nahrungsmitteln; Hungersnot:
in den Nachkriegsjahren herrschte großer H.
3. (geh.) heftiges, leidenschaftliches Verlangen, Begierde:
H. nach Gerechtigkeit.

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I
Hunger,
 
ein triebhaftes Gefühl, das bei Nahrungsbedarf beziehungsweise Nahrungsmangel des Organismus entsteht. Er gehört zu den komplizierten Regulationsvorgängen, die für die ausreichende Energie-, Mineralstoff- und Vitaminversorgung des Organismus verantwortlich sind.
 
Hunger muss von Appetit getrennt werden: Appetit ist das Verlangen nach bestimmten Nahrungsmitteln, die auch ohne Hungergefühl durch ihr besonderes Aussehen, ihren Geruch und Geschmack bei entsprechender Stimmung zur Nahrungsaufnahme reizen. Richtiger Hunger dagegen ist relativ unabhängig vom Aussehen, Geruch und Geschmack der Nahrungsmittel.
 
Der Hunger wird im Zentralnervensystem durch zwei Faktoren ausgelöst: erstens durch reflektorische rhythmische Kontraktionen des leeren, schlaffen Magens, die auf nervösem Weg einem Appetitzentrum (Hungerzentrum) im Hypothalamus gemeldet werden, zweitens durch Reizung von bestimmten Zellen (Glokostaten) im Sättigungszentrum des Hypothalamus, die den (bei Nahrungsmangel) erniedrigten Blutzuckerspiegel registrieren.
 
Beim freiwilligen Hungern, z. B. um Übergewicht zu vermindern, sollte man stets für ausreichende Vitamin-, Mineralstoff- und Wasserzufuhr sorgen, um die Gesundheit nicht zu gefährden. Nicht zu verantworten ist es, den Hunger medikamentös durch Appetitzügler (Anoretika z. B. Amphetamine) zu dämpfen oder Radikalkuren ohne ärztliche Aufsicht durchzuführen.
 
II
Hunger
 
[althochdeutsch »Brennen«, »brennendes Verlangen«], im engeren Sinn eine (vom Ernährungszustand unabhängige subjektive) physiologische Allgemeinempfindung, die den Menschen veranlasst, Nahrung aufzunehmen, aber keinem speziellen Sinnes- oder Körperorgan zuzuordnen ist; im weiteren Sinn eine unzureichende Nahrungszufuhr hinsichtlich Quantität (Nahrungsmenge) und/oder Qualität (unzureichende Zufuhr von Nährstoffen), die zu schweren Formen der Mangel- und Unterernährung führen kann (Hungerkrankheiten, Malnutrition). In diesem Zusammenhang wird der Begriff Hunger besonders in der Politologie und in den Sozialwissenschaften zur Bezeichnung eines sozialen Phänomens verwendet, das unter kritischen gesellschaftlichen Bedingungen in Verbindung mit Naturkatastrophen, Kriegen sowie Zusammenbrüchen beziehungsweise gewaltsamen Umstrukturierungen von Gesellschaften entsteht und das auch durch wirtschaftliche Unterentwicklung sowie extreme Ungleichheit in der Verteilung wirtschaftlicher Ressourcen zum Nachteil bestimmter Gruppen verursacht werden kann (Armut). Zu den allgemeinen Bedingungen für die Entstehung von Ernährungskrisen zählt v. a. die Unfähigkeit gesellschaftlicher Systeme, durch sozioökonomische Entwicklungen und Strukturveränderungen Ernährungs- und Nahrungssicherheit zu gewährleisten oder den Folgen von Umweltkatastrophen (Massenflucht, Zerstörung der natürlichen Grundlagen der Nahrungsmittelproduktion, verbreiteter Schädlingsbefall, Auftreten von Infektionskrankheiten) durch hinreichend schnelle und wirksame Bereitstellung von Nahrungsmitteln zu begegnen. Hunger und Hungerkatastrophen (Hungersnot) erscheinen so als qualitative Stufen von gesellschaftlichen Situationen, in denen Nahrungsmangel vorherrscht. Infolge anhaltender Mangelernährung und akuter Hungersnöte war Ende des 20. Jahrhunderts rd. ein Sechstel der Weltbevölkerung von Hunger unmittelbar betroffen (ohne die Hungernden in Industriestaaten und in den Transformationsländern des ehemaligen Ostblocks); jährlich sterben etwa 10 Mio. Menschen an den Folgen des Hungers. Dabei weisen die Statistiken der Weltbank, der Ernährungs- und Landwirschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) oder der Deutschen Welthungerhilfe e. V. unterschiedliche Zahlen aus. Die FAO legte ihrer Schätzung (1996) von 850 Mio. Hungernden eine einschränkende Definition zugrunde: Hunger als chronische Unterernährung bedeutet, dass die Betroffenen nicht fähig sind, den für leichte Arbeit erforderlichen Mindestenergiebedarf zu decken. Die Zahlenangaben schließen also Menschen aus, die nur zeitweilig hungern.
 
Die weltweite Dimension des Hungers, seine moderne ethische Konnotation (ausreichende Ernährung gilt als fundamentales Menschenrecht) und die Verklammerung des Hungerproblems mit anderen internationalen Trends (Wachstum von Armut, Bevölkerungsentwicklung, weltweite Migration, Belastung der Umweltressourcen, Globalisierung der Wirtschaft) geben dem Hunger den Rang einer globalen Herausforderung.
 
 Physiologie des Hungers
 
Mangelerscheinungen im Organismus bewirken adäquate Reize, die zum einen die entsprechende Allgemeinempfindung (z. B. Durst, Müdigkeit, Atemnot) induzieren, zum anderen aber auch gleichzeitig Antriebe, die darauf gerichtet sind, den bestehenden Mangel zu beheben. Nahrungsmangel führt also nicht nur zur Hungerempfindung, sondern auch zur Nahrungsaufnahme und somit durch Behebung der Mangelerscheinung zur Sicherung des Überlebens. Die Allgemeinempfindungen sind angeboren, werden jedoch durch Umwelteinflüsse modifiziert; so sind z. B. Essgewohnheiten und bevorzugte Speisen (Appetit) abhängig von der jeweiligen Kultur und den verfügbaren Nahrungsmitteln. Über die Entstehung des Hungerempfindens ist bisher noch wenig bekannt. Es werden eine Kurzzeitregulierung, die den täglichen Nahrungsbedarf steuert, und eine sie überlagernde Langzeitregulierung unterschieden. Letztere gleicht Diätfehler aus und sorgt für die Aufrechterhaltung des wahrscheinlich genetisch determinierten Körpergewichts.
 
Als Auslösemechanismus des Hungers werden Mechanorezeptoren in der Magenwand diskutiert, die durch Leerkontraktion des Magens aktiviert werden, ferner Glucorezeptoren in Zwischenhirn, Leber, Magen und Dünndarm, die eine abnehmende Glucoseverfügbarkeit registrieren (glucostatische Hypothese), Thermorezeptoren, die auf Veränderungen der Wärmeproduktion des Organismus reagieren (thermostatische Hypothese), und hauptsächlich der Langzeitregulierung dienende Liporezeptoren, die Zwischenprodukte des Fettstoffwechsels, v. a. den Anstieg freier Fettsäuren, als Hungersignale registrieren (lipostatische Hypothese). Nach der aminostatischen Hypothese soll die Aminosäurezusammensetzung der Nahrung eine Rolle spielen und so eine ausreichende Aufnahme essenzieller Aminosäuren gewährleistet werden. - Durch Nahrungsaufnahme geht das Hungergefühl über einen neutralen Zustand in ein Sättigungsgefühl über, meist bevor es zu einer Resorption der Nährstoffe kommt. Diese präresorptiven Signale werden hervorgerufen durch die Kautätigkeit, Geschmacks- und Geruchsrezeptoren im Nasen-Mund-Rachen-Raum und v. a. durch die Dehnung des Magens. Postresorptive Signale sind vermehrte Glucoseverfügbarkeit, erhöhte Wärmeproduktion und Änderungen im Fettstoffwechsel. Dies führt zu einem Ausgleich des Energiedefizits. - Das Hungerempfinden wird sowohl durch Hormone (z. B. Insulin, Glucagon, Somatotropin, Enterogastron, Östradiol) als auch nerval reguliert. Als zentrales Integrationsorgan wird der Hypothalamus angesehen. Die Theorie, nach der ein Sättigungszentrum hemmend auf ein Hungerzentrum wirkt und umgekehrt, hat sich als zu starke Vereinfachung erwiesen. Derzeit werden andere Hirnstrukturen nach ihrer regulativen Bedeutung für die Hunger- und Sättigungsempfindungen untersucht. Appetitzügler (z. B. Amphetamine, Fenfluramine) wirken auf den Hypothalamus, indem sie das Sollkörpergewicht herabsetzen.
 
Bei länger andauerndem Hunger tritt beim Menschen eine Abnahme des Grundstoffwechsels um 10-20 % ein. Außerdem werden die Glykogenreserven abgebaut, der Fettabbau verstärkt, die Proteinsynthese eingeschränkt, und in der Leber kommt es zur Bildung von Ketonkörpern (Ketogenese: Acetessigsäure, b-Hydroxybutyrat, Aceton), die als Energiesubstrate v. a. für das Gehirn bedeutungsvoll sind, da dieses Organ keine Fette metabolisieren kann, während Leber, Muskeln, Herz und Niere ihre Energie auch durch die Oxidation von Fettsäuren gewinnen können. In der Niere erfolgt eine erhöhte Gluconeogenese und Ammoniakausscheidung. Im fortgeschrittenen Hungerstadium werden Strukturproteine abgebaut, was in der Folge zum Tode führt. Ein ausreichend ernährter Mensch kann 50-70 Tage hungern (d. h. vollständiger Nahrungsentzug), jedoch nur 3-4 Tage ohne Flüssigkeit überleben. Langfristige Unterernährung führt zu Hungerkrankheiten.
 
 Hunger als Massenerscheinung
 
Die Ursachen des Hungers als Massenerscheinung in menschlichen Gesellschaften sind in der Regel auf eine Kombination von Faktoren zurückzuführen, die sich oft wechselseitig verstärken und zu Hungersnöten führen können. Die ereignisbezogenen Zusammenhänge können entweder naturbedingt oder durch menschliches Handeln bestimmt sein und so auf spezifische Weise eine oft ohnehin prekäre Ernährungssituation weiter destabilisieren und krisenhaft zuspitzen. Zu den natürlichen Ursachen des Hungers zählen v. a. länger dauernde klimatische Veränderungen und extreme Klimaereignisse, die allerdings immer häufiger mit aus menschlicher Tätigkeit resultierenden Umweltfolgen in Verbindung stehen. Dies sind u. a. anhaltende und wiederholte Dürreperioden, Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen wie Sturm, Regen, Hagel, Hitze oder Frosteinbrüche. Außerdem führen Infektionskrankheiten sowie massiver Schädlingsbefall bei Kulturpflanzen und Haustieren immer wieder zu Ernteausfällen und damit zu regional dramatischen Rückgängen in der Nahrungsmittelproduktion. Zunehmender Bevölkerungsdruck, sozioökonomische Unterentwicklung und Reformunfähigkeit ebenso wie spezielle wirtschaftliche Interessen beeinträchtigen oder zerstören im Extremfall durch Übernutzung von Böden, Weide- und Fischgründen, durch großräumigen Holzeinschlag in natürlichen Waldgebieten, Überdüngung und übermäßigen Einsatz von Pestiziden und Insektiziden im Zusammenhang mit dem großflächigen Anbau von Monokulturen die natürlichen Grundlagen der Nahrungsmittelproduktion. Besonders in einigen Regionen der Dritten Welt wie der Sahelzone und den Savannengebieten des östlichen und südlichen Afrika, in Zentral- und Südostasien und Südamerika werden seit den 1970er-Jahren schneller fortschreitende Prozesse der Bodenerosion, der Versteppung und Verwüstung (Desertifikation), des Rückgangs der biologischen Artenvielfalt sowie der Regenerationsfähigkeit landwirtschaftlicher Nutzflächen ebenso wie eine zunehmende Wasserverknappung und erhebliche Störungen des klimatischen Gleichgewichts beobachtet. Allein für Afrika wird der jährliche Verlust an landwirtschaftlich nutzbaren Flächen auf 50 000 bis 70 000 km2 beziffert, der daraus resultierende Ertragsausfall bei Getreide auf 14 Mio. t.
 
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde in Ländern, die wiederholt natürlichen Katastrophen ausgesetzt waren, mit bedingtem Erfolg versucht, Präventivstrategien gegen Hungersnöte zu praktizieren, z. B. in Indien seit 1947. Bezeichnenderweise ist das Verhalten von Regierungen gegenüber dem Hungerproblem ihrer Gesellschaften nicht spezifisch für bestimmte politische Systeme. Eine Reihe von Regimen mit autokratischer Tendenz wie China, Taiwan oder Chile haben in den 1970er/80er-Jahren ebenso wie die pluralistischen Herrschaftssysteme etwa in Sri Lanka, Jamaika und Costa Rica merkliche Fortschritte in der Gewährleistung von Ernährungssicherheit erreicht. Das bedeutet nicht, dass mit der Vermeidung von akuten Hungerkrisen in einzelnen Ländern und Regionen der Hunger völlig überwunden wurde. Unterernährung und deren negative Folgen für Gesundheit, Lebenserwartung und soziale Dynamik bleiben eine verbreitete Realität.
 
Einen besonderen Typ von Hungerkrisen stellen die primär gesellschaftlich verursachten Katastrophen dar. Zu ihnen gehören die durch Kriege, Bürgerkriege und militärische Blockaden hervorgerufenen Notlagen der Bevölkerung durch extreme Lebensmittelverknappung und Versuche des erpresserischen Aushungerns ebenso wie die Hungersnöte, die im Ergebnis großer gesellschaftlicher Strukturveränderungen und Zusammenbrüche und der damit verbundenen Zerstörung bestehender Reproduktionssysteme entstehen. Die meisten Kriege der Neuzeit, darunter die Kolonialkriege, kolonialherrschaftliche Unterdrückungsmaßnahmen, Umsiedlungen, Deportationen, Vertreibungen, die Einschränkungen der Lebensrechte indigener Völker und ihrer Wirtschaftsräume waren bis in die Gegenwart mit massiven Erscheinungen des Hungers verbunden, besonders in den beiden Weltkriegen 1914-18 und 1939-45 und in den Nachkriegszeiten. Verschiedene groß angelegte Versuche der wirtschaftlichen und sozialen Reorganisation ganzer Gesellschaften sind mit Hungersnöten einhergegangen (u. a. Kollektivierung in der Sowjetunion 1932-34, besonders in der Ukraine; in der Volksrepublik China 1959/60-62; Hungerkatastrophe in Nord-Korea seit 1994). Seit Ende der 1980er-Jahre konzentrierte sich der gesellschaftlich determinierte Typ von Hungerkrisen auf das subsaharische Afrika. Insbesondere ethnische Konflikte und Bürgerkriege verursachen teilweise gigantische Massenfluchten mit charakteristischen, oft länger anhaltenden Ernährungsnotständen (z. B. in den 1990er-Jahren in Somalia, Liberia, Sierra Leone, Ruanda, Burundi und in der heutigen Demokratischen RepublikKongo). In Liberia waren nach sechs Jahren Bürgerkrieg (1995) infolge der Kriegsereignisse 300 000 Menschen von akuter Hungersnot bedroht und 56 % aller Kinder unterernährt. Auf ein Zusammenwirken von klimatischen Faktoren (Dürre) und politischen Fehlentscheidungen (so der Verkauf der nationalen Getreidereserven durch die Regierung Malawis 2001 und die Enteignung weißer Farmer in Simbabwe) ist die 2002 im südlichen Afrika (Simbabwe, Malawi, Sambia, Moçambique, Lesotho, Swasiland) drohende Hungersnot zurückzuführen. Auch nach Europa kehrten im Zusammenhang mit national-ethnisch motivierten Kriegen besonders im ehemaligen Jugoslawien sowie mit den sozialen Zusammenbrüchen und gesellschaftlichen Transformationsproblemen in Osteuropa in den 1990er-Jahren Unterernährung und Hunger zurück. Selbst in den Industriestaaten Europas sowie in den USA ist nach Angaben der FAO der Bedarf an Nahrungsmittelhilfe für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen gestiegen; als Hauptursachen gelten ungleiche Einkommensverteilung, Verringerung von Sozialausgaben und steigende Arbeitslosigkeit.
 
 Hunger als globale Herausforderung
 
Hunger als grundlegendes Menschheitsproblem betrifft in wechselnden historisch sozialen Konstellationen alle Kontinente und hängt Anfang des 21. Jahrhunderts v. a. mit dem Nord-Süd-/West-Ost-Gefälle, Massenarmut in der Dritten Welt, dem Wachstum der Weltbevölkerung von 1,2 % im Jahr zusammen. Infolge des Agrarinterventionismus der Industrieländer sind die Weltagrarmärkte nach wie vor von hohen Überschüssen und tiefen Preisen geprägt; technisch-biologischer Fortschritt (v. a. Pflanzenzüchtung, besonders Hochleistungssaatgut) trägt zur Marktverzerrung zum Teil noch bei. Hinzu kommt in den unterentwickelten Ländern häufig die Vernachlässigung der Nahrungsmittelproduktion zugunsten von Devisen bringenden Exportkulturen (zur Begleichung von Auslandsschulden) sowie die Lähmung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft durch die niedrigen Agrarpreise und unzureichenden Zugang zu Agrarinputs (z. B. Arbeitsgeräten). Auch mangelnde Ausbildung (beziehungsweise Bildungschancen) und die durch ungerechte Bodenbesitzverteilung begründeten Abhängigkeitsverhältnisse in der Landwirtschaft der Entwicklungsländer, die produktivitätssteigernde Investitionen verhindern, zählen zu den Ursachen des Hungers der Gegenwart.
 
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts konzentriert sich Hunger hochgradig auf die Länder der Dritten Welt, in denen den jüngsten Schätzungen der FAO zufolge noch immer 777 Mio. Menschen von chronischer Unterernährung betroffen sind, darunter 150 Mio. Kinder unter fünf Jahren, die v. a. an ständigem Protein- und Vitaminmangel leiden. Hinzu kommen 27 Mio. Hungernde in den Schwellenländern und 11 Mio. in den Industrieländern. Da angesichts des Bevölkerungswachstums in der Welt der relative Anteil landwirtschaftlich nutzbaren Bodens und sauberen Wassers pro Kopf der Weltbevölkerung weiter erheblich zurückgehen wird, wächst der Druck auf die für die Bekämpfung des Hungers entscheidenden natürlichen Ressourcen. Seit 1970 wuchs das durchschnittliche Nahrungsangebot an Energieeinheiten je Person und Tag von 2 400 auf 2 720 Kalorien; dennoch existieren bezüglich des Wachstums in der Nahrungsmittelproduktion große Unterschiede zwischen den Weltregionen und den Ländergruppen. Setzt man für die Pro-Kopf-Produktion von Nahrungsmitteln einen Vergleichswert von 100 für den Beginn der 80er-Jahre, so beträgt der Index 1993 weltweit 117, für die Industrieländer 96, für die Entwicklungsländer insgesamt 122, dabei für Afrika südlich der Sahara 97 und für die 48 am wenigsten entwickelten Länder 92. Es zeigt sich, dass die Entwicklung der Nahrungsmittelproduktion allein wenig über die reale Ernährungssituation im Einzelfall aussagt. Während die Industrieländer trotz ihres Produktionsrückgangs an Nahrungsmitteln infolge ihres wirtschaftlichen Entwicklungsniveaus und ihrer Exportstärke ohne weiteres quantitativ und qualitativ einen Nahrungsmittelüberfluss sichern können, wirken sich Zuwächse in der Nahrungsmittelproduktion in einkommensschwachen Ländern mit strukturell defizitären Volkswirtschaften nur bedingt positiv auf die Ernährungssituation aus; Produktionsrückgänge haben bei Letzteren außerordentlich negative wirtschaftliche und soziale Auswirkungen. Beträchtliche Fortschritte im Angebot von Nahrungsmitteln wurden besonders in Ost- und Südostasien erzielt. Hier verringerte sich trotz des raschen Gesamtwachstums der Bevölkerung um über 500 Mio. seit Mitte der 70er-Jahre der Anteil der unterernährten Bevölkerung von 41 % auf 16 % (1992). In Lateinamerika sank im gleichen Zeitraum der Anteil der von Unterernährung betroffenen Bevölkerung von 18 % auf 15 %, in Nordafrika/Nahost von 25 % auf 12 %. Dagegen bleibt die Situation in Afrika südlich der Sahara besonders prekär. Der Tagesverbrauch je Kopf der Bevölkerung betrug in dieser Region Mitte der 90er-Jahre im Durchschnitt 2 040 Kalorien und lag damit noch erheblich unter dem Weltdurchschnitt um 1970. Zwischen 1990 und 1999 stieg die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen hier von 242 Mio. auf 300 Mio. Menschen. Weltweit sank der prozentuale Anteil der extrem Armen im selben Zeitraum von 29 % auf 23 %.
 
Die Situation bleibt trotz einer voraussichtlich graduellen Verringerung der Zahl der Hungernden in der Welt außerordentlich problematisch angesichts des zu erwartenden weiteren Rückgangs der Nahrungsmittelreserven. Die (1996) vorhandenen Getreidereserven sind die niedrigsten seit 1970. Dies führt voraussichtlich zu einem anhaltenden Preisanstieg bei Nahrungsmitteln, wodurch den am meisten betroffenen Ländern und Bevölkerungsgruppen zusätzliche Nachteile erwachsen. Verschärft wird die Lage durch einen Rückgang der internationalen Nahrungsmittelhilfe (1996) auf nahezu die Hälfte seit 1993.
 
Als benachteiligte Gruppen, die dem Risiko des Hungers am stärksten ausgesetzt sind, gelten: 1) Die armen Bevölkerungsgruppen in den ländlichen Regionen der Dritten Welt; diese setzen sich insbesondere aus Kleinbauern, besitzlosen Landarbeitern, Hirtennomaden und Fischern zusammen. Ihre Ernährungsgrundlage ist äußerst instabil, da sie nicht oder nur unzureichend mit Saatgut sowie Produktions- und Düngemitteln versorgt sind und kaum in den Genuss von Krediten kommen. Soziale Standards sind in den ländlichen Regionen besonders niedrig: in den Entwicklungsländern hatten (1996) nur 75 % der Landbevölkerung die Möglichkeit zu einer medizinischen Versorgung, lediglich 60 % Zugang zu sauberem Wasser, und nur 20 % verfügten über sanitäre Einrichtungen. Der subsistenzwirtschaftliche Anteil ihrer Existenzsicherung ist in der Regel hoch und bewirkt eine starke Abhängigkeit von der Witterung und den vorherrschenden klimatischen beziehungsweise anderen natürlichen Bedingungen. Ihre warenwirtschaftliche Einbindung in geregelte Märkte ist instabil und nur gering ausgeprägt, sodass durch Missernten erzeugte Ernährungsdefizite nicht durch Produktions- oder Arbeitsleistungen ausgeglichen werden können. In den unzähligen armen Bauerngemeinden kehrt der Hunger periodisch ein, da die Vorräte die Zeit zwischen den Ernten nicht überbrücken. 2) Die (groß)städtische Armut; sie unterliegt in der Regel zwar seltener akuten Notlagen, doch lassen unregelmäßiges und extrem geringes Einkommen eine ausreichende Ernährung nicht zu. Mangelernährung führt in den Städten in Verbindung mit desolaten Sanitärverhältnissen und hoher Bevölkerungsdichte (»Slums«, Segregation) zu gesundheitlich äußerst bedenklichen Lebensbedingungen. 3) Kinder der verarmten Bevölkerungsgruppen; sie sind besonders von Mangelernährung betroffen. Diese führt nach einer bestimmten Dauer zu körperlichen und mentalen Entwicklungsstörungen und damit in der Folge zu bleibenden Schäden. Der Anteil der untergewichtigen Kinder unter fünf Jahren beläuft sich nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf 32 % in den Entwicklungsländern, 31 % im subsaharischen Afrika und 4 % in den industriell entwickelten Staaten. Die prekäre Ernährungssituation in verarmten Familien verursacht häufig den verbreiteten Missbrauch von Minderjährigen zu Kinderarbeit, militärischen Diensten, Prostitution und anderen unwürdigen Leistungen. Nach UNO-Schätzungen ist die Zahl der Kinderarbeiter (unter 15 Jahren) seit Ende der 70er-Jahre von 52 Mio. auf (2001) rd. 250 Mio. angestiegen (Kinderarbeit); die Zahl der Kindersoldaten (unter 18 Jahren) wird auf etwa 350 000 geschätzt. 4) Die Gruppe der alten Menschen; sie leidet insbesondere dann an Hunger, wenn größere Familiengemeinschaften unter den Zwängen der Not zerbrechen. Ihr Anspruch auf innerfamiliäre Versorgung im Rahmen tradierter Sozialbeziehungen kann unter solchen Bedingungen nicht realisiert werden. Da andere Formen der sozialen Sicherung in der Regel nicht zur Verfügung stehen, ist diese Gruppe in Hungerperioden physisch besonders bedroht. 5) Frauen und Mädchen, die von der verbreiteten sozialen Ungleichstellung gegenüber Männern betroffen sind. Diese Diskriminierung, die sich in höherer Arbeitsbelastung von Kindheit an, geringeren Erwerbschancen, einer oft hohen Zahl von Schwangerschaften und unzureichender medizinischer Versorgung äußert, ist verbunden mit einer geschlechterspezifischen Benachteiligung im Ernährungsstandard. Der Anteil der Frauen an den Armen der Welt wird auf 70 % geschätzt. Frauen erhalten von Kindheit an häufig weniger Nahrung als männliche Mitglieder familiärer Gemeinschaften; dies führt zu entsprechend negativen Folgen für Gesundheit und Konstitution. Dazu zählen besonders die weit verbreitete Anämie sowie die hohen Risiken für Schwangerschaft und Geburt, die nicht nur eine hohe frühkindliche Sterblichkeitsrate zur Folge haben, sondern auch generell die körperlichen und geistigen Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern beeinträchtigen. Die Müttersterblichkeit betrug 1993 je 100 000 Lebendgeburten in den Entwicklungsländern 384, darunter im subsaharischen Afrika 929, und in den Industrieländern 28. Die Sterblichkeitsrate bei Kindern bis zu fünf Jahren belief sich je 1 000 Lebendgeburten auf 97 (Entwicklungsländer), 174 (subsaharisches Afrika) und 18 (Industrieländer). Die rechtliche und soziale Gleichstellung der Frau sowie ihre spezielle Förderung im Rahmen sozialer Entwicklungsprogramme wird inzwischen als ein zentrales Element der Herstellung von Ernährungssicherheit in Ländern mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen und hohen Nahrungsmitteldefiziten angesehen. 6) Flüchtlinge; Menschen, die durch Katastrophen und deren Folgen zur Flucht gezwungen oder veranlasst werden, verlieren dabei auch ihre Ernährungsgrundlagen, geraten in akute und zum Teil extreme Hungersituationen und werden von Lebensmittelnothilfe abhängig. Während eine wachsende Reaktionsbereitschaft nationaler Regierungen in gefährdeten Ländern und eine inzwischen entwickelte internationale Logistik seitens spezialisierter, weltweit agierender staatlicher und nichtstaatlicher Hilfsorganisationen (NGO) die unmittelbaren Auswirkungen von Naturkatastrophen tendenziell eingrenzen, bleiben die Folgen von Flucht und Vertreibung durch bewaffnete Konflikte, militärische Auseinandersetzungen, Bürgerkriege und Völkermord unermesslich und im Hinblick auf Umfang sowie Dauer unwägbar. Die Anzahl der von Menschen verursachten Katastrophen hat in den 1990er-Jahren besonders in Afrika, aber auch in Europa und Mittelasien zugenommen. In einzelnen Ländern Zentralafrikas sind seit 1994 mehr als eine Mio. Menschen betroffen. Neben den akuten Fluchtbewegungen kam es in Entwicklungsländern zu einer stetig steigenden Migration aus den durch Hunger gefährdeten ländlichen Regionen in die Städte (Landflucht). Die Abwanderung v. a. jüngerer und ökonomisch potenter Bevölkerungsgruppen ist ein Ausdruck der problematischen wirtschaftlichen Verhältnisse und erschwert zugleich die Ernährungssituation in den Herkunftsgebieten durch den Entzug von Arbeitskräften.
 
Chronische Mangelernährung und periodische Nahrungsmittelknappheit rufen auch generell entwicklungshemmende und produktivitätsmindernde Effekte hervor. Hunger, Krankheitshäufigkeit und geringe Lebenserwartung korrelieren deutlich miteinander und bewirken körperliche und geistige Lethargie. Wo diese Erscheinungen massenhaft auftreten, verringern sich die Erwerbsmöglichkeiten ebenso wie die Leistungsbereitschaft und die soziale Reformwilligkeit der Betroffenen, die Armut erreicht größere Dimensionen. Verschärfend wirkt sich die epidemische Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose und v. a. Aids aus.
 
 Strategien und Prognosen
 
Wurde in früheren Erklärungsmustern das Hungerproblem in der Welt eng mit den Phänomenen der Bevölkerungsexplosion und der Armut in Verbindung gebracht, so setzte sich in den 1990er-Jahren ein differenzierteres Verständnis durch. V. a. wird die Fortdauer des Hungers in der Welt als eine substanzielle Gefährdung der Stabilität internationaler Beziehungen anerkannt, die im Zeitalter der Globalisierung und weltweiter Interdependenz gesellschaftlicher Entwicklungen und Strukturveränderungen den Staaten ein hohes Maß an Verantwortung auferlegt. Die internationale Gemeinschaft orientiert sich mit Blick auf den globalen Zusammenhang an dem Ziel, Ernährungssicherheit für alle und zu jeder Zeit zu erreichen. Die Basis dafür bildet eine Zusammenarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen, auf zwischenstaatlicher Ebene und durch die Nutzung öffentlicher und privater, nationaler und internationaler Institutionen, staatlicher Agenturen und Nichtregierungsorganisationen. Die primäre Verantwortung für eine befriedigende Versorgung mit Nahrungsmitteln wird grundsätzlich den einzelnen Staaten zugeschrieben. Diese politisch-rechtliche Position, teils aus dem völkerrechtlichen Prinzip staatlicher Souveränität, teils aus der Akzeptanz von Unterschieden in Bezug auf die reale Geltung und Verwirklichung von Menschenrechten abgeleitet, wird von verschiedenen Beobachtern als unzulänglich angesehen. Diese zweifeln angesichts bedeutender Unterschiede hinsichtlich der Entwicklungsdynamik und der jeweils besonderen Interessenlage von Staaten und Regionen die Möglichkeit eines einheitlichen Vorgehens bei der Eliminierung des Hungers in der Welt an, solange multilaterale Deklarationen und Programme nur empfehlenden Charakter tragen. Insofern wird auch das auf der Welternährungskonferenz der Staats- und Regierungschefs vom 13. bis 17. 11. 1996 in Rom deklarierte Ziel, bis spätestens 2015 die Anzahl der unterernährten Menschen um die Hälfte auf 400 Mio. zu verringern, mit Skepsis betrachtet, zumal frühere internationale Zielsetzungen zur Beseitigung des Hungers gescheitert sind. Schon die von der UNO einberufene Welternährungskonferenz vom 5. bis 16. 11. 1974 in Rom hatte die Aufgabe formuliert, Hunger im Verlauf der 80er-Jahre zu überwinden. Der Welternährungsgipfel von 1996 befasste sich ausführlich mit der Herstellung von Ernährungssicherheit im Weltmaßstab. Er verabschiedete auf der Grundlage von sieben einschlägigen Verpflichtungen einen Aktionsplan, der die strategischen Leitlinien der internationalen Gemeinschaft gegen den Hunger absteckte und auf die Unterstützung aller diesbezüglichen Bemühungen der Staaten abzielte. Der Welternährungsgipfel in Rom vom 10. bis 13. 6. 2002 hielt an dem 1996 anvisierte Ziel fest, obwohl die Zahl der Hungernden seit 1996 nicht, wie erforderlich, um 22 Mio. jährlich, sondern nur um 6 Mio. jährlich abgenommen hat. Die Teilnehmerstaaten verpflichteten sich nicht, die von der FAO zur Erreichung des Ziels veranschlagten zusätzlichen finanziellen Leistungen von 24 Mrd. US-$ jährlich zu erbringen.
 
In voller Anerkennung des multidimensionalen Charakters des Hungers gelten die Schaffung und Sicherung geeigneter politischer, sozialer und wirtschaftlicher Verhältnisse als unumgängliche Voraussetzung für seine Bekämpfung. Grundlage dafür sind die Sicherung eines dauerhaften Friedens, die Beseitigung der Armut und die gleichberechtigte Partizipation von Männern und Frauen in der Gesellschaft. In diesen Zusammenhang gehören die Förderung und der Schutz der Menschenrechte sowie Grundfreiheiten, einschließlich des Rechts auf Entwicklung. Die Schaffung von Ernährungssicherheit setzt folglich weit reichende Maßnahmen voraus, die der Konfliktbeseitigung und Krisenprävention dienen, demokratische Verhältnisse fördern, den Zugang zu den jeweiligen nationalen Ressourcen auch für die Armen erschließen und entsprechende Landreformen in die Wege leiten. Diese Vorhaben müssen zugleich in soziale Entwicklungsstrategien eingebettet sein, die Aspekte der Bevölkerungsentwicklung, der Migration, der Familienplanung, der Gleichberechtigung der Geschlechter, der besonderen Befähigung von Frauen (englisch empowerment) und der Nichtdiskriminierung von benachteiligten Gruppen und Minderheiten berücksichtigen. Die zentrale Bedeutung der Armutsbekämpfung für die Beseitigung des Hungers weist hin auf die Notwendigkeit einer wesentlichen Reduzierung von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung (insbesondere in den ländlichen Regionen der Entwicklungsländer), der Einführung arbeitsintensiver und angepasster Technologien, der Nutzung traditioneller Produktionstechniken, der Einführung und Verbesserung des Umwelt-, Tier- und Pflanzenschutzes, des Erhalts der genetischen Vielfalt, der Erhöhung der sanitären Standards und der Gewährleistung des Zugangs zu sauberem Wasser. Angestrebt wird die Implementierung von Programmen einer den jeweiligen nationalen und lokalen Bedingungen angepassten integrierten ländlichen Entwicklung, in deren Rahmen die Verfügbarkeit von sozialen und wirtschaftlichen Dienstleistungen entscheidend erhöht werden muss. Hierzu gehören das Angebot einer Grundschulausbildung mit gesicherter Verpflegung der Schulkinder auch in ländlichen Gebieten, die Bereitstellung von Produktionsmitteln, die infrastrukturelle Erschließung rückständiger Gebiete, die Einrichtung von Beratungsdiensten, der Zugang zu Krediten auch für Kleinproduzenten und eine gesundheitliche Grundversorgung.
 
Über einen derartig integrierten Entwicklungsansatz hinaus ist es angesichts des relativen und absoluten Rückgangs bewirtschaftbarer landwirtschaftlicher Flächen u. a. Ressourcen der Nahrungsmittelgewinnung erforderlich, die Effizienz der Produktion und Verarbeitung von Nahrungsgütern in Verbindung mit einem naturschonenden Ressourcenmanagement weltweit zu erhöhen. Die FAO verweist diesbezüglich auf eine breitere und vertiefte Forschung und internationale Wissenschaftskooperation, auf einen anforderungsgerechten Technologietransfer und die Erweiterung von Ausbildungs- und Trainingsmöglichkeiten, um das produktive Potenzial der Land-, Fischerei- und Forstwirtschaft zu erweitern und deren Naturgrundlagen zu erhalten. Es müssen ferner Anstrengungen unternommen werden, die spezifischen Bedürfnisse von durch Hunger gefährdeten Regionen und Staaten im Rahmen eines marktorientierten Welthandels mit Nahrungsgütern zu berücksichtigen. Da realistischerweise davon ausgegangen werden muss, dass die extremen Verteilungsunterschiede im Nahrungsmittelsektor weder durch spontane Selbstregulation der Märkte noch durch politischen Dirigismus überwunden werden können, müssen öffentliche und private Investitionen in allen Bereichen etabliert werden, die für die Herstellung von Ernährungssicherheit relevant erscheinen. Diesbezüglich ist der Rückgang der offiziellen Entwicklungshilfe der industriell entwickelten Länder für die Dritte Welt (ODA) ein ernüchterndes Signal. Das von der UNO gesetzte Ziel, die Entwicklungshilfe auf mindestens 0,7 % des Bruttosozialprodukts der entwickelten Länder zu erhöhen, wurde nur von fünf OECD-Staaten realisiert oder übertroffen. Die Durchschnittsquote betrug 2000- bei fallender Tendenz - etwas mehr als 0,2 %. Insgesamt gingen die Entwicklungshilfeleistungen von 1990 bis 1999 um rd. 30 % zurück.
 
Diskutiert wird seit Mitte der 1990er-Jahre die Möglichkeit einer sozialen Grundversorgung in den Entwicklungsländern, die u. a. auch eine Grundernährung der Bevölkerung sichern soll. Mehrere UN-Spezialorganisationen haben hierzu die »20:20-Initiative« gestartet, die auch vom Weltgipfel für soziale Entwicklung in Kopenhagen (1995) unterstützt wurde. Nach diesem Projekt sollen 20 % der Entwicklungshilfemittel und 20 % des Etats der Entwicklungsländer für Grundversorgungsleistungen verwendet werden. Die praktische Umsetzung dieses Vorschlags ist jedoch mit erheblichen Realisierungsproblemen belastet. Darüber hinaus gewinnt das Thema der Verteilungsgerechtigkeit zunehmende Aktualität. Es impliziert die Suche nach einer grundlegend anderen Rationalität in den Nord-Süd-Beziehungen, darin eingeschlossen eine Veränderung der Bedarfs- und Verbrauchsstrukturen in den industriell entwickelten Ländern. Neben derartigen strategischen Überlegungen, die auf Nachhaltigkeit im Kampf gegen den Hunger zielen, bleiben angesichts des fortdauernden akuten Hungerproblems die Schaffung und der Ausbau von Informations- und Frühwarnsystemen in Bezug auf kritische Ernährungssituationen, von Präventivkonzepten insbesondere für konfliktinduzierte Notlagen sowie von effizienten internationalen Sofort- und Nothilfesystemen eine aktuelle Aufgabe.
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Agrarforschung · Armut · Bevölkerungsentwicklung · Boden · Desertifikation · Dritte Welt · Entwicklungsländer · Entwicklungspolitik · Ernährung · FAO · Flüchtlinge · Gentechnologie · Globalisierung · grüne Revolution · Migration · Nahrungsmittelhilfe · Nord-Süd-Konflikt · Sterblichkeit · Umwelt · Unterentwicklung · Verstädterung · Welternährung · Welternährungskonferenz · Welternährungsprogramm · Welternährungsrat · Weltpolitik
 
Literatur:
 
EEC and the Third World, Bd. 2: Hunger in the World, hg. v. C. Stevens (London 1982);
 J. Collins u. F. Lappé: Vom Mythos des H. (a. d. Engl., 41.-45. Tsd. 1985);
 
Der Beitrag der Europ. Gemeinschaft zur Bekämpfung des H.s in der Welt, bearb. v. Siegfried Schultz u. P. Hrubesch (1987);
 K. M. Leisinger: Gentechnik für die Dritte Welt? H., Krankheit u. Umweltkrise - eine moderne Technologie auf dem Prüfstand entwicklungspolit. Tatsachen (Basel 1991);
 E. Altvater: Der Preis des Wohlstands oder Umweltplünderung u. neue Welt(un)ordnung (1992);
 L. R. Brown u. H. Kane: Full house. Reassessing the earth's population carrying capacity (New York 1994);
 A. Datta: Welthandel u. Welt-H. (61994);
 
Globale Trends 1996, hg. v. I. Hauchler (1995);
 M. Montanari: Der H. u. der Überfluß. Kulturgesch. der Ernährung in Europa (a. d. Ital., 21995);
 L. Newman: Hunger in history (Neuausg. Oxford 1995);
 P. J. O'Rourke: Alle Sorgen dieser Welt. Sprengstoff für die Diskussion um Über-Bev., H., Rassenhaß, Seuchen u. Armut (a. d. Engl., 1995);
 
The political economy of hunger, hg. v. J. Drèze (Oxford 1995);
 F. Nuscheler: Lern- u. Arbeitsbuch Entwicklungspolitik (Neuausg. 1996).
 
Weltentwicklungsbericht. Veröff. für die Weltbank, hg. v. UNO-Verlag (1978 ff.);
 
UNDP-Jahresbericht (New York 1990 ff., früher u. a. T.).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
Verdauung: Aufschließen und Bereitstellen
 
III
Hụnger,
 
Herbert, österreichischer klassischer Philologe und Byzantinist, * Wien 9. 12. 1914; 1956-62 Direktor der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, 1962-85 Professor für Byzantinistik in Wien, 1973-82 Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; Forschungen besonders zur byzantinischen Literatur.
 
Werke: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie (1953); Antikes und mittelalterliches Schriftwesen, in: Geschichte der Textüberlieferung, Band 1 (1961); Aspekte der griechischen Rhetorik von Gorgias bis zum Untergang von Byzanz (1972); Byzantinische Grundlagenforsch. (1973); Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner, 2 Bände (1978); Antiker und byzantinischer Roman (1980); Schreiben und Lesen in Byzanz (1989).

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Hụn|ger, der; -s [mhd. hunger, ahd. hungar, eigtl. = brennendes Gefühl (von Hunger, Durst)]: 1. a) [unangenehmes] Gefühl in der Magengegend, das durch das Bedürfnis nach Nahrung hervorgerufen wird; Verlangen, etw. zu essen: großer, tüchtiger H.; ihn plagt der H.; H. haben, leiden, verspüren; er hatte H. wie ein Bär, Wolf; seinen H. [mit etw.] notdürftig stillen; an/vor H., (geh.:) -s sterben (verhungern); der H. treibts rein, hinein (ugs. scherzh.; weil man Hunger hat, isst man eben etwas, was einem eigentlich gar nicht schmeckt); Spr H. ist der beste Koch (dem Hungrigen schmeckt auch weniger gutes Essen); *guten H.! (ugs.; vgl. ↑Appetit);b) (ugs.) [große] Lust, etw. Bestimmtes zu essen; Appetit: plötzlich verspürte er H. auf ein gebratenes Hühnchen. 2. Mangel an Nahrungsmitteln; Hungersnot: in den Nachkriegsjahren herrschte großer H. 3. (geh.) heftiges, leidenschaftliches Verlangen, Begierde: H. nach Gerechtigkeit, nach Ruhm; dann stürzte er sich mit dumpfem H. auf ein beliebiges Weib, leicht befriedigt (Feuchtwanger, Erfolg 386).

Universal-Lexikon. 2012.