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Ent|eig|nung 〈f. 20〉 das Enteignen
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Ent|eig|nung, die; -, -en:
die E. der Großgrundbesitzer;
die E. von Großgrundbesitz.
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Ent|eignung,
Expropriation [lateinisch], Entziehung des Eigentums an beweglichen oder unbeweglichen Sachen oder sonstigen Vermögensrechten durch staatlichen Hoheitsakt. Die Enteignung soll dazu dienen, die entzogene Sache zum Wohl der Allgemeinheit einem anderen, als höherwertig geltenden Verwendungszweck zuzuführen. Sie ist von der Einziehung (Konfiskation) und der Sozialisierung (Vergesellschaftung) zu unterscheiden. Die modernen rechtsstaatlichen Verfassungen verbinden mit der Garantie des Privateigentums in der Regel die Bestimmung, dass eine Enteignung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, aber nur gegen Entschädigung erfolgen kann. Im Marxismus gilt die entschädigungslose Enteignung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln unter Bildung von staatlichem oder gesellschaftlichem Kollektiveigentum als wesentlicher Schritt der sozialen Revolution und zur Aufhebung der »Selbstentfremdung« des Menschen durch die Lohnarbeit. Ihren Niederschlag hatte diese Auffassung u. a. in Art. 9 ff. der Verfassung der DDR gefunden. Während der klassische Begriff der Enteignung auf die Vollentziehung des Grundeigentums beschränkt war (besonders zur Durchführung des Eisenbahnbaus), ist der Begriff der Enteignung in Deutschland seit 1919 auf die Entziehung beweglicher Sachen und anderer privater Vermögensrechte (z. B. Forderungen) ausgedehnt worden. In Deutschland ist nach Art. 14 GG eine Enteignung nur zum Wohl der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur aufgrund eines Gesetzes durch Verwaltungsakt (Administrativenteignung) oder ausnahmsweise unmittelbar durch ein Gesetz (Legalenteignung) erfolgen. Welche staatliche Maßnahme als Enteignung zu qualifizieren ist, kann im Einzelfall problematisch sein. Kein Zweifel besteht, die gänzliche Entziehung des Eigentums als Enteignung zu betrachten; auch Vermögenseingriffe, die das Eigentum als solches bestehen lassen, dem Eigentümer aber eine schwerwiegende Beschränkung auferlegen, werden als Enteignung ausgelegt. Erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen zwischen der entschädigungslos hinzunehmenden Eigentumsbindung (Sozialbindung des Eigentums) und der Enteignung bei den Eigentumseingriffen, z. B. im Gewerbe-, Miet-, Bau- und Umweltrecht. Nach der v. a. vom Bundesgerichtshof vertretenen »Sonderopfertheorie« liegt eine Enteignung vor, wenn die Belastung des Eigentums den Betroffenen im Vergleich zu anderen Bürgern ungleich trifft und ihm ein besonderes, den anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt. Für die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte »Zumutbarkeitstheorie« ist v. a. die Schwere und Tragweite des Eingriffs maßgebend. Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (insbesondere der Beschluss vom 15. 7. 1981, so genannter »Nassauskiesungsbeschluss«) unterscheidet wieder schärfer zwischen Schrankenziehung (Sozialbindung) und Enteignung; eine übermäßige Beschränkung des Eigentums ist danach nicht Enteignung, sondern bleibt eine (übermäßige, deshalb unzulässige) Schrankenziehung, gegen die der Betroffene vorgehen muss.
Enteignung begründen Entschädigungsansprüche. Art. 14 GG bestimmt, dass die Enteignungsgesetze Art und Ausmaß der Entschädigung regeln müssen (Junktimklausel), anderenfalls ist die Enteignung verfassungswidrig. Die Entschädigung erfolgt meist in Geld; bei Grundstücken ist auch Naturalentschädigung gebräuchlich. Die Höhe der Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Als geeigneter Maßstab dient vielfach der Wiederbeschaffungswert, doch müssen der Zeitwert oder sonst eingetretene Nachteile (z. B. entgangener Gewinn) nicht unbedingt voll ausgeglichen werden. Daher spricht das Enteignungsrecht in diesem Zusammenhang von »Entschädigung«, nicht von »Schadensersatz«. Die Enteigneten können wegen der Höhe der Entschädigung im Streitfall die ordentlichen Gerichte anrufen. Die Enteignungsmaßnahme selbst kann, wenn sie durch Gesetz erfolgt, mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden; wenn sie aufgrund eines Gesetzes durch Verwaltungsakt vorgenommen wird, kann gegen sie verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage erhoben werden.
Von der Enteignung sind enteignender und enteignungsgleicher Eingriff zu unterscheiden. Der gesetzlich nicht geregelte, von juristischem Schrifttum und der Rechtsprechung geprägte Begriff des enteignenden Eingriffs meint dem Einzelnen auferlegte Sonderopfer, die als Nebenfolge rechtmäßigen hoheitlichen Handelns entstanden sind, aber keine Enteignung im engeren Sinn darstellen, da ihnen das Bewusste, Gewollte und Zweckgerichtete einer Enteignung fehlt (z. B. Beeinträchtigung von Nachbarn durch eine - rechtmäßige - störende öffentliche Anlage). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Einzelne wie für eine Enteignung auch bei einem enteignungsgleichen Eingriff Entschädigung verlangen, wenn er nämlich in seinem Vermögen durch einen (auch schuldlos) rechtswidrigen Eingriff der öffentlichen Gewalt geschädigt wurde, z. B. bei Enteignung aufgrund eines nichtigen Gesetzes oder bei rechtswidriger Schließung eines Geschäftes. Nach der erwähnten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vom 15. 7. 1981) ist streitig, ob an der Rechtsprechung zum enteignungsgleichen Eingriff festgehalten werden kann: Da der enteignungsgleiche Eingriff ein rechtswidriger Akt ist, kann ihn der Betroffene gerichtlich abwehren; deshalb ist umstritten, ob er den Rechtsweg beschreiten muss oder stattdessen die Möglichkeit der Entschädigung wählen kann. Das Bundesverfassungsgericht verneint ein solches Wahlrecht. Der Bundesgerichtshof hält indes mit modifizierter Begründung weiter am Begriff des enteignungsgleichen Eingriffs fest.
Im Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 31. 8. 1990 ist bestimmt, dass Enteignungen, die im Beitrittsgebiet auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage 1945-49 vorgenommen wurden, d. h. insbesondere Maßnahmen zur Durchführung der Bodenreform, nicht mehr rückgängig zu machen sind. Dies ist durch Verfassungsänderung in Art. 143 Absatz 3 GG verankert und vom Bundesverfassungsgericht für zulässig befunden worden (Entscheidung vom 23. 4. 1991, im Mai 1996 nochmals bestätigt). Allerdings gebietet es nach Auffassung des Gerichts der allgemeine Gleichheitssatz, durch Gesetz auch für diese Enteignung eine Ausgleichsregelung zu schaffen. Mit dem Erlass des Gesetzes über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können (Ausgleichsleistungsgesetz) vom 27. 9. 1994, in Kraft ab 1. 12. 1994, wurde die Rechtsgrundlage zur Regelung dieser offenen Vermögensfragen in den neuen Ländern geschaffen.
Entschädigungslose und weitere, im Vermögensgesetz vom 23. 9. 1990 in der Fassung vom 2. 12. 1994 näher bestimmte Enteignungen seitens der Staatsorgane der DDR sind auf Antrag grundsätzlich rückgängig zu machen (Grundsatz der Restitution), sofern dies möglich ist und nicht bestimmte Hinderungsgründe entgegenstehen (besonders redlicher Erwerb durch Dritte nach dem 8. 5. 1945, Widmung für den Gemeingebrauch oder bestimmte vorrangige Nutzungen). Das Entschädigungsgesetz vom 27. 11. 1994, in Kraft ab 1. 12. 1994 (Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen), regelt den Entschädigungsanspruch des Berechtigten, wenn die Rückgabe nach dem Vermögensgesetz ausgeschlossen ist oder der Berechtigte Entschädigung gewählt hat. Im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Ländern, die schnell klare Eigentumsverhältnisse voraussetzt, ist bei bestimmten Investitionen (z. B. zur Sicherung oder Schaffung von Arbeitsplätzen) die Restitution ausgeschlossen und durch einen Anspruch auf Ausgleich oder unter bestimmten Voraussetzungen Entschädigung nach dem Investitionsvorranggesetz vom 14. 7. 1992 ersetzt.
In Österreich wird vom Verfassungsgerichtshof ein Eigentumseingriff nur dann als Enteignung qualifiziert, wenn er zu einer Vermögensverschiebung zugunsten Dritter führt (Entscheidung vom 16. 12. 1983, »Zwentendorf-Erkenntnis«). Eine Enteignung darf nur aufgrund eines besonderen Gesetzes im Interesse des »allgemeinen Besten« (Art. 5 Staatsgrundgesetz) unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit verfügt werden. Die Gesetze sehen in der Regel Entschädigungsansprüche vor; verfassungsrechtlich geboten ist eine Entschädigung nach der Rechtsprechung allerdings nur, wenn der Eigentumseingriff ein verfassungswidriges Sonderopfer bewirken würde. — Aufgrund der verfassungsmäßigen Eigentumsordnung (Art. 22ter Bundesverfassung) ist in der Schweiz zwischen der formellen und der materiellen Enteignung zu unterscheiden. Unter formeller Enteignung versteht man den Entzug des Eigentumsrechts oder eines beschränkten dinglichen Rechts in einem durch spezielle Gesetze des Bundes und der Kantone geregelten Verfahren. Die formelle Enteignung ist nur im öffentlichen Interesse zulässig und muss voll entschädigt werden. Auf Bundesebene ist das Verfahren der formellen Enteignung im Bundesgesetz über die Enteignung vom 20. 6. 1930 geregelt. Im Gegensatz zur formellen Enteignung wird bei der materiellen Enteignung das Eigentumsrecht dem Eigentümer belassen. Der staatliche Eingriff wirkt sich jedoch enteignungsähnlich aus, weil der bisherige oder voraussichtlich künftige Gebrauch einer Sache untersagt oder in besonders schwerwiegender Weise eingeschränkt wird; gleichgestellt sind Sonderopfer. Auch die materielle Enteignung ist voll zu entschädigen.
GG-Komm., hg. v. I. von Münch, Bd. 1 (31985);
Enteignung Riva: Hauptfragen der materiellen E. (Bern 1990);
B. Diekmann: Das System der Rückerstattungstatbestände nach dem Ges. zur Regelung offener Vermögensfragen (1992);
A. Friedlein: Vermögensansprüche in den fünf neuen Bundesländern (1992);
Hb. des E.-Rechts, Beitr. v. K. Korinek u. a. (Wien 1994).
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Ent|eig|nung, die; -, -en: das Enteignen: die E. der Großgrundbesitzer; die E. von Großgrundbesitz.
Universal-Lexikon. 2012.