die Literatur in spanischer (das ist in kastilischer) Sprache, soweit sie in Spanien verfasst wurde. Über die in Spanisch geschriebene Literatur Lateinamerikas lateinamerikanische Literatur.
Besondere Charakteristika der spanischen Literatur sind die intensive Pflege einiger spezifischer literarischer Gattungen (Romanze, Ritterroman, asketisch-mystische Literatur, Schelmenroman, Comedia und Auto sacramental), eine große Kontinuität literarischer Stoffe und Formen vom Mittelalter bis zur Neuzeit, die bis in die Gegenwart reichende Präsenz einer bisweilen übermächtigen kirchlichen und staatlichen Zensur, der Verlust der Funktion als alleinige spanische Nationalliteratur angesichts des im 19. Jahrhundert erfolgten Wiedererstehens der galicischen (galicische Sprache und Literatur), der katalanischen (katalanische Sprache und Literatur) sowie der baskischen Literatur (baskische Sprache und Literatur) auf spanischem Staatsgebiet, schließlich die Entwicklung spanischen Literaturen außerhalb Spaniens bei den Spaniolen (Ladino), in Lateinamerika und bei Spanisch sprechenden Minderheiten (Chicanos) in den USA.
Mittelalter (12.-15. Jahrhundert)
Die Literatur des spanischen Mittelalters war nicht nur wie im übrigen Europa durch das Miteinander einer lateinisch-klerikalen und einer volkssprachlich-laizistischen Kultur geprägt. Für Spanien bestimmend wurde darüber hinaus das Zusammenleben mit einer arabisch-islamischen (aljamiadische Literatur) und einer hebräisch-jüdischen Kultur, das erst 1492 endete, als die Katholischen Könige Isabella I. und Ferdinand II. Granada, das letzte arabische Königreich auf spanischem Boden, eroberten und zugleich die Juden aus ihrem Herrschaftsgebiet vertrieben. Durch die kulturelle Synthese wurde die spanische Literatur zur wichtigen Vermittlerin orientalischer Erzählstoffe, so in der »Disciplina clericalis« (entstanden nach 1106) des konvertierten Juden Petrus Alfonsi oder den großen Exemplasammlungen und Mustererzählungen des 13. Jahrhunderts wie »Kalila und Dimna« oder »Barlaam und Josaphat«, die, ins Lateinische und Spanische übersetzt, in ganz Europa rezipiert wurden. Eine gemeinsame Leistung der zusammenlebenden Kulturen ist auch die »Übersetzerschule von Toledo«. Ihr Wirken erreichte unter König Alfons X., dem Weisen, ihren Höhepunkt. Hier wurde arabisches und hebräisches Schrifttum über das Spanische ins Lateinische übersetzt und so dem mittelalterlichen Europa zugänglich gemacht. Darunter befinden sich auch Werke des (über das Arabische vermittelten) Aristoteles.
Gleichfalls Ergebnisse dieser Mischkultur sind die ältesten Denkmäler spanischer Dichtung, die in Mozarabisch verfassten Jarchas, zugleich die ältesten Belege für die Liebeslyrik in einer europäischen Volkssprache. Die spätere Liebeslyrik wurde - auch im kastilischen Sprachbereich - in galicischer und provenzalisch-katalanischer Sprache verfasst. Über Katalonien wurde im 13. und 14. Jahrhundert der höf. Minnesang nach Spanien vermittelt. In der episch-narrativen Dichtung lässt sich zwischen einer Spielmannsdichtung (»mester de juglaría«) und einer gelehrt-klerikalen Dichtung (»mester de clerecía«) unterscheiden, die beide, besonders Letztere, unter französischem Einfluss standen. Wichtigstes Denkmal der Spielmannsdichtung ist das anonyme Epos »Cantar de mío Cid« (entstanden um 1140; Cid, El). Weitere spanische Epen sind nur fragmentarisch erhalten (»Poema de Fernán González«, entstanden 1260) oder lediglich aus späteren Prosaauflösungen in den Chroniken rekonstruierbar, so »Los siete infantes de Lara« aus der »Primera crónica general« (entstanden 1289). Von diesen Epen zeugt die älteste Schicht der Romanzen, die als mündlich tradierte, in zahlreichen Varianten bis in die Gegenwart überlieferte Bruchstücke der Epen anzusehen sind. Der wohl früheste Repräsentant des »mester de clerecía« und der erste namentlich bekannte spanische Dichter überhaupt war G. de Berceo mit Heiligenviten und Mariendichtungen (»Milagros de Nuestra Señora«). Die spanische Prosa entstand am Hof Alfons' X., des Weisen, der selbst juristische (»Siete Partidas«, entstanden 1256-63), naturwissenschaftliche, besonders astronomische und astrologische Schriften sowie ein Schachbuch verfasste. Auf ihn gehen die großen Kompilationen zur spanischen Geschichte zurück (»Grande e general estoria«, entstanden 1272-80).
Der bedeutendste Prosaschriftsteller des 14. Jahrhunderts, der Infant Don Juan Manuel, nahm in der Novellen- und Exempelsammlung »El conde Lucanor« (entstanden 1335, gedruckt 1575) die orientalische Erzähltradition auf und leitete damit die spanische Novellistik ein. Die anonyme »Historia del caballero Cifar«, gleichfalls im 14. Jahrhundert entstanden, war ein Vorläufer des Ritterromans. Als größtes poetisches Talent des spanischen Mittelalters gilt J. Ruiz, Erzpriester von Hita, dessen »Libro de buen amor« (zwei Fassungen, 1330 und 1343) satirisch die Torheit und Sündhaftigkeit der Liebe (»loco amor«) offenbaren will, zugleich jedoch eine Feier der Erotik und des Diesseits ist. Herbe Zeitkritik, die sich im 15. Jahrhundert auch in der volkstümlichen Dichtung (»Coplas del provincial«) findet, übte der Staatsmann P. López de Ayala in seinem Lehrgedicht »Rimado de palacio«.
Im 15. Jahrhundert öffnete sich Spanien über Katalonien und Aragonien dem italienischen Einfluss (Dante, F. Petrarca, G. Boccaccio) und damit dem neuen Geist des Humanismus und der Renaissance. Es war zugleich die Zeit des Zusammentragens der spätmittelalterlichen Kunstdichtung in den »Cancioneros« (»Cancionero de Baena«, entstanden um 1445; Cancioneiro) und der spätmittelalterlichen allegorischen Liebesromane im höfischen Stil (D. Fernández de San Pedro, »Cárcel de Amor«, 1492). In seinen »Coplas« evozierte J. Manrique das christliche Todes- und Weltverständnis des Mittelalters. Bereits deutlich auf die Renaissance verweisen die Dichtungen des Marqués de Santillana und die »Tragicomedia de Calisto y Melibea« von F. de Rojas, die nach der Protagonistin Celestina (1499) genannt wird, sowie das Werk des Humanisten E. A. de Nebrija, der die erste spanische Grammatik und das erste umfassende spanisch-lateinische Wörterbuch verfasste.
Siglo de Oro (goldenes Zeitalter, 16. und 17. Jahrhundert)
Die im europäischen Vergleich früh einsetzende Blütezeit der spanischen Literatur umfasst Renaissance (Regierungszeit Kaiser Karls V.) und Barock (Regierungszeiten von Philipp II. bis Karl II.). Trotz starker italienischer und klassisch-lateinischer Einflüsse brach die spanische Renaissance weder mit dem christlichen Denken noch mit der heimischen mittelalterlichen Dichtungstradition. Spaniens dominierende politische und geistige Rolle in der katholischen Reform ließ die spanische Literatur selbst im protestantischen Europa bis mindestens 1650 als Vorbild wirken. Hier kam neben dem Theater v. a. der asketisch-mystischen Literatur eine einzigartige Rolle zu. In zahllosen Abhandlungen, Heiligenviten und Predigtsammlungen propagierte sie ein - über den in Spanien besonders geschätzten Erasmus von Rotterdam auf präreformatorische Tendenzen zurückgehendes - Ideal verinnerlichter Frömmigkeit. Insbesondere gilt dies für die vielfach übersetzten Schriften von Luis de Granada, der heiligen Theresia von Ávila und von Juan Eusebio Nieremberg (* 1595, ✝ 1658). Die gleichfalls europaweit rezipierten Schriften von A. de Guevara verbinden religiös-didaktische mit unterhaltenden, antikisierenden Elementen.
In der Lyrik übernahmen trotz vereinzelten Widerstandes (C. de Castillejo) Juan Boscán Almogáver (* um 1493, ✝ 1542) und Garcilaso de la Vega Formen, Themen und Bildwelt des italienischen Petrarkismus, der in der »Schule von Sevilla«, besonders von F. de Herrera, fortgeführt wurde. Die von der Antike, besonders von Horaz inspirierte Gedankenlyrik von Fray L. de León bemühte sich um eine bewusst einfache Sprache; von religiösen Inhalten und der Sprache der Bibel bestimmt sind die Gedichte des heiligen Johannes vom Kreuz, der auch Formen und Themen der petrakistischen Liebeslyrik zum Ausdruck seines mystischen Erlebens verwendete. Um eine von der Alltagsrede völlig verschiedene Sprache der Lyrik bemühte sich L. de Góngora y Argote (»Las Soledades«, entstanden 1613/14, gedruckt 1636). Sie ist gekennzeichnet von bewusster Dunkelheit des Ausdrucks, Latinismen und ungewöhnlichen Metaphern und blieb für die Lyrik in Spanien und Lateinamerika (Juana Inés de la Cruz) bis weit ins 18. Jahrhundert das am häufigsten nachgeahmte Vorbild. Góngoras Culteranismo setzte F. Gómez de Quevedo y Villegas das Stilideal des Konzeptismus entgegen. Ein vielfältiges lyrisches Werk mit spanischen und italienischen Formen, profanen und religiösen Inhalten schuf Lope F. de Vega Carpio.
Die Phase von 1500 bis 1650 war auch die erste Blütezeit des spanischen Romans. Auf französische höf. Vorbildern basiert die Flut der abenteuerreichen Ritterromane (»Amadís de Gaula«, spanisch 1508; Amadis von Gaula), die ihrerseits in ganz Europa zahllose Nachahmungen hervorriefen; von Italien beeinflusst ist der idealisierende Schäferroman (J. de Montemayor, »Los siete libros de la Diana«, 1559; G. Gil Polo, »Diana enamorada«, 1564; M. de Cervantes Saavedra, »La Galatea«, 1585; Lope de Vega, »Arcadia«, 1598). Eine originär spanische Schöpfung ist der realistisch-kritische pikareske Roman (»La vida de Lazarillo de Tormes, y de sus fortunas y adversidades«, anonym, 1554; M. Alemán, »Guzmán de Alfarache«, 2 Teile, 1599-1604; F. Gómez de Quevedo y Villegas, »Historia de la vida del Buscón. ..«, entstanden 1603, veröffentlicht 1626). Cervantes' geniales Werk »El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha«, 2 Teile, (1605-15) steht in der Tradition dieser Romanformen, parodiert sie aber gleichzeitig und wurde so zum Vorbild für den modernen europäischen Roman überhaupt. Mit den »Novelas exemplares« (1613) schuf Cervantes auch eine eigenständige spanische Novellistik. Trotz dieser großen nationalliterarischen Tradition kam die profane erzählende Literatur, v. a. der Roman, in der stark retheologisierten Atmosphäre seit der Mitte des 17. Jahrhunderts völlig zum Erliegen.
Groß war die Zahl der Historiker und Chronisten v. a. der Eroberung der Neuen Welt (B. Díaz del Castillo, B. de Las Casas, J. de Acosta, Juan de Mariana (* 1536 [?], ✝ 1624). Europäischen Erfolg hatten die moralphilosophischen und staatspolitischen Schriften des Diplomaten D. de Saavedra Fajardo (»Idea de un príncipe político christiano«, 1640) und des Jesuiten B. Gracián y Morales (»Oráculo manual y arte de prudencia«, 1647).
Außerordentlich reich war die Bühnendichtung des Siglo de Oro. Zwar waren die Bemühungen um ein dem Geist der Renaissance entsprechendes klassizistisches Theater von geringem Erfolg; aus volkstümlicher Tradition entwickelte sich jedoch im Spanien des 16. Jahrhunderts ein gänzlich eigenständiges, höchst erfolgreiches Theater, dessen Vorformen sich bei L. de Rueda finden. Seine Hauptgattungen sind die profane, auf Unterhaltung breiter Schichten des Volks zielende Comedia, das religiöse Fronleichnamsspiel (Auto sacramental; Auto) und das derb-komische Zwischenspiel (Entremés). Lope de Vega und P. Calderón de la Barca sowie ihre jeweilige Schule (Tirso de Molina, G. de Castro y Bellvis, F. de Rojas Zorrilla, A. Moreto y Cavana) haben dieses Theater mit Tausenden von Stücken versorgt. Allein Lope de Vega will 1 500 Theaterstücke verfasst haben. Erhalten sind insgesamt zwischen zehn- und dreißigtausend Stücke. Ihre homogene ideologische Grundlage sind der Gedanke der Monarchie, die Prinzipien des Katholizismus und eine »altchristliche« Ehrvorstellung.
18. Jahrhundert
Spanien fand nur zögernd Anschluss an das säkularisierte Denken der europäischen Aufklärung, das ihm v. a. über Frankreich und Italien vermittelt wurde. Einen wichtigen Schritt auf dem Weg von einem dogmatischen, vorurteilsbelasteten Denken hin zu einer kritischen Empirie vollzog der Benediktiner B. J. Feijoo y Montenegro in seinen Schriften (gesammelt als »Teatro crítico universal«, 9 Bände, 1726-40; »Cartas eruditas, y curiosas. ..«, 5 Bände, 1742-60), die einen außerordentlich großen Leserkreis hatten. Die Vulgarisierung der Aufklärung übernahmen in der Folgezeit zahlreiche, häufig kurzlebige und von der Zensur behinderte Zeitschriften (»El Pensador«, 1762-67; »El Censor«, 1781-87). Satirische Kritik am traditionalistischen Spanien übten die Prosawerke von J. F. de Isla y Rojo (»Historia del famoso predicador Fray Gerundio de Campazas, alias Zotes«, 2 Bände, 1758) und J. Cadalso y Vázquez (»Cartas marruecas«, entstanden 1774, herausgegeben 1793). Die wenig gelungene Verteidigung Spaniens gegenüber der damals europaweit karikaturistischen Überzeichnung seiner Rückständigkeit übernahm J. P. Forner y Sagarra. Lyrik und Theater des 18. Jahrhunderts blieben lange in der spätbarocken Tradition. Die beiden Fabeldichter T. de Iriarte und F. M. Samaniego, besonders aber die Lyrik von J. Meléndez Valdés öffneten die Dichtung für Themen und Formen der Aufklärung und der Präromantik. I. Luzán y Claramunt unterwarf die barocke Dichtung, insbesondere das Theater des Siglo de Oro, einer neoklassizistischen Kritik (»La poetica, o reglas de la poesía en general. ..«, 1737, 2. Fassung in 2 Bänden herausgegeben 1789); 1765 wurden die Autos sacramentales im Zusammenhang mit den Säkularisierungsbestrebungen Karls III. verboten, wenig später die volkstümliche, gänzlich unrealistische »comedias de magia«. L. Fernández de Moratín reformierte gegen Ende des Jahrhunderts das gesamte überkommene Theaterwesen und schuf mit seinen Komödien (»La comedia nueva o el café«, 1792; »El sí de las niñas«, 1805) auch in Spanien ein bürgerliches Theater. Kritik am konservativen Spanien, aber auch ein exaltierter Patriotismus waren die Themen der Literatur während der Besetzung Spaniens durch Napoleon I., insbesondere im Werk von M. J. Quintana.
19. Jahrhundert
Die spanische Romantik setzte erst spät (1825-35) ein, als gegen Ende der Herrschaft Ferdinands VII. viele Emigranten aus England und Frankreich zurückkehrten. Ihre Wortführer waren als Lyriker und Bühnendichter F. Martínez de la Rosa, Á. de Saavedra, Herzog von Rivas, J. L. de Espronceda y Delgado, J. Zorrilla y Moral und der v. a. als spanienkritischer Essayist bedeutende M. J. de Larra (Pseudonym Fígaro). Seit den 1830er-Jahren lebte auch die Gattung des Romans wieder auf. In der Nachfolge W. Scotts entstand zunächst ein historischer Roman (Enrique Gil y Carrasco, * 1815, ✝ 1846, »El Señor de Bembibre«, 1844); der frühe realistische Roman (Fernán Caballero, »La gaviota«, 1849) hat seine Ursprünge im Costumbrismo. Der Roman wurde dann im Laufe des 19. Jahrhunderts - neben einer umfangreichen Meinungspresse - in der Form des Feuilleton- und Fortsetzungsromans (»novela por entregas«) zu einem höchst erfolgreichen Medium der Unterhaltung und der ideologischen Beeinflussung für die breite Masse. Während J. Valera y Alcalá Galiano in seinen Werken eine Position der Mitte vertrat (»Pepita Jiménez«, 1874), verteidigte J. M. de Pereda das konservative Spanien (»Pedro Sánchez«, 1883) und propagierte B. Pérez Galdós die liberale Tradition des spanischen 19. Jahrhunderts in breit angelegten Zyklen (»Episodios nacionales«, 46 Bände in 5 Serien, 1873-1912). Diese Autoren repräsentieren die spanische Variante des Realismus; naturalistische Züge trägt das Werk von Emilia Pardo Bazán (»La cuestión palpitante«, Essays, 1883) und V. Blasco Ibáñez (»La barraca«, Roman, 1899).
Erfolgreich war seit den 80er-Jahren das bürgerliche Salon- und Illusionstheater mit J. Echegaray y Eizaguirre und J. Benavente, das aber bei Pérez Galdós und J. Dicenta y Benedicto auch die ideologische Auseinandersetzung mit Kirche und Besitzbürgertum nicht scheute. Die Tradition des unterhaltsamen Entremés und des Sainete nahmen die Brüder S. und J. Álvarez Quintero wieder auf. Ganz aus dem Geist des bürgerlichen Salons lebt die stark rethorische Lyrik von R. de Campoamor y Campoosorio. Revolutioniert wurde die spanische Lyrik durch den Subjektivismus und die schlichte, von H. Heine inspirierte Dichtung des Spätromantikers und Symbolisten G. A. Bécquer (* 1836, ✝ 1870; »Rimas«, herausgegeben 1871).
Ein Charakteristikum des 19. Jahrhunderts ist das Wiedererstehen einer eigenständigen Literatur in katalanischer und galicischer Sprache, z. B. mit den Werken von B. C. Aribau y Farriols (Ode »La pàtria«, 1833) und Rosalía de Castro (»Follas novas«, Gedichte, 1880).
20. Jahrhundert
Die Jahrhundertwende stellte sich mit dem Verlust der letzten wichtigen Kolonien im Jahre 1898 als tief greifende politische, wirtschaftliche und kulturelle Krise dar. Sie ließ die Autoren der Generation von 98 und ihre unmittelbaren Vorläufer Kritik an dem verbürgerlichten Spanien ihrer Zeit üben. Dabei suchten sie entweder wie Á. Ganivet (»Idearium español«, Essay, 1897), P. Baroja y Nessi und A. Machado y Ruiz den Anschluss an die moderne geistige und technische Entwicklung Europas oder unternahmen eine Rückbesinnung auf die heimische, häufig auch religiöse Tradition Spaniens, wie M. de Unamuno y Jugo, J. Martínez Ruiz (Pseudonym Azorín) und R. de Maeztu y Whitney. Einflussreichste geistige Strömung war - bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts - der Krausismus. Zur wichtigsten Gattung wurde, neben dem weniger an die breiten Massen als an eine intellektuelle Minderheit gerichteten Roman, v. a. der Essay, den Unamuno (»Del sentimiento trágico de la vida«, 1912) entschieden prägte. In unmittelbarer zeitlicher Nähe bildete sich im spanischen Modernismus 2) eine Parallele zum europäischen Symbolismus und Ästhetizismus aus. Er wurde von Salvador Rueda (* 1857, ✝ 1933) vorbereitet und von dem aus Nicaragua stammenden R. Darío (»Prosas profanas y otros poemas«, 1896) vollendet. In der Prosa vertrat R. M. del Valle-Inclán (»Sonatas«, 4 Bände, 1902-05) den Modernismus in virtuoser Form.
Die 20er- und 30er-Jahre zeichneten sich durch undogmatisches Denken und künstlerisches Experimentieren aus. Dabei wurden bei S. Dalí, L. Buñuel, R. Alberti, F. García Lorca häufig die Grenzen zwischen Literatur, Malerei und dem neuen Medium Film aufgehoben. Aufgrund ihrer großen kulturellen Leistungen ist diese Epoche als »silbernes Zeitalter« (Siglo de Plata) und zweiter Höhepunkt in der Geschichte der spanischen Literatur bezeichnet worden. Das Bindeglied zwischen den Modernisten und der folgenden Dichtergruppe bildet das Werk von J. R. Jiménez. Fast alle Autoren der überwiegend auf die Lyrik konzentrierten Generation von 1927 verstanden sich als seine Schüler. Einen zweiten wesentlichen Impuls vermittelte ihnen der französische Surrealismus. Sie bekannten sich im Sinne von L. de Góngora y Argote (nach dessen 300. Todesjahr die Gruppe benannt wird) und im Gegensatz zur »engagierten Literatur« der Generation von 98 zu einer »reinen«, politisch und ideologisch nicht engagierten Kunst. Diesem Ideal entsprachen die lyrischen Dichtungen von J. Guillén, P. Salinas, G. Diego Cendoya, R. Alberti, García Lorca, V. Aleixandre und L. Cernuda.
Auf dem europäischen Symbolismus und Surrealismus, aber auch auf der Tradition der Comedia und des heimischen Puppenspiels fußte die Revolutionierung des spanischen Theaters der 20er- und 30er-Jahre durch Valle-Inclán und García Lorca. Valle-Inclán schuf zur Darstellung der spanischen Realität das »esperpento« (Schauerposse). García Lorcas Dramen erreichen ihre Bühnenwirksamkeit durch die vollendete Synthese von volkstümlichem und klassischem spanischen Theater (»Yerma«, Uraufführung 1934, herausgegeben 1937; »La casa de Bernarda Alba«, entstanden 1933-36, herausgegeben 1945). Die Essaytradition Unamunos setzten E. d'Ors i Rovira und J. Ortega y Gasset (»España invertebrada«, 1921) fort. Die Gattung des Romans wurde in ihren anspruchsvolleren Formen von G. Miró Ferrer (»El obispo leproso«, 1926), R. Pérez de Ayala (»Tigre Juan«, 1926) und B. Jarnés Millán (»Locura y muerte de nadie«, 1929) gepflegt. Der Spanische Bürgerkrieg (1936-39) und das nachfolgende Francoregime brachen die Verbindungen Spaniens zur europäischen Moderne abrupt und langfristig ab. Einige Repräsentanten der intellektuellen Elite kamen, wie García Lorca, im Bürgerkrieg zu Tode; der größte Teil ging ins Exil (u. a. R. J. Sender) und kehrte erst in den 60er-Jahren oder gar nicht in das Spanien Franco Bahamondes zurück. Der Bürgerkrieg selbst rief auf republikanischer und nationalistischer Seite erneut eine »poesía impura«, eine engagierte Literatur, hervor, die jedoch außer im Fall von Alberti und M. Hernández weitgehend vergessen ist. Die Literatur der Nachkriegszeit, bis in die 70er-Jahre unter kirchlicher und staatlicher Zensur stehend, hatte kaum Verbindung zur parallelen europäischen und amerikanischen Entwicklung. Die Lyrik erschöpfte sich zunächst in der formalen Wiederholung der Klassiker, besonders von Garcilaso de la Vega, und in religiösen Themen. Den Geist der Generation von 1927 und ein anspruchsvolles Verständnis von Dichtung gab der in Spanien verbliebene V. Aleixandre an die Autoren der Generation von 1950 weiter und beeinflusste damit wesentlich die neuere Lyrik. Einen Neuansatz im Roman bildete das Frühwerk von C. J. Cela (»La familia de Pascual Duarte«, 1942; »La colmena«, 1951).
Seit etwa 1950 sah sich die Mehrzahl der Autoren dem Ideal einer »literatura social« verpflichtet, einer politisch und sozial engagierten Literatur, die sich als Opposition zum herrschenden Nationalkatholizismus und zum Francoregime verstand. Die Hauptrepräsentanten eines auf politische Bewusstwerdung zielenden Theaters waren A. Buero Vallejo, der - ohne direkte Regimekritik - das Lebensgefühl der Zeit auf die Bühne brachte (v. a. in »Historia de una escalera«) und A. Sastre, der - von B. Brecht beeinflusst - immer wieder die Grenzen möglicher Kritik auslotete und von der Zensur stark behindert wurde. Daneben existierte ein breites volkstümliches Unterhaltungs- und Musiktheater (Zarzuela), das im privaten Theaterwesen Spaniens v. a. auf den kommerziellen Erfolg zielte. In der Schlussphase des Francoregimes und in der Zeit danach erlebte das Theater in den zahlreichen Gruppen des »unabhängigen Theaters« (»Los Goliardos«, »Els Joglars«) eine Blüte, während der es nach langer Isolierung auch mit Autoren wie Lauro Olmo (* 1922), J. Martín Recuerda, José María Rodríguez Méndez (* 1925), José Ruibal (* 1925), Francisco Nieva (* 1929), Miguel Romero Esteo (* 1930), Antonio Gala (* 1936) und José Sanchis Sinisterra (* 1940) an die Moderne anschließen konnte. Von den jüngeren Autoren sind Ernesto Caballero (* 1957) und der auch katalanisch schreibende Segri Belbel (* 1963) zu nennen.
Im Roman dominierten in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst das rein sozialkritische Konzept, so bei Cela, M. Delibes, R. Sánchez Ferlosio, Ana María Matute, Carmen Laforet, I. Aldecoa, Juan García Hortelano (* 1928), im Frühwerk von L. und Juan Goytisolo, bei Elena de la Válgoma Quiroga und J. Marsé Carbo. Eine publikumswirksame Darstellung des Bürgerkriegs aus franquistischer Sicht lieferte J. M. Gironella, während bereits die frühen Romane von G. Torrente Ballester auf kreativere Formen der Gattung weisen. Einen Neuansatz im spanischen Romanschaffen bildet das Werk von L. Martín-Santos (»Tiempo de silencio«, 1962), mit dem die spanische Literatur den Anschluss an den modernen nord- und lateinamerikanischen sowie den europäischen Roman fand und mit einem vordergründigen Realismus brach. Der Neuansatz findet sich auch im späteren Werk der Brüder Juan (»Señas de identidad«, 1966) und Luis Goytisolo (»Recuento«, 1973). Neue Impulse erhielt die spanische Literatur auch durch jene Autoren, die in spanischer Sprache Stoffe aus den nichtkastilischen Regionen gestalten (so der Galicier A. Cunqueiro und der Katalane T. Moix). Der spanische Gegenwartsroman ist von großer thematischer und stilistischer Breite und Vitalität, wobei das Thema Bürgerkrieg immer wieder aufgenommen wird; wichtige moderne Prosaautoren sind u. a. J. Llamazares, J. Marías, E. Mendoza, A. Muñoz Molina, J. Tomeo, der vorwiegend in französischer Sprache schreibende J. Semprún, José María Merino (* 1941), Juan José Millás (* 1946) und Bernardo Atxaga (* 1951). Der Lyriker, Essayist und Romancier M. Vázquez Montalbán ist als erster spanischer Autor von Kriminalromanen hervorgetreten. Auch die Zahl erfolgreicher Schriftstellerinnen hat in jüngster Zeit erheblich zugenommen: Cristina Fernández Cubas (* 1945), Rosa Montero (* 1951), Ana María Moix (* 1947), Lourdes Ortiz (* 1943), Soledad Puértolas (* 1947) und Esther Tusquets (* 1936).
Wie Theater und Roman verstand sich die Lyrik während des Francoregimes zunächst ganz als eine »poesía social« mit G. Celaya, B. de Otero, José A. Goytisolo, Victoriano Cremer (* 1908), Gloria Fuertes (* 1918), Miguel Labordeta (* 1921, ✝ 1969), J. Hierro und dem frühen José María Valverde (* 1926). Sie wurden Mitte der 60er-Jahre abgelöst durch eine Gruppe »jüngster Autoren« (»novísimos«), die dem ästhetischen Phänomen und dem (post)modernen Experiment den entschiedenen Vorrang vor dem unmittelbaren politischen Engagement gaben: Vázquez Montalbán, F. de Azúa, Pere Gimferrer (* 1945), Ana María Moix, Guillermo Carnero (* 1947), Antonio Colinas (* 1946), Jaime Siles (* 1951). Dieser Generation folgte mit Luis García Montero (* 1958), Blanca Andreu (* 1959) und Felipe Benítez Reyes (* 1960) eine Gruppe »allerjüngster Autoren« (»postnovísimos«). Eine Sonderstellung jenseits aller Moden nimmt seit längerem das lyrische Werk von C. Rodríguez ein.
Charakteristisch für die in Kastilisch geschriebene Literatur ist es, dass sie seit der Normalisierung der sprachlichen Situation im demokratischen Spanien der Gegenwart immer mehr zu einer Literatur neben den anderen spanischen, in Katalanisch, Galicisch und Baskisch geschriebenen Literaturen wird.
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Gesamtdarstellungen:
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Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
mittelalterliche Literatur in Südwesteuropa
spanische Prosa im 19. Jahrhundert: Costumbrismo und Realismo
spanisches Drama des goldenen Zeitalters
Universal-Lexikon. 2012.