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Ortega y Gasset
Ortẹga y Gassẹt,
 
José, spanischer Kulturphilosoph, Soziologe und Essayist, * Madrid 9. 5. 1883, ✝ ebenda 18. 10. 1955. Ab 1904 studierte er in Deutschland (u. a. in Marburg bei dem Neukantianer H. Cohen); ab 1910 Professor für Metaphysik in Madrid; gründete 1923 die literarisch-kulturelle Zeitschrift »Revista de Occidente«. Nach Ausbruch des Bürgerkriegs lebte er in der Emigration (1936-46), u. a. in Frankreich und Argentinien, während des Zweiten Weltkriegs u. a. in Portugal und Deutschland. 1948 gründete er mit Julián Marías (* 1914) das »Instituto de Humanidades«; 1949 nahm er die Lehrtätigkeit in Madrid wieder auf. Von G. W. F. Hegel, W. Dilthey, F. Nietzsche beeinflusst, entwickelte Ortega y Gasset gegen die Verabsolutierungen einer formalen, abstrakten Vernunft (Rationalismus, Relativismus, Skeptizismus) und eines irrationalen Lebensbegriffs (Vitalismus) seine als »Ratiovitalismus« bezeichnete Lebensphilosophie mit ihren zentralen Begriffen: dem der »vitalen Vernunft« (»razón vital«; in: »El tema de nuestro tiempo«, 1923; deutsch »Die Aufgabe unserer Zeit«), mit der er die »Vernunft in die Biologie einzuordnen und dem Spontanen zu unterstellen« versucht, und - ausgehend von der Bestimmung des Menschen als »Ich bin ich und meine Umstände« (»Yo soy yo y mi circunstancia«) - dem der »historischen Vernunft« (»razón histórica«; u. a. in »Historia como sístema«, 1941; deutsch »Geschichte als System«). Mit dieser richtet er sich gegen eine seit R. Descartes' »Discours de la méthode« (1637) durch die »physikalisch-mathematische Vernunft« begründete Deutung des Menschen und der Welt, die letzten Endes auf den fundamentalen Irrtum eines intellektualistischen »Naturalismus« seit Parmenides zurückzuführen sei, nämlich den, »dass wir die Wirklichkeiten - ob Körper oder nicht - behandeln, als wären es Ideen, Begriffe, kurz: Identitäten«; dementgegen bestimmen doch »einzig und allein Schwierigkeiten und Möglichkeiten, um zu existieren«, also Geschichtlichkeit (wie im Existenzialismus J.-P. Sartres und A. Camus' - als »Utopie«, »Selbstentwurf«) die Wirklichkeit des Menschen. Das Leben als Summe der zur Selbsterhaltung notwendigen Handlungen und Verhaltensweisen ist so die Grundwirklichkeit des Menschen, in der die »Welt der interindividuellen Beziehungen« zwischen Du, Er, Wir und der Gesellschaft konstitutiv ist (»El hombre y la gente«, 1957; deutsch »Der Mensch und die Leute«). - In dem zeitdiagnostischen Werk »La rebelión de las masas« (1929; deutsch »Der Aufstand der Massen«) macht Ortega y Gasset die Aufhebung des für das menschliche Zusammenleben grundlegenden Unterschieds zwischen Massen und Elite, wie sie die liberale Demokratie des 19. Jahrhunderts mit ihrer Forderung nach Gleichheit aller Menschen und die egalisierende Wirkung der Entwicklung von Wissenschaft, Industrie und Technik herbeigeführt haben, verantwortlich für eine Neigung des Massenmenschen zu ungerichteter »Aggressivität« (paradigmatisch z. B. im Faschismus und im spanischen Syndikalismus). Dabei sieht er den Typ des modernen Wissenschaftlers mit seinem Mangel an historischem Bewusstsein und der Anmaßung des »gelehrten Ignoranten« als Urbild eines Massenmenschen an. Trotz dieser Analyse sucht Ortega y Gasset, wohl aufgrund seines Perspektivismus, die Möglichkeit eines »Übergangs zu einer neuen, unvergleichbaren Organisation der Menschheit«, zu der Europa wichtige Impulse liefern könne.
 
Weitere Werke: Meditaciones del Quijote (1914; deutsch Meditationen über Don Quijote); España invertebrada (1921; deutsch Stern und Unstern); Qué es filosofía? (1929; deutsch Was ist Philosophie); Historia como sistema (1941; deutsch Geschichte als System); Esquema de las crisis y otros ensayos (1942; deutsch Das Wesen geschichtlicher Krisen).
 
Ausgaben: Obras, herausgegeben von P. Garagorri, auf zahlreiche Bände berechnet (1979 folgende); Obras completas, 12 Bände (Neuausgabe 1983).
 
Gesammelte Werke, 6 Bände (1978).
 
Literatur:
 
J. Marías: J. O. y G. u. die Idee der lebendigen Vernunft. Eine Einf. in seine Philosophie (a. d. Span., 1952);
 B. von Galen: Die Kultur- u. Gesellschaftsethik J. O. y G.s (1959);
 F. Niedermayer: J. O. y G. (1959);
 P. Garagorri: Introducción a Ortega (Madrid 1970).

Universal-Lexikon. 2012.