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Wahr|heit ['va:ɐ̯hai̮t], die; -:der Wirklichkeit entsprechende Darstellung, Schilderung; Übereinstimmung zwischen Gesagtem und Geschehenem oder Bestehendem, zwischen Gesagtem und Gedachtem:
das ist die Wahrheit; die Wahrheit erfahren; [jmdm.] die Wahrheit sagen; in Wahrheit (tatsächlich) verhält es sich genau umgekehrt.
Zus.: Binsenwahrheit, Glaubenswahrheit, Halbwahrheit, Lebenswahrheit, Teilwahrheit.
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Wahr|heit 〈f. 20〉
1. das Wahre, wahrer, richtiger Sachverhalt, Übereinstimmung mit den Tatsachen
2. Tatsache
● die \Wahrheit, die ganze \Wahrheit und nichts als die \Wahrheit (alte Schwur-, Beteuerungsformel); Dichtung und \Wahrheit (Titel der Autobiografie Goethes) ● die \Wahrheit einer Behauptung anzweifeln; das entspricht (nicht) der \Wahrheit; um die \Wahrheit zu gestehen, es war so: ...; die \Wahrheit sagen; Kinder und Narren sagen die \Wahrheit 〈Sprichw.〉 Kinder sind zu unschuldig u. Narren zu dumm, als dass sie lügen könnten; jmdm. die \Wahrheit sagen 〈fig.; umg.〉 jmdm. deutlich seine Meinung sagen, ihm sagen, was einem an ihm missfällt ● es ist eine alte \Wahrheit, dass ...; eine bittere, traurige \Wahrheit; der \Wahrheit gemäß, der \Wahrheit getreu antworten, berichten; die lautere, nackte, reine, volle \Wahrheit; ich habe ihm ein paar unangenehme \Wahrheiten sagen müssen ● ich zweifle an der \Wahrheit seiner Worte; seine Behauptung beruht auf \Wahrheit; bei der \Wahrheit bleiben nicht lügen; in \Wahrheit verhält es sich so in Wirklichkeit
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Wahr|heit , die; -, -en [mhd., ahd. wārheit]:
1.
a) <o. Pl.> das Wahrsein; die Übereinstimmung einer Aussage mit der Sache, über die sie gemacht wird; Richtigkeit:
die W. einer Aussage, einer Behauptung anzweifeln;
b) wirklicher, wahrer Sachverhalt, Tatbestand:
die ganze, halbe, lautere, nackte, reine, volle W.;
eine traurige, bittere, unangenehme W.;
es ist eine alte W. (eine bekannte Tatsache), dass …;
was er gesagt hat, ist die W. (ist wahr);
an der Sache ist ein Körnchen W. (geh.; sie hat einen wahren Kern);
die W. verschleiern, verschweigen;
jmdm. unverblümt die W. sagen (ungeschminkt sagen, was man denkt);
die W. sagen/sprechen (nicht lügen);
der W. zum Sieg verhelfen;
seine Behauptung entspricht nicht der W. (ist nicht wahr);
du musst bei der W. bleiben (darfst nicht lügen);
R die W. liegt in der Mitte (zwischen den extremen Standpunkten, Urteilen o. Ä.);
☆ in W. (tatsächlich: in W. verhielt es sich aber ganz anders).
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Wahrheit,
allgemein der im Rahmen eines sprachlich-intersubjektiven Bezugssystems (Kategorien-, Normen- oder Wertesystems) stehende, mit Gründen einlösbare und insofern haltbare Geltungsanspruch von Aussagen beziehungsweise Urteilen über einen Sachverhalt in Bezug auf das Sichverhalten der Sache (Gegenstand, Handlung, Person); Sachverhalt und Sache (Gegenstand usw.) werden als so und nicht anders sich verhaltend oder bestehend (existierend) gekennzeichnet und dabei in größtmöglicher Annäherung zur Deckung (Identität) gebracht. - In der formalen Logik meint Wahrheit in einem exakt eingegrenzten Sinne den Anspruch einer Aussage, wahr zu sein; in der Ontologie bezeichnet sie die transzendentale Bestimmung, die dem Sein und dem Seienden selbst zukommt (ontologische beziehungsweise ontische Wahrheit). Thomas von Aquino prägte die klassische Formel der Wahrheit (»veritas«) als der »adaequatio intellectus et rei« (»Übereinstimmung des urteilenden Denkens und der Sache«), insofern der Verstand »vom Seienden sagt, dass es ist, und vom Nichtseienden, dass es nicht ist«. Die thomanische Formel wurde grundlegend für alle Explikationsversuche des Wahrheitsbegriffs in den modernen Wahrheitstheorien (Korrespondenz-, Kohärenztheorie, semantische Theorie der Wahrheit). Bei den Explikationsversuchen ist v. a. zu fragen, was unter den einzelnen Begriffen der thomanischen Definition unter Berücksichtigung neuer wissenschaftlicher und wissenschaftstheoretischer Erkenntnisse zu verstehen ist und wie die »adaequatio« (»Übereinstimmung«, »Angleichung«, »Annäherung«) sich vollzieht beziehungsweise (methodisch) vollzogen wird zwischen »intellectus« (denkendem, erkennendem »Verstand«) beziehungsweise Denken und Erkennen einerseits und »res« (»Sache«, »Gegenstand«) beziehungsweise Objekt, Wirklichkeit andererseits; ob von dem denkenden, erkennenden Subjekt oder von der Sache, dem Objekt, (als »Ort der Wahrheit«) ausgehend, ob - je nach Ausgangspunkt - in der einen oder anderen Richtung oder in beiden Richtungen zugleich und wie dadurch die Sache selbst erkannt, d. h. offenbar (gemacht) wird. Als weitere wichtige Frage tritt hinzu, welche Funktion dabei das Medium Sprache hat, in der Wahrheit ausgedrückt wird.
Wahrheitstheorien:
Die Explikations- und Präzisierungsversuche hinsichtlich der Grundbestimmung des Verhältnisses von »Denken« und »Wirklichkeit« werden im Rahmen des (in der neuzeitlichen Philosophie verschärften) Subjekt-Objekt-Problems maßgeblich durch die jeweiligen erkenntnistheoretischen Positionen bestimmt, seien es Realismus oder Idealismus, Empirismus oder Rationalismus, Subjektivismus, Intuitionismus usw. bis hin zum Skeptizismus und Agnostizismus oder zu einer metaphysisch-ontologischen Position. Im Rahmen der erkenntnistheoretischen Vorgaben wird in der Korrespondenztheorie Wahrheit als Übereinstimmung des Denkens mit Tatsachen bestimmt, wobei eine »selbstständige«, »objektive«, »sprachunabhängige« Wirklichkeit vorausgesetzt wird. In der Widerspiegelungstheorie wird Wahrheit definiert als Abbild der Wirklichkeit (Abbildtheorie) im Bewusstsein, so etwa im Marxismus und teils auch in der analytischen Philosophie. Die semantische Theorie der Wahrheit, die von A. Tarski zur Vermeidung der semantischen Antinomien (Wahrheitsantinomien) entwickelt wurde, lässt sich als Präzisierung der Korrespondenztheorie sehen. In der Kohärenztheorie bestimmt Wahrheit sich als Geltungsanspruch von Aussagen im Ganzen eines bestimmten Sprach- beziehungsweise Kategoriensystems. Die Redundanztheorie behauptet, dass die Begriffe »wahr« und »falsch« keine darstellende Funktion haben und daher überflüssig sind. Die Aussage »Es ist wahr, dass es regnet« bedeutet also nichts anderes als: »Es regnet«, die Aussage »Es ist falsch, dass es regnet« meint: »Es regnet nicht«. Vom Wahrheitsbegriff streng zu unterscheiden sind die Wahrheitskriterien, mittels deren festgestellt werden soll, ob eine Aussage wahr oder falsch ist, ob sie der Sache beziehungsweise Wirklichkeit entspricht oder nicht. Materiale Wahrheitskriterien sind u. a.: in Konsenstheorien die allgemeine Übereinstimmung der Menschen in bestimmten Grundideen (Consensus Gentium, z. B. in der Philosophie des Commonsense) oder allgemein der Konsens (z. B. bei J. Habermas); in Evidenztheorien besonders seit R. Descartes die Evidenz (Gewissheit); ein Urteil ist demnach wahr und gewiss, wenn es dem Intellekt unmittelbar einleuchtet. Im Utilitarismus und Pragmatismus (pragmatische Wahrheitstheorien, z. B. von C. S. Peirce, W. James), ähnlich auch im Marxismus, wird die (menschliche oder gesellschaftliche) Praxis, die Nützlichkeit, Dienlichkeit beziehungsweise Bewährung einer Behauptung zu wissenschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen Zwecken zum Wahrheitskriterium erhoben. Gegen alle Wahrheitskriterien ist eingewandt worden, dass sich die Frage, ob ein Wahrheitskriterium erfüllt ist, immer nur aufgrund eines weiteren, zusätzlichen Wahrheitskriteriums entscheiden lässt, was zu einem unendlichen Regress führt. Die Widerspruchsfreiheit als formales Wahrheitskriterium gilt nur für den Fall analytisch-logischer Sätze; es ist nur eine notwendige, keine zureichende Bedingung für Wahrheit; demnach lässt sich kein Wahrheitskriterium mit dem universalen Anspruch auf Allgemeingültigkeit formulieren.
Der Wahrheitsbegriff von Platon und Aristoteles (Aletheia) geht noch von einer identischen Entsprechung von Denken, Wort und Wirklichkeit aus. Dagegen wird das Wahrheitsproblem - ansatzweise z. B. schon bei Thomas von Aquino, radikalisiert in der neuzeitlichen Philosophie seit Descartes - mit der Unterscheidung und Trennung von Subjekt und Objekt und der Etablierung des neuzeitlichen Substanzendualismus sowie der Herausbildung des Wissenschaftsbegriffs in eine neue Dimension gestellt: Der Allgemeingültigkeits- und Absolutheitsanspruch der Wahrheit wird folgerichtig infrage gestellt, die Geschichtlichkeit der Wahrheit erkannt, da sie bei ihrem Zustandekommen subjektiven, geschichtlichen Bedingungen unterliegt, wobei ihre Geschichtlichkeit nicht mit einem Relativismus gleichgesetzt werden kann. G. W. Leibniz unterscheidet richtungweisend Vernunftwahrheit (bei I. Kant: analytische Sätze) und Tatsachenwahrheit (bei Kant: synthetische Sätze a posteriori). T. Hobbes versucht die Wahrheit von Sätzen auf Konvention über die Bedeutung von Namen zu gründen. G. B. Vico setzt bei seiner Formel »verum idem factum« (»Das Wahre ist das selbst Hervorgebrachte«) einen konstruktivistischen Wahrheitsbegriff voraus. Kant begründet den Begriff der »transzendentalen Wahrheit«, G. W. F. Hegel den der »reinen Wahrheit«. - Die neuzeitliche Entwicklung des Wahrheitsbegriffs insgesamt ist - neben der Ausdifferenzierung verschiedener Wahrheitsmomente, -Aspekte und -Bereiche - zum einen durch eine zunehmende Reduzierung des Wahrheitsbegriffs auf die formal-logische und logisch-sprachliche Dimension, zum anderen durch Versuche zur Zusammenfassung aller Momente der Wahrheit in einem einheitlichen Wahrheitsbegriff (durch Identifizierung von Wahrheit und Gewissheit) gekennzeichnet.
A. R. White: Truth (London 1971);
H.-D. Heckmann: Was ist W.? (1981);
W. Franzen: Die Bedeutung von »wahr« u. »W.« (1982);
M. Fleischer: W. u. W.-Grund. Zum W.-Problem u. zu seiner Gesch. (1984);
E. Henke: W. Ein philosoph. Versuch zum naturwiss. W.-Begriff (1984);
W. Becker: W. u. sprachl. Handlung (1988);
W.-Theorien, hg. v. G. Skirbekk (61992);
L. B. Puntel: W.-Theorien in der neueren Philosophie (31993);
M. Heidegger: Vom Wesen der W. (81997).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Semantik: Bedeutungen von Wörtern und Sätzen
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Wahr|heit, die; -, -en [mhd., ahd. wārheit]: 1. a) <o. Pl.> das Wahrsein; die Übereinstimmung einer Aussage mit der Sache, über die sie gemacht wird; Richtigkeit: die W. einer Aussage, einer Behauptung anzweifeln; »Das erste Opfer der Kriege ist immer die W.« (Voltaire) (Spiegel 25, 1995, 10); Alte Formulierungen ... beginnen ... wieder in mir zu rumoren und fragen mich nach ihrer W. (Stern, Mann 269); b) wirklicher, wahrer Sachverhalt, Tatbestand: die halbe, ganze, volle, reine, lautere W.; das ist die nackte (unverhüllte) W. (LÜ von lat. nuda veritas); eine traurige, bittere, unangenehme W.; es ist eine alte W. (eine bekannte Tatsache), dass ...; was er gesagt hat, ist die W. (ist wahr); an der Sache ist ein Körnchen W. (geh.; sie hat einen wahren Kern); die W. verschleiern, verschweigen; Dieser Dichter und Pamphletist hat den Deutschen zu viele und zu einfache -en gesagt (Reich-Ranicki, Th. Mann 114); jmdm. unverblümt die W. sagen (ungeschminkt sagen, was man denkt); die W. sagen/sprechen (nicht lügen); der W. zum Sieg verhelfen; seine Behauptung entspricht nicht der W. (ist nicht wahr); du musst bei der W. bleiben (darfst nicht lügen); Nunmehr wird geoffenbarte W. durch wissenschaftliche W. ersetzt (R. v. Weizsäcker, Deutschland 99); Ich will gleich mit der W. rausrückken und sagen, dass ... (Fels, Kanakenfauna 110); R die W. liegt in der Mitte (zwischen den extremen Standpunkten, Urteilen o. Ä.); *in W. (eigentlich; in Wirklichkeit): dass der Bau kleiner erscheine, als er in W. ist (Fest, Im Gegenlicht 346); ∙ Glaubt, ich berichte euch mit der W. (wahrheitsgemäß) (Goethe, Götz II). 2. (bes. Philos.) Erkenntnis (als Spiegelbild der Wirklichkeit), Lehre des Wahren (1 a).
Universal-Lexikon. 2012.