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Di|a|lek|tik [dia'lɛktɪk], die; -:philosophische Methode, die die Position, von der sie ausgeht, durch gegensätzliche Behauptungen infrage stellt und in der Synthese beider Positionen eine Erkenntnis höherer Art zu gewinnen sucht:
die Dialektik anwenden.
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Dia|lẹk|tik 〈f. 20; unz.〉
1. Kunst der wissenschaftl. Gesprächsführung, Redekunst
2. Fähigkeit zu diskutieren
3. 〈Philos.〉 Methode, durch Denken in Gegensatzbegriffen zur Erkenntnis zu gelangen
[verkürzt <grch. dialektike techne „Kunst des (bes. wissenschaftlichen) Streitgesprächs“]
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1. <o. Pl.> (Rhet.) Kunst der Gesprächsführung; Fähigkeit, den Diskussionspartner in Rede u. Gegenrede zu überzeugen:
ein Mann von bestechender D.
2. (Philos.)
a) philosophische Methode, die die Position, von der sie ausgeht, durch gegensätzliche Behauptungen infrage stellt u. in der Synthese beider Positionen eine Erkenntnis höherer Art zu gewinnen sucht:
die D. Hegels;
b) (im dialektischen Materialismus) die innere Gesetzmäßigkeit der ökonomischen Entwicklung in realen Gegensätzen:
Marx hat eine materialistische D. begründet.
3. (bildungsspr.) (einer Sache innewohnende) Gegensätzlichkeit.
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Dialẹktik
[zu griechisch dialégesthai »sich unterhalten«, »Rede und Gegenrede führen«] die, -, Logik des Widerspruchs oder Methode kritischen, Gegensätze bedenkenden Philosophierens, die im Verlauf der Philosophiegeschichte unterschiedliche Bestimmungen erfuhr; ursprünglich in der griechischen Philosophie die Kunst, durch geschickte Unterscheidungen auch widersprüchlich erscheinende Lehren akzeptabel zu machen: so bei Zenon, dem »Erfinder« der Dialektik, hinsichtlich der Lehre des Parmenides, dann auch bei den Sophisten, hier allerdings zum Zweck der Überredung zu beliebigen Meinungen. Platon unterscheidet gegen die Sophisten Dialektik von Eristik. Im Unterschied zu Letzterer soll die Dialektik den Gesprächspartner durch begründete Begriffsbildungen zu Ideen führen. Bei Aristoteles bezeichnet der Terminus Dialektik die Methode, über die Wahrheit oder Falschheit der »éndoxa«, das ist der von den meisten oder jedenfalls von den Sachkundigen für wahr gehaltenen Meinungen, zu entscheiden, und zwar aufgrund ihrer (sprachlogischen) Charakterisierung nach allgemeinen Gesichtspunkten, den »tópoi« (v. a. Akzidenz, Genus, Proprium, Definition; Topik). Im Anschluss an die Stoiker nennt Cicero den scharf und knapp formulierten Disput Dialektik, in dem durch den Aufweis der Folgen einer Meinung und ihres Gegenteils über deren Wahrheit oder Falschheit entschieden werden soll, im Unterschied zu der auf scharfe Wechselrede verzichtenden Rhetorik.
Im Mittelalter hatte Dialektik im Sinne Ciceros zunächst gegenüber der religiösen Autorität eine emanzipatorische Funktion: Ihr wurde u. a. bei Petrus Abaelardus und Berengar von Tours unter dem Titel der Vernunft ein Prüfungsrecht gegenüber allen Behauptungen - auch solchen, die sich auf göttliche Offenbarung beriefen - eingeräumt. Nach Bekanntwerden der Texte des Aristoteles verbreitete sich im 12. Jahrhundert die Auffassung von der Dialektik als einer Lehre vom Schließen aus dem »Wahrscheinlichen« (lateinisch »probabilia«, Übersetzung für griechisch »éndoxa«). Teilweise wurde Dialektik auch mit der ganzen Topik gleichgesetzt. Von der Stoa bis ins 16. Jahrhundert bezeichnete Dialektik vorwiegend den Bereich der Logik. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Logik dann unterteilt in Analytik (Lehre vom logisch notwendigen Schließen) und Dialektik (Lehre von den bloß wahrscheinlichen Schlüssen).
Der unbefriedigende Zustand der scholastischen Disputationslehre veranlasste zu Beginn des neuzeitlichen Philosophierens zu einer immer allgemeiner werdenden Kritik der Dialektik, v. a. durch F. Bacon, P. Gassendi, R. Descartes. I. Kant knüpfte im Rahmen seiner Transzendentalphilosophie an die Unterscheidung von Analytik und Dialektik als Teilen der Logik an und bestimmte die Dialektik als die Logik des Scheins, der durch den Gebrauch von Vernunftbegriffen über die mögliche Erfahrung hinaus entsteht. Bei J. G. Fichte findet sich zwar erst in seiner Spätphilosophie der Begriff Dialektik, aber der seit G. W. F. Hegel für die Dialektik als charakteristisch angesehene Dreischritt von der Thesis über die Antithesis zu der sie beide aufhebenden Synthesis ist ein methodisches Merkmal im Aufbau aller seiner Wissenschaftslehren. F. W. Schelling verband als Erster explizit das Wort Dialektik mit dem dialektischen Dreischritt. Er neigte dazu, in der Dialektik nicht eine Methode, sondern das Prinzip realer Entwicklungen und Seinsordnungen zu sehen. Hegel erklärte Dialektik zur »absoluten Methode des Erkennens«; sie ist für ihn zugleich die »immanente Entwicklung des Begriffs« und »der Gang der Sache selbst«. Das Absolute (der Geist) als metaphysisches Vernunftprinzip, das die Einheit von Subjekt und Objekt garantiert, bestimmte Hegel als »Identität der Identität und Nichtidentität«. »Das Bewusstsein über die Form der inneren Selbstbewegung« des Absoluten ist die Dialektik des Dreischritts These - Antithese - Synthese, die »absolute Methode des Erkennens«. In seiner »Wissenschaft der Logik« rekonstruiert Hegel die ontologischen und logischen Grundkategorien (u. a. Sein, Wesen, Begriff, Urteil, Schluss, Objekt, Idee) in ihrem inneren Zusammenhang, der sich durch die »Selbstbewegung des Begriffs« und die »Notwendigkeit des Fortgangs« von einem Begriff zum nächsten ergibt. Die dialektisch-spekulative Darstellung, die zugleich der »Gang der Sache selbst« ist, verläuft jeweils dreischrittig: 1) Der Verstand setzt einen abstrakten begrifflichen Gegensatz, dessen Bestimmungen (z. B. Endliches - Unendliches) er als voneinander unabhängig begreift. 2) Die dialektische Vernunft entwickelt »das eigene Sichaufheben solcher endlicher Bestimmungen und ihr Übergehen in ihre entgegengesetzten«, d. h. den Widerspruch, der sich in dem Begriff selbst notwendig auftut, wenn man ihn als These abstrakt seiner Antithese gegenüberstellt. 3) Die spekulative Vernunft hebt die Gegensatzbestimmungen als selbstständige auf, indem sie beide in einer Synthese miteinander vermittelt und zu Momenten einer höheren Einheit (»Identität der Identität und Nichtidentität«) herabsetzt (Negation der Negation). Eine solche ist z. B. das wahrhaft Unendliche (repräsentiert durch Kreis oder Kugel), »welches sich selbst und die Endlichkeit in sich begreift«. Die dialektisch-spekulative Darstellung der reinen Denkbestimmungen in der Logik schließt sich mit derjenigen der Naturerscheinungen in der Naturphilosophie und der Gestalten der geschichtlichen Selbstverwirklichung des Absoluten als Geist in der Philosophie des Geistes zum System zusammen. Hegels Dialektik ist also Methode der Darstellung, Prinzip der Logik und Realdialektik zugleich. Als Letztere erklärt sie Naturprozesse und historische Entwicklungen metaphysisch-teleologisch durch dialektische Notwendigkeit: »Was das Erste in der Wissenschaft [der Logik] ist, hat sich müssen geschichtlich als das Erste zeigen«.
K. Marx übernahm zwar das hegelsche Verständnis der Dialektik als der sich bei der Explikation des Ganges der Sache selbst erst formulierenden Methode, ersetzte aber die von Hegel oft willkürlich nach bestimmten Zielvorstellungen (etwa Familie, Staat) geordnete Sachentwicklung durch die Darstellung der verschiedenen sich an der historischen Entwicklung orientierenden Stufen, auf denen die Bedürfnisbefriedigung gesellschaftlich organisiert wird. Dabei werden insbesondere die Wechselwirkungen von gesellschaftlichem »Sein«, den Produktionsverhältnissen, und »Bewusstsein«, dem Verständnis v. a. von der Gesellschaft selbst, untersucht und als »dialektisch« bezeichnet. F. Engels stellte der »subjektiven Dialektik« des Begreifens eine »objektive Dialektik« der Dinge selbst entgegen, die nicht nur die Bewegung der Gesellschaft, sondern auch der Natur regelt. Er formulierte drei Hauptgesetze der Dialektik: 1) das »Umschlagen von Quantität in Qualität und umgekehrt«, 2) »gegenseitiges Durchdringen der polaren Gegensätze und Ineinander-Umschlagen, wenn auf die Spitze getrieben«, 3) »Entwicklung durch den Widerspruch oder Negation der Negation«. - Obgleich W. I. Lenin einer solchen »Dialektik der Natur« zurückhaltend gegenüberstand, wurde die engelssche Auffassung der Dialektik im Stalinismus bis zu den »Linguistik-Briefen« (1950) zur herrschenden Lehre (dialektischer Materialismus, Marxismus). In Italien, Frankreich und Deutschland versuchten die Auseinandersetzungen und Bemühungen um die Dialektik dagegen, die marxsche Konzeption der Dialektik von der hegelschen, teilweise auch von der antiken Auffassung der Dialektik und der kantschen Vernunftphilosophie her zu rekonstruieren, ohne sie noch als »Dialektik der Natur« zu dogmatisieren (B. Croce, A. Gramsci, J.-P. Sartre, M. Merleau-Ponty, L. Goldmann, G. Gurvitch). Im Sinne der Frankfurter Schule (M. Horkheimer, T. W. Adorno, H. Marcuse, J. Habermas) wird Dialektik bestimmt als Dialektik der Nichtidentität. Dieser Begriff der Dialektik ist gegen alle geschlossenen, auf Identitätssetzung von Sein und Denken, Subjekt und Objekt gegründeten Systeme gerichtet. In seiner negativen Dialektik hob Adorno demgegenüber die unauflösliche Nicht-Identität des Besonderen hervor. Negative Dialektik als dialektisches Denken fordert die Negation der objektiven und begrifflichen Totalität einer nach dem Identitätsprinzip organisierten, auf Herrschaftszwängen beruhenden Gesellschaft. »Utopie der Erkenntnis« wäre ein dialektisches Denken, das sich dem zu Erkennenden »anschmiegt«, indem es durch widersprüchliche Aussagen, die sich wechselseitig relativieren und ergänzen, versucht, »das Begriffslose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen«.
J. Cohn: Theorie der D. (1923, Nachdr. 1965);
J. Stenzel: Studien zur Entwicklung der platon. D. von Sokrates zu Aristoteles (21931, Nachdr. 1970);
H. Dahm: Die D. im Wandel der Sowjetphilosophie (1963);
G. Gurvitch: D. u. Soziologie (a. d. Frz., 1965);
L. Sichirollo: Dialegesthai. D. Von Homer bis Aristoteles (1966);
L. Goldmann: Dialekt. Unters. (a. d. Frz., 1967);
H. Heimsoeth: Transzendentale D., 4 Bde. (1967-71);
H.-G. Gadamer: Platos dialekt. Ethik u. andere Studien zur platon. Philosophie (1968);
H.-G. Gadamer: Hegels D. Fünf hermeneut. Studien (1971);
W. Becker: Hegels Begriff der D. u. das Prinzip des Idealismus (1969);
W. Becker: Idealist. u. materialist. D. (1970);
T. W. Adorno: Negative D. (Neuausg. 1970);
Hermeneutik u. D. Aufsätze, hg. v. R. Bubner u. a., 2 Bde. (1970);
W. Hartkopf: Studien zur Entwicklung der modernen D., 4 Bde. (1972-79);
W. Röd: Dialekt. Philosophie der Neuzeit (21986);
C. Hubig: D. u. Wissenschaftslogik (1978);
P. Stemmer: Platons D. (1992);
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Di|a|lẹk|tik, die; - [lat. (ars) dialectica < griech. dialektike̅́ (téchnē)]: 1. (Rhet.) Kunst der Gesprächsführung; Fähigkeit, den Diskussionspartner in Rede u. Gegenrede zu überzeugen: ein Mann von bestechender D. 2. (Philos.) a) philosophische Methode, die die Position, von der sie ausgeht, durch gegensätzliche Behauptungen infrage stellt u. in der Synthese beider Positionen eine Erkenntnis höherer Art zu gewinnen sucht: die D. Hegels; b) (im dialektischen Materialismus) die innere Gesetzmäßigkeit der ökonomischen Entwicklung in realen Gegensätzen: Marx hat eine materialistische D. begründet. 3. (bildungsspr.) (die einer Sache innewohnende) Gegensätzlichkeit: Nach dem Gesetz erotischer D. ziehen sich die zwei ... einander an, der strahlend gesunde Athlet und der introvertierte Intellektuelle (K. Mann, Wendepunkt 186).
Universal-Lexikon. 2012.