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Sexualität
Geschlechtsleben; Geschlechtlichkeit (fachsprachlich); Liebesleben

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Se|xu|a|li|tät [zɛksu̯ali'tɛ:t], die; -:
Gesamtheit der im Geschlechtstrieb begründeten Lebensäußerungen, Verhaltensweisen, Empfindungen:
er behandelt in dem Vortrag Fragen der weiblichen und der männlichen Sexualität; für viele ist Sexualität ohne Liebe unvorstellbar.
Syn.: Erotik, Sex.
Zus.: Bisexualität, Heterosexualität, Homosexualität.

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Se|xu|a|li|tät 〈f. 20; unz.〉 Gesamtheit der geschlechtlichen Äußerungen u. Empfindungen, Geschlechtsleben

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Se|xu|a|li|tät, die; -, (Fachspr.:) -en:
Gesamtheit der im Geschlechtstrieb begründeten Lebensäußerungen, Empfindungen u. Verhaltensweisen:
die weibliche S.;
die S. des Mannes.

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Sexualität,
 
Geschlechtlichkeit, allgemein die Unterscheidung männlicher und weiblicher Individuen aufgrund ihrer Geschlechtsmerkmale sowie - bei Eukaryonten - die Gesamtheit der Phänomene, die der genetischen Rekombination dienen (Fortpflanzung, Geschlecht 1); beim Menschen die Gesamtheit der geschlechtlichen Lebensäußerungen; in einem engeren Sinne die auf dem Geschlechtstrieb, einem auf geschlechtliche Beziehung und Befriedigung zielenden Trieb, beruhenden Lebensäußerungen.
 
Der Begriff Sexualität wurde wissenschaftlich vermutlich zuerst von dem Botaniker August Henschel (* 1790, ✝ 1856) in einer Arbeit »Von der Sexualität der Pflanzen« 1820 verwendet und dort ausschließlich unter dem Fortpflanzungsaspekt thematisiert. Die folgende wissenschaftliche Verwendung des Begriffs Sexualität umfasste dann bald die bis dahin als Trieb, Wollust, Geschlechtslust usw. beschriebenen motivationalen Aspekte der Sexualität. Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts sich entwickelnde Sexualwissenschaft konzentrierte sich anfangs vorwiegend auf die als abweichend und ungewöhnlich aufgefassten Erscheinungsformen dieses begrifflich neu gefassten Feldes. Die Psychiatrie versuchte, das Augenmerk auf das Exotische der sexuellen Phänomene unter einer psychopathologischen Perspektive zu fassen. Programmatisch kommt dies im Titel der »Psychopathia sexualis« des Wiener Psychiaters R. von Krafft-Ebing (1886) zum Ausdruck. Nach der ausschließlich ethisch-moralischen Perspektive, unter der die Kirche sexuelle Phänomene bewertet hatte, gewann das medizinische Modell in der Folge an Einfluss.
 
 Kulturhistorische Aspekte
 
Nicht nur sexuelle Normen, sondern auch die Manifestationen sexuellen Verhaltens zeigen im Lauf der abendländischen Geschichte große Veränderungen. Die angemessene Beschreibung dieses historischen Wandels ist dadurch erschwert, dass die schriftlichen und bildlichen Quellen sich vorwiegend auf die privilegierten sozialen Klassen beziehen. Sie geben also kaum Aufschluss über den größten Teil der Bevölkerung. Auch lässt sich oft nicht einschätzen, wieweit die erhaltenen Dokumente als Realbeschreibungen oder als künstlerische Produktionen zu bewerten sind. Schließlich stammen viele Informationen über sexuelle Vorschriften und Verbote aus kirchlichen Quellen. Sie sind als Hinweise auf die jeweiligen Normen brauchbar, lassen aber nur begrenzte Schlüsse auf das sexuelle Verhalten in einer Epoche zu. Diese Einschränkungen erlauben einigermaßen zuverlässige Aussagen erst für das ausgehende Mittelalter und den Beginn der Neuzeit.
 
Die offizielle christliche Moral des Mittelalters war nicht nur asketisch-antisexuell im engeren Sinn, sondern verurteilte auch die individuellen Liebesgefühle, vertrat also eine instrumentelle, reproduktionsorientierte Sexualnorm. Die Detailliertheit und Ausführlichkeit, mit der die Kirche ihre Verbote des Ehebruchs, der Hurerei, der Masturbation, der Homosexualität und die entsprechenden Sanktionen formulierte, lassen sich als Hinweise auf das Ausmaß eines tatsächlich wenig kontrollierten und normativ zensierten Sexuallebens interpretieren. So waren z. B. Prostitution, vor- und außereheliche Sexualität sehr weit verbreitet. Insgesamt scheint das Mittelalter von einem fantasievollen Sexualleben gekennzeichnet gewesen zu sein, das sich aber gleichwohl nicht einfach als freizügig beschreiben lässt. Vielmehr war es auch geprägt durch Gewalt, durch sexuelle Privilegien des Adels und entsprechende Entrechtung der bäuerlichen Bevölkerung sowie durch die mit den damals unheilbaren Geschlechtskrankheiten verbundenen Gefahren. Die Kirche stellte den sexuellen Ausschweifungen ein asketisches Ideal gegenüber, das durch teilweise strengste Sanktionen gestützt war. Die christliche Moral wurde aber bereits in der Renaissance heftig kritisiert, wobei der Antagonismus von (verachteter) Körperlichkeit und (geläuterter) Geistigkeit abgelehnt wurde. Es wurden jedoch weiterhin vonseiten der Kirchen sexualfeindliche Reglementierungen erlassen.
 
Vor dem Hintergrund der sozioökonomischen Umwälzungen der industriellen Revolution und des zunehmenden Einflusses des Bürgertums lassen sich zwei Entwicklungslinien erkennen, die zur Herausbildung der modernen Sexualität führten: Die für die agrarische Lebensform charakteristische Einheit von Produktion und Reproduktion löst sich auf. Die Funktion der Familie reduziert sich damit auf die Reproduktion; die Bindungen der Familienmitglieder zueinander werden weniger funktionell als affektiv getragen; es kommt zu einer »Emotionalisierung des familiären Binnenklimas« (Gunter Schmidt). Dies verändert maßgeblich die Motive der Gattenwahl, die nun weniger von ökonomischen als von romantisch-emotionalen Motiven bestimmt ist. Sexualität wird so zunehmend intimer, affektiver, individueller und enger an die Institution Ehe gebunden als zuvor. Parallel damit geht der christliche Asketismus des Mittelalters in die bürgerliche Moral der Selbstbeschränkung über. N. Elias beschreibt eine Erniedrigung der Scham- und Peinlichkeitsschwelle und eine Verlagerung der sozialen Kontrolle von »äußeren« Verboten zu »inneren« Moralvorstellungen und damit eine Verinnerlichung der sexuellen Kontrolle. Nicht die Angst vor Strafe, sondern vor dem eigenen Gewissen wird zur Handlungsmaxime, auch für das sexuelle Verhalten. Damit einher geht eine Pädagogisierung und Problematisierung der kindlichen Sexualität mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit auf die kindliche Masturbation. Die viktorianische Moral in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ist der Höhepunkt des »antisexuellen Syndroms« (Jos van Ussel), das durch die extreme Kontrolle der Sexualität diese zugleich ständig thematisiert. Die Ausläufer dieser Moral sind bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts wirksam.
 
Der (nach W. Reich) oft als »sexuelle Revolution« bezeichnete Liberalisierungsprozess der 1960er-Jahre brachte dieses Spannungsfeld in Bewegung. Eine zunehmende Freizügigkeit und Individualisierung sexueller Wertvorstellungen drückte sich v. a. in einer Relativierung der drei sexualmoralische Grundpfeiler Monogamie, Heterosexualität und Dauerhaftigkeit aus. Die ersten sexuellen Erfahrungen werden in einem früheren Lebensalter gemacht und sie werden unabhängiger von partnerschaftlicher Bindung. Dass der Liberalisierungsprozess für Frauen größere Veränderungen als für Männer brachte, lässt sich auf die früher stärker verbreitete »Doppelmoral« (unterschiedliche Normvorstellungen für die beiden Geschlechter im Sinne stärkerer Restriktion, Moralvorschriften und Verhaltensregeln für die Frauen) zurückführen.
 
Die Veränderungen im öffentlichen Bewusstsein haben auch in der Rechtsprechung ihren Niederschlag gefunden. So lag der Reform des Sexualstrafrechts 1973 die rechtsethische Maxime zugrunde, dass nicht mehr die allgemeine Sittlichkeit, sondern die sexuelle Selbstbestimmung das zu schützende Rechtsgut sei.
 
Die leitende Vorstellung der durch die Studentenbewegung mitinitiierten Diskussion war die Repressionsthese, der zufolge die Sexualität in der bürgerlichen Gesellschaft zur Wahrung gesellschaftlicher Macht unterdrückt werde. Demgegenüber sah später v. a. M. Foucault gerade in der Entfaltung und Differenzierung der Sexualverbote einen Prozess der Sexualisierung, in dem Sexualität als das Geheimnis schlechthin geltend gemacht wird, gerade daher aber ständig darüber gesprochen wird. Foucault zufolge wird eine bestimmte Art, über Sexualität zu sprechen, die »Diskursivierung des Sexes«, zu einem Machtmechanismus.
 
 Biologische Voraussetzungen sexueller Erregbarkeit
 
Männliche (Androgene) und weibliche (Östrogene und Progesterone) Sexualhormone kommen bei beiden Geschlechtern vor, jedoch in unterschiedlicher, geschlechtsspezifischer Konzentration. Sie beeinflussen die pränatale Geschlechtsdifferenzierung und den Pubertätsbeginn. Bis zu einem gewissen Maß sind sie auch Voraussetzungen für das sexuelle Verhalten.
 
Das für das sexuelle Verhalten und für die Fortpflanzung wichtigste endokrine System ist das Hypothalamus-Hypophysenvorderlappen-Gonaden-System. Der Hypothalamus bewirkt, dass im Hypophysenvorderlappen das FSH (follikelstimulierendes Hormon) und das LH (luteinisierendes Hormon) freigesetzt werden. Das FSH stimuliert beim Mann die Spermiogenese, bei der Frau das Wachstum der Follikel im Eierstock. Das LH regt beim Mann die Produktion von Testosteron, dem wichtigsten Androgen (männliches Geschlechtshormon), an, bei der Frau die Produktion der weiblichen Hormone Östrogen und Progesteron.
 
Der Androgenspiegel beim Mann ist im Regelfall weitaus höher, als für die Erektion und Ejakulation erforderlich ist. Über das für die sexuelle Funktionsfähigkeit erforderliche Minimum hinausgehende Androgengaben erhöhen die Erektionsfähigkeit und Appetenz nicht. Bei der Frau ist die Lubrikationsfähigkeit der Scheide von einem Östrogenminimum abhängig. (sexueller Reaktionszyklus)
 
 Sexuelle Entwicklung des Menschen
 
Bereits Säuglinge zeigen Verhaltensweisen, die sich als sexuell bezeichnen lassen, insbesondere in Form masturbationsähnlicher Handlungen. Auch orgasmusähnliche Äußerungen sind beobachtet worden. Wieweit diesem Verhalten bei den Kindern auch ein sexuelles Erlebniskorrelat entspricht, lässt sich nicht beurteilen. Masturbationen bei Kindern im Alter von 4 bis 5 Jahren sind keine Seltenheit. In diesem Alter spielt auch die Unterscheidung der Geschlechter für die Kinder eine große Rolle. Die von der Psychoanalyse vertretene These, dass Mädchen in diesem Alter unter der Vorstellung litten, dass sie keinen Penis hätten (Penisneid), und Jungen ihre auf die Mutter gerichteten sexuellen Wünsche aus Angst vor der Kastration durch den Vater verdrängten (Kastrationskomplex), konnte durch die interkulturelle Forschung nicht bestätigt werden.
 
Empirisch widerlegt ist das psychoanalytische Postulat einer »Latenzzeit«, also eines Zurücktretens sexueller Interessen, zwischen der frühen Kindheit und der Pubertät. Vielmehr sind Kuss- und Doktorspiele in dieser Phase in der abendländischen Kultur sehr verbreitet.
 
Der Beginn der Pubertät wird bei Mädchen durch die Menarche (erste Menstruation), bei den Jungen durch die erste Ejakulation definiert und ist nicht nur durch die körperlichen Reifungsvorgänge, sondern auch durch die oft konflikthafte Übernahme der männlichen und weiblichen Rolle geprägt, die von J.-J. Rousseau als »zweite Geburt« bezeichnet wurde. Erste Masturbationserfahrungen werden von den meisten Jungen, aber nur einem Teil der Mädchen in dieser Zeit gemacht. Homosexuelle Erfahrungen, die später nicht zu einer manifesten homosexuellen Orientierung führen müssen, sind in der Adoleszenzzeit nicht ungewöhnlich.
 
Bei Erwachsenen hat die Unterscheidung zwischen ehelicher und nichtehelicher Sexualität heute insofern an Bedeutung verloren, als neben der Ehe auch die feste Partnerschaft eine gesellschaftlich relevante Organisationsform der Erwachsenensexualität geworden ist.
 
Das Nachlassen des sexuellen Verlangens im Alter variiert individuell. Es hängt stark von der sexuellen Aktivität im mittleren Lebensalter ab. Im Alter zunehmende Stoffwechselkrankheiten können das sexuelle Verlangen beeinträchtigen; von Bedeutung ist auch die soziale Billigung der sexuellen Bedürfnisse und Interessen älterer Menschen.
 
 Theorien sexueller Motivation
 
Zu Beginn der wissenschaftlichen Beschreibung der Sexualität dominierten die biogenetischen Degenerationsvorstellungen, welche auf alle Aspekte der Sexualität angewandt wurden, die nicht ehelich institutionalisiert waren, also auf kindliche und jugendliche Sexualität ebenso wie auf Masturbation und Homosexualität. Anfang des 20. Jahrhunderts nahm das Interesse der Sexualwissenschaft an der »normalen« Entwicklung der Sexualität zu und begann, sich von dem pathologisierenden Blick auf sexuelle Phänomene zu befreien (Havelock Ellis, I. Bloch, Albert Moll), parallel mit einer scharfen Gegnerschaft zur Pathologisierung der Homosexualität (Karl Heinrich Ulrichs, M. Hirschfeld). Die um diese Zeit entstandene Sexualitätstheorie der Psychoanalyse S. Freuds gab das Degenerationsmodell des 19. Jahrhunderts völlig auf und sah in der Sexualität ein zentrales Motiv menschlichen Erlebens.
 
Damit trat auch das theoretische Verständnis sexueller Motivation in eine neue Phase. Das klassische Modell geht von einem Sexualtrieb aus, der sich aus einer biologischen, im Wesentlichen hormonellen Quelle speist und zur Abfuhr durch sexuelle Aktivität drängt. Dieses Triebdruckmodell variiert von der einfachsten Vorstellung, die Sexualsekrete erzeugten einen mechanischen Druck in den Genitalien, bis zu dem differenzierteren Modell der frühen Psychoanalyse. In den »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« (1905) unterscheidet Freud eine somatische Triebquelle, die einen inneren Spannungszustand erzeugt, der durch eine sexuelle Aktivität (das Triebziel ) mit einem Triebobjekt abgeführt wird und so zur Befriedigung führt. Sexuelle Motivation wird in diesem Modell durch die angestrebte Reduzierung dieser inneren Spannung erklärt, ähnlich wie bei Hunger und Durst. Diese Vorstellung wurde als »psychohydraulisch« kritisiert (Gunter Schmidt). Die verhaltenswissenschaftliche Forschung belegte die starke Abhängigkeit der sexuellen Erregung von Außenreizen und zeigte, dass sich auch bei langer sexueller Enthaltsamkeit keine Hinweise auf unentladene Sexualspannung finden lassen. Die bei Menschen zentrale Funktion der sexuellen Fantasie, die hinsichtlich Triebobjekt und Triebziel sehr variabel ist, kann im Rahmen des psychohydraulischen Modells nur als Reaktion auf die andrängenden und nicht abführbaren physiologischen Impulse verstanden werden. Dies ist die Essenz des freudschen Satzes »Der Glückliche fantasiert nie, nur der Unbefriedigte«. Er enthält die Vorstellung der sexuellen Fantasie als einer Kompensation unerfüllter Wünsche. Demgegenüber haben sexualwissenschaftliche und psychoanalytische Untersuchungen den antizipatorischen Charakter der Fantasie hervorgehoben, die eine innere Gegenwelt der Sehnsüchte ermöglicht.
 
Neuere psychoanalytische Überlegungen fragen, welche biographisch begründeten Konflikte und Affekte sich in sexueller Aktivität und Fantasie niederschlagen. Nach der von klinischen Untersuchungen sexueller Perversionen ausgehenden Theorie des amerikanischen Psychoanalytikers Robert J. Stoller fließen in die sexuelle Erregung unbewusste kindliche oder adoleszente Traumata und Niederlagen ein, v. a. in Bezug auf die Geschlechtsidentität, die dann im erwachsenen Sexualitätserleben reaktualisiert werden. Sexuelle Aktivität und die sie begleitenden Fantasien werden so inszeniert, dass das frühe Trauma ichstabilisierend gewendet und symbolisch überwunden wird in einem erregenden Erlebnis des Triumphes über diese früheren psychischen Verletzungen. Sexuelles Handeln und Erleben dient damit auch der Überwindung von Angst und Schwäche. In dieser Hinsicht ist der Orgasmus nicht nur Triebabfuhr oder Lustbefriedigung, sondern ein »megalomaner Ausbruch der Freiheit« (Stoller).
 
Anderen Überlegungen zufolge werden im gegenwärtigen sexuellen Erleben nicht nur schmerzliche und demütigende Erlebnisse der Kindheit wieder lebendig, sondern ebenso kindliche Glückszustände, Hochgefühle und symbiotische Verschmelzungserlebnisse. In der sexuellen Erregung und im Orgasmus verdichten sich Gefühle narzisstischer Großartigkeit mit Gefühlen der Auflösung von Ichgrenzen, die kurzfristig wiedererlebbar sind. Diese sehr weit gefassten Vorstellungen sexueller Motivation sind von verhaltensbiologischer Seite kritisiert worden, weil sie nicht zwischen unterschiedlichen Qualitäten zwischenmenschlicher Anziehung unterscheiden. Ein biologisch begründetes Modell (Norbert Bischof) unterscheidet zwei Komponenten: Die Bindung mit primär vertrauten Partnern bietet Sicherheit, aber wenig Erregung; dagegen kann sich sexuelle Motivation im engeren Sinn nur auf Partner richten, die zunächst fremd sind und erst sekundär vertraut werden.
 
Die mit rund 20 000 Befragten bis heute umfangreichste empirische Erforschung der menschlichen Sexualität führte die Arbeitsgruppe von A. C. Kinsey (Kinsey-Report) in den USA zwischen 1938 und 1953 durch. Mit einer deskriptiven und primär taxonomischen Absicht wurde die Häufigkeit einzelner sexueller Verhaltensweisen erfasst. Die für eine wissenschaftliche Studie ungewöhnlich heftige öffentliche Rezeption entzündete sich v. a. an der großen Diskrepanz zwischen sexuellen Normvorstellungen und sexuellem Verhalten. Insbesondere die empirisch belegte Häufigkeit homosexueller Erfahrungen, der Masturbation und außerehelicher Beziehungen offenbarten die große Spanne zwischen Norm und Verhalten.
 
 Sexuelle Störungen
 
Beeinträchtigungen eines befriedigenden Sexuallebens lassen sich in drei Kategorien einteilen:
 
Bei funktionellen Störungen der Sexualität ist der Geschlechtsverkehr nicht möglich oder die Erlebnisfähigkeit erheblich gemindert. Bei Frauen ist das beim Vaginismus (unwillkürlicher Scheidenkrampf) und bei den erheblich häufigeren Erregungs- und Orgasmusstörungen der Fall. Bei Männern können Erektionsstörungen, Ejaculatio praecox (frühzeitiger Samenerguss) und, seltener, ausbleibender Samenerguss die sexuelle Funktions- und Erlebnisfähigkeit beeinträchtigen. Im weiteren Sinn kann auch eine allgemeine sexuelle Lustlosigkeit zu den funktionellen Sexualitätsstörungen gerechnet werden. Diese zum größten Teil psychisch verursachten Störungen lassen sich heute relativ gut psychotherapeutisch behandeln.
 
Sexuelle Perversionen
 
(Deviationen, Paraphilien) sind definiert durch sexuelle Wünsche, die entweder vom genitalen Sexualverkehr abweichen (z. B. Exhibitionismus, Fetischismus, Voyeurismus, Varianten des Sadomasochismus) oder die sich nicht auf einen erwachsenen Partner richten (Pädophilie, Sodomie). Sexuelle Perversionen sind immer psychische Symptombilder. Sie können sehr unterschiedlich in die Gesamtpersönlichkeit integriert sein, das heißt, sie können als fremd und bedrohlich empfunden werden, können aber auch ein bewusst akzeptierter Teil einer stabilen Persönlichkeit sein. Die Frage einer Behandlung stellt sich häufig erst im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen. Die verbreitetste medizinische Behandlung mit Antiandrogenen kann zwar in Einzelfällen zu einer vorübergehenden psychischen Stabilisierung beitragen, an der Grundproblematik aber nichts ändern. Psychotherapeutische Behandlungen zielen weniger auf die Beseitigung der Symptome als auf eine Stabilisierung der Persönlichkeit und den Aufbau alternativer Verhaltensweisen, die das Individuum weniger gefährden.
 
Sexuelle Identitätsstörungen
 
sind in ihrer ausgeprägtesten Form, der Transsexualität, relativ selten. Transsexuelle Menschen fühlen sich nicht ihrem biologischen Geschlecht, sondern dem Gegengeschlecht zugehörig. Sie erstreben neben einer sozialen und juristischen Anerkennung ihres Wunsches meist eine hormonelle und operative Umwandlung ihres körperlichen Geschlechts. Da eine medizinische oder psychotherapeutische Behandlung (im Sinne einer Versöhnung mit dem biologischen Geschlecht) in den meisten Fällen nicht möglich ist, liegt der Schwerpunkt auf einer medizinisch-psychotherapeutischen Begleitung der gewünschten Lebensform.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Erotik · Geschlechtshormone · Geschlechtsorgane · Homosexualität · Lesbierinnen · Liebe · Sexualethik · Sexualpädagogik · Sexualwissenschaft
 
Literatur:
 
A. C. Kinsey u. a.: Das sexuelle Verhalten der Frau (a. d. Amerikan., Neuausg. 1970);
 A. C. Kinsey: u. a.: Das sexuelle Verhalten des Mannes (a. d. Amerikan., Neuausg. 1970);
 E. Schorsch: Die Stellung der S. in der psych. Organisation des Menschen, in: Nervenarzt, Jg. 49 (1978); R. J. Stoller: Perversion (a. d. Engl., 1979);
 M. Pohlen u. L. Wittmann: Die Unterwelt bewegen (1980);
 V. Sigusch: Vom Trieb u. von der Liebe (1984);
 
Perversion als Straftat, bearb. v. E. Schorsch u. a. (1985, Nachdr. 1990);
 U. Clement: S. im sozialen Wandel (1986);
 Gunter Schmidt: Das große Der Die Das. Über das Sexuelle (1986);
 W. H. Masters u. V. E. Johnson: Die sexuelle Reaktion (a. d. Engl., Neuausg. 63.-65. Tsd. 1987);
 W. Bräutigam u. U. Clement: Sexualmedizin im Grundr. (31989);
 
Sexuell gestörte Beziehungen, hg. v. G. Arentewicz u. a. (31993);
 M. Foucault: S. u. Wahrheit, 3 Bde. (a. d. Frz., 4-91995-97);
 S. Freud: Drei Abhh. zur Sexualtheorie (Neuausg. 13.-14. Tsd. 1996);
 N. Bischof: Das Rätsel Ödipus (Neuausg. 41997).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Sexualität beim Menschen
 
Geschlecht und Geschlechtlichkeit
 
Sexualität: Zwischen Liebe und Ausbeutung
 
Ehe: Konflikt und Kooperation zwischen den Geschlechtern
 

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Se|xu|a|li|tät, die; -, (Fachspr.:) -en: Gesamtheit der im Geschlechtstrieb begründeten Lebensäußerungen, Empfindungen u. Verhaltensweisen: die weibliche S.; die S. des Mannes; Ich meine, dass aufgrund der fleischlosen Nahrung die S. doch abnimmt (Fichte, Wolli 490); Reduktion des Eros auf bloße S. (Bodamer, Mann 75); ... um mehr über S. unter Männern zu erfahren (Grossmann, Schwul 81).

Universal-Lexikon. 2012.