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Homosexualität
Homophilie; Homotropie; gleichgeschlechtliche Liebe

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Ho|mo|se|xu|a|li|tät [homozɛksu̯ali'tɛ:t], die; -:
auf das gleiche Geschlecht gerichtetes sexuelles Empfinden, Verhalten:
sich zu seiner Homosexualität bekennen.

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Ho|mo|se|xu|a|li|tät 〈f. 20; unz.〉 geschlechtliche Liebe zw. Angehörigen des gleichen Geschlechts; Sy Homoerotik (1), gleichgeschlechtliche Liebe; Ggs Heterosexualität; →a. Homophilie [<grch. homos „gleich“ + lat. sexus „Geschlecht“]

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Ho|mo|se|xu|a|li|tät, die; -:
sich auf das eigene Geschlecht richtendes sexuelles Empfinden u. Verhalten:
eine echte, latente H.;
die H. des Mannes, der Frau.

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Homosexualität
 
[griechisch, lateinisch], Homophilie, Homo|erotik, Sexual|inversion, sexuelle Anziehung durch Angehörige des eigenen Geschlechts sowie sexuelle Beziehungen mit gleichgeschlechtlichen Partnern. Im engeren Sinn wird der Begriff Homosexualität für die Beziehungen zwischen erwachsenen Männern verwendet. Die homosexuelle Beziehung zwischen Frauen wird lesbische Liebe (Lesbierinnen), zwischen erwachsenen Männern und männlichen Jugendlichen Päderastie genannt. Im Unterschied zur traditionellen Auffassung von dem polaren Gegensatz zwischen Homosexualität und Heterosexualität hat sich verstärkt die Ansicht durchgesetzt, dass alle Menschen mit einem offenen sexuellen Potenzial ausgestattet sind, das hetero- wie homosexuelle Orientierungen einschließt (Bisexualität). Homosexualität als eine in der menschlichen Natur bereitliegende Möglichkeit ist nicht gleichzusetzen mit dem Selbstbild und Verhalten des Homosexuellen, dessen sexuelle Identität wesentlich durch die Erfahrungen geprägt ist, die er mit seiner Umwelt und ihren Reaktionen auf seine sexuellen Präferenzen macht. Nach Schätzungen (A. C. Kinsey) sollen etwa 4 % der erwachsenen Männer und 2 % der erwachsenen Frauen ausschließlich homosexuell sein. Dagegen ist der Anteil derer, die gelegentlich homosexuelle Kontakte eingehen (Entwicklungs- und Gelegenheitshomosexualität) oder sich von gleichgeschlechtlichen Partnern angezogen fühlen, ohne sexuelle Kontakte aufzunehmen, sehr viel größer. Nach empirischen Untersuchungen dürfte etwa ein Drittel aller Männer in Deutschland im Lauf ihres Lebens zumindest einmal homosexuellen Kontakt gehabt haben.
 
 Entstehungstheorien
 
Über die Ursachen der Homosexualität gibt es unterschiedliche Theorien. Als besonders folgenreich erwies sich die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstandene medizinisch-psychiatrische Definition von Homosexualität, wonach Homosexuelle als im strafrechtlichen Sinne nichtzurechnungsfähige Kranke zu betrachten seien. Berühmtester Vertreter dieser Lehrmeinung war der Psychiater R. Krafft-Ebing, der Homosexualität als »funktionelles Degenerationszeichen« und als meist erblich bedingte neuropathologische Veranlagung bestimmte. Die Vorurteile gegenüber Homosexuellen fußten damit auf der Auffassung von der sozialen Schädlichkeit der Homosexualität, die als Verbrechen am Allgemeinwohl und als Ausdruck zivilisatorischen Verfalls galt. Neben I. Bloch gehörte M. Hirschfeld, der Gründer des »Institut für Sexualwissenschaft« (1919), zu den schärfsten Gegnern der Pathologisierung der Homosexualität. Nach Karl Heinrich Ulrichs (* 1825, ✝ 1895), auf den der Begriff »Uranismus« für Homosexualität zurückgeht, war Hirschfeld einer der ersten Verfechter der gesellschaftlichen Emanzipation und Anerkennung der Homosexuellen, die er als Angehörige des »dritten Geschlechts« definierte. Eine entscheidende Wende in der Theoriediskussion der Homosexualität wurde 1905 durch S. Freuds »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« eingeleitet. Freud kritisierte nicht nur die Anwendung der Begriffe Degeneration und Perversion auf Homosexualität, sondern bestimmte diese als eine »anthropologische Anlage«, die auch Teil der psychosexuellen Entwicklung des heterosexuellen Individuums sei und erst durch bestimmte, in der frühen Kindheit verankerte Erfahrungen zu einer manifesten homosexuellen Identität führe.
 
Zu den derzeit diskutierten Erklärungsansätzen zählen: 1) konstitutionsbiologisch orientierte Theorien, denen zufolge Homosexualität auf angeborenen, biologischen (genetischen, anatomischen, endokrinen) »Anomalien« beruht; 2) sexualwissenschaftlich orientierte Theorien, die davon ausgehen, dass die Übergänge zwischen Homosexualität und Heterosexualität fließend sind und es im Grunde keine Homosexuellen gibt, sondern nur Menschen, die sich während bestimmter Phasen ihres Lebens mehr oder weniger homosexuell verhalten; 3) psychoanalytisch orientierte Theorien, denen zufolge die Disposition zur Homosexualität bereits in der frühen Kindheit angelegt wird und mit dem Aufbau einer spezifischen Persönlichkeitsstruktur einhergeht, die Selbstakzeptanz als Homosexueller (»Coming-out«) jedoch erst nach der Pubertät erfolgt, wenn sich das Verlangen auf einen gleichgeschlechtlichen Sexualpartner richtet. Neuere Therapieformen wollen dem Homosexuellen dazu verhelfen, seine (sexuelle) Identität zu akzeptieren, ohne dabei den Versuch einer Umorientierung auf heterosexuelle Verhaltensweisen zu unternehmen.
 
 Kulturgeschichtliches
 
Obwohl das Phänomen der Homosexualität in allen Kulturen und Gesellschaftsformen existiert, wurde es überwiegend als Ausnahme von der Regel, häufig als Stigma und mehr oder weniger geächtete Abweichung von der Norm bewertet. Gleichwohl hat es in vielen Gesellschaften institutionalisierte Formen der Homosexualität gegeben. V. a. im kultisch-religiösen Bereich fiel der Homosexualität in frühgeschichtlichen Kulturen eine wichtige Rolle zu, so bei der Knabeninitiation, der Tempelprostitution und in Verbindung mit Schamanismus. Auch ethnologischen Forschungen zufolge (C. S. Ford, F. A. Beach) wurde gleichgeschlechtlicher Verkehr zwischen männlichen Erwachsenen und Jugendlichen in schriftlosen Stammeskulturen häufig toleriert.
 
Institutionalisierte Formen der Homosexualität zwischen heranwachsenden und erwachsenen Männern existierten in Japan bei der Kriegerelite der Samurai und in den buddhistischen Mönchsgemeinschaften sowie von der frühen griechischen Antike bis zum Hellenismus. In Griechenland unterhielten Männer, die zeitlich begrenzte sexuelle Beziehungen mit Knaben eingingen, in der Regel auch heterosexuelle Beziehungen, während die ausschließlich gleichgeschlechtliche Liebe zwischen erwachsenen Männern verpönt war. Wichtiger als die Frage nach der Bevorzugung des eigenen oder anderen Geschlechts war nach griechischen Vorstellung der maßvolle und besonnene Umgang mit sexueller Begierde und Leidenschaft, die Einbindung des Eros in eine Ethik des Seelenadels und der Ehre (griechisch arete). Eine beherrschende Rolle spielte die Paiderastia in Sparta, wo die gefühlsmäßige und erotische Bindung des Heranwachsenden an den erwachsenen Mann integraler Bestandteil der staatlich überwachten Knabenerziehung war. Auch in Athen galt die Knabenliebe als Brauchtum der Besten (griechisch aristoi) und unterlag, obwohl stärker erotisch-ästhetisch orientiert, ebenfalls bestimmten pädagogischen Regulativen. Dem erwachsenen Liebhaber (griechisch erastes) oblag die Aufgabe, als Gönner und Erzieher seinen jungen Geliebten (griechisch eromenos) auf die künftige Rolle im Dienst der Polis vorzubereiten. Für Platon stand die erotisch inspirierte, doch auf sinnliche Erfüllung verzichtende Freundschaft zwischen dem jüngeren und älteren Mann im Zentrum seiner Philosophie des Eros, die unter dem Begriff der platonischen Liebe in das abendländische Denken eingegangen ist.
 
Wie zahlreiche Dichtungen römischer Schriftsteller zeigen, in denen die Liebe des Mannes zum Knaben wie zur Frau gleichermaßen besungen wurde (Plautus, Lukrez, Ovid, Catull, Vergil, Horaz, Plutarch, Tibull), war die Päderastie im antiken Rom, v. a. zur Kaiserzeit, in der römischen Oberschicht bekannt. Obwohl moralisch nicht gebilligt, galt sie nicht als sexuelle Abweichung. Gesellschaftlich geächtet war dagegen der »passive« Homosexuelle, der als feminin galt. In dieser Rolle waren v. a. junge Ausländer, Sklaven und Freigelassene, während der frei geborene junge Römer vor homosexuellen Kontakten gesetzlich geschützt war. Mit dem wachsenden Einfluss des Christentums im mediterranen Kulturraum setzte sich eine restriktivere Einstellung gegenüber der Homosexualität durch. So ahndete das Corpus Iuris Civilis homosexuelle Praktiken mit schweren Strafen bis hin zum Tod durch Enthauptung.
 
Im Unterschied zur griechisch-römischen Hochkultur galt die Homosexualität in den vorchristlichen germanischen Stammesverbänden als unvereinbar mit dem Kriegerideal. Homosexuelles Verhalten wurde sozial geächtet, als Verweichlichung stigmatisiert und mit Todesstrafe bedroht. - In der christlichen Tradition berief man sich bei der Verurteilung der Homosexualität meist auf die alttestamentlichen Erzählung von Sodom und Gomorrha (1. Mose 19). Das Neue Testament nennt an verschiedenen Stellen Homosexualität als Beispiel für fehlenden Glauben und »Gottlosigkeit« (Römerbrief 1, 27; 1. Korintherbrief 6, 9 f.; 1. Timotheusbrief 1, 10; Judasbrief 7), geht jedoch nicht auf strafrechtliche Sanktionen ein. Ausschlaggebend für die Beurteilung der Homosexualität in der mittelalterlichen Theologie (Augustinus, Thomas von Aquino) war die von asketischen Strömungen geprägte Auffassung, Sexualität sei lediglich im Hinblick auf Fortpflanzung legitim und in jeder anderen Form ein Verstoß gegen die Natur des Menschen; daher wurde Homosexualität als Sünde verurteilt. Sie zog zunächst jedoch nur Kirchenbußen nach sich und wurde strafrechtlich nicht verfolgt. Diese kirchliche Einstellung war im ganzen Frühmittelalter vorherrschend.
 
Mit dem Wiederaufleben der Stadtkultur und der Entdeckung der Antike bildeten sich im 11. Jahrhundert neue Freiräume für Homosexuelle. Diese Öffnung führte zu einer Blüte homosexueller Subkultur, die sich in monastischen Freundschaftsbünden und einer erotisch inspirierten, mystischen Liebes- und Freundschaftsliteratur, beispielsweise den Dichtungen des französischen Benediktinerabts Balderich von Bourgueil (* 1045 oder 1046, ✝ 1130) und des Leiters der Kathedralschule von Angers, Marbod von Rennes (* 1035, ✝ 1123), niederschlug. Der Ausbau und die Institutionalisierung der staatlichen Zentralgewalt in den Nationalmonarchien und Fürstentümern des 12. und 13. Jahrhunderts ging mit einer abnehmenden Toleranz gegenüber Minderheiten wie Juden, Muslimen und Homosexuellen einher. So trug u. a. auch der Vorwurf der praktizierten Homosexualität in Verbindung mit dem der Ketzerei zur Vernichtung des Templerordens durch Philipp IV. von Frankreich bei. Im Zuge der Ketzerverfolgung durch die päpstliche Inquisition verfestigte sich die Vorstellung, dass sexuelle Unzucht (Sodomie) ein Wesenszug der Häresie sei. Auch im Zusammenhang mit den Hexenverfolgungen des 14.-17. Jahrhunderts wurde gegenüber den Beschuldigten regelmäßig der Vorwurf der Sodomie erhoben. Die von der spätmittelalterlichen Theologie entwickelte Vorstellung von Sodomie als einem todeswürdigen Verbrechen gegen den Glauben wurde von den weltlichen Gerichten übernommen.
 
Obwohl die Renaissance der Homosexualität mit größerer Toleranz begegnete, war die Freiheit, homosexuellen Neigungen ungestraft nachzugehen, auf die aristrokratische Führungsschicht und die mit ihr verbundenen Künstlerkreise beschränkt. Homosexuelle Subkulturen entstanden v. a. an den italienischen Fürstenhöfen und dem Königshof Heinrichs III. von Frankreich.
 
Erst mit der Säkularisierung des Strafrechts in der Aufklärung wurde die theologisch-moralische Begründung bei der Verfolgung Homosexueller fallen gelassen. Trotz strafrechtlicher Liberalisierungstendenzen blieben Homosexuelle im 19. Jahrhundert eine gesellschaftlich geächtete Minorität, die gezwungen war, ihre sexuellen Neigungen geheim zu halten. Biographien wie die von J. Winckelmann, A. von Platen, Ludwig II. von Bayern, H. C. Andersen, L. Carroll, W. Whitman, N. W. Gogol und P. Tschaikowskij machen dies deutlich. Homosexuelle, deren Sexualität bekannt wurde (z. B. O. Wilde), wurden zur gesellschaftlichen Unperson. Die intensive publizistische und medizinische Diskussion über Homosexualität um die Jahrhundertwende führte dazu, dass Homosexuelle zunehmend aus dem Schutz der Anonymität heraustraten. Für ein größeres Verständnis gegenüber Homosexualität haben im 20. Jahrhundert die Werke homo- und bisexuell orientierter Schriftsteller und Künstler beigetragen (A. Gide, M. Proust, J. Cocteau, S. George, F. García Lorca, K. Mann, W. H. Auden, J. Genet, H. Fichte, M. Foucault, P. P. Pasolini, L. Visconti, R. von Praunheim). In Deutschland wurden die sich in den 20er-Jahren abzeichnenden Liberalisierungstendenzen durch die nationalsozialistische Machtergreifung zunichte gemacht. Nach dem Röhm-Putsch wurden der § 175 Reichsstrafgesetzbuch verschärft und von den Verurteilten 10 000-15 000 in Konzentratioslager gebracht. Den Überlebenden wurde nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland die Wiedergutmachung verweigert, weil ihre Verurteilung aufgrund eines Gesetzes erfolgt war, das nach 1945 bis 1969 fortbestand.
 
 Gegenwärtige Situation
 
Auf das unter dem Nationalsozialismus erlebte Trauma reagierten viele Homosexuelle mit einer verstärkten Anpassung an die gängigen Normalitätsvorstellungen. Erst in den 1970er-Jahren entstand (nach der Reform des § 175), u. a. in Anlehnung an die amerikanische Gay-Rights-Bewegung, in der Bundesrepublik Deutschland eine homosexuelle Emanzipationsbewegung. Seitdem haben v. a. jüngere Homosexuelle ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, bezeichnen sich offen als »Schwule« und kämpfen für den Abbau der Homosexuellendiskriminierung. Die v. a. in den Großstädten entstandenen Selbsthilfeorganisationen (»Rosa-Hilfe-Gruppe« u. a.) und Einrichtungen homosexueller Subkultur (Kneipen, Buchläden, Theater-, Filmgruppen) bieten Homosexuellen die Möglichkeit, aus ihrer Isolation herauszutreten. Die im Zuge der sexuellen Liberalisierung gewachsene Bereitschaft der Gesellschaft, Homosexuelle zu akzeptieren, ist in bestimmten öffentlichen Institutionen wie z. B. Kirchen, Schulbehörden und Bundeswehr nur bedingt vorhanden. In diesem Zusammenhang versteht sich die homosexuelle Emanzipationsbewegung heute in Deutschland auch als Bürgerrechtsbewegung, die gleiche Rechte für Homosexuelle in allen Lebensbereichen einfordert und durchsetzen will. Seitens des »Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland e. V.« (LSVD, Sitz: Berlin; bis 1998 »Schwulenverband in Deutschland e. V.«, SVD), wurden in den 1990er-Jahren besonders die rechtliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften (und zum Teil die rechtliche Gleichstellung mit der Ehe) und die Verabschiedung von Gesetzen gegen die Diskriminierung Homosexueller in der Arbeitswelt gefordert. Politisch haben Bündnis 90/Die Grünen, SPD, F. D. P. und PDS Forderungen der Homosexuellenbewegung in ihre Programmatik aufgenommen. Einige Landesregierungen und Städte haben »Referate für gleichgeschlechtliche Lebensweisen« in ihren Verwaltungen eingerichtet. Am 10. 11. 2000 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG; in Kraft seit dem 1. 8. 2001, bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht am 17. 7. 2002), das gleichgeschlechtliche Partnern ermöglicht, eine rechtlich anerkannte Bindung (»eingetragene Lebenspartnerschaft«) einzugehen.
 
Eine gravierende Veränderung der Situation und gesellschaftliche Akzeptanz homosexueller Menschen ist seit Ende der 1970er-Jahre infolge der sich weltweit verbreitenden Virusinfektionskrankheit Aids entstanden. Die Tatsache, dass sie zu einer Hauptbetroffenengruppe (»Risikogruppe«) zählen, hat nicht nur zu einer tiefen Verunsicherung der Homosexuellen selbst geführt, sondern auch latente antihomosexuelle Vorurteile reaktiviert. Zugleich jedoch hat die öffentliche Diskussion über Aids das »Thema« Homosexualität enttabuisiert und in den Medien und der politischen Debatte zu einer stärkeren Beachtung von Forderungen und Problemen sowie der nach wie vor bestehenden faktischen Benachteiligungen homosexueller Bürger in der Gesellschaft geführt.
 
 Rechtliches
 
In zahlreichen deutschen Ländern war der homosexuelle Verkehr zwischen erwachsenen Männern bis 1871 nicht strafbar. Das Reichsstrafgesetzbuch (RStGB; § 175) vom 15. 5. 1871 bestimmte jedoch, dass widernatürliche Unzucht zwischen Personen männlichen Geschlechts mit Gefängnis zu bestrafen ist. Literatur und Rechtsprechung legten diese Bestimmung dahin gehend aus, dass sie allein beischlafähnliche Handlungen unter Strafe stelle. Mit der Neufassung des § 175 (Strafrechtsnovelle vom 28. 6. 1935) wurde die Strafbarkeit der männlichen Homosexualität auf jede Unzucht »mit« einem anderen Mann ausgedehnt. Gleichzeitig stellte § 175 a vier Formen der männlichen Homosexualität als Verbrechen unter Strafe (Zuchthaus bis zu zehn Jahren).
 
Nach In-Kraft-Treten des GG galten § 175 und § 175 a als Bundesrecht weiter. Nachdem bereits seit 1950 verschiedene Gremien die Streichung des § 175 gefordert hatten, wurde durch das 1. Strafrechtsreformgesetz vom 25. 6. 1969 die Strafbarkeit der einfachen Homosexualität aufgehoben. Im Rahmen der Neuordnung des Sexualstrafrechts durch das 4. Strafrechtsreformgesetz vom 23. 11. 1973 wurde § 175 StGB neu gefasst. Danach waren in der Bundesrepublik Deutschland homosexuelle Handlungen strafbar, die ein Mann über 18 Jahre an einem Mann unter 18 Jahren vornahm oder von einem Mann unter 18 Jahren an sich vornehmen ließ (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe). Aus verfassungsrechtlicher Sicht verstieß (so das Bundesverfassungsgericht) § 175 StGB nicht gegen den Gleichheitssatz des GG (Art. 3), obwohl parallele Handlungsweisen zwischen Frauen nicht strafbar waren.
 
In der DDR wurde durch Gesetz vom 14. 12. 1988 mit Wirkung zum 1. 7. 1989 der bis dahin geltende § 151 StGB, der homosexuelle Handlungen von Erwachsenen mit Jugendlichen gleichen Geschlechts mit Strafe bedrohte, ersatzlos aufgehoben. Aufgrund Festlegung im Einigungsvertrag trat § 175 StGB der Bundesrepublik in den neuen Ländern auch nicht in Kraft. Durch das 29. Strafrechtsänderungsgesetz vom 31. 5. 1994 ist § 175 StGB aufgehoben worden; gleichzeitig wurde § 182 StGB (sexueller Missbrauch von Jugendlichen) neu gefasst und geschlechtsneutral formuliert.
 
Nach dem österreichischen StGB werden homosexuelle Handlungen mit männlichen Personen unter 18 Jahren (§ 209) mit Strafe bedroht. Ab 1. 3. 1997 sind sowohl die Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts als auch Verbindungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht nicht mehr strafbar (§§ 220, 221 StGB alter Fassung). - Das schweizerische Recht kennt keine besonderen Strafbestimmungen betreffend homosexuelle Handlungen. Sie sind erfasst wie heterosexuelle Handlungen in den Tatbeständen: sexuelle Handlungen mit Kindern (Art. 187) oder mit Abhängigen (Art. 188), sexuelle Nötigung (Art. 189), Schändung (Art. 191), Ausnützung der Notlage (Art. 193) und Förderung der Prostitution (Art. 195).
 
Literatur:
 
M. Hirschfeld: Die H. des Mannes u. des Weibes (1914, Nachdr. 22001);
 J. Baumann: Paragraph 175 (1968);
 K. Freund: H. (1969);
 E.-W. Hanack: Zur Revision des Sexualstrafrechts in der Bundesrepublik (1969);
 A. Kinsey u. a.: Das sexuelle Verhalten des Mannes (a. d. Engl., Neuausg. 1970);
 C. S. Ford u. F. A. Beach: Formen der Sexualität (a. d. Amerikan., 36.-40. Tsd. 1971);
 C. W. Socarides: Der offene Homosexuelle (a. d. Engl., 1971);
 T. Vanggaard: Phallós (Kopenhagen 1971);
 Hans Mayer: Außenseiter (1977);
 G. Bleibtreu-Ehrenberg: Tabu H. (1978);
 J. Boswell: Christianity, social tolerance and homosexuality (Chicago, Ill., 1980);
 G. Looser: H. - menschl. - christl. - moral. (Bern 1980);
 A. P. Bell u. a.: Der Kinsey-Institut-Report über sexuelle Orientierung u. Partnerwahl (a. d. Amerikan., 1981);
 
Rosa Winkel, rosa Listen. Homosexuelle u. »Gesundes Volksempfinden« von Auschwitz bis heute, hg. v. H.-G. Stümke u. a. (1981);
 
Sexualités occidentales, bearb. v. P. Ariès u. a. (Paris 1982);
 H.-G. Wiedemann: Homosexuelle Liebe. Für eine Neuorientierung in der christl. Ethik (1982);
 K. J. Dover: H. in der griech. Antike (a. d. Engl., 1983);
 J. S. Hohmann: H. u. Subkultur (21984);
 Wunibald Müller: H. - eine Herausforderung für Theologie u. Seelsorge (1986);
 Wunibald Müller: Homosexuelle Menschen (1988);
 M. Dannecker: Der Homosexuelle u. die H. (1986);
 M. Dannecker: Das Drama der Sexualität (1987);
 P. Gay: Die zarte Leidenschaft (a. d. Engl., 1987);
 F. Morgenthaler: H., Heterosexualität, Perversion (Neuausg. 1987);
 H.-G. Stümke: Homosexuelle in Dtl. Eine polit. Gesch. (1989);
 E. Bornemann: Das Patriarchat (Neuausg. 46.-47. Tsd. 1991);
 H. Blazek: Rosa Zeiten für rosa Liebe. Zur Gesch. der H. (1996);
 J. Risse: Der verfassungsrechtl. Schutz der H. (1998);
 
Die eingetragene Lebenspartnerschaft. Text, amtl. Materialien, Abhh., hg. v. D. Schwab (2002).

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Ho|mo|se|xu|a|li|tät, die; -: sich auf das eigene Geschlecht richtendes sexuelles Empfinden u. Verhalten: eine echte, latente H.; die H. des Mannes, der Frau; gilt ... die H. als ... Ausdruck der Übersättigung einer Oberschicht oder pikante Laune leichtlebiger Künstler (Spiegel 50, 1966, 166).

Universal-Lexikon. 2012.