Akademik

Libyen
Li|by|en; -s:
Staat in Nordafrika.

* * *

Libyen,
 
 
Kurzinformation:
 
Fläche: 1 759 540 km2
 
Einwohner: (2000) 6,4 Mio.
 
Hauptstadt: Tripolis
 
Amtssprache: Arabisch
 
Nationalfeiertag: 1. 9.
 
Währung: 1 Libyscher Dinar (LD.) = 1 000 Dirham
 
Zeitzone: 1300 Tripolis = 1200 MEZ
 
amtlich arabisch Al-Djumhurijja al-Arabijja al-Libijja ash-Shabijja al-Ishtirakijja [-dʒum-, -ɑʃʃa-, -iʃti-], deutsch Sozialistische Libysch-Arabische Volksrepublik, Staat in Nordafrika, grenzt im Norden an das Mittelmeer, im Osten an Ägypten und Sudan, im Süden an Tschad und Niger, im Westen an Algerien und Tunesien, 1 759 540 km2, (2000) 6,4 Mio. Einwohner; Hauptstadt ist Tripolis, Amtssprache Arabisch; Währung: 1 Libyscher Dinar (LD.) = 1 000 Dirham. Uhrzeit: 1300 Tripolis = 1200 MEZ.
 
 Staat und Recht:
 
Verfassung:
 
Nach der am 2. 3. 1977 in Kraft getretenen Verfassung (mit dem Charakter eines Staatsorganisationsgesetzes) ist Libyen eine sozialistische arabische Volksrepublik. Der Koran gilt als Grundlage des Rechts und gesellschaftlich verbindlicher Kodifikation des Landes. Die von der Verfassung proklamierte Volksdemokratie basiert auf einem System von Volkskongressen und -komitees, den Gewerkschaften und Berufsverbänden. Als Staatsoberhaupt fungiert de facto der vom Allgemeinen Volkskongress (AVK) gewählte Revolutionsführer, der zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist; de jure übt der Generalsekretär des AVK dieses Amt aus. Höchstes Vertretungsorgan ist der AVK mit etwa 2 700 Delegierten, die sich aus Mitgliedern der Regierung sowie Vertretern der regionalen Volkskonferenzen, der Gewerkschaften und anderer Massenorganisationen rekrutieren. Die laufenden Geschäfte erledigt das Generalsekretariat. Die Exekutive liegt beim Allgemeinen Volkskomitee unter Leitung des Generalsekretärs (Premier). Das Amt des Regierungschefs rotiert alle zwei Jahre.
 
Parteien:
 
Parteien sind nicht zugelassen.
 
Gewerkschaften:
 
Wichtigste Organisationen der staatlich gelenkten Gewerkschaften sind die Nationale Föderation der Gewerkschaften und die Union der Erdöl- und Petrochemiearbeiter.
 
Wappen:
 
Das Wappen zeigt den »Falken von Koraisch«, der mit einem grünen Brustschild belegt ist und in den Fängen ein Schriftband mit der arabisch geschriebenen Staatsbezeichnung hält. Der Falke erinnert an den Propheten Mohammed, der dem Stamm der Koraisch angehörte.
 
Nationalfeiertage:
 
Nationalfeiertag ist der 1. 9., der an den Sturz des Königs und die Ausrufung der »Arabischen Republik Libyen« 1969 erinnert.
 
Verwaltung:
 
Libyen besteht aus 13 Bezirke (Baladiyat).
 
Recht:
 
Im Personen-, Familien- und Erbrecht sowie seit 1994 auch im Strafrecht gilt das islamische Recht (Scharia). An der Spitze des Gerichtswesens steht der Oberste Gerichtshof, dem Berufungsgerichte, Schwurgerichte und Gerichtshöfe erster Instanz nachgeordnet sind. Ferner existieren Militärgerichte. Seit 1988 besteht ein Volksgericht, das für politische und wirtschaftliche Korruption zuständig ist. Für Vergehen gegen die Sicherheit des Staates wurde 1969 die Todesstrafe eingeführt.
 
Streitkräfte:
 
Die Gesamtstärke der Wehrpflichtarmee (selektive Wehrpflicht; Dienstzeit 2-4 Jahre) beträgt etwa 77 000, die der paramiltärischen Volksmiliz rd. 40 000 Mann. Das Heer (51 000 Soldaten) ist in je 11 mechanisierte Infanterie- und Panzerbrigaden sowie fünf Infanteriebrigaden und eine Anzahl selbstständiger Bataillone und Regimenter gegliedert. Die Luftwaffe hat etwa 18 000, die Marine rd. 8 000 Mann. Die Ausrüstung besteht im Wesentlichen aus etwa 1 000 Kampfpanzern (400 T-54/-55, je 300 T-62 und T-72), rd. 400 Kampfflugzeugen (Mirage F-1/5D, MiG-21/-23/-25, Su-22/-24), sechs Fregatten, fünf U-Booten und 35 Kleinen Kampfschiffen.
 
 Landesnatur und Bevölkerung:
 
Landschaft:
 
Libyen erstreckt sich von der rd. 2 000 km langen Mittelmeerküste beiderseits der Großen Syrte südwärts weit in die Sahara und gliedert sich in Tripolitanien, den Fessan und die Cyrenaika, die zur Libyschen Wüste gehört. 90 % des Landes sind Wüste.
 
Libyen liegt im Bereich eines geologischen Beckens (Libysches Becken), das sich durch Schwellen (flache Falten) in fünf Teilbecken (Hamra-, West-Desert-, Syrte-, Mursuk-, Kufrabecken) gliedert. Es wird nach Süden durch das kristalline Massiv des Tibesti begrenzt. Über dem paläozoischen Sockel wurden seit dem Perm in den Teilbecken mächtige Flachseesedimente (2 000-5 000 m) abgelagert. Kretazische und tertiäre Kalke bilden großräumige Schichtstufenlandschaften mit weiten Ebenen und Plateaus. Scharf markiert als Schicht- und Bruchstufen mit Steilabfällen zum Meer sind an der Küste die Aufwölbungen des Djebel Nefusa und Djebel al-Achdar (876 m über dem Meeresspiegel). Entlang den Hauptstörungslinien entstanden im Jungtertiär und Quartär ausgedehnte basische Deckenergüsse (Djebel es-Soda, Djebel Harudj al-Assuad, Binnenseite des Djebel Nefusa). Die bitumenhaltigen kretazischen Schiefertone des Syrtebeckens (Erdölmuttergesteine) sowie die Kalke und Sandsteine (Speichergesteine) sind für die Wirtschaft des Staates sehr bedeutungsvoll geworden.
 
Klima:
 
Der Küstenstreifen hat mediterranes Klima mit Winterregen (Jahressumme 130-600 mm); die mittleren Januartemperaturen liegen dort bei 10-12 ºC, auf der Höhe um 8 ºC (jedoch mit Nachtfrösten bis —12 ºC), die mittleren Julitemperaturen liegen bei 30-33 ºC, in den Höhen bei 26-28 ºC. Südlich im Landesinneren folgt semiarides und bald arides Klima mit nur episodischen Niederschlägen und hohen täglichen Temperaturunterschieden (Tagesmaximum um 55 ºC, Nachtminimum bis —10 ºC). Die Luftfeuchtigkeit fällt im Sommer mitunter auf 3 %; ebenso wenn der gefürchtete saharische Südwind, der Gibli, im Frühjahr und Herbst weht.
 
Bevölkerung:
 
Araber (34 %) und arabisierte Berber (30 %; in Lebensform und Sprache von Arabern nicht mehr zu unterscheiden) bilden den Hauptanteil der Bevölkerung, die sich zu 95 % auf die Küstenzone konzentriert. Die in ihren traditionellen Stammesgesellschaften lebenden Berber (rd. 25 %) bewohnen den siedlungsgünstigeren Norden (u. a. Djebel Nefusa), ferner einige Oasengebiete. Im Fessan nomadisieren die Tuareg sowie die Tubu, deren Kerngebiet das Tibesti ist; ferner leben dort negride Stämme. In den Städten leben noch wenige Italiener (1939: 120 000; 1945 größtenteils abgewandert), ferner Araber des Maghreb und Ägyptens; seit 1960 wanderten v. a. Griechen und aus Ägypten abwandernde Levantiner ein. Die seit Jahrhunderten im Norden (v. a. um Tripolis) ansässigen Juden sind nach 1948 nach Israel ausgewandert. - Libyen ist in hohem Maße verstädtert; der Anteil der städtischen Bevölkerung liegt bei (1994) 86 %. Die jährliche Wachstumsrate der Bevölkerung ist mit (1990-95) 3,5 % trotz rückläufigem Trend immer noch sehr hoch. Fast 50 % der Einwohner sind unter 15 Jahre alt. - In Libyen arbeitet eine große Zahl ausländischer Gastarbeiter (etwa 800 000), v. a. aus den arabischen Nachbarländern.
 
Religion:
 
Die Verfassung garantiert die freie Religionsausübung, insoweit diese nicht im Widerspruch zu den »traditionellen Gebräuchen« des Landes steht. Staat und Religion sind getrennt; der Einfluss der Geistlichen ist auf den religiösen Bereich beschränkt. Mit über 97 % ist der Islam das Religionsbekenntnis nahezu der gesamten Bevölkerung Araber und arabisierte Berber sind sunnitische Muslime der malikitischen Rechtsschule. Die in ihren traditionellen Stammesgesellschaften lebenden Berber (v. a. im Djebel Nefusa) gehören mehrheitlich der islamischen Sondergemeinschaft der Ibaditen (Charidjiten) an. Von den Sunniten fühlt sich etwa ein Drittel der islamischen Bruderschaft der Senussi verbunden. Der Islam nimmt eine zentrale Stellung im politischen Programm M. al-Gaddhafis ein.
 
Innerhalb der christlichen Minderheit sind die rd. 40 000 katholischen Christen die größte Gruppe. Der Heilige Stuhl und Libyen nahmen 1997 diplomatische Beziehungen auf. Zahlenmäßig sehr kleine Gruppen bilden die koptisch-orthodoxen und die griechisch-orthodoxen Christen sowie die wenigen Protestanten unter den in Libyen lebenden Ausländern. Die Geschichte der jüdischen Gemeinschaft (1948: rd. 38 000) endete mit dem Sechstagekrieg 1967, in dessen Folge die letzten Juden das Land verließen.
 
Bildungswesen:
 
Schulpflicht besteht vom 6. bis 15. Lebensjahr (hohe Einschulungsraten) bei kostenlosem Schulbesuch. Die Primarschulen umfassen neun Jahre mit Gemeinschaftsunterricht, danach Eintritt in Aufbauschulen oder in die dreijährige Sekundarschule, die sowohl auf die höhere Schule wie auf berufliche Schulen und lehrerbildende Anstalten vorbereitet. Die Koranschulen besitzen (den staatlichen Schulen angeglichene) eigene Lehrpläne. Die Analphabetenquote beträgt 23,5 %. In Libyen gibt es 5 Universitäten und eine Reihe von Fachschulen (u. a. für Militärtechnik, Erdölwirtschaft).
 
Publizistik:
 
Wichtigste Tageszeitungen sind »Al-Fajir al-Jadid« (»Neuer Aufbruch«), seit 1978 herausgegeben von der staatlichen Nachrichtenagentur »Jamahiriya News Agency« (JANA; gegründet 1965), sowie »Ash-Shams« (»Die Sonne«). Die staatliche Rundfunkgesellschaft »Great Socialist People's Libyan Arab Jamahiriya Broadcasting Corporation« (gegründet 1957) verbreitet ein landesweites Hörfunkprogramm, ein Koranprogramm, einen Auslandsdienst (in Arabisch und Englisch), seit 1971 Sendungen für Gaza und die israelisch besetzten Gebiete, ferner seit 1968 ein Fernsehprogramm (in Arabisch, auch Programme in Englisch, Französisch und Italienisch).
 
 Wirtschaft und Verkehr:
 
Wirtschaft:
 
Mit dem Abbau der reichen Erdöllagerstätten (seit 1959) entwickelte sich Libyen zu einem der wichtigsten Erdölexportländer. Heute ist das OPEC-Mitglied nach Nigeria zweitgrößter Erdölproduzent Afrikas. Obwohl das Bruttosozialprodukt (BSP) wegen fallender Weltmarktpreise für Erdöl und sinkender Nachfrage seit den 80er-Jahren abnahm, ist Libyen mit einem BSP je Einwohner von (1993) 6 600 US-$ noch immer das reichste Land Afrikas.
 
Landwirtschaft:
 
In der Landwirtschaft arbeiten (1993) rd. 13 % der Erwerbstätigen; sie erwirtschaften 8 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die landwirtschaftliche Nutzfläche (rd. 9 % des Landes) in den Küstenregionen Tripolitanien und Cyrenaika sowie den Oasen hat sich durch ehrgeizige Erschließungsprojekte seit 1970 verdreifacht und setzt sich zusammen aus (1991) 1,8 Mio. ha Ackerland, 350 000 ha Dauerkulturen (v. a. Oliven-, Dattel- und Mandelbäume) und 13,3 Mio. ha Weideland. Die Waldfläche wird mit 700 000 ha angegeben; die Aufforstung mit Eukalyptusbäumen, Zypressen und Akazien gestaltet sich wegen der klimatischen Verhältnisse schwierig, weist aber im Achdar-Bergland schon bemerkenswerte Erfolge auf. Hauptanbauprodukte sind Getreide, Tomaten, Melonen, Oliven, Kartoffeln, Zitrusfrüchte und Datteln. Obwohl bei einigen Anbauprodukten (Weizen, Tomaten) seit den 80er-Jahren erhebliche Zuwächse erzielt wurden, ist Libyen nach wie vor auf umfangreiche Nahrungsmittelimporte angewiesen (Getreideeinfuhr 1992: 2 Mio. t). Neben der traditionellen Viehhaltung der Nomaden und der kleinbäuerlichen Weidewirtschaft gibt es moderne Viehzuchtbetriebe (v. a. Schafzucht).
 
Große Anstrengungen zur Ausdehnung des Kulturlandes wurden besonders in den Oasen der Sahara unternommen (u. a. Mursuk und Sebha im Fessan, Kufra in der Libyschen Wüste). Hier wurden über 20 000 ha Neuland gewonnen (häufig sind Beregnungsanlagen im Einsatz, die mit fossilem Wasser aus 400-1 500 m Tiefe gespeist werden). Es entstand eine moderne Oasenwirtschaft mit landwirtschaftlichen Kooperativen. Vielfach hat die übermäßige Beanspruchung vorhandener Grundwasserbestände zur Absenkung der Aquifere geführt. Dennoch soll mit dem Projekt »Großer künstlicher Fluss« (Baubeginn 1984; Fertigstellung der 1. Phase Sarir-Bengasi 1991) über 1 000 km lange Rohrleitungen fossiles Wasser aus dem Südosten in das Reservoir bei Adjedabia geleitet und von dort in der Küstenregion verteilt werden, und zwar zur Versorgung der Bevölkerung und der Industrie sowie zur Bewässerung von 180 000 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche, besonders für den Anbau von Getreide. Das gesamte Projekt soll 2010 fertig gestellt sein und eine Förderkapazität von etwa 6 Mio. m3 Wasser pro Tag aufweisen. Geowissenschaftler warnen vor einer ökologischen Katastrophe für die Oasen im Südosten (Taserbo, Kufra), da sich das fossile Wasser nicht erneuert.
 
Fischerei:
 
Trotz fischreicher Küstengewässer hat der Fischfang keine große wirtschaftliche Bedeutung (Fangmenge 1993: 8 800 t).
 
Bodenschätze:
 
Außer Erdöl und Erdgas werden Kali- und Steinsalz sowie Kalk und Gips gewonnen. Der Erdölsektor ist mit (1993) 21 % am BIP beteiligt. Die staatlichen Interessen in der Erdölwirtschaft hat 1970 die National Oil Corporation übernommen, die zunächst Lizenzen vergab, seit 1973 aber Mehrheitsgesellschafter von allen wichtigen Erdölunternehmen in Libyen wurde. Die Erlöse aus dem Erdölsektor sind die wichtigste Einnahmequelle des Staatshaushalts (Anteil an den Gesamteinnahmen 1992: 54 %, 1980: 89 %). Nach dem Höchstwert von 1970, als die Erdölfördermenge 160 Mio. t betrug, wurden Produktionsobergrenzen festgesetzt, um die frühzeitige Erschöpfung der Vorräte zu verhindern (seit 1973 unter 100 Mio. t). Libyen liegt mit einer Fördermenge von (1995) 69 Mio. t weltweit an 15. Stelle. Die bekannten Erdölreserven werden mit 3,1 Mrd. t angegeben; die größten Lagerstätten liegen südöstlich der Großen Syrte. Das Offshorefeld von Buri, 120 km nordwestlich von Tripolis, ist das bisher größte im Mittelmeer. Erdgas (Fördermenge 1991: 15,6 Mrd. m3, Reserven: 1,3 Billionen m3) wird als Nebenprodukt der Erdölförderung gewonnen und v. a. verflüssigt nach Italien und Spanien exportiert. Aus den Erdölfeldern führen Pipelines zu den Erdölexporthäfen an der Großen Syrte.
 
Industrie:
 
Etwa 30 % der Erwerbstätigen arbeiten im produzierenden Gewerbe. Wegen des Rückgangs der Erdöleinnahmen sank der Anteil des produzierenden Gewerbes am BIP seit den 80er-Jahren von 67 % auf (1993) 42 %. Einem raschen Ausbau der Industrie und der Diversifizierung der Wirtschaft wird höchste Priorität beigemessen, v. a. in den Bereichen Nahrungsmittel (z. B. Getreidemühlen, Konservenfabriken, Getränkeherstellung, Tabakverarbeitung), Textilien, Petrochemie (v. a. Erdölraffinerien und Erdgasaufbereitungsanlagen), Baustoffe (v. a. Zementfabriken) und Metallverarbeitung. 1990 wurde das Eisen- und Stahlwerk Misurata fertig gestellt.
 
Tourismus:
 
Der internationale Tourismus steht erst am Anfang. Attraktiv sind Tripolis, die Ruinenstätten Sabratha, Leptis Magna, Kyrene.
 
Außenwirtschaft:
 
Libyen hat seit mehr als 20 Jahren eine positive Handelsbilanz (Einfuhr 1994: 4,4 Mrd. US-$, Ausfuhr: 7,8 Mrd. US-$). Eingeführt werden v. a. Industriegüter und Nahrungsmittel. Beim Export liegt der Anteil von Erdöl bei über 95 %. Wichtigste Handelspartner sind Italien, Deutschland und Spanien.
 
Verkehr:
 
Seit der Erlangung der Unabhängigkeit ist das Straßennetz stetig ausgebaut worden (1992: 19 300 km). Hauptverkehrsader ist die 1 822 km lange Küstenstraße von der ägyptischen zur tunesischen Grenze. Zu den Oasen und Erdölförderstätten führen Stichstraßen. Der Eisenbahnverkehr wurde 1965 eingestellt, allerdings hat Libyen mit China einen Vertrag über den Bau einer Eisenbahnlinie zwischen der tunesischen Grenze über Tripolis nach Misurata. Die Handelsflotte ist nach Liberia und Algerien die drittgrößte in Afrika (1992: 727 000 BRT, davon 85 % Tanker). Tripolis, Bengasi, Misurata und Tobruk sind neben den Erdölhäfen an der Großen Syrte die wichtigsten Hafenstädte. Internationale Flughäfen sind bei Tripolis und Bengasi. Die nationale Luftverkehrsgesellschaft ist Libyan Arab Airlines.
 
 
Im Altertum war Libỵe bei den Griechen anfangs der Name für das westlich von Ägypten gelegene Wohngebiet der Libyer, dann für ganz Nordafrika westlich von Ägypten, schließlich für das ganze damals bekannte Afrika. Die Römer beschränkten den Namen »Libyen« (Libya) auf die Cyrenaika.
 
Die Entwicklung des Gebietes des heutigen Libyen wurde v. a. im Altertum durch die historischen Landschaften Cyrenaika, Fessan und Tripolitanien geprägt.
 
Seit der arabischen Eroberung Nordafrikas um 650 n. Chr. gehört Libyen, vorher zum Teil byzantinisch (Cyrenaika und Tripolitanien), zur islamischen Staatenwelt und wurde bis zur Eroberung durch die Osmanen im 16. Jahrhundert, die in Tripolis eine Regentschaft für das gesamte libysche Gebiet errichteten, von verschiedenen arabischen und berberischen Dynastien beherrscht. 1711 gelang es der Karamanli-Dynastie, sich von der osmanischen Herrschaft zu befreien (bis 1835) und dem Land besonders durch Freibeuterei zu einem wirtschaftlichen Aufschwung zu verhelfen. Seit 1843 breitete sich v. a. in Ostlibyen die in Mekka gegründete muslimische Bruderschaft der Senussi aus und erweiterte ihren Einflussbereich entlang der beduinischen Karawanenwege bis ins Landesinnere und in den Süden (zahlreiche Missionszentren in den Oasen). Sie regierten faktisch neben den osmanischen Statthaltern. Im Krieg gegen das Osmanische Reich (1911/12) gewann Italien die Herrschaft über Libyen (Frieden von Lausanne 1912). Gegen die Kolonialherrschaft behaupteten sich die Senussi besonders im Innern der Cyrenaika und vertrieben die Italiener im Ersten Weltkrieg aus fast ganz Libyen. In mehreren Feldzügen (zwischen 1922 und 1932) brach Italien den Widerstand der Senussi; ihr militärischer Führer, Omar al-Mukhtar (* 1862, ✝ 1931), wurde 1931 gefangen genommen und hingerichtet. 1934 vereinigte Italien unter dem Gouverneur I. Balbo Tripolitanien, Cyrenaika und den Fessan zur Kolonie »Libia«; sie wurde durch das italienisch-französische Kolonialabkommen (7. 1. 1935 nach Süden (Tibesti) erweitert. 1940-43 war das Land Kriegsschauplatz und wurde 1943 von britischen (Cyrenaika und Tripolitanien) und französischen Truppen (Fessan) besetzt.
 
Nachdem Italien im Frieden von Paris (10. 2. 1947 auf Libyen verzichtet hatte, erhielt dieses am 24. 12. 1951 als föderatives Königreich unter König Idris as-Senussi die staatliche Unabhängigkeit. Die Förderung von Erdöl (seit 1959) leitete rasch einen wirtschaftlichen und finanziellen Aufschwung ein. 1963 wurden die Gebiete Cyrenaika, Tripolitanien und Fessan zum vereinigten Königreich Libyen zusammengefasst. In seiner Außenpolitik war das Königreich (Mitglied der Arabischen Liga seit 1953, der UNO seit 1955 und der OAU seit 1963) prowestlich orientiert (1953 Abschluss eines Beistandspaktes mit Großbritannien; amerikanische Luftwaffenbasis bei Tripolis).
 
Am 1. 9. 1969 stürzte die Armee unter Führung von Oberst M. al-Gaddhafi König Idris as-Senussi und proklamierte die »Arabische Republik Libyen«. Als »Führer der Revolution« bestimmt Gaddhafi autoritär die politische Entwicklung des Landes. 1970/71 verstaatlichte die Regierung Banken, Handelsunternehmen, Versicherungen sowie die Erdölfördergesellschaften und enteignete alle italienische Vermögenswerte; eine allmähliche Privatisierung der Wirtschaft wurde 1992 eingeleitet. Unter Verkündung einer »Kulturrevolution« (»dritte Universaltheorie« zwischen Kapitalismus und Kommunismus) erklärte Gaddhafi 1973 den Islam zur einzigen Grundlage des von Volksmassen getragenen politischen Lebens. Über die Verfassung von 1977 sucht er eine sozialistische Volksrepublik zu verwirklichen; Gegner dieses Staats- und Gesellschaftskonzeptes werden unterdrückt. Seit den 90er-Jahren kam es wiederholt zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Oppositionellen sowie zu vorsichtigem Protest innerhalb der politischen und militärischen Führung des Landes. So wurde im Oktober 1993 eine Militärrevolte niedergeschlagen, im April 1994 scheiterte ein Attentat auf Gaddhafi.
 
In der Außenpolitik löste Libyen nach dem Umsturz von 1969 alle militärischen Bindungen an Großbritannien und die USA (1970 Abzug aller britischen und amerikanischen Truppen); stattdessen knüpfte es seit etwa 1974 immer engere Beziehungen zur UdSSR. Im Nahostkonflikt ist Libyen einer der schärfsten Gegner Israels; es unterstützt politisch die PLO, militärisch-technisch die palästinensisch-arabischen Guerillaaktivitäten gegen Israel. Ein schwerer Grenzkonflikt (1976) sowie v. a. die Aussöhnungspolitik des ägyptischen Präsidenten A. as-Sadat gegenüber Israel (seit 1977) führten zum Bruch mit Ägypten. In enger Wechselbeziehung mit der israelfeindlichen Nahostpolitik Libyens stehen die panarabischen Aktivitäten Gaddhafis. Nachdem eine »Union Arabischer Republiken« (Libyen, Ägypten und Syrien; beschlossen 1971) und eine staatliche Union mit Tunesien (verkündet 1974) nicht realisiert werden konnten, suchte Gaddhafi 1980 einen Zusammenschluss mit Syrien, der jedoch auf staatlicher Ebene nicht verwirklicht wurde. Beide Länder unterstützten aber in den 80er-Jahren Iran im 1. Golfkrieg.
 
Im Konflikt um die Zukunft der früheren spanischen Kolonie Westsahara unterstützt Libyen den Befreiungskampf der Frente Polisario gegen Marokko, das dieses Gebiet seit Mitte der 70er-Jahre beansprucht. Ende 1980 griff Libyen in den Bürgerkrieg im Tschad ein (Friedensvertrag 1989). Der Grenzstreit um den von Libyen seit 1973 besetzten Aouzou-Streifen im Norden des Tschad konnte erst durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag beigelegt werden, der das Gebiet am 3. 2. 1994 Tschad zusprach.
 
Das Verhältnis Libyens zur westlichen Staatenwelt ist belastet v. a. infolge der libyschen Unterstützung von zahlreichen Terrororganisationen in aller Welt und seit 1990 durch den Bau einer chemischen Fabrik (Rabta), in der die Produktion von Giftgas möglich gewesen sein soll und die 1995 durch ein neues Chemiewerk ersetzt wurde. Während die EG-Staaten Konflikte mit Libyen, einem ihrer wichtigsten Erdöllieferanten, vermeiden, vergalten die USA terroristische Anschläge (u. a. Luftangriff auf Tripolis und Bengasi, April 1986, Abschuss von zwei libyschen Kampfflugzeugen über dem Mittelmeer, 1981 und 1989, 1986 Verhängung eines Wirtschaftsembargos). Im 2. Golfkrieg 1991 nahm Libyen eine äußerst zurückhaltende Position ein (verbale Verurteilung der irakischen Invasion in Kuwait). Seit November 1991 forderten die USA und Großbritannien die Auslieferung von zwei Libyern, die im Dezember 1988 den Absturz eines amerikanischen Passagierflugzeugs über der schottischen Ortschaft Lockerbie (bei Dumfries) herbeigeführt haben sollen (270 Tote). Am 15. 4. 1992 und (ergänzend) am 1. 12. 1993 traten deshalb Sanktionen des UN-Sicherheitsrates sowie am 5. 8. 1996 auch der USA gegenüber Libyen in Kraft (u. a. 1992 ein Luftverkehrs- und Waffenembargo, 1993 die Einfrierung libyscher Bankguthaben im Ausland). Nachdem Libyen am 5. 4. 1999 die beiden mutmaßlichen Flugzeugattentäter von Lockerbie einem Gerichtshof überstellt hatte (Lockerbie-Attentat), wurden die in diesem Zusammenhang verhängten Sanktionen ausgesetzt beziehungsweise gelockert. Seitdem bemüht sich Libyen zum Teil erfolgreich, seine internationale politische Isolierung zu überwinden (u. a. Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Großbritannien 1999), sich als Vermittler in afrikanischen Krisen- und Kriegsregionen zu engagieren (z. B. im Sudan 1999) sowie seine Position innerhalb der OAU zu stärken (u. a. beim OAU-Sondergipfel 1999). Im Sommer 2000 wurden u. a. durch die Vermittlung Libyens beziehungsweise der Gaddhafi-Stiftung auf Jolo (Philippinen) gefangen gehaltene Geiseln freigelassen.
 
 
The Libyan revolution, bearb. v. M. O. Ansell u. a. (London 1972);
 C. G. Segré: Fourth shore. The Italian colonization of Libya (Chicago, Ill., 1975);
 
National atlas of the Socialist People's Libyan Arab Jamahirya (Stockholm 1978);
 J. Wright: Libya. A modern history (Neuausg. London 1983);
 R. Badry: Die Entwicklung der Dritten Universaltheorie (DUT) Muämmar al-Qaddāfís in Theorie u. Praxis (1986);
 H. Mattes: Die innere u. äußere islam. Mission L.s (1986);
 D. Blundy u. A. Lycett: Qaddafi and the Libyan revolution (London 1987);
 J. Davis: Libyan politics (ebd. 1987);
 
The economic development of Libya, hg. v. B. Khader u. a. (ebd. 1987);
 
The Green and the Black. Qadhafi's policies in Africa, hg. v. R. Lemarchand (Bloomington, Ind., 1988);
 H. Brill: L.s Außen- u. Sicherheitspolitik (1988);
 R. Bergs: Erdöl-self-reliance-Krise. Der Entwicklungsweg L.s unter Qaddafi 1969-1988 (1989);
 K. Schliephake: L.s Bewässerung u. der »Große künstl. Fluß«, in: Die Bewässerungsgebiete im Mittelmeerraum, hg. v. H. Popp u. K. Rother (1993).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Nordafrika in der frühen Neuzeit: Zwischen Europäern und Osmanen
 

* * *

Li|by|en; -s: Staat in Nordafrika.

Universal-Lexikon. 2012.