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internationale Schuldenkrise
internationale Schuldenkrise,
 
Verschuldungskrise, Bezeichnung für die krisenhafte Entwicklung im internationalen Finanzsystem seit 1982, als sich eine Reihe von Entwicklungsländern außerstande sah, ihre bei Industrieländern aufgenommenen Kredite (in der Regel öffentliche Auslandsschulden) vereinbarungsgemäß zu tilgen und die fälligen Zinsen zu zahlen. In der faktischen Zahlungsunfähigkeit vieler Schuldnerländer kam das Scheitern einer in den 70er-Jahren eingeleiteten entwicklungspolitischen Strategie zum Ausdruck, das Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern mithilfe von ausländischem Kapital zu stärken. Die Gläubiger wurden durch den Ausfall von Zinseinnahmen und Krediten erheblich belastet; auch Bankenzusammenbrüche, die die Stabilität des internationalen Finanzsystems ernsthaft gefährdet hätten, waren nicht auszuschließen (internationale Bankenkrise). Zwar konnten die Gefahren für das internationale Finanzsystem durch ein internationales Schuldenmanagement abgewendet werden, doch dauert die Schuldenkrise an, da sich an der prekären wirtschaftlichen Situation vieler Schuldnerländer nur wenig geändert hat. Insofern spiegelt sich in der Schuldenkrise auch der Nord-Süd-Konflikt wider. Seit Beginn der 90er-Jahre kommen die gravierenden Schuldenprobleme der ehemaligen kommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas hinzu. Nicht zum Begriff Schuldenkrise gerechnet werden die wirtschafts- und finanzpolitische Probleme hoher Defizite in den öffentlichen Haushalten von Industrieländern, die durch öffentliche Kreditaufnahme in der Regel auf den nationalen Finanzmärkten ausgeglichen werden (öffentliche Schulden).
 
 Entwicklung der Auslandsschulden und der Schuldenbelastung
 
Nach Angaben der Weltbank waren Ende 1984 die Auslandsschulden mit 686 Mrd. US-$ zehnmal so hoch wie Ende 1970. Die statistischen Angaben über Schuldenhöhe und -dienstquoten aus verschiedenen Quellen weichen voneinander ab, u. a. weil der Kreis der einbezogenen Entwicklungsländer und die Abgrenzung der einbezogenen Schulden differieren. Daher hat die Weltbank nach Aufbau eines besonderen Berichtssystems für die Jahre seit 1980 Daten neu berechnet. Demnach haben sich die gesamten Auslandsschulden der Entwicklungsländer von (1980) 615,7 Mrd. US-$ auf (1996) 2 177,0 Mrd. US-$ erhöht. Von den Auslandsschulden der berichtenden Länder sind 78,5 % langfristige Verbindlichkeiten (Schulden mit einer Laufzeit von über einem Jahr), 18,8 % kurzfristige Verbindlichkeiten und 2,7 % Rückzahlungsverpflichtungen an den Internationalen Währungsfonds (IWF) aus der Inanspruchnahme von IWF-Krediten. Die langfristigen Schulden sind zu 87,0 % Auslandsverbindlichkeiten öffentlicher und privater Schuldner, deren Rückzahlung durch eine öffentliche Stelle garantiert ist, und zu 13,0 % private Auslandsverbindlichkeiten, deren Rückzahlung nicht durch eine öffentliche Stelle garantiert ist. Je zur Hälfte stammen die langfristigen Kredite aus öffentlichen und aus privaten Quellen (Kredite privater Banken). Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der langfristigen Auslandsschulden liegt für die Zeiträume 1970-80 mit 22,5 % und 1980-95 mit 13,7 % wesentlich höher als die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (13,9 % beziehungsweise 3,9 %) und des Exportvolumens, das 1980-95 mit 4,4 % im Durchschnitt pro Jahr zugenommen hat.
 
Die mit der Verschuldung verbundenen finanziellen Belastungen lassen sich an verschiedenen Verschuldungsindikatoren ablesen: Der Stand der Auslandsschulden kann auf die Exporterlöse (Schuldenquote) oder auf das Bruttosozialprodukt (BSP) bezogen werden. Zwei andere Indikatoren beziehen sich auf die Bedienung der Schulden: So werden entweder nur die Zinszahlungen oder die Summe aus Zins- und Tilgungszahlungen auf die Auslandsschulden oder auf die Exporterlöse bezogen (Zinsquote beziehungsweise Schuldendienstquote). Die Schuldenquote ist zunächst von (1980) 86,5 % auf (1990) 165,1 % gestiegen (Höchstwert 1987: 193,6 %) und danach, über einen erneuten Anstieg auf (1993) 179,8 %, wieder bis auf (1996) 146,2 % gefallen. Der Schuldenstand im Verhältnis zum BSP erhöhte sich von (1980) 21,0 % auf (1995) 39,6 % beziehungsweise (1996) 37,0 %. Die Zinsquote stieg von (1980) 6,9 % auf (1985) über 11 % und sank danach wieder bis auf (1996) 6,8 %, während bei der Schuldendienstquote eine Entwicklung von (1980) 13,0 % auf (1986) mehr als 25 % beziehungsweise auf (1996) 16,4 % zu verzeichnen war. Die Entwicklungsländer waren also bis Mitte der 80er-Jahre durch wachsende Auslandsverschuldung gezwungen, einen immer größeren Anteil ihres durch Ausfuhren erzielten Einkommens für Zinszahlungen und Tilgungsleistungen aufzuwenden. Dies führte schließlich zu einer Überschuldung vieler Entwicklungsländer. Zwar hatte es auch in den 60er- und 70er-Jahren schon vereinzelt Schuldendienstprobleme gegeben; doch haben sich diese seit Anfang der 80er-Jahre erheblich ausgeweitet.
 
Hinter den Durchschnittszahlen verbergen sich erhebliche regionale Unterschiede. Nicht alle Länder der Dritten Welt mit Auslandsschulden sind in einer kritischen Lage (z. B. China und Indien). Besonders schwierig bis in die jüngste Zeit (1996) ist jedoch die Lage der in der Terminologie der Weltbank hoch verschuldeten Entwicklungsländer mit niedrigem Einkommen (Severely indebted low income countries, Abkürzung SILIC), zu denen überwiegend afrikanische Staaten südlich der Sahara gehören, und der hoch verschuldeten Entwicklungsländer mit mittlerem Einkommen (Severely indebted middle income countries, Abkürzung SIMIC), zu denen v. a. lateinamerikanische Staaten zählen. Als hoch verschuldet gilt ein Land, wenn in einem Zeitraum von drei Jahren die Durchschnitte des Gegenwartswertes des Schuldendienstes (Present value of scheduled debt service) in Relation zum BSP den als kritisch angenommenen Wert von 80 % und/oder in Relation zu den Exporten den kritischen Wert von 220 % übersteigen. Auch bei den moderat verschuldeten Ländern mit niedrigem Einkommen (Moderately indebted low income countries, Abkürzung MILIC; Länder mit einem Pro-Kopf-Einkommen 1995 bis zu 765 US-$) beziehungsweise mit mittlerem Einkommen (Moderately indebted middle income countries, Abkürzung MIMIC; Pro-Kopf-Einkommen 1995 geringer als 9 386 US-$) liegen die sich fast durchweg zurückbildenden Schuldenindikatoren 1995/96 noch immer erheblich über ihren Werten von 1980.
 
 Ursachen
 
Fehlentwicklungen in den Schuldnerländern:
 
In der Kapitalzufuhr aus dem Ausland sahen viele mit Produktionskapital nur unzulänglich ausgestattete Entwicklungsländer einen viel versprechenden Weg, ihr Wirtschaftswachstum nachhaltig zu verstärken. Eine forcierte Kapitalbildung aus eigener Kraft hätte einen stärkeren Konsumverzicht vorausgesetzt, was u. a. aufgrund des niedrigen Lebensniveaus dieser Länder oft nicht zu realisieren war (Sparlücke). Moderne maschinelle Ausrüstungen waren zudem in den Industrieländern nur gegen Devisen zu erhalten, an denen es wegen der geringen Exportkraft der Entwicklungsländer mangelte (Devisenlücke). Kapitalimport sollte die Spar- und die Devisenlücke schließen und zu einer Verstärkung des Wirtschaftswachstums führen. Aus den daraus erzielten Mehreinnahmen sollten dann der Schuldendienst geleistet und der Lebensstandard erhöht werden. Ausbruch und Andauern der Schuldenkrise haben das Scheitern dieser Konzeption verdeutlicht.
 
Verschiedene Ursachen führten dazu, dass der Zufluss von Auslandskapital nicht die erhofften Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung brachte. 1) Konsumtive Mittelverwendung: Soweit die interne Ersparnis bei einem Zustrom von Auslandskapital verringert wird, ersetzt Auslandskapital nur Inlandskapital und finanziert in diesem Fall Konsum. 2) Kapitalflucht: Kapitalimport wird nicht wachstumswirksam, wenn die im Ausland aufgenommenen Mittel nur diejenigen ersetzen, die wieder im Ausland angelegt werden. 3) Liquiditätsengpässe: Der Wachstumseffekt des Kapitalimports wird im Allgemeinen erst mit zeitlicher Verzögerung eintreten, v. a. wenn langfristige Projekte im Bereich der Infrastruktur finanziert werden (z. B. Kraftwerke, Straßen), die lediglich Vorleistungen für Industrieansiedlungen darstellen, und wenn dies teure, prestigeträchtige Großprojekte sind. 4) Unwirtschaftlichkeit: Die unterstellte Profitabilität des Kapitalimports - das erzielbare Mehreinkommen übersteigt den Schuldendienst - muss sich nicht in jedem Fall realisieren. Zwar gelang es den Entwicklungsländern, in den 70er- und 80er-Jahren bei Industrieprodukten ein überdurchschnittliches Exportwachstum zu erzielen. Die steigende Schuldendienstquote zeigt aber, dass die Exportdynamik mit der Ausweitung der Schuldendienstverpflichtungen nicht Schritt halten konnte.
 
Kreditvergabeverhalten der Banken:
 
Ohne die expansive Kreditvergabe der Banken und öffentlicher Gläubiger wäre die hohe Verschuldung der Entwicklungsländer nicht möglich gewesen. Die Probleme einer kreditfinanzierten Wachstumsstrategie haben zu einem hohen Ausfallrisiko bei der Kreditvergabe an die Entwicklungsländer geführt. Bei traditioneller Bewertung des Kreditausfallrisikos hätte es zu einer zurückhaltenden Kreditgewährung der Gläubigerbanken kommen müssen. Es fand jedoch eine gegenteilige Entwicklung statt. Der langfristige Schuldenstand der Entwicklungsländer bei Banken erhöhte sich von (1970) 19,4 Mrd. US-$ (Anteil an den gesamten langfristigen Schulden 31,5 %) auf (1987) 419,6 Mrd. US-$ (40,2 %). Anschließend sank er bis auf (1990) 310,7 Mrd. US-$ (28,2 %).
 
In den 70er-Jahren befand sich das Bankgeschäft in einer Phase der Globalisierung. Der Expansionsdrang und der nun internationalisierte Kampf um Marktanteile hatte die Geschäftspolitik vieler Banken dominiert. Hinzu kam, dass durch das Recycling der Petrodollars die Bankenliquidität hoch war. In den ersten Jahren wurden aus den Krediten an die Entwicklungsländer hohe Erträge erzielt, die die expansive Kreditvergabe zu rechtfertigen schienen. Allgemein sind die Wachstumspotenziale und die Möglichkeiten, mit Kapitalimporten das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, von den Banken überschätzt worden. Sie konnten sich hierbei allerdings auf internationale Organisationen wie die Weltbank und den IWF berufen. Auch Regierungen in den Industrieländern gewährten großzügig staatliche Bürgschaften für Exportkredite.
 
Zu den externen Ursachen für den Ausbruch der Schuldenkrise gehörten der zweite Erdölpreisschock, der Anfang der 80er-Jahre einsetzende rapide Anstieg der Zinsen und der weltweite Konjunktureinbruch. Wie schon der erste Erdölpreisschock von 1974 brachte auch der zweite abrupte Anstieg der Erdölpreise 1979/80 die Erdöl importierenden Entwicklungsländer in eine schwierige Lage, die sich in einer starken Ausweitung ihrer Leistungsbilanzdefizite und einem entsprechend höheren Finanzierungsbedarf zur Deckung dieser Defizite niederschlug. Die Weltwirtschaft geriet in eine tiefe Rezession, was v. a. die Rohstoffausfuhr der Entwicklungsländer beeinträchtigte. Ihre Exporterlöse schrumpften, und ihre Terms of Trade verschlechterten sich. Die inflationäre Entwicklung in den Industrieländern führte zu einem rapiden Anstieg der Geldmarktzinsen, z. B. in den USA von (1976) 5,04 % auf (1981) 16,38 %. Nicht nur für neue Kredite mussten nun deutlich höhere Zinsen gezahlt werden, auch die variabel verzinsten Kredite - ihr Anteil an den öffentlichen Auslandsschulden war von (1973) 16 % auf (1983) 43 % gestiegen - waren nun zu hohen Sätzen zu refinanzieren. Als weitere externe Ursachen werden der Protektionismus der Industrieländer, der Preisverfall vieler Rohstoffe und der Anstieg des Dollarkurses in der 1. Hälfte der 80er-Jahre genannt, wodurch sich v. a. die an den US-$ gebundenen Kredite verteuerten.
 
 Internationales Schuldenmanagement
 
Die Schuldenkrise bewirkte eine nachhaltige Belastung der wirtschaftlichen Entwicklung in den Schuldnerländern und gefährdete die Stabilität des internationalen Finanzsystems. Die Banken nahmen in den 80er-Jahren gemäß den bankspezifischen Bewertungsvorschriften Wertberichtigungen auf ihre Forderungen gegenüber den Schuldnerländern vor. So müssen deutsche Banken uneinbringliche Forderungen ganz und zweifelhafte Forderungen in Höhe des wahrscheinlichen Ausfallbetrags abschreiben. Obwohl das die Ertragskraft der Banken über viele Jahre schmälerte, konnte die Illiquidität von Gläubigerbanken verhindert werden.
 
Akteure des internationalen Schuldenmanagements sind der Pariser Klub (Verhandlungsgemeinschaft öffentlicher Gläubiger), der Londoner Klub (Interessengemeinschaft privater Gläubigerbanken) und dessen Lenkungsausschuss für Verhandlungen mit den Schuldnerländern, die Notenbanken der Gläubigerländer, die Bank für internationalen Zahlungsausgleich, die Weltbank und der IWF, der eine Schlüsselrolle als Krisenmanager spielt. Bei den anfangs im Mittelpunkt stehenden Umschuldungen wurde mit jedem Schuldnerland einzeln verhandelt, wobei die Gläubiger in der Regel ein Kreditabkommen des Schuldnerlandes mit dem IWF voraussetzten. Bei den zunächst kurzfristigen Umschuldungsabkommen wurden die fälligen Schuldendienstleistungen eines Jahres auf einen Zeitraum von bis zu acht Jahren gestreckt, wobei hohe Umschuldungsgebühren und ein Zinsaufschlag berechnet wurden. Bis 1985 wurden dann die Gebühren und Zinsaufschläge langsam verringert und die Schuldendienstleistungen mehrerer Jahre zusammengefasst und neu gestaltet. Seit 1986 werden auch Konzepte einer langfristigen Schuldenkonsolidierung verfolgt. In den Kreditabkommen mit dem IWF musste sich das Schuldnerland in einer Absichtserklärung verpflichten, die vom IWF formulierten wirtschaftspolitischen Auflagen zu erfüllen. Dazu zählen in der Regel: 1) Abwertung der Inlandswährung, um die Exporte zu verbilligen, die Importe zu verteuern und somit die Zahlungsbilanz wieder zum Ausgleich zu bringen; 2) Verringerung des Haushaltsdefizits durch Kürzung der Staatsausgaben (v. a. Abbau von Subventionen und öffentlichen Sozialleistungen) und Privatisierung öffentlicher Unternehmen; 3) Inflationsbekämpfung durch Senkung der Reallöhne; 4) weitere Maßnahmen zur Schaffung eines marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems im Sinne neoliberaler Grundsätze. Diese an kurzfristiger wirtschaftlicher Stabilisierung orientierte Austerity-Politik des IWF verschärfte das Elend breiter Bevölkerungsschichten in den Schuldnerländern und führte zu einer sozialen und politischen Destabilisierung. Dem IWF wurde deshalb vorgeworfen, die Notlage der Schuldnerländer auszunutzen und eine neokoloniale Politik zu betreiben, die weder auf die Bevölkerung noch die nationale Souveränität der Schuldnerländer Rücksicht nimmt.
 
Die negativen Auswirkungen der Sanierungspolitik des IWF führten zu Konzepten, die die kurzfristige Stabilisierung um Programme zur langfristigen Schuldenkonsolidierung und Strukturanpassung ergänzten sowie die Industrieländer und die Gläubigerbanken stärker in die Verantwortung nahmen. So legte der damalige amerikanische Finanzminister J. Baker 1985 einen Plan vor (Baker-Initiative), nach dem die am stärksten betroffenen Schuldnerländer (Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador, Elfenbeinküste, Jugoslawien, Kolumbien, Marokko, Mexiko, Nigeria, Peru, Philippinen, Uruguay, Venezuela) durch eine Verstärkung ihres Exports und eine Verstetigung ihres Wachstums allmählich ihre Schuldenlast abbauen sollten. Diesem Ziel sollte u. a. die Bereitstellung neuer Finanzierungsmittel für 1986-88 durch IWF und Weltbank sowie private Banken von jeweils 20 Mrd. US-$ dienen. Die Baker-Initiative wurde 1989 durch den Brady-Plan (nach dem amerikanischen Finanzminister N. Brady) abgelöst, der Schuldenreduktionen durch Rückkauf oder Tausch, Neukredite und Schuldendiensterleichterungen vorsah. Hierfür waren Mittel der Weltbank und des IWF in Höhe von 30-35 Mrd. US-$ vorgesehen, mit denen die Bankschulden der 39 am höchsten verschuldeten Länder innerhalb von drei Jahren um 20 % reduziert werden sollten. Durch diese Initiative konnten zwar die Schuldenprobleme von Costa Rica, Mexiko, den Philippinen, Venezuela und Uruguay verringert werden, insgesamt geriet die Umsetzung des Plans jedoch ins Stocken. Zur Lösung der immer drängender werdenden Schuldenprobleme - v. a. der hoch verschuldeten Länder mit niedrigem Einkommen (SILIC) - verständigte sich die Gruppe der sieben wichtigsten westlichen Industriestaaten (G 7) auf dem Londoner Weltwirtschaftsgipfel 1991 auf die »London Terms«, durch die die Mitglieder des Pariser Klubs die Quote der Schuldenreduzierungen, gemessen am Gegenwartswert (Net present value), unter strengen Auflagen von einem Drittel auf bis zu 50 % anheben konnten. Die Regelungen des G-7-Gipfels 1994 in Neapel (»Naples Terms«) ermöglichen einen Erlass des Schuldenstandes ärmster Länder gegenüber bilateralen Gläubigern bis zu 67 %. Zahlreiche Einschränkungen und Sonderbedingungen haben allerdings dazu geführt, dass die aufgrund der »Naples Terms« erlassenenen Forderungen unter 4 % der Gesamtschulden der SILIC gegenüber bilateralen Gläubigern liegen.
 
Vor dem Hintergrund zunehmender Zinsrückstände (1996: 4,66 Mrd. US-$) der am höchsten verschuldeten, ärmsten Länder (Heavily indepted poor countries, Abkürzung HIPC) wurde im Herbst 1995 unter Federführung von Weltbank und IWF ein spezielles Hilfsprogramm (»HIPC-Initiative«) erarbeitet, das darauf abzielt, die Schuldendienstfähigkeit dieser Ländergruppe wiederherzustellen und deren Schulden innerhalb von sechs Jahren auf ein »tragfähiges« Niveau zu reduzieren. Erstmals sind dabei sowohl private und öffentliche, als auch bi- und multilaterale Kreditvereinbarungen in ein Gesamtkonzept einbezogen worden. Zusammen mit den 1996 in Lyon getroffenen G-7-Vereinbarungen können die Mitglieder des Pariser Klubs nunmehr im Einzelfall Schuldenreduzierungen von bis zu 80 % des Gegenwartswerts gewähren, sofern das betreffende Schuldnerland vorgegebene Strukturanpassungsprogramme erfolgreich durchführt. Als tragfähig wird gemäß HIPC-Initiative eine Verschuldung angesehen, bei der eine Schuldendienstquote von 20 %-25 % und ein Schuldenstand von 200 %-250 % der Exporterlöse nicht überschritten wird. Kritik an dieser Initiative entzündet sich v. a. an der Auswahl der berechtigten HIPC auf der Basis von nur zwei Schuldenindikatoren, an den langen Zeiträumen der vollständigen Umsetzung der Schuldenerleichterungen und an zu komplexen Verhandlungsprozessen infolge der großen Anzahl der betroffenen Akteure.
 
 Lösungsstrategien
 
Von einer Lösung der Schuldenkrise kann erst dann gesprochen werden, wenn die Schuldnerländer in der Lage sind, ihre Schuldendienstleistungen zu erfüllen, ohne dass ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung beeinträchtigt wird. Eine Lösungsstrategie muss 1) das Liquiditätsproblem bewältigen: Ein Schuldnerland, das in einem viel versprechenden wirtschaftlichen Umstellungsprozess steht, der auf längere Sicht auch eine Verringerung der Schuldenlast verspricht, darf zwischenzeitlich nicht zahlungsunfähig werden. 2) muss das Solvenzproblem gelöst werden: Ein Schuldnerland muss seine Schuldendienstquote fühlbar reduzieren können. Nur bei tragbarer Schuldenlast können die Kapitalbildung verstärkt und das Wirtschaftswachstum gefördert werden. 3) sollten nur Lösungsansätze verfolgt werden, die den Schuldnern weiterhin den Zugang zu den internationalen Kredit- und Kapitalmärkten erhalten.
 
Ein Instrument zur Bewältigung der Schuldenkrise ist die Neufestlegung der Kreditkonditionen (Umschuldung) in Verbindung mit der Zuführung weiterer Liquidität. Werden die Fristen für die Kredittilgung verlängert oder tilgungs- und zinszahlungsfreie Jahre gewährt, so vermindert dies das Liquiditätsproblem. Jedoch werden auf diese Weise nur die aktuellen Zahlungsverpflichtungen reduziert; das grundlegendere Solvenzproblem - die im Vergleich zur Exportkraft überhöhten Schuldendienstverpflichtungen - bleibt erhalten. Damit der Umstellungsprozess der Schuldnerländer nicht daran scheitert, dass dringend benötigte Einfuhren nicht bezahlt werden können, müssen ihnen die Gläubiger zusätzliche Liquidität (»Fresh Money«) bereitstellen. Ein genereller Schuldenerlass ist nur ein bedingt geeignetes Instrument zur Lösung des Solvenzproblems. Soweit die Gläubiger ihre Forderungen bereits voll abgeschrieben haben, würde der Schuldenerlass zwar keine neue Belastung für das internationale Finanzsystem auslösen, doch führt er zu einer Beeinträchtigung der Kreditwürdigkeit der Entwicklungsländer. Auch ein Schuldenerlass bei einzelnen Ländern ist problematisch. Dadurch könnte die Zahlungsmoral der Schuldnerländer leiden, die sich unter Inkaufnahme gravierender Einschränkungen ihres Konsums um die Erfüllung ihrer Schuldendienstverpflichtungen bemühen.
 
Noch problematischer als ein genereller Schuldenerlass wäre die einseitige Erklärung eines Schuldnerlandes, seinen Zahlungsverpflichtungen endgültig nicht mehr (»Schuldnerstreik«) oder nur noch begrenzt (Schuldenmoratorium) nachkommen zu wollen. Zwar besteht für ein Schuldnerland durchaus der ökonomische Anreiz zur Zahlungsverweigerung, weil es dadurch Ressourcen spart. Anders als ein privater Schuldner, der bei Zahlungsverweigerung mit Strafsanktionen oder Konkurs bedroht ist, braucht ein zahlungsunwilliges Land mit vergleichbaren Repressalien nicht zu rechnen. Jedoch würde es sich mit der Zahlungsverweigerung von den internationalen Kapitalmärkten ausschließen.
 
Akzeptable Formen des Schuldenerlasses stellen Schuldenrückkauf (Buy-back) und -tausch (Debt-Swaps) dar. Soweit sich für unsichere Forderungstitel gegenüber den Schuldnerländern ein Kapitalmarkt herausgebildet hat, an dem die Forderungen mit einem Abschlag zum Nennwert gehandelt werden, könnte das Schuldnerland diese Titel selber kaufen. Seine Schulden würden im Umfang des Nennwertes des Forderungstitels verringert; doch als Tilgungsbetrag wäre nur der niedrigere Kurs des Titels am Sekundärmarkt aufzubringen. Dieser Weg kann nur beschritten werden, wenn das Land noch über Devisenreserven verfügt, die es zum Schuldenrückkauf einsetzen kann. Ein Schuldentausch kann so konstruiert sein, dass Gläubiger und Schuldner einen alten Schuldtitel gegen einen neuen mit niedrigerem Wert austauschen. Neben dem Entlastungseffekt für den Schuldner ist das für den Gläubiger vorteilhaft, sofern die Zinszahlungen auf den neuen Schuldtitel von einer internationalen Organisation (z. B. Weltbank) garantiert werden. Zwar nimmt der Gläubiger eine Verringerung seines Forderungswertes in Kauf, jedoch gewinnt er einen sicheren Ertrag. Bei einer Schuldenkapitalisierung (Debt equity swaps) wird der Kauf eines wertverminderten Schuldtitels mit einer Investition in dem Entwicklungsland verbunden. Ein ausländisches Unternehmen erwirbt von der Gläubigerbank einen Forderungstitel gegenüber dem Schuldnerland, wobei ein Wertabschlag gegenüber dem Nennwert der Forderung vorgenommen wird. Der auf Fremdwährung (z. B. US-$) lautende Forderungstitel wird von einer Bank des Schuldnerlandes in inländischer Währung umgetauscht. Mit diesem inländischen Währungsbetrag erwirbt das ausländische Unternehmen schließlich Eigenkapitalanteile an einem Unternehmen des Schuldnerlandes. Die Gläubigerbank erhält auf diese Weise einen Teil der sonst möglicherweise uneinbringliche Forderung zurück. Für das Schuldnerland verringern sich die Auslandsschulden. Zugleich kommt es zu erwünschten Direktinvestitionen. Bedenklich ist allerdings die mit dem Umtausch in inländische Währung verbundene, inflationär wirkende Geldmengenausweitung.
 
Eine grundlegende Lösung der Schuldenproblematik wird nicht allein durch eine Verringerung der Auslandsschulden und der Schuldenlast zu erreichen sein, sondern muss letztlich v. a. dadurch angestrebt werden, dass die Schuldnerländer ihre binnenwirtschaftliche Entwicklung und ihre Exportkraft durch geeignete wirtschaftspolitische Maßnahmen stärken. Dabei bleiben sie auf die Hilfe von Industrieländern und internationalen Organisationen angewiesen. So könnten Umschuldungen noch stärker an entwicklungspolitisch sinnvolle Bedingungen geknüpft werden (z. B. nachhaltiger Strukturwandel, Senkung der Rüstungsausgaben, Rückfluss von Fluchtgeldern). Zudem könnte ein Teil des Schuldendienstes zur Schonung der Devisenreserven in die jeweilige nationale Währung umgewandelt und in Gestalt von Gegenwertfonds zur Finanzierung sinnvoller entwicklungspolitischer Maßnahmen (z. B. Sozial- und Umweltprogramme) verwendet werden. Hierfür bieten sich z. B. die Rückflüsse aus Entwicklungshilfedarlehen und öffentlich garantierten Exportkrediten an. Solche Maßnahmen würden mit dazu beitragen, dass den Schuldnerländern mehr kurz- und langfristige Kredite zufließen, als sie an Schuldendienst zahlen (positiver Nettokapitaltransfer). Bis zum Beginn der 90er-Jahre war nach Angaben der Weltbank der Nettokapitaltransfer bezogen auf die Auslandsschulden negativ (1983: —2,4 Mrd. US-$; 1990: —10,7 Mrd. US-$; 1996; +36,8 Mrd. US-$). Der danach unter dem Stichwort Emerging Markets einsetzende enorme private Kapitalzufluss in viele Schuldnerländer hat deren Schuldensituation erträglicher gestaltet. Allerdings hat sich mehrfach gezeigt, dass dieses private Portfoliokapital mitunter äußerst volatil reagiert, d. h. kurzfristig aus den Ländern wieder abgezogen wurde und erneut Krisen heraufbeschworen hat, wie z. B. die Mexikokrise (Ende 1994) sowie die Krise in den Emerging-Markets-Ländern Südostasiens (1997), wodurch enorme staatliche Hilfsprogramme unter der Führung des IWF mit entsprechenden harten Anpassungsauflagen erforderlich wurden.
 
Die Überwindung der Schuldenkrise hängt nicht zuletzt von der weltwirtschaftlichen Situation und einer Neuordnung der internationalen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen ab. Rezessive Entwicklungen verbunden mit hohen Zinsen würden den Anpassungsbemühungen der Schuldnerländer zuwiderlaufen. Besonders sind die Schuldnerländer auf eine Stärkung ihrer Exportaktivitäten angewiesen, u. a. durch Erleichterung des Zugangs zu den Märkten der Industrieländer. Bezogen auf das internationale Finanzsystem werden v. a. ein internationales Kreditwesengesetz, internationale Bankenaufsicht und Kontrolle der internationalen Finanzmärkte, einheitliche Bilanzierungsvorschriften für die Banken, eine internationale Schiedsinstanz für umstrittene Schuldenabkommen, eine Reform der Entscheidungsstrukturen des IWF bis hin zu einer Fusion von IWF und Weltbank zu einer Weltzentralbank vorgeschlagen.
 
 Auslandsschulden der Transformationsstaaten
 
Waren von der Schuldenkrise anfangs v. a. Entwicklungsländer in Lateinamerika und Afrika betroffen, kommen seit Anfang der 90er-Jahre wachsende Schuldenprobleme ehemaliger kommunistischen Staaten hinzu. Gemessen an den Auslandsschulden hoch verschuldeter Entwicklungsländer waren die Auslandsverbindlichkeiten in konvertibler Währung der mittel- und osteuropäischen Staaten (1990: 108,8 Mrd. US-$) sowie Russlands (59,8 Mrd. US-$) zunächst vergleichsweise gering. Zwischen 1990 und 1995 ergaben sich aber zum Teil recht ausgeprägte Veränderungen: In Russland verdoppelten sich die Auslandsschulden in diesem Zeitraum auf 120,5 Mrd. US-$; es belegt damit hinter Mexiko (165,7 Mrd. US-$) und Brasilien (159,1 Mrd. US-$) den dritten Rang unter den Ländern mit der höchsten Auslandsverschuldung. In Ungarn stiegen die Auslandsschulden von 21,3 Mrd. US-$ auf 31,2 Mrd. US-$, in der Tschechischen Republik von 6,4 Mrd. US-$ auf 16,6 Mrd. US-$, die Ukraine erreichte (1995) 8,4 Mrd. US-$, Rumänien verzeichnete einen Anstieg auf 6,7 Mrd. US-$. Während in Bulgarien der Auslandsschuldenstand 1990-95 praktisch unverändert bei 10,9 Mrd. US-$ blieb, reduzierte Polen seine Auslandsverbindlichkeiten von 49,4 Mrd. US-$ auf 42,3 Mrd. US-$.
 
Die Schuldenkrise Mittel- und Osteuropas reflektiert den Zusammenbruch des kommunistischen Wirtschaftssystems. Beim Übergang zur Marktwirtschaft besteht das Schuldenproblem darin, dass nicht nur die Rückzahlung zuvor aufgenommener Kredite auf absehbare Zeit ausgeschlossen, sondern dass zudem ohne massive Kapitalzuflüsse aus dem Westen ein Erfolg marktwirtschaftlicher Reformen nicht möglich erscheint. Der Misserfolg der Entwicklungsländer, eine auf Kapitalimport aufbauende Wachstumsstrategie zum Erfolg zu führen, begründet Skepsis, dass eine solche Strategie in Mittel- und Osteuropa gelingen könnte. Eine verstärkte Kapitalbereitstellung durch Kredite an die Transformationsstaaten könnte die Schuldenkrise von morgen programmieren, wenn es nicht gelingt, den Kapitalzustrom mit konkreten Reformschritten zu verzahnen, die der marktwirtschaftlichen Ordnung zum Durchbruch verhelfen. In Mittel- und Osteuropa könnte ein Kapitalsog entstehen, der die Konditionen für die Kreditvergabe an die Entwicklungsländer verschlechtert und den Umfang neuer Kredite verringert. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass mit der Integration der Transformationsstaaten in die internationale Arbeitsteilung auch Chancen für eine stärkere Dynamik in der Weltwirtschaft verbunden sind, was letztlich auch den Entwicklungsländern zugute kommen könnte.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Entwicklungshilfe · Entwicklungspolitik · Finanzmärkte · Internationaler Währungsfonds · Weltwirtschaft
 
Literatur:
 
Weltentwicklungsbericht, hg. v. der Weltbank (Washington, D. C., 1978 ff.);
 
Global development finance, hg. v. ders., 2 Bde. (ebd. 1997);
 S. George: Sie sterben an unserem Geld (a. d. Engl., 1988);
 
Verschuldungskrise der Entwicklungsländer, hg. v. U. Holtz (1988);
 M. Wüst: Internat. Verschuldungsprobleme (1989);
 U. Parche: Bankenwettbewerb in der internat. Verschuldungskrise (1990);
 R. C. Sura: Stabilitätsbedingungen für Verschuldungsprozesse in ausgewählten Schwellenländern (1991);
 K. Vocke: Die Zusammenarbeit zw. Internat. Währungsfonds, der Weltbankgruppe u. internat. Geschäftsbanken vor dem Hintergrund der S. (1991);
 H. Jagau: Marktmäßige Auslandsverschuldung von souveränen Schuldnern u. ökonom. Entwicklung von Entwicklungsländern (1992);
 H.-H. Krieg: Der Tausch »Schulden gegen Umwelt«. Ein Beitr. zur Lösung der S. u. Umweltkrise der Weltwirtschaft (1992);
 
Schuldenreport, hg. v. Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung e. V. (1995 ff.);
 C. Twele: Die Entwicklungspolitik der Weltbank-Gruppe vor dem Hintergrund der S. der »Dritten Welt« seit Beginn der achtziger Jahre (1995);
 G. Schlichting: Das Verschuldungsproblem der Dritten Welt (1997);
 T. Ziesemer: Ursachen von Verschuldungskrisen. Theorie, Empirie u. Politik (1997).

Universal-Lexikon. 2012.