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Thomas von Aquino
Thomas von Aquino,
 
Thomas von Aquin, Thomas Aquinas, der bedeutendste Theologe und Philosoph des Mittelalters (Ehrentitel »Doctor communis« und »Doctor angelicus«), * Burg Roccasecca (bei Aquino) 1224 oder 1225, ✝ Fossanova 7. 3. 1274. Aus neapolitanischem Adel stammend und als Benediktineroblate im Kloster Monte Cassino, später an der Universität Neapel erzogen, trat Thomas 1244 gegen den Widerstand seiner Familie in den Dominikanerorden ein. In Köln war er Schüler von Albertus Magnus (1248-52); danach lehrte er bis 1259 in Paris, 1261-65 in Orvieto, 1267/68 in Viterbo und Rom. Philosophische Kontroversen an der Universität und der innerkirchliche Streit um die Lebensform der neuen Bettelorden führten ihn 1269 nach Paris zurück; 1272 wurde ihm die Leitung des neuen Generalstudiums seines Ordens in Neapel übertragen. Er starb auf der Reise zum Konzil von Lyon. Thomas wurde 1323 heilig gesprochen (Festtag: 28. 1.; bis 1969: 7. 3.) und 1567 zum Kirchenlehrer erhoben.
 
Lehre:
 
Thomas verband den überlieferten Augustinismus mit den Lehren des Aristoteles, die dem lateinischen Abendland erst zu seiner Zeit durch neue Übersetzungen in ihrem ganzen Umfang bekannt geworden waren, zu einer philosophisch-theologischen Synthese. Dabei stützte er sich besonders auf Aristoteles, dessen Hauptwerke er Satz für Satz kommentierte; über Augustinus, Boethius, Dionysius Areopagita, den »Liber de causis« (lateinische Übersetzung eines arabischen Werkes über das reine Gute; Ergänzung zur aristotelischen Metaphysik) und den arabischen Philosophen Ibn Sina wirkten aber auch platonische (besonders die Vorstellung der Teilhabe) und neuplatonische Gedanken (besonders das Konzept einer stufenförmigen Hierarchie des Seins) auf ihn ein. So musste er sein theologisches Lehrgebäude nach zwei Seiten hin verteidigen: gegen die Angriffe der augustinisch geprägten Schultradition und gegen einen radikalen Aristotelismus (Averroismus), der v. a. wegen seiner Lehre von dem einen, allen Menschen gemeinsamen göttlichen Intellekt in Widerspruch zur christlichen Hoffnung auf eine individuelle Auferstehung geriet.
 
Thomas erkannte die Berechtigung des vernünftigen Wissens neben dem Glauben und den selbstständigen Wert, den eine nach eigenen Prinzipien und Methoden arbeitende Philosophie auch gegenüber der Theologie behält. Weil aber das natürliche Wissen seine Grenzen hat und die Philosophie die Frage nach dem letzten Lebensziel des Menschen nicht sicher beantworten kann, wird sie von Thomas in den umgreifenden Rahmen einer theologischen Glaubenswissenschaft eingeordnet, die ihre obersten Prinzipien der göttlichen Offenbarung entnimmt. Der Sinn der berühmten Formel vom »Magddienst der Philosophie« (lateinisch ancilla theologiae) liegt aber nicht nur in der Unterordnung der Philosophie unter die Theologie, sondern ebenso in der relativen Selbstständigkeit, in der jene innerhalb der vorausgesetzten theologischen Synthese eine eigene Begründungsaufgabe leistet. Erst die Verbindung von Wissen und Glauben, Vernunft und Offenbarung stellt die ganze christliche Weisheit dar.
 
Die Einheit des thomanischen Denkens ist darin begründet, dass alle Einzelsätze auf wenige ontologische Grundprinzipien und formale Axiome zurückgeführt werden. Besondere Bedeutung hat dabei die Weiterbildung des aristotelischen Akt-Potenz-Schemas beziehungsweise die Lehre von Form und Materie: Jedes endliche Seiende ist aus Potenz (Anlage, Möglichkeit) und Akt (Wirklichkeit, Seinsmächtigkeit) zusammengesetzt; die reale, nicht bloß gedachte Unterscheidung von Wesen und Sein und der Vorrang des Seinsaktes vor dem »Was« (quidditas) der Dinge gehört zu den wichtigsten Eigentümlichkeiten der thomanischen Ontologie, durch die sie sich von der späteren thomistischen Wesensmetaphysik unterscheidet. Wahrheit ist dabei die Übereinstimmung von Geist und Sein. Bei den körperlichen Wesen ist die von ihren Akzidenzien unterschiedene Substanz selbst wieder aus »erster Materie« (materia prima) und ihrer Wesensform zusammengesetzt. Die erste Materie stellt jedoch nur einen notwendigen Grenzbegriff des Denkens dar; als völlig bestimmungslose »reine Potenz« kann sie nicht allein für sich bestehen. Die Wesensform, durch die es Anteil am Sein erhält, ist in jedem Seienden nur eine einzige; in den Lebewesen ist dies die Seele. Auch Pflanzen und Tiere haben ein eigenes Lebensprinzip, die vegetative und die animalische Seele. Die menschliche Seele ist einerseits als »Form des Leibes« mit der Materie zu einer Wesenseinheit verbunden, andererseits ist sie geistig und immateriell und kann so nach dem Tod auch getrennt vom Leibe weiterbestehen. In der universalen Erkenntnisfähigkeit der geistigen Seele und in ihrer Unmittelbarkeit zu Gott wurzelt der ontologische Rang der menschlichen Person. Weil in ihr alles Sein in unwiederholbarer Weise gegeben ist, kann die Person nicht mehr als Teil eines höheren Ganzen, sei es als Glied eines politischen Organismus oder als Segment einer allgemeinen Wesensnatur, verstanden werden. Sie ist vielmehr selbst ein Ganzes und in der doppelten Fähigkeit zur Erkenntnis und zur Gottesliebe auf den Horizont des Unendlichen hin geöffnet.
 
Alles innerweltlich Seiende erweist seine Endlichkeit für Thomas dadurch, dass es »durch Teilhabe« am göttlichen Sein in unterschiedlichen Graden der Vollkommenheit existiert und darum verursacht ist; erst in Gott, der aus sich selbst und vollkommen eins ist, kommt es zur Einheit alles Verschiedenen. So steigt Thomas in seinen »fünf Wegen« oder Gottesbeweisen von der Vielfalt des irdischen Seins zu Gott als der »ersten Ursache« und dem »reinen Akt« (actus purus) auf. Voraussetzung dieser natürlichen Gotteserkenntnis ist das universale Band der Analogie (Analogia Entis), das heißt eine trotz aller größeren Unähnlichkeit bleibende Ähnlichkeit des Geschöpfes mit Gott, in der die Gleichnisfähigkeit des Endlichen für das Unendliche und die Symbolstruktur aller irdischen Wirklichkeit gründet. Über den Gedanken des obersten Grundes und des göttlichen Selbstseins kommt die philosophische Gotteserkenntnis jedoch nicht hinaus; die Manifestation des obersten Seinsgrundes als Trinität vermag die menschliche Vernunft ebenso wie den Gedanken der Menschwerdung Gottes erst im Nachhinein zu erfassen, indem sie nach Gründen für die heilsgeschichtliche Offenbarung Gottes fragt.
 
Thomas' Ethik beruht auf dem Grundgedanken, dass sittlich handeln heißt, der Ordnung des Seins entsprechend zu handeln, wie sie von der praktischen Vernunft erkannt wird. Auch die Erkenntnis des sittlichen Naturgesetzes und des der staatlichen und politischen Gemeinschaft vorgeordneten Naturrechtes entspringt einer Ordnungsleistung der praktischen Vernunft; dabei werden konkrete Normen nicht auf deduktivem Weg, sondern durch »Auffindung« und »Bestimmung« (inventio und determinatio) im Licht der obersten Prinzipien des natürlichen Sittengesetzes festgelegt. Drei formale Grundzüge kennzeichnen die Ethik: Philosophisch ist sie als Entfaltung der Freiheitslehre, theologisch als Rückkehrbewegung des freien Geschöpfs in die Gemeinschaft mit Gott konzipiert; den gesamten Stoff der konkreten Ethik ordnet Thomas in Anlehnung an den aristotelischen Gedanken einer umrissartigen »Topik« nach dem Schema der vier Kardinaltugenden (Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß) an, dem er die paulinische Trias der theologischen Tugenden (Glaube, Hoffnung, Liebe) zur Seite stellt.
 
In der Theologie entfaltet Thomas die scholastische Wissenschaft von Gottes Offenbarung, indem er ihr neue Quellen (griechische Kirchenväter, altkirchliche Konzilien, Augustinusrezeption) erschließt und sich um eine umfassende Begründung aus der Heiligen Schrift bemüht. Die neuere Forschung hat insbesondere seiner exegetischen Arbeit Beachtung geschenkt, die sich in umfangreichen wissenschaftlichen Bibelkommentaren niederschlägt und die gesamte theologische Arbeit befruchtet. Charakteristisch für die theologische Synthese des Thomas ist v. a. die Zuordnung von Schöpfungs- und Gnadenlehre: Danach wird das von Gott begnadete Geschöpf zu wirklichem Eigensein befreit. Die später von der reformatorischen Theologie kritisierte Aufnahme des philosophischen Substanzgedankens und der aristotelischen »habitus«-Lehre zur Deutung des Rechtfertigungsgeschehens bringt dabei zum Ausdruck, dass Gottes Beziehung zum Menschen immer eine schöpferische Relation ist, die diesen bleibend in seinem Sein qualifiziert und zur freien Antwort auf den Ruf Gottes befähigt. Das Wesen der Theologie sieht Thomas nicht nur als Eigenleistung und begriffliche Reflexion der menschlichen Vernunft, sondern zugleich als einen im Glauben geschehenden Nach- und Mitvollzug der Gedanken Gottes über Welt, Mensch und Geschichte. Die nähere Klärung des Verhältnisses, in dem Heilsgeschichte und theologische Wissenschaft zueinander stehen, gehört zu den dringenden Aufgaben der gegenwärtigen Thomas-Forschung. Gegenläufige Interpretationstendenzen zeigen sich v. a. im Bereich der Ethik, wo Thomas als Vorläufer des autonomen und geschichtlichen Denkens der Neuzeit, aber auch (noch immer) als Vertreter einer objektiven Gesetzesethik in Anspruch genommen wird.
 
Werke: (Entstehungszeitraum): De ente et essentia (1253-55; deutsch Über das Sein und das Wesen); Super IV Libros sententiarum (1253-59); Quaestiones disputatae: De veritate (1256-59; deutsch u. a. als Untersuchungen über die Wahrheit); De malo (1266/67; deutsch Über das Übel); De anima (1269; deutsch Die Seele); Summa theologica (1267-73); Summa contra gentiles (1269-89; deutsch Die Summe wider die Heiden); De unitate intellectus contra Averrointas (1270).
 
Ausgaben: Opera omnia, herausgegeben von S. E. Fretté u. a., 34 Bände (Neuausgabe 1873-95); Opera omnia, auf zahlreiche Bände berechnet (1882 ff.); Opera omnia, herausgegeben von R. Busa, 7 Bände (1980).
 
Die deutsche Thomas-Ausgabe, herausgegeben von der Albertus-Magnus-Akademie Walberberg, auf 36 Bände berechnet (1-31934 folgende).
 
Literatur:
 
L. Schütz: T.-Lex. (21895, Nachdr. 1983);
 M. Grabmann: Einf. in die Summa theologiae des hl. T. v. Aquin (21928);
 M. Grabmann: T. v. Aquin (81949);
 P. Wyser: T. v. Aquin (Bern 1950);
 B. Montagnes: La doctrine de l'analogie de l'être d'après Saint Thomas d'Aquin (Löwen 1963);
 J. Pieper: Die Wirklichkeit u. das Gute (71963);
 J. Pieper: T. v. Aquin. Leben u. Werk (41990);
 U. Kühn: Via caritatis. Theologie des Ges. bei T. (Neuausg. 1965);
 K. Kremer: Die neuplaton. Seinsphilosophie u. ihre Wirkung auf T. v. Aquin (Leiden 1966, Nachdr. ebd. 1971);
 K. Bernath: Anima forma corporis. Eine Unters. über die ontolog. Grundl. der Anthropologie des T. v. Aquin (1969);
 L. Dümpelmann: Kreation als ontisch-ontolog. Verhältnis. Zur Metaphysik der Schöpfungstheologie des T. v. Aquin (1969);
 A. Kenny: The five ways. St. Thomas Aquinas' proofs of God's existence (London 1969, Nachdr. Notre Dame, Ind., 1980);
 K. Riesenhuber: Die Transzendenz der Freiheit zum Guten. Der Wille in der Anthropologie u. Metaphysik des T. v. Aquin (1971);
 J. C. Doig: Aquinas on metaphysics (Den Haag 1972);
 W. Kluxen: Philosoph. Ethik bei T. v. Aquin (21980);
 J. A. Weisheipl: T. v. Aquin. Sein Leben u. seine Theologie (a. d. Engl., Graz 1980);
 E. Schockenhoff: Bonum hominis. Die anthropolog. u. theolog. Grundlagen der Tugendethik des T. v. Aquin (1987);
 O. H. Pesch: T. v. Aquin. Grenze u. Größe mittelalterl. Theologie (31995);
 M.-D. Chenu: T. v. Aquin (a. d. Frz., 38.-39. Tsd. 1995);
 J.-P. Torrell: Magister Thomas. Leben u. Werk des T. v. Aquin (a. d. Frz., 1995).
 
Zeitschrift: Revue thomiste (Toulouse 1893 ff.).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Thomas von Aquin: Die »Summe der Theologie«
 

Universal-Lexikon. 2012.