lesbische Liebe
(Sapphismus, Tribadie): Bezeichnung für ausschließliche oder in einem bestimmten Lebensabschnitt praktizierte sexuelle Beziehungen zwischen Frauen. Der Begriff lesbische Liebe beziehungsweise Sapphismus stellt die Verbindung zu den frühesten Berichten über die Liebe zwischen Frauen, dem Zentralthema der griechischen Dichterin Sappho her. Die jungen Mädchen, die Sappho um sich scharte, wurden in einer erotisch-pädagogischen Lebensgemeinschaft auf ihre zukünftige Erwachsenenrolle vorbereitet; neben der Unterrichtung in Kult und musischen Künsten gehörte dazu auch die sexuelle Initiation. Schätzungen zufolge beträgt der Anteil ausschließlich lesbischer Frauen an der weiblichen Bevölkerung etwa 2 %. Weibliche Homosexualität in ihrer psychogenetischen Dimension und sozialen Ausdrucksform ist noch ungenügend erforscht. Die weibliche wurde gegenüber der männlichen Homosexualität lange Zeit gering beachtet, da Frauen jahrhundertelang ein eigenständiges Sexualempfinden abgesprochen wurde und Anthropologie wie Sexualwissenschaft sich überwiegend mit den sexuellen Erlebens- und Verhaltensweisen der Männer befasst haben. Wenig beachtet wurden schon um 1900 vertretene Theorien, die sämtliche nicht auf Sozialisation beruhenden seelischen und geistigen Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestritten und von einer angeborenen Bisexualität beider Geschlechter ausgingen. Soziologische und anthropologische Untersuchungen des Lesbianismus als einer besonderen Kultur, als Lebensstil und psychosoziale Identität erschienen verstärkt erst in den 1970er Jahren unter dem Einfluss der feministischen Bewegung.
Lesbische Frauen waren gesellschaftlicher Ächtung meist weniger ausgesetzt als männliche Homosexuelle. Ihre Existenz wurde und wird in vielen Gesellschaften nicht zur Kenntnis genommen oder als gesellschaftlich unerhebliche Erscheinung angesehen. Die relative Gleichgültigkeit gegenüber weiblicher Homosexualität hängt auch damit zusammen, dass körperliche Intimität und zärtliche Freundschaften zwischen Frauen in unserem Kulturkreis nicht als unweiblich gelten. Die gesellschaftliche Missbilligung gilt daher weniger den Erscheinungsformen lesbischer Liebe, sondern dem Umstand, dass die damit verbundene Lebensweise im Widerspruch zur traditionellen Rolle der Frau als Gattin und Mutter steht.
Seit dem Reichsstrafgesetzbuch von1871 war homosexuelles Verhalten von Frauen in Deutschland nicht mehr strafbar. Im 18. und 19. Jahrhundert waren enge emotionale Bindungen zwischen Frauen weit verbreitet, wobei die Grenzen zwischen platonischer und sinnlicher Liebe fließend waren. Die Institution gefühlsintensiver, gesellschaftlich anerkannter Frauenfreundschaften bildete eine Voraussetzung für die Entstehung einer lesbischen Subkultur, wie sie sich zunächst in Künstlerinnenkreisen und nach dem Ersten Weltkrieg in städtischen Metropolen wie Berlin, Paris und London entwickelte. Die Werke vieler Schriftstellerinnen seit Beginn des 20. Jahrhunderts trugen dazu bei, die spezifische Existenzform lesbischer Frauen verstärkt bewusst zu machen. Gleichzeitig traten lesbische Frauen im Zusammenhang mit der Frauenbewegung erstmals an die Öffentlichkeit. In den 1920er Jahren wurde Berlin zu einem Anziehungs- und Fluchtpunkt lesbischer Frauen, die durch zahlreiche Organisationen, Schriften und Veranstaltungen gesellschaftlich aktiv wurden. Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung verschwanden die Einrichtungen eines lesbischen Gegenmilieus aus dem öffentlichen Leben.
Im Zuge der homosexuellen Befreiungsbewegung in den siebziger Jahren entstand in der Bundesrepublik Deutschland die erste »Lesbenbewegung«. Der aus den USA entlehnte Begriff des »Coming-out«, der die Bejahung der eigenen homosexuellen Identität vor sich selbst und der Öffentlichkeit beinhaltete, wurde zur Perspektive einer ersten inneren Befreiung. Der Gründung der ersten »Lesbengruppe« in Westberlin Mitte der siebziger Jahre folgte der Aufbau ähnlicher Gruppen in vielen Städten der Bundesrepublik Deutschland. Aktivitätsschwerpunkte waren Öffentlichkeitsarbeit, Selbsterfahrungsgespräche sowie Gründung von Zeitschriften, Forschungszentren und Archiven. Die Verbindung von Lesbianismus und Feminismus in den USA hat auch die deutsche Lesbenbewegung beeinflusst, die in der neuen Frauenbewegung ihre wichtigste Bündnispartnerin sieht. Die allgemeine Emanzipation der Frauen wird als eine Grundbedingung lesbischer Befreiung aufgefasst. Umgekehrt befürworten Teile der Frauenbewegung lesbische und bisexuelle Lebensmodelle als lebbare Alternativen zu der traditionellen Partnerschaft. - Frauenbewegung, Homosexualität.
Universal-Lexikon. 2012.