Frei|ge|las|se|ne(r) 〈f. 30 (m. 29)〉 Sklave od. Höriger bzw. Sklavin od. Hörige, der bzw. die in Freiheit gesetzt wurde
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Freigelassene,
lateinisch Libẹrti, Libertini, ehemalige Sklaven oder Unfreie, die in die persönliche Freiheit entlassen worden sind. Die Formen der Freilassung, meist rechtlich festgelegt, waren mannigfaltig.
Im Alten Orient war die Freilassung von Sklaven nicht selten. Gemäß der Gesetzessammlung Hammurapis war sie in Babylonien in folgenden Fällen vorgesehen: 1) Eine Sklavin, die Konkubine war, wird nach dem Tod ihres Herrn samt ihren Kindern frei. 2) Ein in Feindesland verschleppter babylonischer Sklave wird nach dem Rückkauf (durch den Staat) frei. 3) Bei Freikauf des Sklaven durch Rückerstattung des Kaufpreises oder durch Unterhaltsversprechen an den ehemaligen Herrn. 4) In Schuldknechtschaft geratene Familienmitglieder eines Freien wurden nach drei Jahren freigelassen. Deshalb wird oft zwischen »Schuldsklaven« und »hausgeborenen« Sklaven unterschieden. Nicht selten war die Freilassung mit einer Adoption verbunden. Auch das alte Ägypten kannte die Freilassung von Sklaven in Form von Adoption durch den Herrn. Als eigener Stand spielten Freigelassene in der Zeit der Pharaonen jedoch keine Rolle.
In der griechischen Polis konnte die Freilassung durch das Gemeinwesen oder durch den Eigentümer des Sklaven erfolgen. Loskauf war möglich. Ein Sonderfall war die theoretische Weihung des Sklaven an einen Gott (»Tempelfreigelassene«). Oft hatte der Freigelassene weiter Leistungen für seinen ehemaligen Herrn zu erbringen. Die griechischen Freigelassenen erhielten mit der Freilassung nicht das Bürgerrecht, sondern wurden Metöken.
In Rom wurde der Freigelassene dagegen römischer Bürger minderen Rechts. Er gehörte auch nach der Freilassung (lateinisch manumissio) zur »familia« seines früheren Herrn, erhielt dessen Gentilnamen und stand unter dessen Patronat. Neben der Freilassung vor dem Prätor gab es auch die durch testamentarische Verfügung, durch Einschreibung in die Zensuslisten oder formlos vor Zeugen oder durch Freibrief. Dazu trat später die Freilassung in der Kirche. - Seit Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. stammten viele Freigelassene aus den hoch entwickelten Gebieten des Ostens und spielten eine wichtige Rolle in Handel und Gewerbe. Auch im geistigen Leben traten Einzelne von ihnen oder ihre Nachkommen hervor. Tiro, der Sekretär Ciceros, war ein Freigelassener, der Dichter Horaz Sohn eines Freigelassenen. In der frühen Kaiserzeit gelangten die Freigelassenen des kaiserlichen Hauses oft zu großem Einfluss und bekleideten seit Claudius auch die höchsten Ämter der kaiserlichen Kanzlei (z. B. Narcissus). In der öffentlichen Meinung wurden die Freigelassenen freilich oft kritisiert, in der Literatur gern als Emporkömmlinge verspottet, wie etwa Trimalchio in dem Roman des Petronius Arbiter.
Germanische Frühzeit und Mittelalter
In der germanisch-frühmittelalterlichen Gesellschaft hatte der Unfreie keine Teilhabe an der nach Geburtsständen (Adel, Freie, Halbfreie) gegliederten Rechtsordnung. Er unterlag dem Sachenrecht. Durch private Freilassung durch den bisherigen Herrn (zu minderem Recht) konnte er den Status eines Halbfreien erlangen, war dann rechts- und vermögensfähig, blieb aber schollengebunden und zinspflichtig (Höriger). Wichtigste Form der Freilassung zu minderem Recht war die durch Urkunde (lateinisch carta, tabula), weshalb die unter dem Patronat des weltlichen Herrn verbliebenen Freigelassenen »cartularii«, die unter dem Patronat der Kirche verbliebenen »tabularii« hießen. Die öffentliche Freilassung (zu höherem Recht), die bei den Germanen in der Regel durch die Volksversammlung (Thing, Ding), bei den Franken der monarch. Verfassung entsprechend durch den König gewährt wurde, brachte Vollfreiheit (Freizügigkeit). Vollzugsform war u. a. der Schatzwurf (lateinisch manumissio per denarium, denaratio), bei dem der Herr (König) als Symbol des Verzichts den ihm vom Freizulassenden dargebotenen Kopfzins aus der Hand schlug. - Bei den Angelsachsen blieb das Thing zuständig; dabei wurde der Freizulassende einem Treuhänder übergeben. - Die Langobarden kannten eine Entlassung in die Vollfreiheit aufgrund eines Königsgebots.
Im Zuge eines mehrere Jahrhunderte umfassenden Entwicklungsprozesses verschwand in Europa die Schicht der Unfreien und verschmolz mit den persönlich freien Bauern, die mit wenigen Ausnahmen in grundherrliche Abhängigkeit geraten waren, zu einem im Kern einheitlichen Bauernstand (Bauer, Bauernbefreiung). Besondere Entwicklungen zeigt die Ausbildung der Vasallität (Lehnswesen, Vasall) und v. a. der Ministerialität (Ministerialen).
Katholisches Kirchenrecht:
Die christliche Kirche verwarf bis in die Neuzeit Sklaverei und Leibeigenschaft nicht grundsätzlich; zeitweise finden sich allerdings Tendenzen gegen das Halten von Leibeigenen durch Kleriker und geistliche Anstalten. Demgemäß ließen manche Klöster ihre Leibeigenen frei. Zwar spielte innerhalb der Kirche der Unterschied zwischen Freien und Unfreien grundsätzlich keine Rolle, doch nahm die Kirche keine Unfreien in den Klerus auf. Eigene Freilassungsformen hat die Kirche nicht entwickelt; sie bediente sich der Formen des weltlichen Rechts, besonders der vom römischen Recht unter christlichem Einfluss entwickelten »manumissio in sacrosanctis ecclesiis« (Freilassung in der Kirche vor Bischof und Gemeinde).
Im Islam war die Freilassung aus der Sklaverei vom Koran empfohlen und als fromme Tat stets weit verbreitet. Sie konnte sofort oder für die Zukunft (meist beim Tod des Besitzers) erfolgen, war dann aber nach manchen Rechtsauffassungen vorher widerrufbar. Eine Sklavin, die ihrem Herrn ein Kind geboren hatte, wurde unverkäuflich und beim Tod ihres Herrn automatisch frei. Der Freigelassene trat zu seinem bisherigen Herrn in ein Klientelverhältnis; häufig kam dies in seinem neuen Namen zum Ausdruck, der den Freigelassenen und seine Nachkommen (wenigstens theoretisch) mit der Familie seines Patrons (mit erbrechtlichen Folgen) verband. Freigelassene wurden häufig Vertraute ihrer Herren und spielten dann in deren Haushalt, überhaupt in der Wirtschaft und im öffentlichen Leben eine bedeutende Rolle; sie konnten zu den höchsten Staatsämtern aufsteigen. Aus Freigelassenen rekrutierten sich die seit dem 9. Jahrhundert eingesetzten türkischen Söldner, seit dem 13. Jahrhundert auch die Mamelucken am Nil. Ob die Janitscharen als Freigelassene gelten können, ist umstritten. (Sklaverei)
L. Delekat: Katoche, Hierodulie u. Adoptionsfreilassung (1964);
J. Klíma: Gesellschaft u. Kultur des alten Mesopotamien (a. d. Tschech., Prag 1964);
H. Chantraine: F. u. Sklaven im Dienst der röm. Kaiser (1967);
S. Treggiari: Roman freedmen during the late Republic (Oxford 1969);
W. Waldstein: Operae libertorum (1986).
Weitere Literatur: Sklaverei.
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Frei|ge|las|se|ne, der u. die; -n, -n <Dekl. ↑Abgeordnete> (früher): in die Freiheit entlassener Sklave, entlassene Sklavin.
Universal-Lexikon. 2012.