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Paulus
I
Paulus,
 
hebräischer Name Saul, latinisiert Saulus, christlicher Missionar (»Apostel der Heiden«) und Theologe, Verfasser der ältesten Schriften des Neuen Testaments, * Tarsus Anfang des 1. Jahrhunderts, ✝ Rom 60 oder 62 (?). Quellen für die Biographie des Paulus sind v. a. seine im Neuen Testament enthaltenen, zwischen 50 und 56 verfassten Briefe (Paulusbriefe) an die christlichen Gemeinden in Rom, Korinth, Galatien, Philippi, Thessalonike und an Philemon (Philemonbrief). Die erst relativ spät entstandene Apostelgeschichte, die zwar zahlreiche weitere Details über das Leben des Paulus enthält, zum Teil aber im Widerspruch zu Paulus' eigenen Angaben steht, ist stark von den theologischen Intentionen ihres Verfassers und den Vorstellungen der Gemeinden in nachapostolischer Zeit geprägt und kann daher nur mit Vorbehalt als Quelle angesehen werden. Chronologie, Verlauf des Lebens des Paulus und Stationen seiner Missionsreisen lassen sich daher nur ungefähr rekonstruieren.
 
Paulus entstammte einer streng jüdischen Familie, besaß tarsisches und römisches Bürgerrecht und war von Beruf »Zeltmacher« (Apostelgeschichte 18, 3). Im hellenistischen Diasporajudentum religiös sozialisiert, verband er eine pharisäisch-theologische Bildung mit einer, wie es in der griechischen Diktion seiner Briefe zum Ausdruck kommt, verhältnismäßig hohen griechischen Allgemeinbildung. Die in Apostelgeschichte 22, 3 erwähnte theologische Ausbildung in Jerusalem bei dem Pharisäer Gamaliel dem Älteren lässt sich aus Paulus' Briefen nicht belegen. Aufgrund seiner religiösen Formung durch den Pharisäismus stand Paulus den thorakritischen Christen zunächst ablehnend gegenüber und war sogar an (möglicherweise lokal auf Damaskus begrenzten) Christenverfolgungen beteiligt. Die existenzielle Zäsur seines Lebens war die visionäre Begegnung mit Jesus Christus vor Damaskus, die Paulus selbst den Ostererfahrungen anderer Auferstehungszeugen zuordnet (1. Korinther 15, 1 folgende) und als das Grunddatum seiner Berufung zum Apostel versteht. Im Anschluss an dieses »Damaskuserlebnis« missionierte Paulus zunächst in der Arabia (32-34), hielt sich in Jerusalem auf, um Petrus kennen zu lernen (34), und verlegte dann seinen Wirkungskreis nach Nordsyrien und Kilikien (Galater 1, 17-21). Seit 36/37 hielt er sich zwölf Jahre lang bei der aus juden- und heidenchristlichen Mitgliedern bestehenden Gemeinde im syrischen Antiochia auf. Unter ihrer Ägide unternahm er (vor 48) mit dem ebenfalls in Antiochia wirkenden Barnabas eine erste Missionsreise (Apostelgeschichte 13 folgende) über Zypern in das südliche Kleinasien (u. a. nach Lystra, Lykaonien).
 
Die erfolgreiche Heidenmission Antiochias führte zu einer heftigen Auseinandersetzung mit den der jüdischen Glaubenswelt noch stärker verbundenen Judenchristen, die eine Relativierung der Thora und die Möglichkeit kultischer Unreinheit durch den Kontakt mit Heidenchristen befürchteten. Eine Klärung der Frage, ob auch Heidenchristen dem jüdischen Gesetz und seinen Kultvorschriften (z. B. Beschneidung) verpflichtet seien oder ob der Glaube an Christus ausreiche, sollte das Apostelkonzil in Jerusalem bringen (48/49; Galater 2, Apostelgeschichte 15), auf dem Paulus und Barnabas die antiochenische Delegation anführten. Die dort erwirkte Zustimmung zur »gesetzesfreien« Heidenmission wurde für die Folgezeit von grundsätzlicher Bedeutung. Die in Apostelgeschichte 15 zusätzlich genannten, wohl erst später notwendig gewordenen »Jakobusklauseln« (Aposteldekret) versuchten darüber hinaus, mittels eines Minimalkonsenses Gemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen zu ermöglichen.
 
Der an der Frage der Kultgesetzlichkeit aufgebrochene Konflikt zwischen Paulus und Petrus (Galater 2, 11 folgende) motivierte wohl Paulus zum Verlassen Antiochias und zum Beginn seiner eigenständigen Mission (seit 49). Auf seiner zweiten Missionsreise gründete er Gemeinden in Nordgalatien, in Philippi und Thessalonike sowie - nach einem Misserfolg in Athen (Areopagrede) - in Korinth, wo er sich längere Zeit aufhielt (50-52). In dieser Zeit entstand der 1. Thessalonicherbrief, der älteste erhaltene Paulusbrief. Eine gegen Paulus erhobene Anklage seitens der jüdischen Gemeinde von Korinth vor dem ansässigen Prokonsul Lucius Iunius Gallio Annaeus (✝ 65 n. Chr.), dem älteren Bruder Senecas des Jüngeren (ein Brieffragment mit Gallios Namen ist ein wichtiger Anhaltspunkt für die Datierung der Paulusbiographie), wurde zu Paulus' Gunsten abgewiesen (Apostelgeschichte 18, 12 folgende). Von Korinth brach Paulus nach Ephesos auf (dritte Missionsreise); für die baldige Weiterreise nach Jerusalem über Caesarea (Abschluss der zweiten Missionsreise nach Apostelgeschichte) sowie die Rückreise über Antiochia nach Ephesos (Beginn der dritten Missionsreise nach Apostelgeschichte) finden sich bei Paulus keine Indizien. In Ephesos blieb er etwa drei Jahre (52-55/56) und missionierte im Umfeld von Ephesos in der Provinz Asia.
 
In der Zwischenzeit war es in der Gemeinde von Korinth zu Konflikten gekommen, mit denen sich Paulus in den Korintherbriefen auseinander setzt. Im Winter 54/55 geriet Paulus in Ephesos in längere, lebensgefährliche Gefangenschaft. Aus dieser Zeit stammen der Philemonbrief sowie ein Teil der im Philipperbrief vorliegenden Korrespondenz. An die Gemeinden Galatiens, in denen (judenchristliche) Missionare ein thoratreues Evangelium verkündeten, richtete Paulus den auch autobiographisch informativen Galaterbrief. Nach seiner Haftentlassung und Flucht aus Ephesos (55) machte er sich über Troas, Philippi und Thessalonike auf den Weg nach Korinth, um dabei zu einer Kollekte für die Armen der Jerusalemer Gemeinde zu ermuntern. Von Korinth aus reiste er mit dem Ziel, in Spanien zu missionieren, zur Kollektenübergabe nach Jerusalem. Zuvor legte er im Römerbrief, seinem letzten Brief, seine Theologie konzentriert nieder. Nach Darstellung von Apostelgeschichte 21 folgende, der einzigen biblischen Quelle für Paulus' letzte Lebensphase, führte ein Eklat in Jerusalem zu Paulus' von jüdischer Seite initiierter Inhaftierung (57/58) und späteren Überführung nach Rom (58/60). Unter Nero soll er als Märtyrer gestorben sein.
 
Im Mittelpunkt der in Auseinandersetzung mit hellenistischen (gnostischen?) wie auch jüdisch-gesetzestreuen Einflüssen entwickelten Theologie des Paulus steht die vorbehaltlose Ausweitung der Evangeliumsverkündigung auf die Heiden durch die Betonung der Freiheit vom jüdischen Kultgesetz (Gesetz 5) und der alleinigen Heilsrelevanz von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi. Die Rechtfertigung des Menschen kann ausschließlich im Glauben an die Offenbarung in Jesus Christus erlangt werden. Der Zugang zur Gerechtigkeit Gottes, vor dem die gesamte Menschheit als Sünder und Erlösungsbedürftige (Römer 1-3) steht, ist der gnadenhaft erworbene Glaube an Gottes Heilshandeln in Jesus Christus.
 
Die Entwicklung des Christentums hat Paulus geprägt durch seine Missionstätigkeit und mehr noch durch seine Theologie, die die Voraussetzung für eine universale Ausbreitung des Christentums schuf. Besonders beeinflusst von der paulinischen Theologie waren u. a. Augustinus, M. Luther und in der Neuzeit die dialektische Theologie.
 
Neben den echten Paulusbriefen wurden Paulus seit der alten Kirche weitere Briefe des Neuen Testaments zugeschrieben, die die Exegese als wahrscheinlich pseudepigraphische (deuteropaulinische) Schriften aus einer Paulusschule erwiesen hat: der Epheserbrief, die Pastoralbriefe (Timotheusbriefe, Titusbrief), der Kolosserbrief und der 2. Thessalonicherbrief. Lange Zeit wurde auch der Hebräerbrief Paulus zugeschrieben. Über das neutestamentliche »Corpus Paulinum« hinaus entstanden auch verschiedene apokryphe Schriften: die »Acta Pauli« (vor 200), eine romanhafte Schilderung des Lebens des Paulus, bestehend aus den »Acta Pauli et Theclae«, einem fiktiven 3. Korintherbrief und dem »Martyrium Pauli«, sowie eine durch 2. Korinther 12, 2 folgende angeregte Paulusapokalypse (4. Jahrhundert), eine Korrespondenz mit Seneca (4. Jahrhundert) und ein Brief an die Gemeinde in Alexandria (2. Jahrhundert). Schon früh wurde Paulus als Heiliger verehrt. Gedenktage sind seit dem 3. Jahrhundert der 29. 6. (zusammen mit Petrus) und seit dem 8. Jahrhundert der 25. 1. (»Pauli Bekehrung«).
 
In der bildenden Kunst wird Paulus oft mit Petrus dargestellt, v. a. auch im Kreis der Apostel, schon früh in einem eigenen physiognomischen Typus: fast kahler Kopf, länglichem Gesicht, langer Bart (eventuell auf ein Porträt zurückgehend, doch unbeweisbar). In der frühchristlichen Kunst erscheint Paulus besonders in Darstellungen der Gesetzesübergabe (lateinisch traditio legis), auch der Gefangennahme und Hinrichtung. Im Mittelalter kommen hinzu: Bekehrung, Taufe, Predigt, Flucht aus Damaskus (nach Apostelgeschichte 9), Verzückung u. a., seit der Renaissance auch das Opfer in Lystra (Raffael, Wandteppiche für die Sixtinische Kapelle, um 1525; J. S. van Hemessen, A. Elsheimer; nach Apostelgeschichte 14 wurden Paulus und Barnabas in Lystra für Götter gehalten, und man wollte ihnen opfern). Eindrucksvolles Motiv ist die (meist mit dem Sturz vom Pferd verbundene) Bekehrung (Michelangelo, P. Bruegel der Ältere, Caravaggio, P. P. Rubens, M. Marini). Zu den individualisierten Gestaltungen gehören besonders die Figur der Bamberger Chorschranken (13. Jahrhundert), die am Nordportal der Kathedrale in Reims (um 1230), das Apostelbild A. Dürers (1526; München, Alte Pinakothek) und das späte Selbstporträt Rembrandts als Paulus (1661; Amsterdam, Rijksmuseum). Paulus' Attribute sind Buch und Schwert.
 
Literatur:
 
Die Bekehrung des Paulus wurde bereits im Mittelalter für das Fest »Pauli Bekehrung« (25. 1.) dramatisiert (früheste Fassung »Conversio beati Pauli apostoli«, 13. Jahrhundert). Auch das frühe protestantische Drama hat den Stoff behandelt. Das Barockdrama unterstrich den Gegensatz zwischen dem wütenden Christenverfolger und dem erleuchteten Bekenner. Nach der symbolischen Verwendung des Bekehrungserlebnisses durch A. Strindberg (»Till Damaskus«, 3 Teile, 1898-1904) trat in den Dramen von F. Werfel (»Paulus unter den Juden«, 1926) und R. Henz (»Die große Entscheidung«, 1954) sowie in den Romanen von S. Asch (»The Apostle«, 1943) und G. Ellert (»Paulus aus Tarsos«, 1951) die frühchristliche Kulturgeschichte stärker in den Mittelpunkt. Die musikalische Bearbeitung erfolgte durch F. Mendelssohn Bartholdy mit dem Oratorium »Paulus«, Opus 36 (1836).
 
Literatur:
 
A. Schweitzer: Gesch. der Paulin. Forschung von der Reformation bis auf die Gegenwart (1911, Nachdr. 1933);
 H.-J. Schoeps: P. (1959, Nachdr. 1972);
 S. Ben-Chorin: P. (1970);
 O. Kuss: P. (21976);
 
P., Apostat oder Apostel?, bearb. v. M. Barth u. a. (1977);
 H. Schlier: Grundzüge einer paulin. Theologie (21979);
 E. Dassmann: P. in frühchristl. Frömmigkeit u. Kunst (1982);
 R. Jewett: P.-Chronologie (a. d. Engl., 1982);
 
Das P.-Bild in der neueren dt. Forschung, hg. v. K. H. Rengstorf (31982);
 J. C. Beker: Paul the Apostle (Neuausg. Philadelphia, Pa., 1984);
 K. H. Schelkle: P. (21988);
 O. Merk: P.-Forschung 1936-1985, in: Theolog. Rundschau, Jg. 53 (1988); G. Eichholz: Die Theologie des P. im Umriß (71991);
 J. Becker: P. Der Apostel der Völker (21992);
 E. Biser: P. Zeuge, Mystiker, Vordenker (1992);
 G. Faber: Auf den Spuren des P. (Neuausg. 1992);
 G. Bornkamm: P. (71993);
 E. Käsemann: Paulin. Perspektiven (31993);
 E. P. Sanders: P. Eine Einf. (a. d. Engl., 1995);
 E. Lohse: P. Eine Biogr. (1996);
 J. Gnilka: P. von Tarsus. Apostel u. Zeuge (Neuausg. 1997);
 M. Hengel u. A. M. Schwemer: P. zw. Damaskus u. Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels. Mit einem Beitr. v. E. A. Knauf (1998);
 D. Wenham: P. Jünger Jesu oder Begründer des Christentums? (a. d. Engl., 1999).
 
II
Paulus,
 
1) Friedrich, Generalfeldmarschall (seit 1943), * Breitenau (heute zu Guxhagen, Schwalm-Eder-Kreis) 23. 9. 1890, ✝ Dresden 1. 2. 1957; im Zweiten Weltkrieg seit Mitte 1940 Oberquartiermeister I im Generalstab des Heeres, seit Anfang 1942 Oberbefehlshaber der 6. Armee. Nach deren Einschließung im Raum Stalingrad verzichtete Paulus entgegen besserer militärischer Einsicht auf Befehl A. Hitlers auf einen Ausbruch, am 31. 1. 1943 kapitulierte er auf eigene Verantwortung. In Kriegsgefangenschaft trat Paulus 1944 dem Bund Deutscher Offiziere bei und sagte 1946 als Zeuge der sowjetischen Anklagebehörde vor dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess aus. Nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft (1953) lebte er in der DDR.
 
 2) Heinrich Eberhard Gottlob, evangelischer Theologe, * Leonberg 1. 9. 1761, ✝ Heidelberg 10. 8. 1851; zunächst Professor der orientalischen Sprachen (Jena 1789), dann der Theologie (Jena 1793; Würzburg 1803; Heidelberg 1811). Paulus verteidigte J. G. Fichte im Atheismusstreit (1799) und bekämpfte F. W. J. Schelling. Seine angestrebte »Denkgläubigkeit« zeigte sich u. a. in einer konsequent rationalistischen Erklärung der Wunder Jesu.
 
Literatur:
 
C. Burchard: H. E. G. P. in Heidelberg 1811-1851, in: Semper apertus, bearb. v. W. Doerr u. a., Bd. 2 (1985);
 F. W. Graf: Frühliberaler Rationalismus. H. E. G. P., in: Profile des neuzeitl. Protestantismus, hg. v. F. W. Graf: , Bd. 1 (1990).

Universal-Lexikon. 2012.