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Marcuse
Marcuse,
 
1) Herbert, amerikanischer Philosoph deutscher Herkunft, * Berlin 19. 7. 1898, ✝ Starnberg 29. 7. 1979; 1919-23 Studium der Philosophie und Nationalökonomie in Berlin und Freiburg im Breisgau; 1928-32 Schüler von E. Husserl und M. Heidegger in Freiburg; seit 1933 Mitarbeit am Institut für Sozialforschung T. W. Adornos und M. Horkheimers; emigrierte 1933 auch wegen seiner jüdischen Abstammung nach Genf und 1934 nach New York. 1942-50 Tätigkeit für die US-Regierung in Washington, zunächst im »Office of Strategic Services«, dann in der »Division of Research and Intelligence« des State Departement; 1951-54 am »Russian Research Center« der Harvard University wissenschaftliche Arbeit über den Sowjetmarxismus; 1954-69 Professor der Politikwissenschaft, bis 1965 in Boston (Massachusetts), dann in San Diego (Kalifornien); mehrmonatige Aufenthalte mit Gastvorträgen in Europa. Marcuse zählt zu den bedeutendsten Vertretern der kritischen Theorie und lieferte mit seinen Arbeiten zur spätkapitalistischen Wohlstandsgesellschaft die theoretische Basis für die Studentenbewegung der 60er-Jahre und die neue Linke. Marcuses Philosophie ist geprägt durch die Dialektik Hegels und die Philosophie von Marx, die er mit einer dialektischen Geschichtstheorie zu verbinden sucht. In seinen Werken setzt sich Marcuse mit dem Zusammenhang der progressiven (Entwicklung von Wissenschaft und Technik) und regressiven (Faschismus, Entmenschlichung, destruktive Auswirkungen der Technik) Tendenzen in der zeithistorischen Entwicklung auseinander. Auf diesem Hintergrund entwirft er als politisches Projekt das Leitbild einer befreiten Gesellschaft, für die der philosophisch-aufklärerische Begriff der Vernunft und damit die Orientierung an individueller Selbstverwirklichung, Glück, Autonomie und Freiheit bestimmend ist und die Marcuse auf einem hohen Niveau der Produktivkräfte für realisierbar hält. Kennzeichnend für dieses utopische Modell sind die Vermittlung von materieller und geistiger Kultur. Eine solche Kulturtheorie entwirft Marcuse in »Eros and civilization« (1955; deutsch u. a. als »Triebstruktur und Gesellschaft«) unter Rückgriff auf S. Freuds Triebtheorie und die »Dialektik der Aufklärung«. In seinem zweiten Hauptwerk, »One-dimensional man« (1964; deutsch »Der eindimensionale Mensch«), beschäftigt er sich unter Rückgriff auf Marx kritisch mit der modernen Industriegesellschaft als einer »verwalteten Welt«, die er durch das Vorherrschen eines partikularistischen - »eindimensionalen« - Vernunftbegriffs (technologische Rationalität in allen Lebensbereichen) bestimmt sieht, die gleichwohl in den Randgruppen auch revolutionäre Kräfte auszuprägen vermag. In seinem Spätwerk wendet sich Marcuse dem Feminismus und besonders der Ästhetik (»Die Permanenz der Kunst. Wider eine bestimmte marxistische Ästhetik«, 1977) zu.
 
Weitere Werke: Hegels Ontologie und die Theorie der Geschichtlichkeit (1932); Reason and revolution. Hegel and the rise of social theory (1941; deutsch Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie); Soviet marxism. A critical analysis (1958; deutsch Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus); Kultur und Gesellschaft, 2 Bände (1965); Negations. Essays in critical theory (1968); Psychoanalyse und Politik (1968); An essay on liberation (1969; deutsch Versuch über die Befreiung); Ideen zu einer kritischen Theorie der Gesellschaft (1969); Counterrevolution and revolt (1972; deutsch Konterrevolution und Revolte).
 
Das Ende der Utopie. Herbert Marcuse diskutiert mit Studenten und Professoren an der Freien Universität West-Berlins (1967).
 
Ausgabe: Nachgelassene Schriften, 2 Bände, herausgegeben von P. E. Jansen(aus dem Amerikanischen, 1999-2000).
 
Literatur:
 
Antworten auf H. M., hg. v. J. Habermas (51978);
 
Gespräche mit H. M. (1978);
 M. Jay: Marxism and totality (Cambridge 1984);
 H. Brunkhorst u. G. Koch: H. M. zur Einf. (21990);
 
Befreiung denken. Ein polit. Imperativ. Ein Materialienband zu einer Polit. Arbeitstagung über H. M., hg. v. P.-E. Jansen (21990);
 B. Görlich: Die Wette mit Freud. Drei Studien zu H. M. (1991).
 
 2) Ludwig, Pseudonym Heinz Raabe, Literaturkritiker, Philosoph und Journalist, * Berlin 8. 2. 1894, ✝ München 2. 8. 1971; emigrierte 1933 nach Frankreich, 1938 in die USA, war 1946-62 Professor für Philosophie, Kultur und Geistesgeschichte in Los Angeles (Calif.); kehrte 1962 nach Deutschland zurück. Marcuse schrieb zahlreiche Bücher über Schriftsteller, Philosophen und Musiker. Berühmtheit erlangte er v. a. mit seinem provokativen Buch »Obszönische Geschichte einer Entrüstung« (1962).
 
Weitere Werke: Nachruf auf L. Marcuse (1969, Autobiographie); Mein 20. Jahrhundert. Auf dem Weg zu einer Autobiographie (herausgegeben1975).
 
Literatur:
 
L. M. Werk u. Wirkung, hg. v. D. Lamping (1987).

Universal-Lexikon. 2012.