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römische Religion
römische Religion,
 
die römische Staatsreligion der Antike. Da die römische Religion schon früh von etruskischen, bald auch von griechisch und hellenistischen Einflüssen überformt wurde, erscheinen ihr späteres Pantheon und ihre Mythenwelt wie eine Spiegelung der griechischen Religion. Die ursprünglichen Vorstellungen können nur in unvollkommener Art aus spärlichen Zeugnissen (archäologische Quellen, Inschriften, Kalender und spätere Berichte, z. B. von Cicero, Ovid, Varro) erschlossen werden. In der ältesten Zeit war die römische Religion eine bäuerliche Religion, deren Vegetationskulte aus dörflichen Riten umgeformt wurden. Im letzten Drittel des 6. Jahrhunderts v. Chr. entwickelte sich in Rom (unter etruskischer Führung) eine Stadtgesellschaft, in der eine Reihe von bisher privat vollzogenen Kulten staatlichen Charakter annahm.
 
Die frühen Formen der römischen Religion kennen noch keine eigentliche Personalisierung von Gottheiten; diese wurden vielmehr als »Numina«, als numinose und juridisch in Pflicht nehmende Mächte mit spezifischen Geltungsbereichen und Funktionen aufgefasst, die in ihrer Gesamtheit das »Ius divinum«, das göttliche Gesetz, begründeten, das den Menschen auferlegt war. Hieraus wird auch verständlich, weshalb in der römischen Religion abstrakte Begriffe in den Rang von Gottheiten erhoben wurden, z. B. Fortuna (glückliches Geschick), Victoria (Sieg), Spes (Hoffnung), Concordia (Eintracht), Fides (Treue), Mens (Verstand), Securitas (Sicherheit), Aeternitas (Ewigkeit). Neben dem staatlichen Kult wurde vom Pater Familias, der den Genius der Familie repräsentierte, ein Kult der eigenen Ahnen vollzogen, die für die Hausgemeinschaft numinose Macht besaßen. Die Welt zwischen den Göttern und Menschen kannte fließende Übergänge, neben den Genien z. B. in Gestalt der Laren, die Haus und Flur beschützten und der Penaten, die über die häusliche Vorratskammer wachten, die Manen, die Geister der Verstorbenen.
 
Heilige Orte der römischen Religion waren zunächst Haine, Höhlen, Quellen, später Sakralbauten (Tempel). Die Zeit wurde durch religiöse Kalender, zunächst einen Mond-, seit Caesar einen Sonnenkalender, gegliedert. Schon der älteste Kalender, der Sage nach von König Numa Pompilius eingeführt, enthält die zentralen, von der bäuerlichen Kultur geprägten Feste (z. B. die am 19. 4. begangenen Cerealia, die im Zusammenhang mit dem Keimen des Getreides standen; die dem Saturn als dem Gott der Saat gewidmeten Saturnalia am 17. 12.; die Hirtenfeste Parilia, am 21. 4., und Lupercalia, am 15. 2.). Wichtigste Kulthandlung war das Opfer, das häufig als heilige Mahlzeit mit den Göttern verstanden und bei dem den Göttern Tiere, Getreide oder Wein dargebracht wurden, neben diesem hatten Bedeutung das Ablegen und Einhalten eines »Votum« (feierliches Versprechen, meist eines Opfers), die »Lustration«, das prozessionsartige Umkreisen eines Ortes in der Absicht, diesen dem Schutz der Götter zu unterstellen, und die »Divination«, die in verschiedenen Ausprägungen, z. B. Weissagung aus dem Vogelflug (Auspizien), stark verbreitet war.
 
Priesterliche Funktionen im Interesse des gesamten Volkes übte in der Monarchie der König aus. Später gingen sie auf den Pontifex maximus an der Spitze eines Kollegiums (Pontifikalreligion) über. Schließlich wurden die Funktionen des religiösen Oberhaupts von den Kaisern wahrgenommen (bis zu Kaiser Gratian, der dieses Amt 379 niederlegte). Zu den Priesterkollegien gehörten u. a. die Auguren, die Fetialen, die den völkerrechtlichen Verkehr überwachten und Kriegserklärungen wie Friedensschlüsse zeremoniell begleiteten, die Arvalischen Brüder, die ihre Kulthandlungen der alten Erdgöttin Dea Dia (später dem Kaiser) widmeten, und die Vestalinnen, die über das staatliche Feuer der Göttin Vesta wachten.
 
Die römische Religion war sehr stark juridisch-praktisch ausgerichtet und v. a. an religiös-staatlichen Pflichten, an Institutionen und Ritus, weniger an einer Ausbildung von Mythologie und Theologie interessiert. Dies war zugleich der Grund dafür, dass die römische Religion bald griechische und später hellenistische Mythen sowie eine Fülle religiöser Vorstellungen ohne große Konflikte integrieren konnte. Unter etruskischem und griechischem Einfluss wurden die römischen Götter zu personalisierten Gestalten. An der Spitze des Pantheons stand zunächst eine Götterdreiheit, zu der der Himmelsgott Jupiter, der Kriegsgott Mars und Quirinus, eine dem Mars sehr verwandte Gestalt, gehörten. Vor 500 v. Chr. wurde Jupiter (der indogermanischen Tradition entstammend) oberster Staatsgott und mit dem griechischen Zeus in Verbindung gebracht, Juno, etruskischer Herkunft, wurde jetzt als Gattin Jupiters und als zuständig für Ehe, Frau und Geburt betrachtet, Minerva war (wie die griechische Athene) Göttin des Verstandes, der Künste und des Handwerks. Dieser neuen Trias als oberster Schutzmacht wurde auf dem Kapitol in Rom ein Heiligtum errichtet (daher »Kapitolinische« Trias oder Götter). Mars (dessen Gestalt dem griechischen Ares angeglichen wurde) war der Gott des Krieges, der Meergott Neptun das Pendant zum griechischen Poseidon; Diana (der griechischen Artemis angeglichen) war Göttin der Jagd; Vulcanus (griechisch Hephaistos) wurde als Gott des Feuers und als Patron der Schmiede, als Bote der Götter Merkur (Mercurius, griechisch Hermes), Vesta (griechisch Hestia) als Hüterin des Feuers verehrt; Ceres (griechisch Demeter) schützte den Ackerbau, Apollo (unmittelbar aus dem griechischen Apollon übernommen) galt als Gott der Weisheit, Venus (zuerst über etruskische Vermittlung in Praeneste nachweisbar) als Göttin der Liebe. Diese Götter wurden 217 v. Chr. zu einem förmlichen Zwölfersystem zusammengefasst. Darüber hinaus gab es jedoch noch zahlreiche andere Gottheiten, z. B. Saturn (der über die junge Saat wachte), Flora (die Göttin der Blumen), Janus (der Schützer u. a. der öffentlichen Tore und Durchgänge), Fons (der Gott der Quellen), Faunus (der Gott der Hirten und Herden). Dem (aus dem griechischen Herakles übernommenen) Heros Hercules wurde 312 v. Chr. ein Staatskult errichtet.
 
Äußerlich im Zusammenhang mit den beginnenden römischen Aktivitäten in Kleinasien, geistig als Folge eines von den überkommenen Formen der Religiosität nicht mehr erfüllt erscheinenden Bedürfnisses nach persönlicher Beziehung zu dem verehrten Gott sowie einer Sehnsucht nach individueller Erlösung, drangen seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. orientalische Gottheiten (z. B. Kybele, Dolichenus) und Mysterienreligionen (z. B. Orphik, Dionysoskult, Mysterien des Sabazios sowie Isis-, Osiris- und Serapismysterien) in die römische Religion ein, die zum Teil in die Staatskulte aufgenommen wurden. Einen Höhepunkt der Orientalisierung bildeten die syrischen Sonnenkulte unter Kaiser Heliogabal. Mit dem Prinzipat des Augustus setzte der Kaiserkult ein, in den seit Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. auch Vorstellungen des orientalischen Gottkönigtums aufgenommen wurden. Seit dieser Zeit überflügelte die Verehrung des indoiranischen Gottes Mithras alle übrigen Götterkulte, bis die Erklärung des Christentums zur Staatsreligion (unter Theodosius I., 380/381) das Ende der römischen Religion herbeiführte.
 
Literatur:
 
L. Preller: Röm. Mythologie, 2 Bde. (31881-83, Nachdr. 1978);
 
Ausführl. Lex. der griech. u. röm. Mythologie, hg. v. W. H. Roscher, 9 Tle. u. 4 Suppl.-Bde. (1884-1937, Nachdr. 1977-78);
 G. Wissowa: Religion u. Kultus der Römer (21912, Nachdr. 1971);
 F. Cumont: Die oriental. Religionen im röm. Heidentum (a. d. Frz., 31931, Nachdr. 1989);
 P. Fabre: La religion romaine, in: Histoire des religions, hg. v. M. Brillant u. a., Bd. 3 (Paris 1955);
 F. Altheim: Röm. Religionsgesch., 2 Bde. (21956);
 K. Latte: Röm. Religionsgesch. (21967, Nachdr. 1992);
 J. Bayet: Histoire politique et psychologique de la religion romaine (Paris 21969);
 G. Radke: Die Götter Altitaliens (21979);
 R. Schilling: Rites, cultes, dieux de Rome (Paris 1979);
 G. Dumézil: La religion romaine archaïque (Neuausg. Paris 1987);
 H. Hunger: Lex. der griech. u. röm. Mythologie (Wien 81988);
 E. Simon: Die Götter der Römer (1990);
 R. Muth: Einf. in die griech. u. r. R. (21998).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Religion in der antiken Gesellschaft
 
Priester und der Staatskult im antiken Rom: Zeichendeutung und heiliges Recht
 
Apotheose: Die Vergöttlichung des Kaisers
 
Jupiter, Janus und Herkules - Alte und neue Götter der Römer
 
Riten und Feste der Latiner: Der Schutz des Hauses und der Gemeinschaft
 
Mysterienreligionen im alten Rom
 

Universal-Lexikon. 2012.