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Weltpolitik
Wẹlt|po|li|tik 〈f.; -; unz.〉 weltweite Zusammenhänge betreffende Politik, internationale Politik

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Wẹlt|po|li|tik, die:
Politik im weltweiten Rahmen; internationale Politik:
W. machen;
in die W. eingreifen.

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Weltpolitik,
 
alltagssprachlicher Sammelbegriff zur Bezeichnung aller den Territorialstaat übergreifenden politischen Prozesse. Er ist doppelt ungenau. Weder gibt es die Welt als einheitlichen politischen Raum, noch gibt es außer der Gefahr eines Nuklearkrieges und der Luftverschmutzung wirklich weltumspannende Prozesse. Von Weltpolitik sollte daher nur behutsam und nur in dem Sinne gesprochen werden, der dem Begriff der »internationalen Politik« zugrunde liegt.
 
Weltpolitik ist ein Interaktionsbegriff. Er bezeichnet nicht die einzelnen außenpolitischen Aktionen, sondern das Ergebnis ihrer Interaktion. Krieg, Frieden, Konflikt sind typische Interaktionsbegriffe, ebenso wie Abkommen, Konferenzen und Beschlüsse internationaler Organisationen. Interaktionen gehören in dem von J. David Singer entwickelten Zweierschema dem analytischen Niveau des Internationalen Systems an, auf dem, in der Begrifflichkeit von Kenneth N. Waltz, das »Dritte Bild« der Welt erscheint: die von den über Zeit durchgehaltenen Interaktionen gebildeten Muster, die zu Strukturen geronnen sind und sich nur langsam verändern. Sie würden dem vom Begriff der Weltpolitik erhobenen Anspruch am ehesten gerecht werden, lassen sich aber methodisch nicht befriedigend erfassen. Weltpolitik kann deswegen noch immer nur annäherungsweise dargestellt, Interaktionen können nur als Handlungssequenzen erfasst und Veränderungstrends nur extrapoliert werden.
 
Eine weiteres Problem liegt in der noch immer vorherrschenden Behandlung des Staates als außenpolitischer Akteur. Sie ist zulässig, aber nur, wenn sie als Kürzel verstanden und benutzt wird. Sonst verdeckt diese unzulässige Vereinfachung die internen Entscheidungsprozesse des Staates, an denen nicht nur die dafür zuständigen Institutionen, sondern gerade auch die politischen und wirtschaftlichen Machteliten teilnehmen. Die Anthropomorphisierung des Staates blendet aber auch aus, dass viele gesellschaftliche Akteure sich längst aus der Kontrolle der Regierungen emanzipiert und als eigenständig Handelnde im internationalen System etabliert haben. Zu den großen Wirtschaftsunternehmen hinzugekommen sind eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen, aber auch die organisierte Kriminalität und, seit dem 11. 9. 2001 deutlich sichtbar, gesellschaftliche Akteursgruppen, die ihre politischen Interessen mit terroristischer Gewalt durchzusetzen versuchen. Die traditionelle Vorstellung einer Weltpolitik, die von Staaten gemacht wird, ist deswegen ebenso überholt wie der Begriff der Außenpolitik. In der Fachsprache wird daher meist von »transnationaler Politik« (Robert O. Keohane und Joseph S. Nye) oder von »internationalisierender Politik« (Ernst-Otto Czempiel) gesprochen.
 
Das sozioökonomische Substrat der Weltpolitik hat sich in den letzten hundert Jahren geändert, und zwar dreifach. An die Stelle agrarisch verfasster, relativ unterentwickelter Gesellschaften sind, jedenfalls im atlantischen Bereich, die Wohlstandsgesellschaften getreten. Die Revolution auf dem Kommunikations- und Informationssektor hat mit der Isolierung der Staaten auch die Systemanarchie aufgehoben, einen der wichtigsten Verhaltensparameter der Staatenwelt. Und schließlich hat die dritte Welle der Demokratisierung die Herrschaftssysteme gründlich verändert, den unbeschränkten Herrschaftsanspruch der Regierungen gebrochen und die Mitbestimmungsmacht der Gesellschaften gestärkt. Aus der traditionellen Staatenwelt, deren Reste noch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bestanden hatten, ist zwar noch nicht die Weltgesellschaft, wohl aber die Gesellschaftswelt geworden. Sie ist nach wie vor staatlich geordnet, aber die Gesellschaften haben innerstaatlich ihren Anteil an der Herrschaftsausübung durch die Demokratisierung gestärkt und außenpolitisch das Machtmonopol der Regierungen gebrochen.
 
Haben sich diese Veränderungen v. a. in der OECD-Welt der Industriestaaten durchgesetzt, so sind sie, wenn auch in sehr viel geringerem Maß und sehr unterschiedlich verteilt, auch in der außeratlantischen Welt anzutreffen. Deren ökonomischer Entwicklungsgrad hat sich - mit der Ausnahme des südlichen Afrika und Südasiens - merklich erhöht. Gesellschaftliche Ansprüche auf Teilhabe an den Herrschafts- und Machtprozessen werden allenthalben erhoben und häufig mit Gewalt, auch terroristischer Gewalt, durchgesetzt.
 
Kann also nicht von einem homogenen, sondern muss von einem höchst unterschiedlich entwickelten sozioökonomischen Substrat gesprochen werden, so weist es doch mit der Tendenz zur Anhebung des Lebensstandards, der Verbesserung der Information und zur Ausbreitung der demokratischen Mitbestimmung an Herrschaft und Macht drei identische Transformationsprozesse auf, die der Weltpolitik des beginnenden 21. Jahrhunderts ihr distinktes Gepräge geben.
 
 Weltpolitik - global
 
Weltpolitik im Sinn des Wortes findet in den Vereinten Nationen statt, denen (fast) alle Staaten der Welt angehören. An den Aktivitäten der Organisation lässt sich ablesen, welchen Grad an universaler Regelungskompetenz die Weltpolitik verträgt. Die andauernde Existenz der Vereinten Nationen gründet sich v. a. auf das Leistungsspektrum ihrer funktionalen Sonderorganisationen. Auf den von ihnen betreuten Sachgebieten herrscht ein so hoher Grad von Interdependenz, dass eine universale kooperative Regelungsform unentbehrlich ist. Auf dem politisch relevanten Sachbereich der Sicherheit hat sich ein ähnlich hoher Abhängigkeitsgrad noch nicht eingestellt. Die 1945 dem UN-Sicherheitsrat zugedachte Funktion als Weltpolizist hat er nicht ausfüllen, das ihm zugesprochene Gewaltmonopol zwar normativ reklamieren, faktisch aber nicht durchsetzen können. Die Autorisierung der Gewaltanwendung einer Koalition westlicher Industriestaaten gegen die Aggression des Irak (1991) hat sich nicht wiederholt. Vielmehr ist seit 1995 eine Tendenz aufgetreten, die dem Sicherheitsrat zugedachte Aufgabe der Friedenserzwingung der NATO beziehungsweise den einzelnen Großmächten zuzuweisen und dabei selbst auf eine Mandatierung durch den Weltsicherheitsrat zu verzichten. So war es im Serbienkrieg und im Makedonieneinsatz der NATO, so im Antiterrorkrieg der Vereinigten Staaten ab 2001. Dass das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen mehr als 50 Jahre lang wenigstens als Norm respektiert und 1991 vom amerikanischen Präsidenten G. H. W. Bush in das Zentrum der von ihm ausgerufenen »neuen Weltordnung« gestellt worden war, war also offensichtlich weniger auf die Einsicht in die abnehmende politische Zweckmäßigkeit von Gewalteinsätzen zurückzuführen als auf die bis zum Beginn der 1990er-Jahre andauernde Furcht vor einer Eskalation jeder Gewalt in die nukleare Stufe. Nach dem Abflauen dieser Gefahr durch die Auflösung der Sowjetunion und die zunehmend partnerschaftliche Gestaltung des russisch-westlichen Verhältnisses erschien der politisierte Gewalteinsatz einer neuen Politikergeneration wieder in attraktiverem Licht. Gegenteilige Signale, die vom amerikanischen Vietnam- und vom sowjetischen Afghanistankrieg ausgingen und die militärische Intervention von Dritten in laufende Bürgerkriege als kontraproduktiv aufwiesen, wurden in den westlichen Hauptstädten entweder nicht gelesen oder nicht verstanden.
 
Unterschätzt wurde v. a. die gerade bei der Terrorismusbekämpfung unentbehrliche Legitimierungsfunktion der Weltorganisation. Gewaltakte gesellschaftlicher Akteure speisen sich aus der erwarteten Zustimmung unterdrückter oder diskriminierter gesellschaftlicher Großgruppen. Diese »Kommunikationsstrategie« des Terrorismus (Peter Waldmann) kann durch ein gegenteiliges Mehrheitsvotum der Weltorganisation zunichte gemacht werden. Die Legitimierung eines Gewalteinsatzes ist die wichtigste Funktion der Weltorganisation, deren Mitglieder den Einsatz von Gewalt zu politischen Zwecken nicht nur vertraglich verboten, sondern aufgrund jahrhundertealter Erfahrungen als politisch unzweckmäßig erkannt hatten. 1992 hatte der Sicherheitsrat daraus die richtige Konsequenz gezogen, die Gewaltvorbeugung zur obersten Strategie zu erheben. Sie würde dem aus den drei Veränderungsprozessen resultierenden Weltzustand exakt entsprechen. Er trägt noch keine Weltregierung, weist aber den Gewalteinsatz zur Konfliktlösung als dysfunktional aus und erfordert stattdessen eine vorbeugende Konfliktauflösung. Das Präventionskonzept von 1992 wurde aber nicht umgesetzt.
 
Die Rüstungskontrolle, Korrelat des Gewaltverzichts, ist von der Weltorganisation v. a. im Bereich der Massenvernichtungswaffen angetrieben worden. 1972 wurde das Übereinkommen gegen biologische Waffen (B-Waffen-Abkommen, in Kraft seit 1975), 1993 die Chemiewaffenkonvention (C-Waffen-Abkommen) abgeschlossen. Wenn auch die Rüstungskontrolle der Nuklearwaffen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion bilateral ausgehandelt worden war, unterstützte die Weltorganisation die Verlängerung und Erweiterung des 1968 ausgehandelten Kernwaffensperrvertrags (Nichtverbreitungsvertrags) 1995 nachhaltig. Besonders der Einsatz von Nuklearwaffen, aber auch der von chemischen und biologischen Waffen kann weltumspannende Wirkungen nach sich ziehen. Die Aufkündigung des ABM-Vertrages durch die USA (Dezember 2001) wird, wenn sich Washington und Moskau auch auf eine weitere Verringerung der offensiven Nuklearwaffen verständigt haben, das Rüstungskontrollregime auf diesem wichtigen Sektor weiter destabilisieren.
 
Die Bemühungen um die Nichtweiterverbreitung der Nuklearwaffen erlitten 1998 durch Kernwaffenexplosionen in Pakistan und Indien einen großen Rückschlag. Ebenso wirkte die Ablehnung des umfassenden Teststoppvertrages im Oktober 1999 durch den amerikanischen Senat. Das die Biowaffenkonvention um ein Verifikationssystem ergänzende Protokoll wurde 2001 von der Bush-Administration abgelehnt. Auch die Anthrax-Anschläge in den USA stimmten die Bush-Administration nicht um. Das Chemiewaffenübereinkommen ist zwar 1997 in Kraft getreten, von den Vereinigten Staaten und Russland aber nach wie vor nicht ratifiziert worden.
 
Da die weitaus meisten Kriege mit konventionellen Waffen geführt worden sind, nimmt deren Verringerung und Kontrolle in der Weltpolitik einen besonderen Platz ein. Für den Transfer konventioneller Großwaffen gibt es seit 1992 ein UN-Register. Die Antipersonenminen wurden mit der Konvention von Ottawa (in Kraft seit 1999) verboten. Den 550 Mio. Kleinwaffen aber, die allein in den 1990er-Jahren mehr als 3 Mio. Menschen ums Leben gebracht haben, widmete sich erstmals im Juli 2001 eine Sondervollversammlung der Vereinten Nationen. Das globale Interesse an der Eindämmung dieser konventionellen Waffen kollidiert mit dem partikularen Interesse von Rüstungsproduzenten und Waffenhändlern am geschäftlichen Profit. Der internationale Waffenhandel, der nach 1990 etwas zurückgegangen war, stieg in der zweiten Hälfte dieser Dekade wieder an, im Jahr 2000 allein um mehr als 8 %. Zu dem Volumen von fast 37 Mrd. US-$ trugen die Vereinigten Staaten die Hälfte bei.
 
Die Weltpolitik, die 1990 aus den Fesseln der während des Kalten Krieges herrschenden Bipolarisierung entlassen worden war, begann sich nach einer kurzen Übergangszeit der Multipolarisierung neu zu formieren. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen, lässt aber die Tendenz zur Renationalisierung deutlich erkennen. Die von der nuklearen Abschreckung erzwungene kooperative Rüstungskontrolle machte einem Bewusstsein neuer Handlungsfreiheit Platz. Die Weltorganisation, die der Westen während des Kalten Krieges vornehmlich als Konsensmobilisierungsinstrument benutzt hatte, wurde seitdem von ihm zunehmend als Beeinträchtigung der neuen Handlungsfreiheit eingeschätzt. Er setzte schon bei der Befriedung des Konfliktes in Bosnien und Herzegowina die NATO an die Stelle der UN-Friedenssicherungsmission und verzichtete - beim Luftkrieg gegen Serbien (1999) und beim Einsatz in Makedonien (2001) - auf die Mandatierung durch die Weltorganisation. Ihr wurden lediglich der Wiederaufbau der zerstörten Länder zugewiesen, z. B. im Kosovo und in Afghanistan.
 
Diesen Prozessmustern lässt sich eine Tendenz zur weiteren Dezentralisierung der Weltpolitik und zu einer Renationalisierung der Politik auch in den Regionen entnehmen. Beider Ordnungen werden immer weniger in einer internationalen Organisation, sondern immer mehr von einzelnen Führungsmächten oder von kooperierenden Staatengruppen bestimmt. Weil die Regionalisierung den vorfindbaren Interdependenzdichten in der Welt entspricht, läuft gerade ihr die Renationalisierung der Politik zuwider. Unter den Bedingungen von Interdependenz lassen sich Konflikte am besten im Rahmen einer internationalen Organisation (»Konsens-minus-Eins-Prinzip«) lösen. Statt sie global wie regional zu vermehren und zu stärken, werden sie von der Tendenz zur Renationalisierung weiter in den Hintergrund geschoben. Selbst der Multilateralismus als konfliktlösendes oder ordnungsstiftendes Verfahren bildet sich zugunsten eines individuellen (USA) oder eines kollektiven (NATO) Unilateralismus zurück.
 
Die Bevorzugung des Unilateralismus wurde von den verschiedenen amerikanischen Administrationen unterschiedlich genutzt. Während die Regierung Clinton, jedenfalls in ihrer letzten Amtsphase, sich um die Beruhigung der großen Konflikte im Nahen Osten und in Korea bemüht hatte, engagierte sich die nachfolgende Administration von G. W. Bush mehr in deren Steuerung. Während ihres ersten Amtsjahres eskalierten der Nahostkonflikt sowie die Konflikte um Nordkorea, den Irak und Somalia. Auf den Terroranschlag vom 11. September reagierten die USA mit dem Krieg gegen Afghanistan. Ihre Aufkündigung des ABM-Vertrages destabilisierte das Regime der Rüstungskontrolle.
 
Dabei zeigen die trotz militärischer Besetzung anhaltenden Instabilitäten in Bosnien und Herzegowina, im Kosovo und in Makedonien, dass der Effektivität militärischer Gewaltanwendung in den modernen Bürgerkriegen enge Grenzen gesetzt sind. Diese Erfahrung hatten die USA schon in Vietnam und später in Somalia, die Sowjets in Afghanistan und die Russen in Tschetschenien gemacht.
 
Die Weltpolitik findet auf zwei Ebenen statt: zwischen den Regierungen als Fortsetzung der traditionellen Kabinettspolitik und zwischen ihnen und ihren eigenen sowie den Gesellschaften in anderen Staaten (James N. Rosenau). Die Terroranschläge vom 11. September tauchten diese Zweigleisigkeit nur in grelles Licht. Deren Bewältigung, also die Interaktion zwischen Regierungen und gesellschaftlichen Akteuren im internationalen System, präsentiert sich als konzeptuelles Hauptproblem für die Außenpolitik in der Gesellschaftswelt.
 
 Weltpolitik - regional
 
Weltpolitik findet v. a. in den Regionen statt, weil die Interdependenz regional besonders verdichtet ist. In der Welt der Regierungen trifft der globale Führungsanspruch der USA auf den der verschiedenen regionalen Führungsmächte. Die gemeinsame Front der Regierungen gegen den Terrorismus hat die Machtrivalitäten zwischen ihnen nur vorübergehend in den Hintergrund treten lassen.
 
Russland definiert sich als Partner des Westens, agiert aber, ebenso wie China, auch als Gegengewicht gegen den als Imperialismus empfundenen Führungsanspruch der USA. Indien verficht seinen Führungsanspruch nicht nur in der Kaschmirkrise, sondern im Arabischen Meer und im Golf von Bengalen. Seit Jahren in einer tiefen wirtschaftlichen Rezession versunken, ist Japan auf der Suche nach einer neuen politischen Identität. Es ist ein treuer, aber auch schwieriger Bündnispartner der USA, dem gegenüber Washington sich immer mehr auf das zuverlässige Australien stützt. Im Nahen und Mittleren Mittleren Osten beugen sich weder der NATO-Alliierte Türkei jedem amerikanischen Wunsch noch der Iran, der zwar in der Terrorbekämpfung mit den USA zusammenarbeitet, ihnen ansonsten aber kritisch gegenübersteht. Er zählt daher in Washington zu der Gruppe von Nord-Korea, Syrien, Libyen und Sudan, die sich dem amerikanischen Führungsanspruch nicht beugen wollen und u. a. deswegen als »Schurkenstaaten« bezeichnet werden. Das gilt besonders für den Irak, der trotz zehnjähriger wirtschaftlicher Strangulation durch die Sanktionen und mehrjähriger Bombardierung durch amerikanische und britische Flugzeuge seine regionale Machtposition wieder verstärkt hat. Nicht einmal Israel, Amerikas ältester und treuester Verbündeter im Nahen Osten, erfüllt der amerikanischen Führung jeden Wunsch. Das tun auch Saudi-Arabien und die Golfstaaten nicht, weil sie nur mit einer solchen Politik hoffen können, von ihren Gesellschaften weiter toleriert und akzeptiert zu werden.
 
Die westeuropäischen Staaten, die wichtigsten Verbündeten der USA, arbeiten seit langem daran, sicherheitspolitisch aus der Hegemonie der USA auszuscheren. Mit der Einführung des Euro als gesetzliches Zahlungsmittel am 1. 1. 2002 haben sich die elf kräftigsten europäischen Staaten und Griechenland endgültig aus der Dollar-Zone ausgemeindet, die seit langem betriebene wirtschaftliche Emanzipation vollendet. Der Schock des Serbienkrieges 1999, in dem die westeuropäischen Alliierten lediglich als Hilfskräfte der amerikanischen Kriegführung dienen konnten, hat das Interesse der Westeuropäer an einer eigenen sicherheitspolitischen Identität so weit gesteigert, dass sie eine den amerikanischen Fähigkeiten wenigstens angenäherte militärische Einsatztruppe aufstellen. Mit ihrem Programm gleichzeitiger Erweiterung und Vertiefung positioniert sich die Europäische Union in Europa, im Mittelmeerraum und in Afrika als regionale Führungsmacht, die v. a. wirtschaftlich, aber auch politisch, etwa im Hinblick auf die Beziehungen zu Russland, ihre eigenen Wege gehen wird. Die dazu notwendige Reform der Entscheidungsprozesse kann scheitern, das Projekt der Union aber kaum noch gefährden. Die Neuordnung des Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten ist überfällig. Beharren die USA darauf, dass Westeuropa sich nach wie vor der amerikanischen Weltführung unterordnet, wird die EU sie herausfordern.
 
Diese Prozesse zu steuern wird umso schwerer fallen, als die Atlantische Gemeinschaft trotz extrem hoher Interdependenzdichten außer der NATO keinen organisatorischen Rahmen besitzt. Die Folgen dieses Mangels werden sich mit dem Trend der Renationalisierung verstärkt bemerkbar machen.
 
Als regionale Organisation mit integrativer Tendenz hat die Europäische Union kein Pendant in anderen Teilen der Welt; wohl aber steigt überall die Tendenz zu regionalen Zusammenschlüssen. Die das Erbe der Sowjetunion verwaltende Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ist nicht aktiv, aber auch noch nicht zerfallen. Die Association of South-East Asian Nations (ASEAN), die 1994 die Asiatische Freihandelszone (AFTA) schuf, strebt seit 1999 die Bildung eines gemeinsamen Marktes mit einheitlicher Währung an; das 1994 ins Leben gerufene ASEAN Regional Forum ist der OSZE nachgebildet und bemüht sich um multilaterale Rüstungskontrollvereinbarungen in Südostasien. Die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) beschloss im Juli 2000, sich zur Afrikanischen Union weiterzuentwickeln (formell umgewandelt im Mai 2001). Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), schon 1948 gegründet, hat die Verfassung einer regionalen Organisation, steht aber praktisch unter dem Diktat der USA.
 
Zu den regionalen Organisationen müssen nicht nur die der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nachgebildeten zahlreichen Freihandels- und Zollunionen in den Weltregionen, sondern v. a. auch die atomwaffenfreien Zonen gerechnet werden, zu denen sich die ASEAN-Staaten 1993/95, Lateinamerika 1968 im Vertrag von Tlatelolco, die südpazifischen Staaten im Vertrag von Rarotonga 1986 und die afrikanischen Staaten im Pelendawa-Vertrag 1996 zusammengeschlossen haben. Ob sie der Renationalisierung der Sicherheitspolitik und der Tendenz zur Vernachlässigung der Rüstungskontrolle von Massenvernichtungswaffen Widerstand leisten können, ist ebenso ungewiss wie das Wettbewerbsverhältnis zwischen den verschiedenen Freihandelszonen.
 
An der von Australien 1989 ins Leben gerufenen Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation (APEC) sind zwar die USA beteiligt, nicht aber die Europäische Union. Die unter Präsident G. H. W. Bush 1992 gegründete Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) zwischen den USA, Kanada und Mexiko, die 1994 ihre Arbeit aufnahm, soll ab Dezember 2005 alle lateinamerikanischen Staaten umfassen und damit zum größten Herausforderer der Europäischen Union werden. Das Vorhaben stößt freilich auf den entschlossenen Widerstand der amerikanischen Gewerkschaften, die den Export einheimischer Arbeitsplätze befürchten.
 
 Weltpolitik - sozial
 
Im Sachbereich der wirtschaftlichen Wohlfahrt - aber auch in dem der Herrschaft - lässt sich die zweite Ebene der Weltpolitik, die der gesellschaftlichen Akteure, besonders deutlich erkennen. Sie bestimmt weite Teile der internationalen Politik, ohne dass die erste Ebene, die der Regierungen, dies angemessen zur Kenntnis genommen hat. Sie berücksichtigte weder die politischen noch die wirtschaftlichen Folgen, die die Weltpolitik der westlichen Industriestaaten bei den Gesellschaften der Gastländer hinterlassen hat. Deren Reaktion wirkt sich vernehmbar im internationalen System aus.
 
Weltweit arbeiten mehr als 25 000 Nichtregierungsorganisationen. Sie haben das Verbot der Antipersonenminen und die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs durchgesetzt; ihrer Opposition gegen die geltende Welthandelsordnung sind die (bescheidenen) Reformen des WTO-Gipfels 2001 in Katar zu danken. Unmittelbar äußert sich die gesellschaftliche Kritik vieler Nichtindustriestaaten in der wachsenden Ausländerfeindlichkeit, die schon seit langem in Gruppenterror umgeschlagen ist. Mit dem Attentat des 11. September hat dieser Terror seine Größenordnung bis zur offenen Kampfansage gesellschaftlicher Akteure gegen die Weltmacht USA gesteigert. Statt die Quellen dieser Gewaltakte mit dem Pauschalbegriff des Terrorismus zu verbergen, sollten diese Quellen, die bekannt sind, durch eine geänderte Politik verstopft werden. Weltbankpräsident J. D. Wolfensohn forderte dazu einen größeren Anteil der Nichtindustriestaaten an den Vorteilen der Globalisierung; die Weltbank hat im November 2001 einen Sieben-Punkte-Plan dazu vorgelegt (David Dollar und Paul Collier). Die wirtschaftliche Lage der Nichtindustriestaaten hat sich seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes nur selektiv verbessert, in den afrikanischen Staaten sogar weiter verschlechtert. Die Entwicklungshilfe geht kontinuierlich zurück, auch die Nettokapitalzuflüsse in die Entwicklungsländer. Sie haben sich in den Jahren 2000 und 2001 sogar in Kapitalabflüsse verwandelt, sodass die Entwicklungsländer den Konsum der Industriestaaten, v. a. den der USA, finanzieren.
 
Es fällt auf, dass die gesellschaftlichen Netzwerke, in denen sich die Gewaltanwendung gegen die Industriestaaten vorbereitet, vornehmlich im Nahen Osten und in Asien zu finden sind. Dass sie überwiegend von Arabern und Muslimen getragen werden, hat weniger mit einem »Kampf der Kulturen« (S. P. Huntington) als damit zu tun, dass in den arabisch-muslimischen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens die Palästinapolitik Israels und die Sanktions- und Bombardierungspolitik gegen den Irak als Unterdrückung arabischer Völker gedeutet und von der kollektiven Erinnerung in einen Zusammenhang mit der europäischen Kolonialpolitik vergangener Jahrzehnte gebracht wird. Die innerarabische Kritik an den mit dem Westen kooperierenden Regierungen hat derart zugenommen, dass sie Saudi-Arabien und die Scheichtümer am Golf zu destabilisieren droht. Angesichts dieser innerislamischen Auseinandersetzungen nimmt sich die von den Vereinigten Staaten 2001 zusammengebrachte »Koalition gegen den Terror« als Oberflächenphänomen aus, das sich in der arabischen Welt nicht mehr auf einen gesellschaftlichen Konsens stützen kann. Dabei galten die Vereinigten Staaten bis zum Ende des Kalten Krieges als der größte und beste Freund der arabischen Welt. Zehn Jahre später war daraus eine umfassende gesellschaftliche Ablehnung geworden.
 
Reagiert dieser Stimmungswandel auf das durch die Auflösung der Sowjetunion entstandene Machtmonopol der USA innerhalb der systemaren Konfiguration, so spiegelt er auch die Vernachlässigung der gesellschaftlichen Dimension durch die Weltführungsmacht USA und ihre NATO-Verbündeten wider. Der dominierende Verlass auf militärische Gewalt im Nahen und im Fernen Osten und die Neigung, sie nach Gutdünken einzusetzen, ohne sie vor den betroffenen Gesellschaften und ihren Nachbarn zu rechtfertigen (Serbien, Afghanistan), verstärkt bei den Gesellschaften beider Regionen den Eindruck, nur das Objekt industriestaatlicher Willkür zu sein. Darunter litt schon der an sich richtige Einsatz zugunsten der Menschenrechte, der bis zum Ende der Clinton-Administration die Politik der Militärpräsenz ergänzt hatte. So erschien den Betroffenen häufig als Einmischung, was als Hilfestellung konzipiert worden war.
 
 Ausblick
 
Die Weltpolitik des 21. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch den Gegensatz zwischen dem durch die Interdependenz gestifteten Zwang zur kooperativen Bearbeitung gemeinsamer Probleme einerseits, der Tendenz zur Renationalisierung der Strategien und zur Vernachlässigung der internationalen Organisationen als Instrumenten der Problemlösung andererseits. Die Welt bildet keine Einheit, sie ist keine globalisierte, sondern eine regionalisierte Welt, deren Interessen nur bei der Einhegung der Massenvernichtungswaffen und im Umweltschutz zusammenfallen. Sie ist eine Gesellschaftswelt, die nach wie vor staatlich partikularisiert, aber durch zunehmende Bedeutung der Mitbestimmung und der Interaktion gesellschaftlicher Akteure gekennzeichnet ist. Dies gilt v. a. für die OECD-Staaten, tendenziell aber für alle Länder der Welt. Seitdem entsteht internationale Politik nicht mehr, wie gewohnt, allein auf der Regierungsebene, sondern auch aus gesellschaftlichen Interaktionen, also auf einer zweiten Ebene. Um mit ihr umzugehen, bietet sich ein Verfahren an, das als »governance« bezeichnet wird. Es führt Akteure aus den Regierungen und aus den Gesellschaften zusammen, um in konsensualer Zusammenarbeit die Ordnungsleistung zu erbringen, die dem Nationalstaat infolge der Interdependenz und der Emanzipation gesellschaftlicher Akteure entglitten ist.
 
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts geben die die Weltführung beanspruchenden USA und Westeuropa ganz alten Strategien den Vorzug, die ihrer durch das Ende des Kalten Krieges und die Auflösung der Sowjetunion gesteigerten Machtposition mehr entgegenzukommen scheinen. Gefolgt von ihren europäischen Verbündeten vernachlässigt die Weltführungsmacht USA unter der Administration von G. W. Bush die internationale Organisation der Vereinten Nationen und den Multilateralismus insgesamt. Sie bevorzugt den Unilateralismus, der die Zustimmung seiner Adressaten notfalls mit Gewalt zu erzwingen versucht. Sie ersetzt die auf Kooperation beruhende Politik der Rüstungskontrolle durch die notfalls gewaltsame Erzwingung des Rüstungsverzichts (counter proliferation). Sie orientiert sich nicht mehr an dem in der Charta der Vereinten Nationen enthaltenen Verbot der Gewaltanwendung zu politischen Zwecken; sie vernachlässigt auch die legitimitätsstiftende Funktion der internationalen Organisation zugunsten des Rechts auf Selbstjustiz. Dadurch verliert sie den richtigen Zugang zu der zweiten Ebene der Weltpolitik, auf der die immer wichtiger werdenden gesellschaftlichen Akteure operieren. Ohne deren Konsens kann bei der Anfälligkeit postindustrieller Gesellschaften erfolgreiche Politik nicht mehr betrieben werden. Der Terroranschlag vom 11. September hätte als Mahnung aufgefasst werden müssen, dieser gesellschaftlichen Ebene sehr viel mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden. Stattdessen ist er von den Vereinigten Staaten unter der Administration G. W. Bushs zum Anlass genommen worden, das militärische Gewaltinstrument weiter auszubauen und auch einzusetzen. Die Europäische Union folgt mit dem Aufbau eines Krisenreaktionskorps dieser konzeptuellen Vorgabe.
 
Tritt keine Korrektur ein, so ist zu erwarten, dass Weltpolitik und Weltzustand sich immer mehr voneinander entfernen. Am Ende des Zweiten Weltkriegs hatten die Gründung der Vereinten Nationen und am Ende des Ost-West-Konfliktes die Charta von Paris bewiesen, dass die Politik ihre Erfahrungen innovativ zu bearbeiten versteht. Sie vergisst aber auch und fällt dann in veraltete Konzepte von Außenpolitik zurück, die in einer sozioökonomisch veränderten Welt nur suboptimale Ergebnisse erzeugen.
 
Literatur:
 
K. N. Waltz: Man, the state, and war. A theoretical analysis (Neuausg. New York 1970);
 J. D. Singer: Das Problem der Analyseebene in den internat. Beziehungen, in: Theorie der internat. Politik. Gegenstand u. Methode der Internat. Beziehungen, hg. v. H. Haftendorn (1975);
 R. O. Keohane u.J. S. Nye, Jr.: Power and interdepedence. World politics in transition (Boston, Mass., 1977);
 J. N. Rosenau: Turbulence in world politics. A theory of change and continuity (Princeton, N. J., 1990);
 R. Rotte: Das internat. System zw. Globalisierung u. Regionalisierung. Makroanalyt. Grundstrukturen der W. nach dem Ost-West-Konflikt (1996);
 G. Schöllgen: Gesch. der W. von Hitler bis Gorbatschow 1941-1991 (1996);
 Harald Müller: Das Zusammenleben der Kulturen. Ein Gegenentwurf zu Huntington (1998);
 P. Waldmann: T. Provokation der Macht (1998);
 E.-O. Czempiel: Kluge Macht. Außenpolitik für das 21. Jh. (1999);
 J. Blatter: Entgrenzung der Staatenwelt? Polit. Institutionenbildung in grenzüberschreitenden Regionen in Europa u. Nordamerika (2000);
 K. D. Wolf: Die neue Staatsräson - zwischenstaatl. Kooperation als Demokratieproblem in der Weltgesellschaft. Plädoyer für eine geordnete Entstaatlichung des Regierens jenseits des Staates (2000);
 
Die Privatisierung der W. Entstaatlichung u. Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess, hg. v. T. Brühl u. a. (2001);
 D. Dollar u. P. Collier: Globalization, growth, and poverty. Building an inclusive world economy (New York 2001);
 W. Link: Die Neuordnung der W. Grundprobleme globaler Politik an der Schwelle zum 21. Jh. (32001);
 R. Rode: Weltregieren durch internat. Wirtschaftsorganisationen (2001).

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Wẹlt|po|li|tik, die: Politik im weltweiten Rahmen; internationale Politik: W. machen; Hier in Bandung betraten die Farbigen die Bühne der W. (Welt 2. 6. 62, 6); in die W. eingreifen; ... konnte weder Athen noch Sparta ... je wieder eine führende Rolle in der W. des Mittelmeerraumes spielen (Fraenkel, Staat 259).

Universal-Lexikon. 2012.