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organisierte Kriminalität
organisierte Kriminalität,
 
verbreitete Bezeichnung für von Gruppen verübte kriminelle Handlungen und die damit verbundene Kriminalitätsstruktur. Soweit es sich um einzelne Straftaten handelt, wird auch von organisiertem Verbrechen gesprochen. In einer Reihe von Ländern wird organisierte Kriminalität als eigener Straftatbestand behandelt (Italien: »Associazione di stampo mafioso«, USA: »Organized crime«). In Deutschland wird nur die bandenmäßige Begehung bestimmter Straftaten strenger bestraft, außerdem ist die Bildung einer kriminellen oder einer terroristischen Vereinigung jeweils ein selbstständiger Straftatbestand.
 
 Vorläufer und Entwicklungslinien
 
Bandenkriminalität in Form von Diebstahl, Raub, Erpressung, Wegelagerei und Entführung sind wie auch die Zusammenarbeit krimineller Gruppen mit Trägern von Verwaltung und Politik seit dem Altertum bezeugt, ebenso gesetzliche Maßnahmen dagegen. Cicero erwähnt z. B. in seiner »Rede für Tullius« (72. v. Chr.) erstmals ein vom Prätor Marcus Licinius Lucullus (* 116 v. Chr., ✝ 56 v. Chr.) erlassenes Edikt gegen bewaffnete Banden; als Konsul verfolgte er 63 v. Chr. die Verschwörung Catilinas als Zusammenarbeit krimineller mit putschistischen Gruppen. Im Mittelalter bildete das in ganz Europa verbreitete Raubritterwesen eine Vorstufe zur organisierten Kriminalität; noch stärker die mittelalterlichen Söldnerbanden (Brigantentum), die teilweise auch in städtische Dienste übernommen wurden. Solcher Banden bedienten sich in Großbritannien, Italien und in den USA mitunter auch Politiker, Kaufleute und später Industrielle zur Einschüchterung von Konkurrenten oder zur Verfolgung anderer Ziele. Die Internationalisierung der Märkte und der Produktion (verstärkte weltwirtschaftliche Verflechtungen mit multinationalen Unternehmen als Hauptakteuren) hat im späten 20. Jahrhundert eine weitere Grauzone geschaffen, in der Makler, Manager, Beamte und Politiker mit kriminellen Organisationen zusammenarbeiten, z. B. im internationalen Waffenhandel, beim Subventionsbetrug, bei der Geldwäsche und im Gesamtbereich der Korruption.
 
 Diskussion zum Begriff
 
Während in der Öffentlichkeit und meist auch in den Medien undifferenziert nahezu jede Art von Bandenkriminalität als organisierte Kriminalität bezeichnet wird, verlangen die Kriminologie und Strafrechtspraxis weitere Voraussetzungen über das bloße Zusammenwirken mehrerer Personen hinaus. Relativ breite Anerkennung hat die aus der polizeilichen Praxis entwickelte Definition gefunden, die der Gesetzgeber in der Begründung des Gesammelten zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vom 15. 7. 1992 zugrunde gelegt hat: »Unter organisierter Kriminalität ist eine von Gewinnstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten durch mehrere Beteiligte zu verstehen, die auf längere und unbestimmte Dauer arbeitsteilig 1) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, 2) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder 3) unter dem Bemühen, auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft Einfluss zu nehmen, zusammenwirken«.
 
Im Hinblick auf die teilweise sehr weit reichenden Ermittlungsbefugnisse der Staatsanwaltschaft und Polizei bei der organisierten Kriminalität wird von Teilen der Strafrechtswissenschaft die Ungenauigkeit dieser Definition gerügt, deren Einzelbestandteile sich schwer beweisen lassen. Darüber hinaus werden Zweifel an der Existenz einer organisierten Kriminalität in Deutschland oder Mitteleuropa geäußert. Diese wurden aber spätestens durch die Verbrechensrealität seit Anfang der 90er-Jahre widerlegt.
 
Eine noch weitere Definition subsumiert unter organisierte Kriminalität auch andere, mit hoher krimineller Energie und präziser Arbeitsteilung begangene Delikte wie illegale Parteienfinanzierung und das Umgehen geltender Ausfuhrbestimmungen (z. B. Kriegswaffenkontrollgesetz) durch Zusammenwirken von Unternehmen beziehungsweise deren Managern mit Kontroll- und Finanzbehörden unter Duldung durch Politiker oder Amtsträger. Für diese Definition spricht, dass die bekannt gewordenen Waffenlieferungen an kriegsbereite Länder wie den Irak oder Libyen nur auf diesem Wege erfasst werden können.
 
Überwiegend wird die organisierte Kriminalität in der kriminologischen Literatur durch weitere Indikatoren beschrieben. Zu diesen gehören insbesondere sorgfältige Planung und Vorbereitung der Straftaten, Internationalität und Mobilität, länderübergreifende Transporte, eingespielte Bezugs- und Vertriebssysteme, hierarch. Organisations- und Führungsstruktur, Verknüpfung von legalen und illegalen Geschäften, Absicherung durch gegenseitige Kontrolle und Schutz, flexible Verbrechenstechnologie und Geldwäschehandlungen. Typisch - wenn auch nicht notwendig - sind weitere Verhaltensweisen wie die Einschüchterung von Zeugen, konspiratives Täterverhalten und die totale Abschottung der Führungspersonen nach innen und außen.
 
Ähnlich wie Deutschland haben auch die meisten anderen europäischen Länder auf einen besonderen Straftatbestand des »organisierten Verbrechens« verzichtet, weil ein solcher Pauschaltatbestand nicht mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Absatz 2 GG) zu vereinbaren wäre. Nur in Ländern mit besonders fortgeschrittener organisierter Kriminalität wie Italien und den USA war man bereit, diese Bedenken zu überwinden und eigens für die dort vorhandenen Formen von organisierter Kriminalität (Mafia, Camorra, Cosa Nostra, Organized Crime) entsprechende Bestimmungen in die Strafgesetzbücher einzufügen. Speziell in Italien wird nach dem Antimafiagesetz von 1982 auch das Zusammenwirken von Politikern und Beamten bei illegalen Auftragserteilungen und Lizenzen als organisierte Kriminalität verfolgt.
 
 Äußere und innere Strukturen
 
Die bei der Begriffsdefinition genannten Merkmale sind weitgehend unbestritten. Die hierarch. Organisations- und Führungsstruktur, die interne Kontrolle durch Schweigegebote (italienisch omerta) und Sanktionen bei Verrat werden ergänzt durch die fortschreitende Professionalisierung sowohl der kriminellen Techniken als auch der Beuteverwendung und der Absicherung durch Beziehungen zu Ermittlungsbeamten und Politikern. Von Beamten des Bundeskriminalamts aufgedeckte Autodiebesbanden, die Anfang der 90er-Jahre zwischen Deutschland, Polen und Russland tätig waren, beschäftigten mitunter mehr als 200 Personen: neben Dieben, Straßenkontrolleuren (zur Warnung vor Zeugen), Fernfahrern, bestochenen Zollbeamten in den betroffenen Ländern, Erpressungsspezialisten und Schlägern (für untreue Fahrer oder unbestechliche Beamte und zur Einschüchterung möglicher Zeugen) auch eigens abgestellte Verbindungspersonen zu Polizeidienststellen (nicht selten Rechtsanwälte), Geldwäscher (meist Bankangestellte), sogar Anlageberater für den Gewinn. Am perfektesten scheint die Spezialisierung in einigen italienischen Mafia- und Camorragruppen zu funktionieren. Der sizilianische Clan der Corleonesier beschäftigte z. B. neben Spezialisten für Erpressung, Entführung, Drogen- und Waffenhandel sowie professionellen Killern mehr als 30 Rechts- und Wirtschaftsexperten, hatte über Verbindungsleute rd. 100 Beamte und mehr als zwei Dutzend führende Politiker aller Parteien unter Kontrolle und war so an sieben Banken, elf Bauunternehmen, 20 Dienstleistungsbetrieben sowie an 33 Tourismuseinrichtungen beteiligt.
 
 Umfang und Tätigkeitsfelder
 
Da viele Delikte im Bereich der organisierten Kriminalität aus Angst vor Repressalien nicht angezeigt werden und bei angezeigten Delikten nicht immer klar ist, ob es sich um ein organisiertes Verbrechen handelt, gibt es keine verlässliche Registrierung des Umfangs und des durch organisierte Kriminalität herbeigeführten Schadens. Auch die vom Bundeskriminalamt seit einigen Jahren veröffentlichten Lageberichte zur organisierten Kriminalität erfassen nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Gesamtkomplex (z. B. 1994 knapp 88 000 Delikte mit einem Gesamtschaden von 3,5 Mrd. DM). Die weiter gehenden Schätzungen zum Dunkelfeld (z. B. 1995 in Deutschland 160 Mrd. DM Schaden) sind großenteils spekulativ, auch die von der italienischen Notenbank vorgenommene Schätzung des jährlichen wirtschaftlichen Schadens in Höhe von 200 Mrd. US-Dollar für Italien. - Realistischer ist die Umschreibung der Deliktsbereiche, in denen die organisierte Kriminalität ihre Schwerpunkte hat und die im Wesentlichen unbestritten sind: Rauschgift- und Waffenhandel sowie Waffenschmuggel (auch so genannter Atomschmuggel, Nuklearkriminalität), Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben (Zuhälterei, Prostitution, Menschenhandel, verbotenes Glücksspiel), Schutzgelderpressung, illegale Einschleusung von Ausländern, Geld-, Wertzeichen- und Markenfälschung, Diebstahl und Verschiebung von Kfz, Containern und Schiffsladungen, Versicherungsbetrug, organisierte Einbruchsserien und Hehlerei des Beutegutes, illegale Entsorgung von Sonderabfall sowie Geldwäsche.
 
 Entstehungsfaktoren und Ausbreitung
 
Bisher haben weder kriminologische noch soziologische, politologische, sozialpsychologische oder rechtshistorische Ansätze hinreichend gesicherte Erklärungen für die Entstehung und Ausbreitung der organisierten Kriminalität erbracht. Daraus ergeben sich auch die Schwierigkeiten bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Diese ist in wirtschaftlich eher rückständigen Gebieten wie Sizilien ebenso zu beobachten wie in wirtschaftlich entwickelten (z. B. Japan), in armen Ländern wie Russland oder Polen ebenso wie in den reichen USA. Die für einzelne Länder wie Italien (Mafia, Camorra, 'Ndrangheta) und die USA (Cosa Nostra), China (Triaden) und Japan (Yakuza) plausiblen historischen Herleitungen erklären nur die Anfänge der Entstehung der organisierten Kriminalität in diesen Ländern, nicht deren ungeheure Ausbreitung und erst recht nicht deren Übergreifen auf viele andere Länder. Ebenso wenig fruchtbar war die bis Ende der 80er-Jahre geführte Debatte, wieweit die jeweilige Staats- und Gesellschaftsform organisierte Kriminalität fördert oder einschränkt. Das oft herangezogene Beispiel Italiens (umfangreiche organisierte Kriminalität in demokratischen Phasen, Verschwinden während des Faschismus) erweist sich als nicht beweiskräftig, weil die Zerschlagung während der faschistischen Epoche nur zum vorübergehenden Rückzug der Mafiaführer in die Berge führte und andererseits die massive Zunahme der organisierten Kriminalität nach dem Zweiten Weltkrieg nicht auf die Demokratisierung, sondern auf die Einsetzung zahlreicher Mafiosi als Bürgermeister durch die Alliierten Besatzungstruppen als Dank für gewährte Hilfe zurückzuführen ist.
 
Seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten zeigt sich, dass es entgegen offiziellen Erklärungen auch dort - jedenfalls in einigen Ländern - eine ausgedehnte organisierte Kriminalität gab und gibt. Gruppen wie die russischen »Rekets« und die »Diebe im Gesetz« (mit Behörden zusammenarbeitende Räuber-, Erpresser- und Hehlergruppen) zählten auch während der Blütezeit stalinistischer Unterdrückung in den 30er-Jahren viele Hundert Mitglieder, die - ähnlich wie amerikanische und italienische Clans - in Brigaden organisiert waren. Ende der 80er-Jahre, also noch vor dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes, gab es in Moskau nach Angaben der Kriminalpolizei mindestens acht Großgruppen mit insgesamt mehr als 6 000 Mitgliedern; den Mitgliedern wurden Verdienste zwischen 2 000 und 7 000 Rubel pro Monat garantiert, das durchschnittliche Monatseinkommen lag dagegen 1986 bei nur 278 Rubel. Über die Entwicklung der organisierten Kriminalität in den Nachfolgestaaten der UdSSR liegen bisher kaum wissenschaftliche Erkenntnisse vor, jedoch lassen zahlreiche Medienberichte den Schluss auf eine enorme Ausbreitung der organisierten Kriminalität und eine beträchtliche Ausweitung ihres Einflusses auf das gesellschaftliche Leben vermuten.
 
Die oft vertretene These, die Strafbarkeit des Drogenhandels und -besitzes sei ursächlich für die Ausbreitung der organisierten Kriminalität, ist bisher ebenfalls nicht bewiesen. In den USA hat die Beendigung der Alkoholprohibition nicht zu einem Rückgang der organisierten Kriminalität geführt, sondern zu einer Ausweitung in neue Betätigungsfelder. So liegt es nahe, dass die mächtigen Verbrecherorganisationen »Verluste« bei einer möglichen Lockerung des Drogenverbots durch Marktausweitungsstrategien kompensieren würden, teils durch ungehemmte Werbung bei Kindern und Jugendlichen, teils durch ständige Entwicklung neuer Drogen, teils durch andere Betätigungsfelder wie Kinderpornographie, sexuellen Missbrauch von Kindern, Menschenhandel und illegalen Waffenhandel.
 
Nach bisherigen Erkenntnissen muss also davon ausgegangen werden, dass es in allen Ländern Gruppen mit unersättlichem Macht- und Gewinnstreben gibt, die sowohl lukrative illegale Betätigungsfelder als auch gewinnträchtige moralwidrige Verhaltensweisen (kommerzialisiertes Sexualverhalten, Drogenkonsum, Glücksspiele) nutzen, um sich auf Kosten anderer zu bereichern oder gar gesellschaftliche Macht zu erschleichen. Erklärungsbedürftig sind daher nicht so sehr diese Phänomene, als vielmehr die unterschiedlichen Erfolge der strafrechtlichen Sozialkontrolle bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität in den verschiedenen Staaten. Die Situation in Ländern mit fortgeschrittener organisierter Kriminalität zeigt, wie aussichtslos Eindämmversuche sind, wenn die Zusammenarbeit krimineller Gruppen mit Teilen des Fahndungs- oder gar des politischen Apparats einmal hergestellt ist.
 
In Ländern, die bis vor wenigen Jahren nur eine beschränkte organisierte Kriminalität kannten - wie Deutschland, Frankreich und die Schweiz - expandiert die organisierte Kriminalität vorwiegend auf drei Entwicklungslinien: 1) die Vergrößerung, Spezialisierung und Professionalisierung heimischer Banden zum Teil unter Nachahmung ausländischer Vorbilder wie Camorra oder Cosa Nostra; 2) die Einwanderung ausländischer Gruppen oder die Errichtung von Stützpunkten im Ausland ansässiger Gruppen, wie etwa der sizilianischen Mafia; 3) der Zusammenschluss oder die Kooperation heimischer mit ausländischen Gruppen, entweder zur Arbeitsteilung (Import, Großhandel, Einzelhandel, Geldwäsche) oder zum Austausch von Spezialisten (Killer, Brandstifter, Schutzgelderpresser). Durchlässige Grenzen und international kaum kontrollierbare Kommunikationsmittel ermöglichen den international zusammenarbeitenden Gruppen einen erweiterten Aktionsspielraum, besonders im Drogen- und Waffenhandel, bei der Verwertung gestohlener Kfz, Container oder Kunstwerke mit erheblichen Schadenssummen. Deshalb sind inzwischen auch die Länder gefährdet, die bisher bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität hinlänglich erfolgreich waren.
 
Eine im Auftrag des Bundeskriminalamts 1990 befragte Expertengruppe von Wissenschaftlern und Polizeibeamten äußerte die Besorgnis, dass sich der Anteil der organisierten Kriminalität an der Kriminalität von 19 % im Jahr 1988 auf 37 % im Jahr 2000 ausweiten könne. Zutreffend wird hier auch auf die Ausweitungsgefahr durch vermehrte Armut sowie durch Slum- und Gettogebiete hingewiesen, da die organisierte Kriminalität hieraus ihre Mitarbeiter für die Ausführungsebene rekrutiere.
 
 Probleme der Bekämpfung
 
Die Möglichkeiten der primären Prävention durch Sozial- und Kulturpolitik sowie durch Erziehung zu rechtstreuem Verhalten (z. B. Anti-Mafia-Programme in italienischen Schulen) sind angesichts der ausgeprägten Geld- und Machtgier der beteiligten Gruppen begrenzt, zumal deren antisoziale Einstellung häufig auf die nächste Generation übertragen wird. Entscheidend kommt es daher auf die sekundäre Prävention durch strafrechtliche Kontrolle der organisierten Kriminalität an, insbesondere durch polizeiliche Ermittlungserfolge und wirksame Gesetze mit spürbaren Rechtsfolgen.
 
Das zentrale Problem der Internationalität der organisierten Kriminalität angesichts nationaler Grenzen für Polizei und Justiz ist erkannt, aber noch unvollkommen gelöst. Die im Schengener Abkommen (1985, 1990, wirksam seit 1995) vereinbarte grenzüberschreitende Observation und Nacheile, die Vollstreckung von Haftbefehlen im Ausland sowie der verstärkte Schutz an den Außengrenzen der Gemeinschaft wurden noch nicht in allen Staaten umgesetzt, während der internationale Fahndungscomputer SIS schon gute Dienste leistet. Eine weitere Effektivierung der internationalen Zusammenarbeit ist durch die im Maastrichter Vertrag (1992) vereinbarte Schaffung einer europäischen Polizeibehörde Europol mit Sitz in Den Haag zu erwarten, die 1994 in einer Übergangsform ihre Arbeit aufgenommen hat.
 
Auf nationaler Ebene hat das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels u. a. Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (OrgKG) 1992 deutliche Akzente gesetzt. Hiermit wurden u. a. besondere Ermittlungsmaßnahmen in die Strafprozessordnung eingeführt (Rasterfahndung, technische Mittel zu Observationszwecken, verdeckte Ermittler), mit denen die »Waffengleichheit« zwischen Polizei und organisiertem Verbrechen wiederhergestellt werden soll. Im materiellen Strafrecht wurde in Umsetzung einer EG-Richtlinie der neue Straftatbestand der Geldwäsche geschaffen und die Vermögensstrafe eingeführt, um der organisierten Kriminalität die finanziellen Grundlagen zu entziehen. Ergänzend wurde 1993 mit dem Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz, GwG) eine Anzeige-, Identifizierungs- und Meldepflicht für Bankgeschäfte bei einer bestimmten Höhe vorgeschrieben. Das Ziel dieses Gesetzes, mithilfe der Banken den Verbleib illegaler Gewinne aufzuspüren, wurde allerdings bisher nur unvollkommen erreicht. Die Beschränkung der Meldepflicht auf inländische Zweigstellen der Kreditinstitute dürfte im Hinblick auf die international tätigen Verbrecherorganisationen unzureichend sein.
 
1994 wurde durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz die Kronzeugenregelung, die es bisher nur im Bereich des Terrorismus und der Drogenbekämpfung gab, auch für den Bereich des organisierten Verbrechens eingeführt. Außerdem wurde erstmalig die verfassungsrechtlich noch umstrittene Befugnis des Bundesnachrichtendienstes (BND) geregelt, seine Erkenntnisse aus der telefon. Überwachung von Auslandsgesprächen an die Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben, allerdings begrenzt auf bestimmte Bereiche der Schwerstkriminalität wie Drogen- und Waffenhandel.
 
Weitere Veränderungen, die Anfang 1998 im letzten Stadium des Gesetzgebungsverfahrens waren, betreffen die Verbesserung der Informationsgewinnung durch elektronische Überwachungsmaßnahmen (so genannter Lauschangriff), durch erweiterte Befugnisse der verdeckten Ermittler, durch polizeiliche Vorfeldermittlungen ohne konkreten Anfangsverdacht, Einbeziehung der Nachrichtendienste in strafprozessuale Ermittlungen und Beweislastumkehr zur besseren Durchsetzung der Vermögensstrafe in der Weise, dass der Beschuldigte die legale Herkunft des bei ihm festgestellten Vermögens nachweisen muss. Diese umstrittenen Forderungen machen deutlich, dass die Grundrechte des GG der beliebigen Ausweitung von Sicherheitsgesetzen und staatlichen Eingriffsbefugnissen Grenzen setzen, besonders auch deshalb, weil mit der Ausweitung auch immer mehr schuldlose Bürger vorübergehend in das Zielfeld polizeilicher Ermittlungsmaßnahmen geraten. Wegen der Gefahr einer unverhältnismäßig weiten Einschränkung der Grundrechte aller Bürger beim Kampf gegen organisierte Kriminalität gibt es in der Strafrechtswissenschaft und in der Politik auch viele ernst zu nehmende Kritiker, die vor einer Überzeichnung der Gefahren der organisierten Kriminalität warnen.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Bande · Camorra · Korruption · Kriminalität · kriminelle Vereinigungen · Mafia · 'Ndrangheta · Prohibition · Rauschgifte · Schattenwirtschaft · Triaden · Wirtschaftskriminalität · Yakuza
 
Literatur:
 
E. Rebscher u. W. Vahlenkamp: O. K. in der Bundesrep. Dtl. (1988);
 
O. K. - wie groß ist die Gefahr?, Beitrr. v. U. Dörmann u. a. (1990);
 
O. K. in einem Europa durchlässiger Grenzen, hg. vom Bundeskriminalamt Wiesbaden (1991);
 W. Raith: Mafia: Ziel Dtl. Vom Verfall der polit. Kultur zur o. K. (Neuausg. 9.-12. Tsd. 1992);
 W. Raith: Das neue Mafia-Kartell. Wie die Syndikate den Osten erobern (Neuausg. 1996);
 M. Pieth u. D. Freiburghaus: Die Bedeutung des organisierten Verbrechens in der Schweiz (Bern 1993);
 U. Sieber u. M. Bögel: Logistik der o. K. (1993);
 B. Peters: Die Absahner. O. K. in der Bundesrep. (Neuausg. 1994);
 G. Kaiser: Kriminologie. Ein Lb. (31996);
 H.-D. Schwind: Kriminologie. Eine praxisorientierte Einf. (71996).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
organisierte Kriminalität: Faktor der Weltwirtschaft
 

Universal-Lexikon. 2012.