generative Grammạtik,
Erzeugungsgrammatik, Bezeichnung für einen bestimmten Grammatikformalismus, der alle Sätze einer Sprache zusammen mit ihren Strukturbeschreibungen erzeugt, »generiert«. Die erste generative Grammatik wurde Mitte der 1950er-Jahre von dem amerikanischen Linguisten N. Chomsky entwickelt und wird auch als generative Transformationsgrammatik bezeichnet.
Die generative Grammatik hat seitdem eine Reihe bedeutender Veränderungen erfahren. In der ersten Version von 1955 beziehungsweise 1957 (»Syntactic Structures«) bestand diese aus drei Komponenten: einer Basiskomponente in Form einer Phrasenstrukturgrammatik (hier baute Chomsky auf die Konstituentenanalyse des amerikanischen Strukturalismus auf), einer transformationellen sowie einer morphophonemischen Komponente. Aufgabe des Basisteils ist es, eine begrenzte Anzahl von Basissätzen zusammen mit ihren Strukturbeschreibungen zu generieren, von denen durch Transformationen alle anderen Sätze abgeleitet werden können. Diese Sätze werden durch Anwendung der Regeln der morphophonemischen Komponente in Ketten von lautlichen Einheiten, von Phonemen, übergeführt. Die entscheidende Neuerung dieser Konzeption gegenüber früheren Vorgehensweisen der grammatischen Forschung besteht darin, dass es nicht mehr um die Bestimmung und Klassifikation einzelner Erscheinungen und ihrer Beziehungen zueinander geht, sondern um die Erfassung des der Bildung von Sätzen einer Sprache zugrunde liegenden Regelsystems.
Das Modell der »Aspects« (1965), oft auch als »Standardtheorie« bezeichnet, brachte in zweierlei Hinsicht wesentliche Neuerungen: zum einen wurde der grammatische Apparat revidiert und erweitert, zum anderen beginnt hier die Ausweitung des Anspruchs der generativen Grammatik hin zu einer Sprachtheorie mit Erklärungsanspruch. Die Basiskomponente besteht nun aus einer Phrasenstrukturgrammatik und einem Lexikon, die zusammen die so genannten Tiefenstrukturen erzeugen, die die Grundlage für die semantische Interpretation darstellen. Die Tiefenstrukturen werden durch Transformationen, die nun bedeutungserhaltend sind, in Oberflächenstrukturen übergeführt. Man unterscheidet dabei vier elementare Transformationen: Ersetzung (Substitution), Tilgung (Deletion), Hinzufügung (Expansion) und Umstellung (Permutation) sprachlicher Einheiten. Eine generative Grammatik besteht nach diesem Modell aus einer syntaktischen Komponente mit Basis- und Transformationsteil, einer semantischen und einer phonologischen Komponente. Als Gegenstand der generativen Grammatik wird nun die Sprachkompetenz (Kompetenz)eines idealen, in einer völlig homogenen Sprachgemeinschaft lebenden Sprecher/Hörers bestimmt. Ziel der generativen Grammatik ist die Aufdeckung einer mentalen Realität, die dem aktuellen Verhalten zugrunde liegt. Damit sind bestimmte Anforderungen der Adäquatheit an grammatische Beschreibungen verbunden: es geht nicht nur darum, dass die grammatische Beschreibung mit den Beobachtungsdaten in Übereinstimmung steht, sondern sie muss auch deskriptiv adäquat sein in dem Sinne, dass die Beschreibung der Intuition des Sprechers entspricht. Daraus leiten sich Folgerungen für eine Grammatiktheorie ab: diese ist deskriptiv adäquat, wenn sie für jede natürliche Sprache eine deskriptiv adäquate Grammatik liefert. Eine Sprachtheorie, die die Sprachkompetenz zum Ziel hat, muss nach Chomsky aber auch erfassen können, wie es möglich ist, über eine solche Kompetenz zu verfügen. Sie muss erklären können, wie es möglich ist, eine Sprache zu erwerben, über Sprache zu verfügen. Damit wurde die Entwicklung der generativen Grammatik zu einer erklärenden Sprachtheorie, zu einer allgemeinen Theorie über die Sprachfähigkeit des Menschen und damit zu einem zentralen Bestandteil einer kognitiv orientierten Linguistik bestimmt.
In ihrem universalistischen Ansatz wurde die generative Transformationsgrammatik - obwohl am Beispiel des Englischen entwickelt - grundsätzlich für alle Sprachen konzipiert; hierbei spielte der Gedanke an eine Anwendung im Rahmen der maschinellen Übersetzung mit. Chomskys Konzeption der menschlichen Sprachfähigkeit und eine rationalistische Grundkonzeption verweisen auf Positionen der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts (besonders auf R. Descartes und G. W. Leibniz) sowie auf die von W. von Humboldt vertretene energetische Sprachauffassung. Einer raschen Rezeption seiner Theorie folgte eine lebhafte Kritik, v. a. wegen seiner Behandlung der Semantik. Diese Kritik führte einerseits zur generativen Semantik, die die semantischen Basiskomponente postulierte, andererseits zur so genannten Erweiterten Standardtheorie (EST) Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre. Kennzeichnend für dieses Stadium ist zum einen die Annahme, dass auch Transformationen bedeutungsverändernd sind, zum anderen das Bemühen um die Formulierung universeller Beschränkungen für mögliche sprachliche Strukturen. Diese Bestrebungen führten in der Revidierten Erweiterten Standardtheorie (REST) bis zum Anfang der 80er-Jahre u. a. zur Reduktion der Transformationen. Zusammen mit weiteren Entwicklungen innerhalb der REST, u. a. der exakten Abgrenzung einzelner sprachlicher Subsysteme (Module), der Einführung leerer Kategorien und so genannter Spuren, führte dies zum Government-and-Binding-Modell (GB). Dieses Modell ist in erster Linie eine Theorie über die kognitiven Grundlagen der menschlichen Sprach(erwerbs)fähigkeit und verfolgt nur sekundär eine Beschreibung einzelsprachlicher Regularitäten. Der Schwerpunkt der Untersuchungen liegt deshalb auf solchen Eigenschaften natürlicher Sprachen, die Rückschlüsse auf universale Aspekte menschlichen Sprache erlauben, auf die Prinzipien, die die Sprachfähigkeit des Menschen ausmachen, die so genannte Universalgrammatik. Die Basis des GB-Modells besteht aus dem Lexikon und dem phrasenstrukturellen Teil. Sie erzeugt die D-Struktur (»deep structure«). Auf der D-Struktur operiert die allgemeine Bewegungstransformation. Ergebnis ist die S-Struktur (»surface structure«). Die Einschränkungen der Bewegungen werden durch bestimmte universelle grammatische Prinzipien bewirkt, die strukturelle Repräsentationen auf ihre Wohlgeformtheit hin überprüfen. Diese Prinzipien sind jeweils bestimmten autonomen Subsystemen (Modulen) der Grammatik zugeordnet, die aber miteinander interagieren. Die S-Struktur wird einerseits in die phonetische Form übergeführt, andererseits in die noch als syntaktische Ebene verstandene logische Form, die wiederum die Eingabe für die semantischen Komponente bildet. Die für alle Sprachen in gleicher Weise gültigen Prinzipien bilden mit universell gültigen Strukturoptionen, die einzelsprachlich unterschiedlich fixiert werden können, die Universalgrammatik als die genetische Grundlage der menschlichen Sprach(erwerbs)fähigkeit. Bezogen auf einzelne Sprachen machen die Struktureigenschaften, die Regeln einer Sprache, die sich direkt aus der Universalgrammatik ableiten lassen, die Kerngrammatik dieser Sprache aus; alle anderen Struktureigenschaften gehören der Peripherie der Grammatik dieser Sprache an. Entsprechend dem Forschungsprogramm der generativen Grammatik versucht man die Zahl der Prinzipien noch weiter zu verringern beziehungsweise sie auf noch allgemeinere Prinzipien zurückzuführen, bis hin zu Ansätzen, die Universalgrammatik auf allgemeine kognitive Dispositionen zu reduzieren.
Literatur: Grammatik.
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Syntax: Gliederung von Sätzen
Universal-Lexikon. 2012.