Akademik

Pädagogik
Erziehungswissenschaft

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Päd|a|go|gik 〈f.; -; unz.〉 Wissenschaft von Erziehung u. Bildung; Sy Erziehungswissenschaft [→ Pädagoge]
Die Buchstabenfolge päd|a... kann in Fremdwörtern auch pä|da... getrennt werden.

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Pä|d|a|go|gik, die; -, -en <Pl. selten> [griech. paidagōgike̅̓ (téchnē) = Erziehungskunst]:
Wissenschaft von der Erziehung u. Bildung:
P. studieren.

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I
Pädagogik
 
[griechisch paidagōgike̅́ (téchnē) »Erziehungskunst«, zu paĩs, paidós »Kind«, »Knabe« und ágein »treiben«, »leiten«, »führen« (ursprünglich im Sinne des Geleitens der Kinder vom Haus zu Übungsstätten und Schulen)] die, -, Bezeichnung sowohl für die Theorie, Lehre und Wissenschaft von Bildung, Erziehung und Unterricht als auch für die entsprechende Praxis. Eine selbstständige pädagogische Theorie wurde erstmals im 5./4. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland ausgebildet; sie erhob den Anspruch, die Anleitung der freien Stadtbürger zur Bewährung im demokratischen Leben der Polis, besonders zur menschlichen Tüchtigkeit (Arete), auf vernünftige, rational nachvollziehbare Begründungen und Erfahrungen zu stellen. Diese Theoriebildung erfolgte im Rahmen der Sophistik und Rhetorik, der sokratischen Skepsis, der Staats- und Ideenlehre Platons sowie der politischen Philosophie und Ethik des Aristoteles. Nach dieser ersten Grundlegung beruht die Möglichkeit von Pädagogik teils auf begünstigenden (unveränderlichen) Naturanlagen des Menschen, teils auf Übung beziehungsweise Gewöhnung, teils auf Unterweisung und Belehrung oder, bei Sokrates, auf dem Befragen, Prüfen und Widerlegen von Wissensanmaßungen und Selbstverständlichkeitsüberzeugungen. Gemeinsam ist der antiken Begründung der Pädagogik die Auffassung, dass Bildung wesentlich auf der Teilnahme an Gedanklichkeit und Sprache beruhe und sich v. a. in durchdachter Rede und Tat ausweise. Diese »Logoszugehörigkeit« (T. Ballauff) ist auch der allgemeine Zweck von Erziehung und Unterricht. Bis in die Gegenwart wirksame differente Traditionen, von denen die sokratisch-skeptischen am schwächsten ausgeprägt ist, gehen hervor aus den verschiedenartigen antiken Auslegungen der Logoszugehörigkeit als 1) Beherrschung der (öffentlichen) Rede und des (situativen) Ermessens zum Zweck der Selbstbehauptung im öffentlichen und privaten Leben (Sophistik, Rhetorik); 2) Wissen des Nichtwissens eindeutiger und endgültiger Antworten auf die wesentlichen Lebensprobleme (Sokrates); 3) meinungsüberwindendes, wahrheitserschließendes dialogisches Philosophieren und daraus entspringendes gerechtes Regieren, wie es nur wenigen möglich ist (Platon); 4) allgemeines Unterscheidungs- und Urteilsvermögen darüber, was in einer Sache angemessen sei oder nicht, ohne darin spezialisierter Fachmann zu sein (Aristoteles).
 
Die Notwendigkeit von Pädagogik wurde in den Anfängen der Theoriebildung u. a. zurückgeführt auf die Mangelhaftigkeit der natürlichen Ausstattung des Menschen, v. a. auf dessen naturgegebene Unfähigkeit zum rechtlich-politischen Zusammenleben, auf seine ursprüngliche Zugehörigkeit zum Denken und zur Wahrheit und auf die sich zunächst und zumeist im sozialen Leben einstellende verkehrte Fixierung an Sinneseindrücke, Meinungen und ungeprüft übernommene Vorstellungen.
 
Die Aufnahme und Akzentverschiebung dieser Ansätze durch die Stoa, die seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. für etwa 600 Jahre die dominierende Lehre von richtiger Lebensführung in der Griechisch und Lateinisch sprechenden Welt war, erlangten eine kaum zu überschätzende Bedeutung für die abendländische Pädagogik. Hervorzuheben sind die stoische Zentrierung des Denkens auf die moralisch-innerliche Selbstsicherung des Individuums anstatt auf die Frage nach dem, was ist beziehungsweise was gut ist und der Polis Bestand verleiht, sowie die Lehre von der Zweckhaftigkeit alles Seienden und der Mittelpunktstellung des Menschen als Selbstzweck im Kosmos. Ihre ethisch-pädagogischen Grundgedanken und Hauptbegriffe wurden in den christlichen Lehren des Mittelalters vielfach bewahrt, traten seit dem 14. Jahrhundert wieder zunehmend enttheologisiert hervor und gingen zum Teil in die Konzeption der modernen Pädagogik ein wie etwa der Gedanke einer für die Pädagogik maßgeblichen natürlichen Entwicklung im einflussreichen pädagogischen Denken J.-J. Rousseaus. Das mittelalterliche Christentum hat keine eigene Grundlegung der Pädagogik hervorgebracht, sondern die antiken Theorien selektiv übernommen und theologisch umgedeutet; in einigen religiösen Bewegungen führte die Vorstellung von der mystischen Vereinigung mit Gott zur völligen Abweisung pädagogischer Bemühungen.
 
Eine zweite Grundlegung der abendländischen Pädagogik vollzog sich in Europa, von Italien ausgehend, im Humanismus der Renaissance im 14. bis 16. Jahrhundert unter Wiederbelebung antiker Begriffe. Sie ist - in der Regel noch im Rahmen christlich-theologischer und kosmologischer Grundannahmen - bestimmt durch den Gedanken, dass der Mensch als »das Werk seiner selbst« zu interpretieren sei, dazu geschaffen, sich eine bestimmte Gestalt aus eigener Kraft zu geben und die Welt nach seiner Erkenntnis und seinem Willen und Plan für sich einzurichten. Von daher zeichnet sich eine Schlüsselstellung der theoretischen und praktischen Pädagogik für das neuzeitliche und moderne Selbstverständnis sowie für Aufbau und Gestaltung der Gesellschaft ab. Erst mit der Herauslösung der pädagogischen Aufgabenstellung aus kosmologischen, theologischen und teleologisch-ontologischen Annahmen über eine wesenhaft vorgezeichnete Stellung des Menschen in der Weltordnung seit dem 17. Jahrhundert kam in einer dritten Grundlegung die Pädagogik der Moderne auf. Sie ist überwiegend von der Vorstellung der grenzenlosen Vervollkommnungsfähigkeit der Menschengattung getragen und trat zunehmend als eigenständige praxisanleitende Wissensdisziplin auf. Mit der Zersetzung unbefragt anerkannter Traditionen und Institutionen seit der Aufklärung, mit dem in der Französischen Revolution politisch geltend gemachten Gleichheits- und Freiheitsanspruch, mit dem Funktionsverlust der Familie und mit der Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht im 19. und 20. Jahrhundert gewann sie - breitenwirksam erst im 20. Jahrhundert - als Hochschul- und Universitätsdisziplin für pädagogische Berufe soziales Gewicht. Ihr Einfluss auf die Lehrer als gesellschaftlich wichtige Berufsgruppe ist jedoch vergleichsweise gering, sicher nicht nur, weil der Anteil pädagogischer Studien in der akademischen Lehrerausbildung in Deutschland gering ist, sondern weil Lehrer, Erziehung und Schule in eine umfassende gesellschaftliche Wirklichkeit eingebettet sind.
 
In der Gegenwart ist die Bezeichnung »Pädagogik« im akademischen Bereich vielfach durch den Terminus »Erziehungswissenschaft« ersetzt worden, mit dem in der Regel die Intention verknüpft ist, die pädagogischen Probleme in Gegenstände einer empirischen Forschungsdisziplin zu überführen. Die Theoriekontroversen seit den 1960er-Jahren haben ergeben, dass dies nur zum Teil gelingen kann. Die traditionelle, philosophisch ausgerichtete pädagogische Reflexion mit ihren Fragen nach Sinn und Maß, Begründung, Rechtfertigung, Möglichkeit, Zielen und Grenzen von Bildung, Erziehung und Unterricht behauptet sich nach wie vor als eigener Theoriezweig, überwiegend in Gestalt außerwissenschaftlicher normativer Entwürfe und praxisanleitender Lehren. Als normative Leitvorstellung setzt sich gegen das in der Tradition überwiegende Verständnis des pädagogischen Grundvorgangs als Formung und Zucht in Neuzeit und Moderne allmählich die Idee einer kommunikativ vermittelten Freigabe zur Selbstständigkeit - nicht schon durchweg zur selbstkritischen Besonnenheit - durch.
 
Gegenüber dem in Antike, Mittelalter, Neuzeit und Moderne überwiegenden Postulat, ein auf den Menschen als solchen bezogenes einheitliches oder zumindest kulturspezifisch geschlossenes pädagogisches System von Maßgaben und Maßnahmen mit fundamentalem Wahrheitsanspruch begründen zu können, zeichnet sich in der Gegenwart eine zuweilen als »postmodern« apostrophierte neue Auslegung von »Menschlichkeit« ab. Sie ist gekennzeichnet durch die These, dass bestimmte kulturelle, individuelle und gedanklich-kategoriale Unterschiede der Selbstinterpretation von Menschen theoretisch nicht in einem höheren Ganzen aufzuheben seien und nicht auf dem Weg über pädagogische Maßnahmen zu tilgen versucht werden sollten. Vielmehr gilt es nach dieser These, solche kategorialen Unterschiede als Probleme pädagogisch anzusprechen und einem jeden Menschen zu bedenken aufzugeben. Im Zuge dieses Differenzdenkens werden manche von der neuzeitlichen und modernen Pädagogik weithin für unproblematisch gehaltenen Basisannahmen und Zielsetzungen zunehmend skeptisch betrachtet. Das betrifft v. a. die Selbstständigkeit und Autonomie einer in sich abgeschlossenen menschlichen Individualität und (harmonischen) Persönlichkeit, die dominierende Interpretation des Menschen als Wesen des Willens, der Moralität, der Praxis und der Arbeit, die Vorstellung von einer nahezu unbegrenzten Vervollkommnungsfähigkeit der Menschengattung in einem rationalen Verständigungsfortschritt. Ebenso kritisiert pädagogisch aufklärende Rationalität eine rein emotionale Auslegung von Menschlichkeit im Sinne von Irrationalität und Besserungsunfähigkeit des Menschen. Durch die gesamte Geschichte der Pädagogik zieht sich allerdings die Erfahrung, dass die pädagogische Praxis den von der Theorie aufgezeigten beziehungsweise begründeten, geschichtlich sich wandelnden Maßgaben für menschliche Tüchtigkeit und den konzipierten Wegen zu ihr in der Regel nicht nachgekommen ist.
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Bildung · Erziehung · Erziehungswissenschaft · Lernen · multikulturelle Erziehung · Reformpädagogik · Schule · Unterricht
 
Literatur:
 
J. L. Blass: Modelle pädagog. Theoriebildung, 2 Bde. (1978);
 
Erziehungswiss. der Gegenwart, hg. v. K. Schaller (1979);
 H.-M. Elzer: Begriffe u. Personen aus der Gesch. der P. (1985);
 T. Ballauff: P. als Bildungslehre (21989);
 
Pädagog. Denken von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. v. W. Fischer (1989);
 H. Blankertz: Die Gesch. der P. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart (Neuausg. 1992);
 
P. Grundlagen u. Arbeitsfelder, hg. v. E. Badry u. a. (21994);
 D. Benner: Allg. P. (31996).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
allgemeine Bildung: Pädagogen erneuern die Schule
 
II
Pädagogik,
 
Erziehungswissenschaft.

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Pä|da|go|gik, die; - [griech. paidagōgike̅́ (téchnē) = Erziehungskunst]: Wissenschaft von der Erziehung u. Bildung: die moderne P.; die P. Kerschensteiners; P. lehren, studieren; Vorlesungen in P.

Universal-Lexikon. 2012.