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Naturdarstellung
Naturdarstellung,
 
die künstlerische Beschäftigung mit der Natur im Sinne von Versuchen ihrer künstlerischen Nachahmung und Gestaltung, begleitet von ästhetischer Theoriebildung.
 
In der bildenden Kunst der griechischen Antike wurde die gegenständliche Welt, die Natur einschließlich des Menschen, die ganze Welt der Erscheinungen, grundsätzlich idealtypisch wiedergegeben, wie es besonders in der gut überlieferten Plastik ablesbar ist. Entsprechend den philosophischen Überlegungen über Natur und Kunst schien jedoch immer nur eine Annäherung der bildenden Kunst an das nachgeahmte Urbild möglich. Erste räumliche Wiedergaben in der (verlorenen) Malerei, zunächst durch Überschneidungen (so auch in der Vasenmalerei), dann durch Schatten, wurden als Nachahmung der Erscheinungswelt eingestuft. In der hellenistischen und römischen Kunst setzte das Porträt im eigentlichen Sinn ein mit einer Darstellung der Natur ohne idealtypische Überformung oder zumindest unter Einbeziehung erster realistischen Elemente. In der Kunst der Neuzeit wird unter Naturdarstellung meist nur Landschaftsdarstellung und die Darstellung der Gegenstandswelt (Tiere, Pflanzen) verstanden, die zunächst als symbolisches Kürzel, Landschaft dann auch als Schauplatz und Hintergrund in Gemälden mit religiösen, mythologischen oder geschichtlichen Themen erschien und in der Folge in der reinen Landschaftsmalerei und im Stillleben sowie in der Tierdarstellung eine außerordentliche Entwicklung erfuhr. Die moderne Kunst vollzog eine Abwendung von der realistischen Wiedergabe beziehungsweise »Nachahmung« von Naturerscheinungen, wobei die Künstler zum Teil parallel zur Natur arbeiten wollten, womit sie an das Selbstverständnis des Künstlers seit der Renaissance und besonders der Romantik anknüpfen. Solche Parallelen werden im Aufspüren und gestalterischem Berücksichtigen der vorgegebenen Ordnungsgefüge der menschlichen Wahrnehmung und ihrer Strukturierungsgesetze, die auch Gesetze der Gestalt sind (z. B. Prägnanzprinzip, Gleichgewicht), gesehen. - In der zeitgenössischen Kunst wird auch Natur in das künstlerische Tun einbezogen - von natürlichen Materialien wie Sand als Grundierung von Bildern über Erde, Stein, Baumstämmen, Blütenstaub im Ausstellungsraum bis zur Aktion in der unberührten Natur, besonders in der Wüste, womit die Künstler auf die Entfremdung der modernen Zivilisation von Natur und natürlichem Dasein verweisen.
 
Bedeutung und Funktion der Natur in der Literatur der verschiedenen Zeiten und Völker ist seit jeher mannigfachen Wandlungen unterworfen, die in engem Zusammenhang und in Wechselwirkung mit v. a. religiösen, philosophischen, naturwissenschaftlich-technischen und ökonomischen Vorstellungen und Erklärungsmodellen stehen. Die Natur als das dem Menschen gleichermaßen Vorausgesetzte wie ihn Transzendierende zeigt sich dabei hinsichtlich einer mentalitätsgeschichtlichen Betrachtungsweise von Dichtung als bedeutendes Strukturelement für das Verstehen zeittypischer Einstellungen und Wandlungen in europäischen wie außereuropäischen Kulturen und Literaturen.
 
Konstituierendes Element kann Naturdarstellung in der Lyrik und in einigen epischen Formen sein: so in der antiken Dichtung, besonders in Idylle und Elegie (Theokrit, Properz, Tibull, Horaz, Vergil). In der frühmittelalterlichen Literatur ist Natur nicht autonomer Gestaltungsgegenstand, sondern im Rahmen eines vielfachen allegorischen Bedeutungs- und Verweisnetzes ein dem spirituellen Gesamtauftrag der Dichtung untergeordnetes Element. In der volkssprachlichen weltlichen Dichtung finden sich Naturdarstellungen v. a. in der Form des Natureingangs (W. von der Vogelweide, Neidhart) sowie in der Aufnahme von (natur)wissenschaftlichen Versatzstücken in die fiktionale Literatur (Lyrik, höfischer Roman). Humanismus und Renaissance knüpfen wieder an antike, besonders arkadische Dichtung an, zum Teil überformt durch gesellschaftliche oder theologische Zweckbestimmungen (breite Ausbildung der Naturmetaphorik). Die stilisierende Fixierung der Natur in der Dichtung ändert sich erst mit der Aufklärung. Noch ganz auf rationalistische Religiosität gestellte Naturauslegung findet sich bei B. H. Brockes, pathetische Lehrdichtung bei A. von Haller; mit dem Lebensgefühl der Empfindsamkeit wird dann ein originäres Erleben der Natur möglich (ausgehend von J.-J. Rousseaus »Zurück zur Natur« bei J. G. Hamann und J. G. Herder). Es äußert sich in hymnischem Naturpreis bei F. G. Klopstock, M. Claudius, den Dichtern des Göttinger Hains und des Sturm und Drang. Aus dem Erlebnis der Natur als einer Wachstumsgesetzen gehorchenden Ganzheit erwuchs der Organismusgedanke, den Herder auf das Verständnis der Kulturen anwendete und Goethe auf seiner wissenschaftlichen Suche nach Strukturierungsprinzipien der Naturdarstellung zur morphologischen Methode vertiefte. Die Romantik weitet dann das Naturerlebnis einerseits zur Naturschau und -mystik (Novalis, J. C. F. Hölderlin), andererseits zur sehnsüchtigen Einstimmung und Begegnung (C. von Brentano, J. von Eichendorff) oder Dämonie (Nachtstücke) aus. An die Stelle solcher symbolischen Strukturen treten im späteren 19. Jahrhundert Versuche genauer Landschaftsbeschreibungen (A. Stifter, T. Storm, G. Keller, C. F. Meyer), exotischer oder minutiöser Detailmalerei (Annette von Droste-Hülshoff, E. Mörike, F. Rückert, F. Freiligrath), der Parallelisierung von Naturgewalt und Menschenschicksal. Im Naturalismus ist die Natur kein literarisches Thema, um so mehr in den Gegenbewegungen, in der Neuromantik, in Impressionismus, Symbolismus und Expressionismus. Die dichterische Naturdarstellung zu Beginn des 20. Jahrhunderts war zunächst durch die Benennung von Extremen, von negativen Bildern der Fäulnis und Verwesung (G. Benn) einerseits und einer positiv-utopischen Konzeption der Natur als heiler (Gegen-)Welt andererseits sowie in den 1950er- und 1960er-Jahren durch Tendenzen zur Naturmagie (P. Celan, I. Bachmann, O. Loerke, W. Lehmann), wie auch einer Abkehr von der reinen Naturlyrik (Natur als »Form der Verneinung«, G. Eich) geprägt. In der Gegenwart ist das Bild der Natur in der Dichtung v. a. durch das zunehmende Erkennen der Bedrohtheit der Natur und des mit ihr verbundenen Menschen bestimmt. Die hieraus erwachsenden schriftstellerischen Gestaltungen sind jedoch kaum mehr einheitlich, sondern durch Stilpluralismus gekennzeichnet.
 
Für die Musik ist die Natur dreifach bedeutsam: als Ursprung, als ästhetisches Konzept und als Objekt tönender Abbildung. Die Antike kannte die Vorstellung, dass Musik Teil der Natur ist, ihr entspringt und auf sie einwirkt. Naturhaftes im Sinne des kosmischen Ordnungsprinzips wohnt den harmonischen Proportionen der Intervalle und Rhythmen inne, es bewahrt sich in Instrumenten, die der belebten Natur entstammen, und es beweist sich in der Macht, die Töne auf Tiere und Menschen ausüben. Die musikalische Affektenlehre der Renaissance und des Barock ging davon aus, dass menschliche Gefühle darstellbar und evozierbar sind. Auf die Naturgegebenheit bestimmter Tonverhältnisse berufen sich noch die Verteidiger der harmonischen Tonalität. Neuzeitlicher Herkunft sind Ableitungen der vorgeschichtlichen Anfänge der Musik aus der emotionalen Steigerung des gesprochenen Worts (J.-J. Rousseau) oder der Nachahmung von Tierlauten (C. Darwin). - Das ästhetische Postulat der Nachahmung der Natur betrifft in wortgebundenen Werken außer der Sprachkomponente v. a. die schlicht zu formende Gesangsmelodie. Die Idee der Sanglichkeit als Ausdruck reiner Menschlichkeit wird im 18. Jahrhundert auch ein Leitbild der Instrumentalmusik, für die später noch das Prinzip der organischen Motiventwicklung Bedeutung gewinnt. - Die klingende Vergegenwärtigung akustischer oder optischer Naturphänomene (Gewitter, Sturm, Waldes-, Meeresrauschen, Plätschern, Tierstimmen) oder arkadischer Idyllik ist in Oper und Programmmusik verbreitet. Für die neue Musik ist Natur sowohl Inspiration (O. Messiaen) als auch Gegenstand von Kritik (M. Kagel).

Universal-Lexikon. 2012.