modẹrne Kunst,
die avantgardistische Kunst, besonders die des 20. Jahrhunderts. Noch die von ihren Zeitgenossen als revolutionär empfundenen Impressionisten waren in ihrer Wiedergabe der optischen Erscheinung der »Wirklichkeit« einer illusionistischen Bildkonzeption verpflichtet. Der Jugendstil beziehungsweise die Sezessionskunst der Jahrhundertwende, die sich auch in der angewandten Kunst und der Architektur manifestierten, zeigten bereits Lösungstendenzen, die sich in ihrer Neigung zum Ornament und zur - von der japanischen Kunst angeregten - Flächenhaftigkeit ankündigten. Entschiedener brachen die Expressionisten - hier im umfassendsten Sinn verstanden, also von V. van Gogh über P. Gauguin, die Fauves und E. Munch bis zu den deutschen Expressionisten - mit den realistisch-illusionistischen Traditionen des 19. Jahrhunderts; ihr Interesse galt der von den Regeln der akademischen Malerei weitgehend befreiten subjektiven Ausdruckssteigerung des Bildes, nicht der Wiedergabe einer äußeren Erscheinung. Auch so unterschiedliche Positionen wie der Dadaismus und die veristische »Neue Sachlichkeit« benutzten die neuen Ausdrucksmittel und verzichteten bewusst auf eine illusionistische Darstellung des angeblich Objektiven.
Zur grundlegend neuen Entwicklung einer »konkreten«, von der »Wirklichkeit« mehr und mehr unabhängigen Formensprache führte der Ansatz von P. Cézanne. Er gilt - vergleichbar mit Piero della Francesca in der Frührenaissance - als der eigentliche Nestor der modernen Kunst. Auf der Grundlage der von ihm erarbeiteten Strukturprinzipien und der schrittweisen Aufgabe der Linearperspektive bei der Wiedergabe der sichtbaren Erscheinungen der Wirklichkeit baute der Kubismus von P. Picasso und G. Braque als bahnbrechende Kunstrichtung im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auf. Er bildete die Voraussetzung sowohl für den italienischen Futurismus als auch für die vollständig von gegenständlicher Wiedergabe losgelöste Auffassung der konstruktivistischen Malerei und Objektkunst (u. a. Konstruktivismus, Stijl-Gruppe). Das Bauhaus leistete einen wichtigen Beitrag auf nahezu allen künstlerischen Gebieten unter Einschluss der angewandten Kunst. Kubismus, Futurismus und besonders der russische Konstruktivismus und Suprematismus schufen neue Bildgattungen: Collage, Assemblage und Montage erweiterten den Begriff des Tafelbildes und eröffneten dem Bild plastische Dimensionen. Für die Plastik wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Auseinandersetzung mit außereuropäischen, mittelalterlichen und prähistorischen Arbeiten richtungweisend (Picasso, C. Brancusi, H. Moore, Alberto Giacometti). Von vielen Bildhauern der Folgezeit wurde die Beziehung zum Figürlichen ganz aufgegeben, ihr Formenrepertoire ist organisch oder geometrisch bestimmt; die Verwendung von Altmaterialien führte zu der auf dem Assemblageprinzip aufbauenden Objektkunst.
Einen Weg der Neuordnung und Interpretation der Wirklichkeit beschritten die Künstler des Surrealismus, indem sie irrationale künstlerische Tendenzen des 18. und 19. Jahrhunderts (J. H. Füßli, W. Blake, J. Ensor) fortführten, Anregungen aus der psychopathologischen Kunst aufnahmen und eine imaginäre Welt erfanden, in der die wiedergegebenen Phänomene alogisch erscheinende Bezüge herstellen; diese repräsentieren im Zusammenhang des Kunstwerks die angestrebte Überwirklichkeit und höhere Wahrheit, deren einzige allgemeine Verbindlichkeit im kollektiven Unbewussten gesehen wird (M. Ernst, S. Dalí, R. Magritte). Die innerhalb der surrealistischen Bewegung teilweise praktizierte Écriture automatique wurde in den 40er- und 50er-Jahren in den USA eine der Grundlagen des abstrakten Expressionismus. Besonders in seiner europäischen Ausprägung (Tachismus) fußt er zugleich auf der abstrakten Kunst, wie sie bis in die 50er-Jahre in vielen Richtungen (u. a. in der Malerei der École de Paris und der Gruppe Abstraction-Création) vertreten wurde. Als fast zeitgleiche Reaktion auf den abstrakten Expressionismus entstanden Hard-Edge-Painting und Color-Field-Painting, die die Tendenzen der konkreten Kunst der 20er-Jahre weiterentwickelten.
In Europa entstand nach dem Zweiten Weltkrieg aus der ablehnenden Haltung eines Teils der jungen Malergeneration dem Surrealismus gegenüber eine neue figurative, stark expressive Malerei, die v. a. mit A. Jorn und der Gruppe Cobra verbunden ist.
Da die dominierende informelle Malerei ihrem kreativen Gestus folgte und neben dem fixierten Bild zunehmend der Schaffensprozess selbst wichtig wurde, lag es nahe, das Publikum an diesem Ereignis teilnehmen zu lassen. Schon die Veranstaltungen der Dadaisten und Surrealisten während und nach dem Ersten Weltkrieg fanden im engen Kontakt mit dem Publikum beziehungsweise einem Kreis ausgewählter Teilnehmer statt. Happening und Fluxus der 60er-Jahre suchten die Grenze zwischen Publikum und (improvisierenden) Akteuren zu verwischen, das Publikum war zur Mitgestaltung angehalten (»Jeder ist Künstler«). Ähnlich rechnen Y. Klein, P. Manzoni, Arman und L. Fontana (»Les Nouveaux Réalistes«) mit der Aktivierung des Betrachters, wenn das Gemälde beziehungsweise die Farbe und/oder das Material ihrer Bilder und Objekte nur noch sich selbst zum Gegenstand haben. Sie führten damit die moderne Malerei und Plastik in eine konzeptionelle Richtung, die teilweise zu ähnlichen Ergebnissen kam wie die Minimalart, die aus der konstruktivistischen Entwicklung hervorgegangen war. Rückblickend gesehen leitete schon M. Duchamp von der Objektkunst zur Konzeptkunst über, indem er provozierend banale Dinge aus ihrem gewöhnlichen Kontext herauslöste und ausstellte, um bewusst ästhetische Wertvorstellungen zu persiflieren. Die Conceptart, wie gelegentlich auch das Happening u. a. Aktionen, wird v. a. dadurch charakterisiert, dass die kreative Geste weitgehend durch die Reflexion über Ausdrucksformen der Kunst, ihre Medien und grundsätzliche Positionen ersetzt wird. Der Betrachter wird mehr über den Intellekt als über die sinnliche Wahrnehmung in die konzeptionelle Strategie einbezogen. Dem gleichen Ziel dienen die in der Prozesskunst verwendeten Medien (Fotografie, Film, Videoaufzeichnungen und Videoskulptur) zur Wiedergabe von Prozessen der Land-Art, Body-Art und der Performance sowie zur Überwindung der Grenzen der traditionellen Malerei und Plastik. Die Pop-Art wie auch die verschiedenen Formen des Realismus, die in den 60er- beziehungsweise 70er-Jahren auftraten, spiegeln und interpretieren wieder die Objektwelt. Sie bilden den bisher letzten, allgemein verbreiteten Stil der modernen Kunst. Ausgehend von einer Problematisierung des Raums, die in der Bildhauerkunst allgemein Thema geworden war, erweiterte sich das Objekt in den 60er-Jahren zum Environment. Als neues Element wurde die Bewegung in die Objekt- und Raumkunst einbezogen, vorbereitet durch die visuellen Experimente der Op-Art mit ihren optischen Täuschungs- und Verwandlungseffekten. Es entstanden verwandelbare Objekte, elektrisch oder mechanisch angetriebene Maschinen und Lichtprojektoren (kinetische Kunst, Lichtkunst).
Neben einer von sozialkritischen oder ökologischen Anliegen getragenen Kunst zeichnete sich seit Mitte der 70er-Jahre, wohl in Reaktion auf die puristische und rationale Kühle der Minimalart und Conceptart, ein neues Interesse an einer gestisch-intuitiven und individuellen Malerei ab. In Deutschland wird dieser Neoexpressionismus u. a. vertreten von G. Baselitz, J. Immendorff, M. Lüpertz und A. Kiefer. Vergleichbare Tendenzen zeigten sich in den USA im farbenfrohen Patternpainting und in Italien in der Arte cifra der Transavanguardia mit ihrer spielerischen Bildsprache voll sinnlich-poetische Zeichen. Sie lösten eine Bewegung aus, die in Deutschland als Neue Wilde, in den USA als »New image painting« und in Frankreich als »Figuration libre« bezeichnet wird. In ihrem unbekümmerten Umgang mit vergangenen Stilen, Formen, Farben, Kitsch und v. a. in dem Rückzug auf Subjektivität und Gefühl wird ein Bruch mit der klassischen Moderne (Kubismus, Futurismus, Expressionismus, Dadaismus, Konstruktivismus, Surrealismus) und der intellektuellen Kunst der Folgezeit gesehen. Aus diesen Gründen, aber auch in Hinblick auf den Pluralismus der Stile und den Trend, die Grenzen zwischen den einzelnen Kunstgattungen zu verwischen, wird auf die zeitgenössische Kunst seit den 80er-Jahren, ausgehend von der poststrukturalistischen Philosophie und Ästhetik in Frankreich, auch der Begriff Postmoderne angewendet. Die Postmoderne, die auch mit dem Schlagwort »anything goes« umschrieben wird, ironisiert und reflektiert die Gesamtheit der ihr zur Verfügung stehenden Medien und historischen Stilformen und hat zu vielen parallelen Entwicklungen in einem kaum noch überschaubaren Spektrum von Ausdrucksformen geführt.
R. Hughes: Der Schock der Moderne (a. d. Engl., 1981);
M. Imdahl: Bildautonomie u. Wirklichkeit. Zur theoret. Begründung moderner Malerei (1981);
M. Schapiro: M. K. 19. u. 20. Jh. (a. d. Engl., 1982);
D. de Chapeaurouge: Das Auge ist ein Herr, das Ohr ein Knecht. Der Weg von der mittelalterl. zur abstrakten Malerei (1983);
J. Gerz: Von der Kunst (1985);
Skulptur im 20. Jh., hg. v. M. Rowell, Ausst.-Kat., Centre George Pompidou Paris (a. d. Engl. u. Frz., 1986);
K. Thomas: Bis heute, Stil-Gesch. der bildenden Kunst im 20. Jh. (71986);
W. Hofmann: Grundl. der m. K. (31987);
W. Hofmann: Anhaltspunkte. Studien zur Kunst u. Kunsttheorie der Moderne (1989);
K. Ruhrberg: Die Malerei unseres Jh. (1987);
W. Haftmann: Malerei im 20. Jh., 2 Bde. (5-81987-93);
A. M. Hammacher: Die Plastik der Moderne (a. d. Amerikan., 1988);
Stationen der Moderne, Ausst.-Kat. (1988);
Die Kunst des 20. Jh., bearb. v. G. C. Argan u. a. (Neuausg. 1990);
C. Hepp: Avantgarde. M. K., Kulturkritik u. Reformbewegungen nach der Jahrhundertwende (21992);
P. Bürger: Theorie der Avantgarde (101995);
A. C. Danto: Kunst nach dem Ende der Kunst (a. d. Engl., 1996);
A. C. Danto: Die Verklärung des Gewöhnlichen. Eine Philosophie der Kunst (a. d. Amerikan., 31996);
Die m. K., bearb. v. E. Lucie-Smith (1996);
W. Welsch: Unsere postmoderne Moderne (51997).
Universal-Lexikon. 2012.