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AIDS
Acquired Immune Deficiency Syndrome (fachsprachlich); erworbenes Immunschwäche-Syndrom

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Aids [eɪts̮], das; - <meist ohne Artikel> (Med.):
Erkrankung, die zu schweren Störungen im Abwehrsystem des Körpers führt und meist tödlich verläuft:
er hat, leidet an Aids.

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AIDS, Aids 〈[ɛıdz] ohne Artikel; Kurzwort für engl.〉 Acquired Immune Deficiency Syndrome (erworbenes Immundefekt-Syndrom), durch ein Virus hervorgerufenes Syndrom von Immunschwäche, das den Zusammenbruch des körpereigenen Abwehrsystems zur Folge haben kann

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Aids [eɪt̮s ], das; - <meist o. Art.> [Kurzwort für engl. acquired immune deficiency syndrome] (Med.):
Erkrankung, die zu schweren Störungen im Abwehrsystem des Körpers führt und meist tödlich verläuft.

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Aids
 
[eɪdz] AIDS das, -, meist ohne Art. [Kunstwort aus englisch acquired immune deficiency syndrome, »erworbenes Immunschwächesyndrom«], das Endstadium der erworbenen (infektiösen) menschlichen Immunschwäche. Das ursächlich menschliche Immunschwäche-Virus (HIV-1 und HIV-2), das v. a. Zellen des Immunsystems befällt und ihre Funktion beeinträchtigt, ist durch Sexualkontakte, Blut oder Blutprodukte sowie von der infizierten Mutter auf das neugeborene Kind übertragbar.
 
 Entdeckung
 
1981 wurden in den USA erste Fälle einer unbekannten Immunschwäche bei homosexuellen Männern beschrieben. Zunächst GRID (gay related immune deficiency) genannt, wurde der Symptomenkomplex 1982 international als Aids definiert. 1983 entdeckte der französische Virologe L. Montagnier (der amerikanischen Mikrobiologe R. C. Gallo gilt als Mitentdecker) das als ursächlich geltende Retrovirus (anfangs HTLV-III, später LAV und seit 1986 HIV genannt).
 
1984/85 wurde der (zuerst von Gallo entwickelte) HIV-Antikörpertest weltweit verfügbar. Nach HIV-1 fand Montagnier 1986 bei Patienten aus Westafrika den Typ HIV-2. Von beiden Typen gibt es mehrere Untergruppen: bei HIV-1 die Untergruppen M, N und O, von denen die M-Gruppe die verbreitetste ist und ihrerseits in die Subtypen A bis J unterteilt wird. Während Viren der Untergruppen Norden und Osten bislang nur im westlichen Zentralafrika entdeckt wurden, haben sich die Subtypen der M-Gruppe weltweit mit jeweils unterschiedlichen geographischen Verbreitungsmustern ausgebreitet. Die Entdeckung und Identifizierung weiterer HIV-Stämme und Subtypen ist wahrscheinlich.
 
Die ersten beschriebenen Aidsfälle markieren nicht den Beginn der HIV-Epidemie. Analysen eingefrorener Blutproben zeigten, dass in Einzelfällen HIV-Infektionen bereits Ende der 50er-Jahre in Afrika und während der 60er-Jahre in Europa und den USA nachweisbar waren. Wahrscheinlich existierte das HI-Virus bereits vorher in weitestgehend in sich abgeschlossenen Epidemien, besonders in Afrika, bevor es in den 70er-Jahren (Tourismus) über die Karibik zunächst unerkannt in die USA gelangte und sich dann weltweit ausbreitete. Genetische Analysen der inzwischen bekannten Retroviren der Primaten lassen vermuten, dass die in ihren natürlichen Wirten nicht krankheitsauslösenden SIVs (Affen-Immundefizienzviren) sich bereits seit Hunderttausenden, vielleicht sogar schon seit Millionen von Jahren in und mit den afrikanischen Primaten entwickelt haben, dass aber erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch einen Artenwechsel vom Schimpansen auf den Menschen das Vorläufervirus der M-Untergruppe von HIV-1 entstanden ist, das ursprünglich am Beginn der heute bekannten HIV-1-Pandemie stand. Die schnelle Identifizierung der HIV-Übertragungswege ermöglichte in den USA und in Europa die Entwicklung effektiver Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge. In einigen Regionen der Welt verlief und verläuft aber, nicht zuletzt aufgrund defizitärer Gesundheitssysteme, die HIV-Ausbreitung weiterhin fast ungebremst.
 
 Virologie und Übertragung
 
HIV (human immunodeficiency virus) gehört wie die Immunschwäche-Viren anderer Säugetiere zur Lentiviren-Gruppe, die zusammen mit anderen Viren, wie den Krebs auslösenden Onkoviren, die Familie der Retroviren bildet. Diese können den normalen genetischen Informationsfluss einer Zelle (von Desoxyribonukleinsäure, DNA, über Ribonukleinsäure, RNA, zu Zellproteinen) durch das Enzym reverse Transkriptase umkehren und dadurch ihre als RNA vorliegende Erbinformation in die der Wirtszelle einbauen. HIV wird auf die Tochterzellen vererbt, bleibt so lebenslang erhalten und entzieht sich als ruhende Infektion leicht der körpereigenen Abwehr. Die hohe Mutationsrate dieses Prozesses führt zur hohen Veränderlichkeit des Erscheinungsbildes, v. a. der HIV-Hülle. Daraus ergeben sich Probleme bei der Erkennung durch das Immunsystem, bei der Behandlung (Resistenzentwicklung) und der Entwicklung einer Schutzimpfung. Das HIV hat eine isometrische Hülle, die von 72 für die Infektiosität entscheidenden Glykoproteinfortsätzen (knobs) besetzt ist, und einen konischen RNA-Kern. Die Lipidhüllschicht stammt vorwiegend aus Bestandteilen der Wirtszelle, die beim Ausschleusen des Virus eingebaut werden. Wärme, Eintrocknung oder auch Desinfektionsmittel nehmen dem HIV außerhalb des Körpers schnell die Infektionskraft. HIV bindet mit den Glykoproteinfortsätzen an so genannte CD4-Rezeptoren (HIV-spezifische Empfängermoleküle auf der Zelloberfläche, die v. a. bei Abwehrzellen wie T-Lymphozyten beziehungsweise Monozyten oder Makrophagen vorkommen) an und dringt so in die Zielzelle ein. Die infizierten Zellen können zunächst inaktiviert bleiben oder durch Stimulation aktiviert werden und dann über mehrere Schritte infektiöse HI-Viren produzieren.
 
HIV kann als freies und als zellgebundenes Virus zwischen Menschen übertragen werden. Es ist zwar in fast allen Körpergeweben und -flüssigkeiten nachweisbar, wird aber nur durch Blut, Samenflüssigkeit und Scheidensekret tatsächlich übertragen. Die Übertragungswahrscheinlichkeit hängt eng mit der Virusmenge in den Körperflüssigkeiten zusammen. Mögliche Eintrittspforten sind der direkte Eintritt in die Blutbahn (z. B. durch Injektion oder Bluttransfusion), die Schleimhäute der Geschlechtsorgane, des Mastdarms, auch des Mundes (v. a. bei Verletzungen) sowie die erkrankte Haut (z. B. bei entzündlichen Veränderungen). Gesunde Haut kann das HI-Virus nicht durchdringen. Das höchste Übertragungsrisiko ist bei Blut-zu-Blut-Kontakten (in Deutschland v. a. bei intravenös Drogenabhängigen) gegeben. Bei der sexuellen Übertragung besteht für Analverkehr das höchste Risiko, für Vaginalverkehr ein hohes Risiko und für Oralverkehr mit Aufnahme von Vaginal- oder Samenflüssigkeit ein geringeres Risiko. Die HIV-Übertragung von einem Mann auf eine Frau ist in den Industriestaaten wahrscheinlicher als umgekehrt. Bei Studien in Afrika wurde jedoch eine mindestens gleich große, wenn nicht größere Wahrscheinlichkeit für eine Frau-zu-Mann-Übertragung festgestellt. Es wird vermutet, dass dies mit der unterschiedlichen Verbreitung infektionsbegünstigender Kofaktoren zusammenhängt. Ungeschützter Verkehr während der Regelblutung erhöht das Infektionsrisiko für beide Partner. Kinder HIV-infizierter Mütter werden zu etwa 15-25 % vor oder während der Geburt infiziert, Infektionen durch Muttermilch sind bekannt.
 
Außerhalb der genannten Wege ist eine HIV-Übertragung praktisch auszuschließen. Insbesondere besteht auch bei engen Alltagskontakten mit HIV-infizierten Menschen kein Risiko. Für die oft diskutierte Übertragung durch Blut saugende Insekten gibt es keine Hinweise. Die Ansteckungsfähigkeit HIV-infizierter Menschen ist stark abhängig vom Infektionsstadium. Sie ist in den ersten Wochen und Monaten sehr hoch, fällt mit Bildung von HIV-Antikörpern ab und bleibt in der symptomlosen Phase relativ niedrig. V. a. durch Infektionen und Entzündungen der Geschlechtsorgane kann sie aber auch in dieser Phase stark schwanken. Mit dem Auftreten von immunschwächebedingten Krankheitssymptomen steigt die Infektiosität wieder an.
 
 Entwicklung der HIV-Infektion bis zum Vollbild Aids
 
Grundsätzlich zu unterscheiden sind die (weitgehend symptomfreie) HIV-Infektion (HIV-Erkrankung) und die durch den zunehmenden Immundefekt bedingte Phase mit Krankheitssymptomen, die zum Vollbild von Aids führt. Nach Eindringen von HIV in die CD4-Zellen wird nach unterschiedlich langer Zeit neues HIV produziert. Bei etwa 50 % der Infizierten tritt nach 3-6 Wochen das akute HIV-Syndrom auf. Symptome sind Grippeerscheinungen mit Fieber sowie Lymphknotenschwellungen. Nach einigen Wochen bis etwa 3 Monaten werden HIV-Antikörper gebildet, und die Immunantwort, vor allem die zelluläre Immunantwort, senkt die Viruskonzentration im Blut. HIV-Antikörper können während oder kurz nach dieser akuten Erkrankung im HIV-Test nachgewiesen werden.
 
Durch komplexe und noch nicht endgültig aufgeklärte Prozesse beeinträchtigt HIV über Jahre zunehmend das Immunsystem. Als ursächlich für den Verlust vor allem der CD4-Zellen gelten unterschiedliche Vorgänge. Dazu gehören die direkte Zellschädigung durch HIV, die Beseitigung infizierter Zellen durch zelltoxische T-Lymphozyten, die Bindung von HIV-Antikörperkomplexen an CD4-Zellen (Funktionsminderung), die Auslösung des »vorprogrammierten Zelltodes« (Apoptose) sowie weitere Prozesse, die zur Erschöpfung des Immunsystems führen. HIV ist eine notwendige und in der Regel auch hinreichende Ursache des zunehmenden Immundefektes. Die Geschwindigkeit, mit der sich nach der Infektion ein Immundefekt entwickelt, wird jedoch von einer Reihe von Kofaktoren beeinflusst, zu denen Alter, genetische Disposition, andere Krankheitserreger und nach den Erkenntnissen der Psychoneuroimmunologie auch psychische Einflüsse zählen. Nach 7-10 Jahren ist etwa die Hälfte der HIV-Infizierten noch ohne gravierende Symptome. Der fortschreitende Immundefekt kann sich in ganz unterschiedlichen Symptomen äußern, zum Beispiel lang dauernde Lymphknotenschwellungen, starker Gewichtsverlust, schwere Darmstörungen oder gesteigerte Infektanfälligkeit (auch als ARC, aids related complex, bezeichnet). Als Maß für die Funktionsfähigkeit des Immunsystems wird die Zahl der CD4-Lymphozyten im Blut bestimmt. Eine Aussage über das Ausmaß der Virusvermehrung und eine Prognose über die Geschwindigkeit der Krankheitsausbreitung erlaubt die Messung der HIV-Konzentration im Blut. Unbehandelt tritt nach durchschnittlich 10/11 Jahren (individuell sehr unterschiedlich) das Vollbild der Krankheit (Aids) als tödliches Endstadium des Immundefektes auf. Es ist charakterisiert durch opportunistische Infektionen (Viren, Bakterien, Pilze oder Protozoen), Tumoren (vor allem Lymphome) und das Kaposi-Sarkom.
 
Verbesserter Wissensstand und notwendige Differenzierungen führten zur Weiterentwicklung der Aidsdefinitionen. So wurden zum Beispiel 1993 die infolge Aids weltweit zunehmende Tuberkulose sowie (für die USA) als biologisches Kriterium eine CD4-Zellzahl unter 200 je μl Blut (Normalwert etwa 1 000 je μl) als Aidskriterien ergänzt.
 
Die lebensbedrohlichen Aidskomplikationen können grundsätzlich auch bei anderen Krankheiten auftreten. Besonders häufig sind bei HIV-Infizierten mit schwerem Immundefekt die Pneumocystis-carinii-Lungenentzündung (Pc) mit hohem Fieber und Kurzatmigkeit, Pilzinfektionen des Verdauungskanals, schwerste Durchfälle, starker Gewichtsverlust, Herpesinfektionen, das Kaposi-Sarkom, die Zytomegalievirus-Infektion der Netzhaut und Beeinträchtigungen der Gehirnfunktion durch das HI-Virus (HIV-Demenz) oder zum Beispiel durch Toxoplasmoseherde.
 
Endgültige statistische Aussagen über die Zeitverläufe sind aufgrund der bisher auf etwa 20 Jahre begrenzten maximalen Beobachtungszeit noch nicht möglich. Bei einem nicht unerheblichen Anteil infizierter Menschen ist auch nach 10 Jahren die Funktion des Immunsystems nur wenig eingeschränkt. Etwa 5 % der Infizierten scheinen nach heutiger Kenntnis gar nicht zu erkranken. Die (noch spekulativen) Ursachen dafür sind von großem wissenschaftlichen Interesse, v. a. für die Entwicklung von Behandlungsmaßnahmen. Diskutiert werden genetische Faktoren, weniger aggressive HIV-Varianten und eine besonders effektive Immunantwort.
 
 Diagnostik
 
Die HIV-Infektion wird durch den HIV-Antikörpertest (HIV-Test) nachgewiesen (HIV-positiv: Antikörper nachgewiesen; HIV-negativ: keine Antikörper nachweisbar). Da erst nach 3 Monaten über 95 % der Infizierten Antikörper gebildet haben, hat der Test erst dann genügend Aussagekraft. Selten werden Antikörper erst viel später gebildet; in äußerst seltenen Fällen kann es vorkommen, dass zum Beispiel durch eine schwere Funktionsbeeinträchtigung des Immunsystems bereits im Rahmen der Erstinfektion die Bildung von Antikörpern ausbleibt. Diese diagnostische Lücke kann bis zur Nachweismöglichkeit von Antikörpern durch Antigen- oder Nukleinsäure-Nachweisverfahren um etwa ein bis zwei Wochen verkürzt werden. Es bleibt jedoch auch bei Einsatz solcher Testverfahren ein kaum weiter zu reduzierender Zeitraum, in dem die Infektion und eine gewisse Infektiosität bereits bestehen, aber noch nicht nachgewiesen werden können. Das begrenzt prinzipiell die mögliche Infektionssicherheit von Blut- oder Organspenden. Die übliche HIV-Diagnostik umfasst einen sensiblen Suchtest (meist ELISA), der aber auch »falsch positive« Resultate liefern kann, weil er z. B. andere Antikörper fälschlich als HIV-Antikörper anzeigt. Ein im Suchtest positives Ergebnis wird deshalb in einem sehr präzisen Bestätigungstest kontrolliert. HIV-Antikörper sind auch im Speichel nachweisbar. Speicheltests sind jedoch in Deutschland nicht zugelassen. Andere HIV-Nachweismethoden wie der direkte Virusnachweis und der äußerst sensible PCR-Test (Abkürzung für polymerase chain reaction, Polymerase-Kettenreaktion) können in Sonderfällen, zum Beispiel bei Neugeborenen HIV-infizierter Mütter sowie bei Verdacht auf eine frische HIV-Infektion, und zur Diagnose einer Infektion eingesetzt werden, finden aber in erster Linie bei Verlaufs- und Therapiekontrollen Anwendung.
 
Ein positiver HIV-Test hat individuell eine erhebliche medizinische, psychische, soziale und auch juristische Bedeutung. In Deutschland wird deshalb eine persönliche Beratung vor einem Test empfohlen, um Indikation, Aussagekraft und Konsequenzen zu klären. Ein HIV-Test darf in Deutschland nur auf freiwilliger Basis mit Einverständniserklärung durchgeführt werden, andernfalls gilt er als Körperverletzung.
 
 Epidemiologie
 
Die Verbreitung und die Ausbreitungsgeschwindigkeit von HIV-Infektion und Aids sind regional und sozial sehr unterschiedlich. Besonders betroffen sind Afrika, die Karibik, Süd- und Südostasien sowie die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. Obwohl die epidemische Ausbreitung von HIV in Osteuropa erst etwa Mitte der 90er-Jahre begonnen hat, ist die Rate der HIV-Neuinfektionen und der bereits mit HIV Infizierten dort mittlerweile höher als in Westeuropa, wo die Epidemie schon zehn Jahre früher begonnen hatte. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterscheidet 3 unterschiedliche Verteilungsmuster: In Europa, Nordamerika und Australien wird HIV vorwiegend durch homosexuelle Kontakte zwischen Männern und intravenös Drogenabhängigen verbreitet, in den meisten Ländern der Dritten Welt überwiegt (bei gleichzeitig hoher Inzidenz) die heterosexuelle Übertragung. In einer Reihe asiatischer und arabischer Länder, in die HIV erst spät gelangte, werden heute noch sehr wenige Fälle und daher auch keine eindeutigen Ausbreitungsmuster beobachtet.
 
In Deutschland wurden seit Beginn der Epidemie insgesamt 50 000-60 000 Menschen infiziert (80-85 % Männer, 15-20 % Frauen, etwa 1 % Kinder unter 13 Jahren). Etwa 18 000 Menschen sind bislang in Deutschland an den Folgen einer HIV-Infektion verstorben. Während von Anfang bis Mitte der 90er-Jahre die Zahl der jährlichen Aidstodesfälle annähernd so hoch war wie die der jährlichen Neuinfektionen, nimmt die Zahl der Infizierten bei gleich bleibenden Neuinfektionsraten und rückläufigen Sterbefällen aufgrund der besseren Behandlungsmöglichkeiten seit 1996 wieder leicht zu. Derzeit ist mit etwa 2 000 HIV-Neudiagnosen je Jahr in Deutschland zu rechnen (davon werden etwa 50 % durch homosexuelle Kontakte zwischen Männern, etwa 12 % durch Drogengebrauch, etwa 17 % durch heterosexuelle Kontakte übertragen sowie etwa 17 % bei Menschen aus Endemiegebieten festgestellt). Die Zahl der Aidstodesfälle ist von etwa 2 000 Mitte der 90er-Jahre auf derzeit etwa 600 je Jahr zurückgegangen.
 
 Behandlung und Impfung
 
Die HIV-Infektion ist mit den zurzeit verfügbaren Technologien und Behandlungsmöglichkeiten nicht heilbar. Die besondere Wirkungsweise des HI-Virus macht die Entwicklung wirksamer Arzneimittel sehr schwierig. So wurde z. B. bisher keine Möglichkeit gefunden, die HIV-Erbinformation aus dem Zellkern infizierter Zellen zu entfernen.
 
Zur Behandlung stehen heute grundsätzlich zwei, sich ergänzende Ansätze zur Verfügung: die ursächlich wirksame Verlangsamung der HIV-Vermehrung (antiretrovirale Therapie) sowie die Behandlung (und Prophylaxe) der Folgekrankheiten des Immundefektes (so genannte opportunistische Infektionen). In beiden Bereichen haben sich die Möglichkeiten der modernen Medizin durch die Entwicklung neuer Medikamente und Behandlungsansätze in den vergangenen Jahren erheblich erweitert. Vor allem bei der Pneumocystis-carinii-Lungenentzündung, der Herpesinfektion, der schwere Gehirnschäden auslösenden Toxoplasmose und der zur Erblindung führenden Zytomegalie-Retinitis wurden deutliche Fortschritte bei Behandlung und Prophylaxe erzielt. Ansatzpunkte der antiretroviralen HIV-Behandlung können alle Schritte vom Eintritt des Virus in die Zelle bis zur Neuproduktion und der Reifung zum infektiösen Virus nach Ausschleusung aus der Zelle sein.
 
Zur Therapie der HIV-Infektion steht mittlerweile eine Reihe von Substanzen zur Verfügung, die sich bislang in drei Substanzgruppen einteilen lassen. Dabei handelt es sich um Inhibitoren viraler Enzyme, die essenzielle Funktionen im Vermehrungszyklus des Virus wahrnehmen. Es gibt zwei Gruppen von Hemmstoffen der reversen Transkriptase, die Nukleosidanaloga und die nichtnukleosidischen Hemmstoffe sowie Hemmstoffe der viralen Protease. Wirkstoffe, die an weiteren Ansatzpunkten angreifen (Fusions- und Integraseinhibitoren sowie Chemokinrezeptorenblocker), befinden sich in der Entwicklung.
 
Ziel der antiretroviralen Therapie ist es, die Entstehung eines Immundefektes und der sich daraus ergebenden Komplikationen zu verhindern. Da die Schädigung des Immunsystems durch die fortgesetzte und mit zunehmender Schädigung immer schlechter kontrollierbare Vermehrung von HIV bedingt ist, soll durch die antiretrovirale Therapie die Vermehrung von HIV unterdrückt werden. Da jede fortgesetzte Virusvermehrung bei der Behandlung die Gefahr einer Resistenzbildung gegen die eingesetzten Arzneimittel birgt, besteht das Behandlungsziel in der maximalen Unterdrückung der Virusvermehrung. Dies erfordert bei den bisher verfügbaren Substanzen meist eine Kombination von drei oder mehr Arzneimitteln. Weil permanent ausreichend hohe Wirkspiegel erreicht werden müssen, ist die regelmäßige Einnahme der Arzneimittel eine Bedingung für die langfristige Aufrechterhaltung ihrer Wirksamkeit. Die antiretrovirale Therapie erfordert daher ein außergewöhnlich hohes Maß an Disziplin aufseiten des Patienten und ein hohes Maß an Aufklärung und Einfühlungsvermögen aufseiten des Arztes.
 
Konsens besteht darüber, dass für Personen mit HIV-bedingten Symptomen und Erkrankungen eine klare Behandlungsindikation besteht. Des Weiteren besteht Einigkeit darüber, dass eine Behandlung möglichst beginnen sollte, bevor schwere Komplikationen zum Beispiel in Form opportunistischer Infektionen auftreten. Umstritten ist heute vor allem die Frage, wann symptomlose HIV-Infizierte eine Therapie beginnen sollen.
 
Gegen einen frühen Behandlungsbeginn spricht, dass die tägliche Arzneimitteleinnahme zu einer deutlichen körperlichen und psychischen Belastung werden kann, insbesondere wenn sie bei noch symptomfreien Patienten zu einem stärkeren Krankheitsgefühl und einer Minderung der Lebensqualität, zum Beispiel durch Nebenwirkungen, beiträgt. Langzeitnebenwirkungen, die das periphere Nervensystem, den Fettstoffwechsel, die Fettgewebeverteilung, den Kohlenhydratstoffwechsel und die Knochenfestigkeit betreffen können, treten bei einem hohen Prozentsatz der Behandelten nach monate- bis jahrelanger Therapie in unterschiedlichem Ausmaß und Schweregrad auf.
 
Nach gegenwärtigem Stand ist die antiretrovirale Therapie eine Dauertherapie, die nicht zur Heilung führt, da eine Viruselimination nicht möglich ist. Auch eine erfolgreiche antiretrovirale Therapie kann für sich allein das Immunsystem nicht in die Lage versetzen, die Infektion auf Dauer aus eigener Kraft unter Kontrolle zu halten. An der Erforschung und Entwicklung immunmodulatorischer und immuntherapeutischer Ansätze, die dies ermöglichen sollen, wird intensiv gearbeitet.
 
Trotz der Fortschritte in der Behandlung von Aids mit HIV-Inhibitoren liegt in der Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs die einzige reale Hoffnung, weltweit Gefahren für Gefährdete abzuwenden und die Epidemie in ihrem globalen Ablauf aufzuhalten. Jedoch hat es trotz großer Forschungsbemühungen nur eine kleine Anzahl von potenziellen Impfstoffen bis zur klinischen Testung geschafft. Selbst wenn diese Impfstoffe erfolgreich sein sollten, wird es noch Jahre dauern, bevor sie eine breite Anwendung finden können. Der einzige Impfstoff, der sich zurzeit in einer groß angelegten klinischen Wirksamkeitsprüfung befindet, basiert auf einem rekombinanten HIV-1-Hüll-Glykoprotein. Es handelt sich dabei aber um eine Impfstoffart, von der die meisten Wissenschaftler glauben, dass sie nur geringe Chancen besitzt, das Immunsystem in dem erforderlichen Ausmaß zu stimulieren.
 
Derzeit richtet sich die meiste Aufmerksamkeit der Impfstoffe entwickelnden Forscher auf die Stimulation sowohl der Bildung neutralisierender Antikörper als auch der zellulären Immunantwort mithilfe neuartiger »genetischer Impfstoffe« (einzelne oder mehrere virale Gene, die als DNA oder in sicheren Vektoren verabreicht werden). Möglicherweise könnten genetische Impfstoffe das Niveau der Virusvermehrung nach der Infektion niedrig halten, damit das Fortschreiten der Krankheit stark verzögern und die Übertragbarkeit der Infektion deutlich reduzieren. Dies wäre ein gewaltiger Fortschritt in der Immunprophylaxe und letztlich bei der Bekämpfung der Aidsepidemie. Neuere Ergebnisse haben gezeigt, dass genetische Impfstoffe, gegeben in Kombination mit immunstimulierenden Zytokinen, die Virusmenge nach Belastung unter die Nachweisgrenze senken können.
 
Die wissenschaftliche Forschung wird in diesem Bereich weltweit mit großem Aufwand betrieben, aber eine seriöse Prognose, wann ein wirksamer Impfstoff tatsächlich verfügbar sein könnte, ist zurzeit nicht möglich.
 
 Prävention
 
Die Verhinderung der Übertragung (Primärprävention) bildet die entscheidende Grundlage für die Eingrenzung der Epidemie. Während in den meisten Industrieländern (v. a. in Westeuropa und Nordamerika) vorbeugende Maßnahmen und leistungsfähige Gesundheitssysteme die Ausbreitung bisher stark einschränken konnten, breitet sich HIV in vielen Ländern (v. a. in Afrika und Asien) fast ungehindert aus.
 
Der Schutz vor einer HIV-Infektion ist durch individuelles und staatliches Handeln (Sicherung von Bluttransfusionen, Blutprodukten, Organspenden und medizinische Behandlung) möglich. Durch Verordnungen, die Blutspenden und ihre Verarbeitung betreffen, ist das Übertragungsrisiko durch Bluttransfusionen in Deutschland auf einen extrem niedrigen Wert (geschätzt etwa 1:1 Mio.) zurückgegangen. Die individuelle Prävention besteht bei intravenös Drogenabhängigen im Vermeiden von Blutübertragungen v. a. durch Einwegspritzen, Desinfektion gemeinsam genutzter Spritzbestecke oder zunehmend auch in der Substitutionsbehandlung, z. B. mit Methadon (Ersatz für intravenöse Drogenzufuhr). Bei sexuellen Kontakten muss die Aufnahme von Samen- oder Scheidenflüssigkeit sowie Blutspuren vermieden werden (mittels Safersex: nichtpenetrierende Sexualpraktiken oder Kondomverwendung). Die lebenslange sexuelle Treue nicht infizierter Partner oder sexuelle Abstinenz sind ein absoluter HIV-Schutz, während Safersex sehr weit gehende, aber keine vollständige Sicherheit bietet.
 
Wirksame Vorbeugung erfordert die offene und öffentliche Thematisierung von Sexualität und (auch illegalem) Drogengebrauch sowie der damit verbundenen Infektionsgefahren. Religiöse, moralische oder gesellschaftspolitische Widerstände behindern jedoch in vielen Ländern solche vorbeugenden Maßnahmen. Die Grundlage wirksamer Regelungen ist in den meisten Ländern die (auch von der WHO propagierte) gesellschaftliche Lernstrategie. Sie hat das Ziel, möglichst schnell und umfassend Lernprozesse in Gang zu setzen, mit denen sich die Bevölkerung auf das Leben mit dem Virus bei maximaler Risikominimierung und Vermeidung von Ausgrenzung und Diskriminierung Betroffener einstellt. Lernprozesse dieser Art sind allerdings nur langfristig erreichbar, sie müssen immer wieder gestützt werden.
 
Die starke Kürzung der für die Prävention verfügbaren Finanzmittel (in Deutschland von etwa 25 Millionen Euro 1987 auf heute 9 Millionen Euro) könnte deswegen in Zukunft die bisher erreichten Erfolge gefährden.
 
Die ab 1983 in Deutschland gegründeten Aidshilfegruppen (2001 etwa 130) tragen (aus ihrer Kenntnis und der Akzeptanz der Lebensweisen heraus) entscheidend zur HIV-Vorbeugung in den Hauptgefährdetengruppen (vor allem homo- und bisexuelle Männer, intravenös Drogenabhängige) bei. Der 1984 gegründete Dachverband Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) erhält dafür seit 1985 staatliche Mittel. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) führt seit 1985 die HIV-Präventionskampagne für die Gesamtbevölkerung mit unterschiedlichen Maßnahmen (zum Beispiel Fernsehspots, Websites im Internet, Broschüren, Plakate) sowie einer bundesweiten Telefonberatung durch. Das Ziel, eigenverantwortliche und langfristig stabile schützende Verhaltensweisen gefährdeter Menschen und ihres Umfeldes zu bewirken, wurde in hohem Maße erreicht. Vor allem in den gefährdeten Gruppen zeigen sich Einstellungs- und Verhaltensänderungen, die in Ausmaß und zeitlicher Stabilität sämtliche Beispiele aus anderen gesundheitlichen Bereichen übertreffen. Die im internationalen Vergleich in Deutschland sehr niedrigen Zahlen belegen den Erfolg dieser HIV-Vorbeugungsstrategie.
 
Neben dem vorbeugenden Schutz vor der Infektion haben die Sekundärprävention (Verzögern der symptomatischen Krankheitsphase nach Infektion) und die Tertiärprävention (Verzögern der Krankheitsprogression) bei HIV/Aids besondere Bedeutung.
 
 Gesellschaftliche und politische Reaktionen
 
Aids löste v. a. zu Beginn des Auftretens zum Teil schockartige Reaktionen aus. Der Glaube, die moderne Medizin habe Infektionskrankheiten endgültig unter Kontrolle gebracht, wurde nachhaltig erschüttert. Unkritische Hochrechnungen der anfänglichen HIV-Ausbreitung rechneten z. B. für Deutschland mit mehreren Mio. Infizierten innerhalb weniger Jahre. Da Aids als Krankheit eng mit Tabubereichen wie (Homo-)Sexualität sowie Drogenmissbrauch verbunden wurde und die Betroffenen und Gefährdeten weithin als gesellschaftliche Randgruppen stigmatisiert wurden (und werden), kamen auch in Deutschland von irrationalen Ansteckungsbefürchtungen genährte Ausgrenzungstendenzen und Forderungen nach Zwangsmaßnahmen auf, die aber nach zum Teil heftigen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen nicht realisiert wurden. Ein wichtiges Ziel der HIV-Prävention ist deshalb auch die Förderung eines sozial integrierenden, betroffenenfreundlichen gesellschaftlichen Klimas, in dem Freiwilligkeit statt Zwang der Antrieb der individuellen Verhaltensänderungen ist. Die enge Kooperation staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen war und ist auch in Deutschland eine wesentliche Grundlage der erfolgreichen Eindämmung der HIV-Ausbreitung. 1987 initiierte die Bundesregierung das »Sofortprogramm zur Bekämpfung von Aids«, das v. a. Prävention, Aus- und Fortbildung, HIV-Testberatung und Forschung umfasste. Der Nationale Aidsbeirat wurde als Expertengremium beim Bundesgesundheitsministerium eingerichtet; der Bundestag berief eine Enquête-Kommission (»Gefahren von Aids und wirksame Wege zu ihrer Eindämmung«), deren Endbericht (1990) zu den wichtigsten gesellschaftspolitischen Feldern wesentlich zur Versachlichung der Diskussion über die Strategien der Aidsbekämpfung beitrug. Als nationales Referenzzentrum für HIV-Epidemiologie und Forschung wurde das Aidszentrum im Robert-Koch-Institut (Berlin) eingerichtet.
 
Die Selbsthilfebewegung organisierte v. a. in den USA und Europa auch ihre gesellschaftspolitische Präsenz. Hier nahmen Betroffene und Gefährdete auch Einfluss auf staatliche Entscheidungen und wissenschaftliche Programme. Die Einbeziehung Betroffener in Präventionsprogramme, medizinische Studien und sozialpolitische Maßnahmen wurde durch die Aidsselbsthilfebewegung konstruktiver Anstoß auch für andere gesundheits- und sozialpolitische Bereiche. Für die soziale und materielle Unterstützung Betroffener engagieren sich neben den Aidshilfegruppen die 1987 gegründete Deutsche AIDS-Stiftung »Positiv leben« und die Nationale AIDS-Stiftung. Die Altersstruktur der Erkrankten (etwa 70 % sind jünger als 45 Jahre) führt (häufig v. a. durch geringste Rentenansprüche bedingt) zu einer sehr schlechten materiellen Lage.
 
Aufgrund der durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss festgestellten Mängel der HIV-Sicherheit von Blut und Blutprodukten in den 80er-Jahren wurde in Deutschland 1995 durch das HIV-Hilfegesetz die Stiftung »Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen« eingerichtet.
 
Die HIV-Infektion unterliegt in Deutschland grundsätzlich dem Infektionsschutz-Gesetz. Für Aids gibt es keine allgemeine namentliche Meldepflicht der Ärzte an die Gesundheitsbehörden. Die Meldung von Aidsfällen an das Aidsfallregister des Aidszentrums erfolgt freiwillig. Die Meldung positiver HIV-Tests durch die entsprechenden Untersuchungslabors ist jedoch verpflichtend, die Meldungen erfolgen anonymisiert.
 
Literatur:
 
E. Kübler-Ross: AIDS (1990);
 
HIV-Betroffene u. ihr Umfeld, hg. v. M. Ermann u. B. Waldvogel (1992);
 
AIDS - eine Forschungsbilanz, hg. v. C. Lange (1993);
 S. Dressler u. M. Wienold: AIDS. Tb (21993);
 
Strategien gegen AIDS. Ein internat. Politikvergleich, hg. v. D. Kirp u. a. (a. d. Engl., 1994).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Infektionskrankheiten durch Bakterien und Viren
 

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Aids [eɪdz], das; - <meist o. Art.> [Kurzwort für engl. acquired immune deficiency syndrome] (Med.): Erkrankung, die zu schweren Störungen im Abwehrsystem des Körpers führt und meist tödlich verläuft: Seine Krankheit zum Tode war A. ..., zu deutsch: „erworbener Mangel an Abwehrkraft“ (Spiegel 45, 1984, 100).; Ein Impfstoff gegen HIV, der die Menschheit von A. befreien könnte, ist derzeit nicht in Sicht (Zeit 25. 3. 99, 32).

Universal-Lexikon. 2012.