Akademik

Seele
Innenleben; Gemüt

* * *

See|le ['ze:lə], die; -, -n:
a) substanz- und körperloser Teil des Menschen, der in religiöser Vorstellung als unsterblich angesehen wird, nach dem Tode weiterlebt:
der Mensch besitzt eine Seele; seine Seele dem Teufel verschreiben; für die Seelen der Verstorbenen beten.
b) Gesamtheit, gesamter Bereich dessen, was das Fühlen, Empfinden, Denken eines Menschen ausmacht:
eine zarte, empfindsame, große Seele haben; sich in tiefster Seele verletzt fühlen; jmdm. seine ganze Seele offenbaren.
Syn.: Gemüt, Herz, Psyche.

* * *

See|le 〈f. 19
1. Innenleben eines Lebewesens, das sich im Denken, Fühlen, Handeln od. Bewegen äußert
2. die Gemütskräfte des Menschen
3. der unsterbliche Teil des Menschen
4. Triebkraft, lebengebender Mittelpunkt
5. Mensch, Einwohner
6. Hohlraum des Gewehrlaufs od. Geschützes
7. 〈bei Streichinstrumenten〉 Stimmstock
● er ist die \Seele der Firma 〈fig.; umg.〉 an ihm hängt alles, er kümmert sich um alles; die Frau ist die \Seele des Hauses; die beiden sind ein Herz und eine \Seele 〈fig.〉 sie verstehen sich ausgezeichnet; an Leib und \Seele gesund; ich habe mir die \Seele aus dem Leib geredet, um ihn zu überzeugen 〈fig.; umg.〉 ich habe alles versucht; nun hat die liebe \Seele Ruh! 〈fig.; umg.〉 nun hat er, sie endlich, was er, sie wollte ● seine \Seele aushauchen 〈fig.〉 sterben; die \Seele baumeln lassen 〈fig.; umg.〉 ausspannen ● zwei \Seelen und ein Gedanke 〈sprichwörtl.〉 da haben wir beide jetzt dasselbe gedacht; zwei \Seelen wohnen in seiner Brust 〈fig.〉 er ist von zwiespältigem Charakter, unentschlossen; die Bevölkerung des Dorfes beträgt etwa 1 000 \Seelen; eine arme \Seele 〈kath. Kirche〉 die im Fegefeuer büßende Seele eines Verstorbenen; die arme \Seele! 〈fig.〉 so ein bedauernswertes Geschöpf; er ist eine durstige\Seele 〈umg.〉 er trinkt gern; eine edle, große, reine, schöne, stolze \Seele; sie hat eine kindliche, zarte \Seele; eine gute \Seele haben 〈umg.〉 gutmütig, selbstlos sein; eine gute \Seele sein 〈fig.〉 ein guter Mensch sein; es ist keine \Seele hier 〈fig.; umg.〉 niemand; eine schwarze \Seele haben 〈fig.; umg.; meist scherzh.〉 ein schlechter Mensch sein; er ist eine treue \Seele ● Schaden an seiner \Seele nehmen; jmdm. auf der \Seele knien 〈fig.; umg.〉 jmdn. bedrängen, um etwas zu erreichen; es liegt mir schwer auf der \Seele, dass ... es bedrückt mich; ich habe es ihm noch einmal auf die \Seele gebunden 〈fig.; umg.〉 bes. eingeschärft; sich die \Seele aus dem Leib husten 〈umg.〉 sehr stark husten; sich die \Seele aus dem Leib rennen 〈umg.〉 sehr schnell laufen; jmdm. aus tiefster \Seele danken innig, von Herzen danken; aus voller \Seele jubeln, zustimmen 〈fig.〉 von ganzem Herzen; du hast mir aus der \Seele gesprochen gesagt, was auch meine Überzeugung ist; bei meiner \Seele! (zur Bekräftigung, Beteuerung); hinter etwas od. jmdm. her sein wie der Teufel hinter der armen \Seele 〈sprichwörtl.〉 ganz bes. erpicht darauf sein; in tiefster \Seele ergriffen sein; es tut mir in der \Seele leid, weh sehr, unendlich leid; das ist mir in tiefster \Seele verhasst zutiefst, sehr verhasst; von ganzer \Seele zutiefst; er ist eine \Seele von Mensch 〈umg.〉 ein gutmütiger, selbstloser Mensch; das musste ich mir einmal von der \Seele reden 〈fig.〉 es bedrückte mich so sehr, dass ich einmal davon sprechen musste [<mhd. sele <ahd. se(u)la <got. saiwala <urgerm. *saiwalo „die vom See Stammende, zum See Gehörige“, Ableitung von See als dem Aufenthaltsort der Seelen der Ungeborenen u. Toten]

* * *

See|le , die; -, -n [mhd. sēle, ahd. sē(u)la, wahrsch. zu 1See u. eigtl. = die zum See Gehörende; nach germ. Vorstellung wohnten die Seelen der Ungeborenen u. Toten im Wasser]:
1. Gesamtheit dessen, was das Fühlen, Empfinden, Denken eines Menschen ausmacht; Psyche:
die menschliche S.;
eine zarte, empfindsame S. haben;
R nun hat die liebe S. Ruh (meist scherzh.; nun kann jmd. nichts weiter verlangen, weil er bereits alles erhalten hat od. weil ein Vorrat aufgebraucht, eine Sache entzweigegangen, zerbrochen ist; nach Luk. 12, 19);
zwei -n wohnen, ach, in meiner Brust (ich habe widerstreitende Gefühle; nach Goethe, Faust I, 1112);
die S. baumeln lassen (ugs.; sich psychisch entspannen, von allem, was einen psychisch belastet, Abstand gewinnen);
jmdm. etw. auf die S. binden (ugs.; jmdn. eindringlich bitten, sich um etw. zu kümmern);
jmdm. auf der S. knien (ugs.; jmdn. eindringlich bitten, etw. Bestimmtes zu tun);
auf jmds. S./jmdm. auf der S. liegen/lasten (geh.; jmdn. bedrücken: die Schuld lastete schwer auf seiner S.);
jmdm. auf der S. brennen (ugs.; jmdm. ein dringendes Anliegen sein);
jmdm. aus der S. sprechen/reden (ugs.; genau das aussprechen, was jmd. empfindet);
aus ganzer/tiefster S. (1. zutiefst: ich hasse ihn aus ganzer/tiefster S. 2. mit großer Begeisterung: sie sangen aus ganzer/tiefster S. [heraus]);
mit ganzer S. (mit großem Engagement);
sich <Dativ> etw. von der S. reden/schreiben (über etw., was einen bedrückt, reden/schreiben u. sich dadurch abreagieren).
2. substanz-, körperloser Teil des Menschen, der nach religiösem Glauben unsterblich ist, nach dem Tode weiterlebt:
die unsterbliche S.;
Schaden an seiner S. nehmen (bibl.; sündig werden);
die S. aushauchen (geh. verhüll.; sterben);
jmdm. die S. aus dem Leib fragen (ugs.; jmdn. mit Penetranz alles Mögliche fragen);
jmdm. die S. aus dem Leib prügeln (ugs.; jmdn. heftig verprügeln);
sich <Dativ> die S. aus dem Leib reden (ugs.; alles versuchen, um jmdn. zu überzeugen, zu etw. Bestimmtem zu bewegen);
sich <Dativ> die S. aus dem Leib schreien (ugs.; sehr laut u. anhaltend schreien);
meiner Seel (bes. südd., österr.; Ausruf der Bekräftigung, Beteuerung; Verkürzung von »ich schwöre es bei meiner Seele«, einer nach altem Rechtsbrauch üblichen Formel);
hinter etw. her sein wie der Teufel hinter der armen S. (gierig, ganz versessen auf etw. sein).
3. (emotional) Mensch:
eine brave, ehrliche, treue, schlichte S.;
schöne S. (Menschentypus bes. des 18. Jh.s, bei dem Affekte u. sittliche Kräfte in harmonischem Verhältnis stehen);
keine S. (niemand) war zu sehen;
der Ort hatte, zählte knapp 5 000 -n (Einwohner);
R zwei -n und ein Gedanke (beide denken [wir] dasselbe);
eine S. von Mensch/von einem Menschen sein (ein sehr gütiger, verständnisvoller Mensch sein).
4.
die S. einer Sache sein (diejenige Person sein, die in einem bestimmten Bereich dafür sorgt, dass alles funktioniert: er ist die S. des Geschäfts).
5. (Waffent.) das Innere des Laufs od. Rohrs einer Feuerwaffe.
6. (Fachspr.) innerer Strang von Kabeln, Seilen o. Ä.
7. (Musik) Stimmstock von Saiteninstrumenten.
8. bes. in Süddeutschland bekanntes, meist aus einem Hefeteig aus Dinkelmehl gebackenes kleines längliches Brot.

* * *

I
Seele
 
[althochdeutsch sē(u)la, wohl eigentlich »die zum See Gehörende« (nach germanischer Vorstellung wohnten die Seelen der Ungeborenen und Toten im Wasser)],
 
 1) Musik: bei Streichinstrumenten Bezeichnung für den Stimmstock.
 
 2) Religionsgeschichte, Philosophie und Psychologie: im allgemeinen philosophischen Sinne metaphysische Prinzip des Lebens und der Ganzheit, das allen Lebewesen zukommt und mit dem in den verschiedenen Kulturen, Religionen und philosophischen Systemen der Menschheit eine Vielzahl unterschiedlicher Vorstellungen verbunden sind. Häufig als immateriell oder auch von luft- oder geistartiger Gestalt vorgestellt, findet sie sich v. a. in den Bildern des Windes, Wehens, des Hauches (der den Sterbenden beim letzten Atemzug zu verlassen scheint), des Atems beschrieben, woher in vielen Sprachen die Begriffe für Seele etymologisch abgeleitet sind (z. B. griechisch »psyche«, »pneuma«, lateinisch »spiritus«, »anima«, »animus«, indisch »atman«, ägyptisch »ba«, »ka«, semitisch »ruach«, chinesisch »guai«). Oft wird die »windartige« Seele auch mit dem Wasser assoziiert.
 
Der Begriff der Seele kann auf ein individuelles oder ein nichtindividuelles Prinzip verweisen, auf eine mit bestimmten Gegenständen verbundene numinose Kraft, auch auf überindividuelle Zusammenhänge (Volksseele) oder ein Allbeseelendes bezogen sein. Wissenschaftlich wie alltagssprachlich wird der Begriff Seele vielfach auf die menschliche Seele eingeschränkt. Er kann nicht oder nur phänomenal in einzelnen Aspekten empirisch erfasst und beschrieben werden. Im abendländischen Kulturraum wird Seele v. a. in den von der christlichen Tradition (Geist) oder der modernen Psychologie geprägten Varianten verwendet. Die frühe ethnologische Forschung, die den Seelenglauben für den Ursprung von Religion hielt (Animismus), führte ihn auf die Erfahrung der Differenz von totem und lebendigem Leib sowie auf Traumreisen von Schlafenden zurück (E. B. Tylor), wodurch der Eindruck entstehen konnte, dass es »etwas Unsichtbares« und Lebendiges neben dem Leib geben müsse; diese Vorstellung wurde dann auch auf nichtmenschliches Sein (Ding-, Tier- und Pflanzenseele) übertragen. Grundlegender ist jedoch der Seelenglaube in der sehr frühen anthropomorphen ganzheitlichen Erfahrung aller - besonders der menschlichen - Wirklichkeit verankert, die in und hinter allem willentlich handelnde Kräfte (Mana) am Werk sah; die Seelenvorstellung erscheint als Steigerung und Verdichtung dieser Erfahrungen.
 
In frühen Kulturen lassen sich verschiedene Vorstellungsreihen unterscheiden, deren Grenzen fließend sind und die später oft systematisch verbunden wurden: 1) Die Körperseele (Vitalseele) repräsentiert die »Kraft« des Leibes, einzelner Körperfunktionen (z. B. Atem) oder Organe (z. B. Haar, Leber, Blut, Herz); Letztere können auch symbolisch oder real für die ganze Seele stehen, sodass die Seele mit ihnen lebt oder stirbt. Obwohl oft auch mehrere Seelen unterschieden werden, scheint doch die Vorstellung einer Ganzheit des Lebens die Pluralität dominiert oder sich in einer der Teilseelen (z. B. Blut oder Atem) als Pars pro toto konkretisiert zu haben. 2) Die Vorstellung einer Freiseele beruht auf Traumerlebnissen an vom schlafenden Körper entfernten Orten, auf dem Glauben an ein Weiterleben der Toten und eine »Präexistenz« der noch Ungeborenen sowie auf der Fähigkeit des Menschen, seinen Leib aus einer inneren Distanz heraus (als »Objekt«) zu betrachten; Erfahrungen dieser Art legen den Gedanken nahe, der Körper sei nicht schon »alles« am Menschen. Oft vertritt die Freiseele die Ganzheit des Menschen, sodass dieser stirbt, wenn sie ihn auf Dauer verlässt; dann erscheint sie auch als die Potenz, die nach dem Tod weiterlebt. Daneben verbinden sich in manchen Kulturen mit ihr Vorstellungen von der Freiseele als Doppelgänger des Menschen (Alter Ego). 3) Die Ego-Seele (Ich-Seele) wird religionswissenschaftlich als Spezifikation entweder der Körperseele (»Anima« als Inbegriff der Affekte, Emotionen) oder der Freiseele betrachtet (Betonung von Geist und Bewusstsein).
 
Die Seele wird in frühen Kulturen häufig gestalthaft gedacht, wobei Menschen (z. B. Schatten oder auch einzelne Organe), Tiere (Seelentiere), Pflanzen, Dinge (z. B. Feuerfunken) oder auch Monstren das Schema liefern. Ihre Andersartigkeit zum Körper kann aber auch in einer gestalthaften Unanschaulichkeit zum Ausdruck kommen; die Seele wird dann z. B. im Atem oder Hauch symbolisiert, und es findet ein Übergang von Körper- zu Frei- und Ego-Seele statt. Diese Unkörperlichkeit der Seele bestimmt schon in prähistorischer Zeit in verschiedenen Kulturen den Übergang von realistischen zu symbolischen Grabbeigaben, die »Seelenlöcher« in Grabhügeln oder den Brauch der Feuerbestattung.
 
Jüdisch-christliche Tradition:
 
Das Alte Testament kennt keine Zweiteilung des Menschen in Leib und Seele. Der mit Seele übersetzte hebräische Begriff »näphäsch« (deutsch Kehle, Hals, Leben), oft im Blut konkretisiert, gehört in die Vorstellungsreihe der Körperseele; sie stirbt mit dem Leib. Daher war die im nachexilischen Judentum sich herausbildende Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tod verknüpft mit der Vorstellung vom Leben des ganzen Menschen (»Auferstehung des Fleisches«); dies gilt ebenso für Jesus und das palästinensische Judenchristentum. Erst in den späten Schriften des Alten Testaments, die von der griechischen Vorstellung einer Zweiteilung des Menschen in Leib und Seele beeinflusst waren, wurde das Leben nach dem Tod mit der Seele verbunden (z. B. Weisheit Salomos 3, 1; 9, 15), ebenso in der christlichen Theologie vom 2. Jahrhundert an, die die Lehre von einer unsterblichen Geistseele (bis ins 3. Jahrhundert als eine Art feiner Stofflichkeit gedacht) übernahm. Lange Zeit wurde das Verhältnis der Seele zum Leib nach hellenistischen Modellen dualistisch im Sinne einer Höherbewertung der Seele, die den Leib zu lenken hat, verstanden, bis sich im Hochmittelalter die Überzeugung von der leibseelischen Einheit (Thomas von Aquino: Seele als einzige Form des Leibes) durchsetzte. In den ersten christlichen Jahrhunderten wurde der Generatianismus, dem zufolge jede Seele Teil einer durch Zeugung übertragenen Gesamtseele der Menschheit ist, vertreten, danach wurde im Kreatianismus die Überzeugung vorherrschend, dass Gott jede einzelne Seele neu erschafft. Aber auch in dieser Konzeption wurde die Geistseele als ein Allgemeines aufgefasst, das erst durch die Verbindung mit der Materie individuiert wird. Eine andere Linie, die seit Boethius die Geistseele selbst als Ursprung von Selbstbewusstsein und Personalität sieht, konnte sich erst seit der Aufklärung durchsetzen. Seit Aristoteles bis ins 18. Jahrhundert wurde die Beseelung des Menschen erst für den 40. (männliche Föten) oder 80. Tag (weibliche Föten) nach der Befruchtung angenommen. Die Auseinandersetzung mit der Biologie seit dem 19. Jahrhundert hat innerhalb der christlichen Theologie zu einer Problematisierung der traditionellen Seelenvorstellung geführt. Hierbei wird diskutiert, ob die Geistseele als eine Folge der Selbstorganisation der Materie bis hin zum Bewusstsein ihrer selbst im menschlichen Geist gedacht werden kann.
 
Philosophische Tradition:
 
Prinzipiell wurde die Seele von klassisch-idealistischer oder realidealistischer Sicht überwiegend als unstoffliche Substanz, von materialistisch orientierten Positionen als unerkennbar oder als unselbstständige Eigenschaft des Körperlichen angesehen; demgegenüber vertritt der Panpsychismus in seiner radikalen Form umgekehrt die These, dass das Körperliche nur Erscheinung der Seele sei. Die Substanztheorie unterwarf die Seele als metaphysisches Prinzip einer Gliederung in »Vermögen«, »Teile« oder »Schichten« (meist in Vital-, in Wahrnehmungs- und Empfindungsseele und in Vernunft oder Geistseele), die sich in Gestalt der Schichtenlehre bis in die neue Zeit fortgesetzt hat. Durch Isolierung und Verabsolutierung ihrer höchsten Valenz als geistige Substanz im Rationalismus trat die Seele in Gegensatz zum Körper als materieller Substanz. Im Gegensatz zur Substanzialitätstheorie der antiken Philosophie entwickelte der Empirismus eine Aktualitätstheorie, die richtungweisend für die neuere Psychologie war. Zu den klassischen Vorstellungen über die Seele gehört ihre Bestimmung als eine Substanz, die immateriell, einfach (d. h. nicht zusammengesetzt und sich selbst gleich bleibend), unsterblich ist; sie ist wesentlich vom vergänglichen Leib verschieden, wobei erst Leib und Seele zusammen die Einheit des Menschen bilden, die Seele aber oft als der Kern der Person und als Subjekt menschlichen Tätigseins aufgefasst wird. In den Theorien der Antike findet sich häufig die Entgegensetzung der (»niederen«) sinnlichen Begierden (Affekte), wodurch die Seele eng mit dem Leib verbunden erscheint, und von Geist und Vernunft, wodurch sie als dem Göttlichen verwandt gilt. Geist, Verstand, Vernunft bezeichnen die »höheren«, spezifisch menschliche Möglichkeiten des Erkennens und der Urteilsbildung, die den Menschen zum Erfassen der nichtsinnlichen Wesensgründe der Welt und im praktischen Sinne zur Beherrschung des Leibes und der Affekte sowie zu sittlichem Handeln befähigen. Platon hat (zum Teil anknüpfend an die religiösen Vorstellungen des Pythagoras) als erster Philosoph eine Psychologie entwickelt. Er unterscheidet drei Seelenteile, das Triebhaft-Begehrliche, das Muthafte sowie Geist und Vernunft und vergleicht die Seele mit einem aus zwei Pferden und deren weisem Lenker bestehenden Wagengespann. Das Wesen des Menschen setzt er mit seiner Seele gleich, wobei im Leben alles darauf ankomme, ob ein Mensch gut oder schlecht handle, d. h., ob das Vernünftige in ihm zur Herrschaft gelange. Vor ihrem Eingehen in einen Leib existiert die Seele, die unsichtbar und unsterblich ist, im Reich der Ideen, wo sie die ewigen Wahrheiten schaut. Aristoteles sieht die Seele als erste Entelechie (Form, Grund und vollendende Verwirklichung aller Tätigkeit) des Leibes an. Er unterscheidet das belebende Prinzip (vegetative Seele) von der wahrnehmenden, empfindenden Seele (sensitive Seele); diese »niedere« Seele entsteht durch Zeugung und ist an die Existenz des Leibes gebunden. Sie wird beim Menschen durch die Vernunft- oder Geistseele (rationale Seele, nus) überformt (Aristoteles, Leben). An Platons »Timaios« knüpfte die Stoa mit ihrer Vorstellung einer Weltseele als einer den gesamten Kosmos belebenden und ordnenden Ganzheit an.
 
Die schon mit der aristotelischen Seelenlehre gegebene philosophische Anthropologie ging in die Scholastik (Seele als Gegenstand der Metaphysica specialis) ein. In ihr wurde von Boethius die für den Seelenbegriff klassische Definition der Person gebildet: »rationalis naturae individua substantia« (unteilbare Substanz der vernünftigen Natur). - In der Neuzeit entwickelte R. Descartes eine dualistische Metaphysik, in der er die materielle Welt (Res extensa) und die als Denkkraft (Res cogitans) bestimmte Substanz unterschied. Die hiermit aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Leib und Seele und nach der Einheit des Menschen ist der Ausgangspunkt für das bis in die Gegenwart diskutierte Leib-Seele-Problem. B. de Spinoza fasste die individuelle (Geist-)Seele als Idee des Körpers und als eines der Attribute der einen göttlichen Substanznatur auf. D. Hume sah das Ich dagegen als ein substanzloses Bündel von Vorstellungen an. I. Kant hat die metaphysische Seelenlehre als Paralogismus kritisiert, hielt aber an der Unsterblichkeit der Seele als einem Postulat der praktischen Vernunft fest. Folgenreich war die von A. Schopenhauer ausgehende triebdynamische (voluntaristische) Auffassung. Im Gegensatz zu aller früheren Philosophie ist nach ihm das Wesen des Menschen nicht mehr durch den Verstand bestimmt, sondern durch Drang, Trieb oder Willen. F. Nietzsche hat diese These weitergeführt in seinem »Willen zur Macht«. Bei L. Klages wird der Geist als Widersacher der Seele angesehen.
 
Durch diese Entwicklung ist der Begriff der Seele in der Philosophie stark zurückgetreten. In der analytischen Ontologie N. Hartmanns erscheinen seelisches Sein und Bewusstsein als unterschiedene Schichten. In der philosophischen Anthropologie und der Existenzphilosophie wird der Mensch im Sinne einer lebendigen Ganzheit thematisiert. Anstelle von Seele werden bevorzugt solche Termini verwendet, die umgrenzte Aspekte des Menschlichen bezeichnen: v. a. »Person«, »Geist«, »Bewusstsein«, »Selbstbewusstsein«. Der allgemeine Begriff Seele behält seinen traditionell gebundenen metaphysischen Gehalt, er bleibt als einheitliche Zusammenfassung aller in ihm denkbaren Merkmale lebendigen Seins der Erfahrungsforschung gegenüber transzendent.
 
In der modernen Psychologie sucht man den Seelenbegriff auszuklammern, weil er auf unbeweisbaren Voraussetzungen beruhe. Die in ihm enthaltenen Aspekte der Kontinuität, Konstanz und Identität in den psychischen Abläufen werden auf Begriffe wie »Person«, »Persönlichkeit« übertragen, wobei Momente des Körperlichen und der sozialen Umwelt berücksichtigt werden.
 
Literatur:
 
E. Rohde: Psyche. Seelencult u. Unsterblichkeitsglaube der Griechen, 2 Tle. in 1 Bd. (21898, Nachdr. 1991);
 A. Bertholet: Dynamismus u. Personalismus in der Seelenauffassung (1930);
 
S. Problembegriff christl. Eschatologie, hg. v. W. Breuning (1986);
 
Die S. Ihre Gesch. im Abendland, hg. v. G. Jüttemann u. a. (1991);
 W. Kostka: Denken u. S. Gedanken über die menschl. S. u. ihre Verantwortung (1994);
 B. Alm: Über die S. (1996).
 
 3) Technik: im Allgemeinen der innere, aus einem anderen Werkstoff bestehende oder anders gearbeitete Teil eines länglichen zylindrischen Körpers; oft der Innenfaden, der Draht, das Seil oder die Litze mit umsponnener oder »umdrillter« flexibler Mantelung (z. B. bei Gummibändern, Stahlseelen von Hochspannungsleitungen).
 
 4) Waffentechnik: Innenraum des Laufes oder Rohres einer Feuerwaffe, durch den das Geschoss die Waffe verlässt. Seelenachse, in der Längsrichtung durch die Mitte der Seele gedachte gerade Linie. Seelenweite, Durchmesser der Seele, bei gezogenen Feuerwaffen von Feld zu Feld gemessen. Seelenwand, Wandung der Seele, die bei gezogenen Feuerwaffen Züge und Felder aufweist. Seelenrohr, Kernrohr, das innere, gelegentlich lose eingesetzte Rohr eines zusammengesetzten Geschützrohres. Seelenspiegel, flacher ovaler Spiegel, der zur Untersuchung der Seele in den Lauf oder in das Rohr eingeführt wird.
 
II
Seele,
 
Johann Baptist, Maler und Grafiker, * Meßkirch 27. 6. 1774, ✝ Stuttgart 27. 8. 1814; ab 1804 Hofmaler und Galeriedirektor in Stuttgart. Seele, der realistischen Beobachtung mit klassizistischer Linearität verband, schuf Soldaten- und Schlachtendarstellungen sowie Porträts.
 
Literatur:
 
H. Mildenberger: Der Maler J. B. S. (1984).
 
III
Seele,
 
Der Glaube an eine Seele ist weltweit verbreitet. Die sublimste Form der Seelenvorstellung ist die Ich- oder Ego-Seele, die als Geist, Wille und Gemüt eines Menschen verstanden und gewöhnlich im Kopf oder im Herzen lokalisiert gedacht wird. Aristoteles stellte die Seele als belebendes Prinzip des Menschen heraus; sie war für ihn die Grundlage aller Empfindungen. R. Descartes sah Leib und Seele rein dualistisch: Gegenüber dem nur materiellen Leib war für ihn die Seele Denkkraft und Bewusstsein. D. Hume beschrieb die Seele als substanzloses »Bündel von Bewusstseinsinhalten«. - Neben dem Glauben an die Menschenseele besteht derjenige an eine Weltseele. Er findet sich im Platonismus und Neuplatonismus sowie in verschiedenen Richtungen des Pantheismus.
 
Als Träger (Substrat) psychischer Vorgänge und Erscheinungen war die Seele bis zum 19. Jahrhundert Gegenstand der Psychologie als Teilgebiet der Philosophie. Mit der Entwicklung der Psychologie zur eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin, die sich naturwissenschaftlicher Methoden bedient, wurden Fragen nach der (substanziellen) Natur der Seele als empirisch nicht entscheidbar aufgegeben. Bereits W. Wundt versuchte deshalb, mit seiner Aktualitätstheorie die Substanzialitätstheorie zu überwinden. Heute wird die Bezeichnung Seele als wissenschaftlicher Begriff kaum noch verwendet. - Psychologie, Leib-Seele-Problem.
 

* * *

See|le, die; -, -n [mhd. sēle, ahd. sē(u)la, wahrsch. zu ↑See u. eigtl. = die zum See Gehörende; nach germ. Vorstellung wohnten die Seelen der Ungeborenen u. Toten im Wasser]: 1. Gesamtheit dessen, was das Fühlen, Empfinden, Denken eines Menschen ausmacht; Psyche: die menschliche S.; ... dass Körper und S. eine Einheit bilden (Hilsenrath, Nazi 189); aber nicht Gelehrsamkeit war es, wonach seine kindliche S. strebte (Hesse, Narziß 259); eine zarte, empfindsame, unruhige, zerrissene S. haben; Wie wenig Menschen ... haben eine wahrhaft mitfühlende S.! (Musil, Mann 1045); Er hatte verlernt, sich in die S. seiner Frau zu tasten (Sebastian, Krankenhaus 54); R nun hat die liebe S. Ruh (meist scherzh.; nun kann jmd. nichts weiter verlangen, weil er bereits alles erhalten hat od. weil ein Vorrat aufgebraucht, eine Sache entzweigegangen, zerbrochen ist; nach Luk. 12, 19); zwei -n wohnen, ach, in meiner Brust (ich habe widerstreitende Gefühle; nach Goethe, Faust I, 1112); Ü ihr Blick war ganz S. (sie blickte seelenvoll); ihr [Klavier]spiel hat keine S. (wirkt kalt); *die S. baumeln lassen (ugs.; sich psychisch entspannen, von allem, was einen psychisch belastet, Abstand gewinnen); eine schwarze S. haben (einen schlechten Charakter haben); jmdm. etw. auf die S. binden (ugs.; jmdn. eindringlich bitten, sich um etw. zu kümmern); jmdm. auf der S. knien (ugs.; jmdn. eindringlich bitten, etw. Bestimmtes zu tun); auf jmds. S./jmdm. auf der S. liegen/lasten (geh.; jmdn. bedrücken): die Schuld lastete schwer auf seiner S.; jmdm. auf der S. brennen (ugs.; jmdm. ein dringendes Anliegen sein); jmdm. aus der S. sprechen/reden (ugs.; genau das aussprechen, was jmd. auch empfindet); aus ganzer/tiefster S. (1. zutiefst: ich hasse ihn aus ganzer/tiefster S. 2. mit großer Begeisterung: sie sangen aus ganzer/tiefster S. [heraus]); in jmds./jmdm. in die S. schneiden, jmdm. in der S. wehtun (geh.; jmdm. innerlich sehr wehtun, großen Kummer verursachen); in tiefster S. (zutiefst): Diese ... Händler- und Krämerpolitik ... war ihm in tiefster S. zuwider (Feuchtwanger, Herzogin 136); mit ganzer S. (mit großem Engagement); sich <Dativ> etw. von der S. reden/schreiben (über etw., was einen bedrückt, reden/schreiben u. sich dadurch abreagieren). 2. substanz-, körperloser Teil des Menschen, der nach religiösem Glauben unsterblich ist, nach dem Tode weiterlebt: die unsterbliche S.; die -n der Toten; im Fegefeuer wird die S. geläutert; und eines Tages würde seine S. eingehen zum Herrn (Schaper, Kirche 180); Schaden an seiner S. nehmen (bibl.; sündig werden); Zwei Messen für die armen -n im Fegfeuer (Sommer, Und keiner 22); Auf einem Pferd, gejagt von den -n der Ermordeten, wird er durch die Nächte reiten (Theisen, Festina 34); *die S. aushauchen (geh. verhüll.; sterben); jmdm. die S. aus dem Leib fragen (ugs.; jmdn. mit Penetranz alles Mögliche fragen); jmdm. die S. aus dem Leib prügeln (ugs.; jmdn. heftig verprügeln); sich <Dativ> die S. aus dem Leib reden (ugs.; alles versuchen, um jmdn. zu überzeugen, zu etw. Bestimmtem zu bewegen); sich <Dativ> die S. aus dem Leib schreien (ugs.; sehr laut u. anhaltend schreien); meiner Seel (bes. südd., österr.; Ausruf der Bekräftigung, Beteuerung; Verkürzung von „ich schwöre es bei meiner Seele“, einer nach altem Rechtsbrauch üblichen Formel): meiner S., auch eine Rittmeisterin ist eine Frau ...! (Frisch, Cruz 13); hinter etw. her sein wie der Teufel hinter der armen S. (gierig, ganz versessen auf etw. sein). 3. (emotional) Mensch: eine brave, ehrliche, treue, schlichte S.; seine Frau ist eine gute S.; Doktor Dozous, der Stadtarzt, eine viel beschäftigte S. (Werfel, Bernadette 31); eine lebendige S., mit der er reden konnte (Waggerl, Brot 27); niemals können subalterne -n die Freiheit ertragen (St. Zweig, Fouché 208); schöne S. (bes. im 18. Jh.; Menschentypus, bei dem Affekte u. sittliche Kräfte in harmonischem Verhältnis stehen); keine S. (niemand) war zu sehen; er ist eine durstige S. (ugs.; trinkt viel [Alkohol]); eine Gemeinde mit, von sechzig -n (Mitgliedern); der Ort hatte, zählte knapp 5 000 -n (Einwohner); R zwei -n und ein Gedanke (beide denken [wir] dasselbe); *eine S. von Mensch/von einem Menschen sein (ein sehr gütiger, verständnisvoller Mensch sein): Der Leibpolizist entpuppte sich bald als S. von Mensch (Zwerenz, Quadriga 69). 4. *die S. einer Sache sein (1. diejenige Person sein, die in einem bestimmten Bereich dafür sorgt, dass alles funktioniert: die S. des Geschäfts sein; Die S. des ganzen Unternehmens war Denis Diderot [Friedell, Aufklärung 17]. 2. wichtigster, zentraler Teil; Ausgangpunkt: ist der Schalter die S. dieses modernen ... Lötwerkzeugs [Elektronik 11, 1971, A 68]; Dieses Gemisch wiederum ... war die S. des Parfums [Süskind, Parfum 78]). 5. (Waffent.) das Innere des Laufs od. Rohrs einer Feuerwaffe. 6. (Fachspr.) innerer Strang von Kabeln, Seilen o. Ä. 7. (Musik) Stimmstock von Saiteninstrumenten.

Universal-Lexikon. 2012.