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Platonismus
Pla|to|nịs|mus 〈m.; -; unz.〉 Weiterentwicklung der Lehre Platos

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Pla|to|nịs|mus, der; -:
Gesamtheit der philosophischen Richtungen in Fortführung der Philosophie Platons.

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Platonịsmus
 
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 1) Philosophie der Mathematik: eine von P. Bernays im Anschluss an A. A. Fraenkel geprägte Bezeichnung für eine Auffassung, die davon ausgeht, dass die Gegenstände der Mathematik unabhängig vom sie denkenden Subjekt existieren (z. B. im Sinne von Platons Ideenbegriff). Andere Positionen über die Grundlagen der Mathematik stellen der Intuitionismus und der Konstruktivismus dar.
 
 2) Philosophiegeschichte: die Nachwirkung von Platons Lehre, die zunächst in der Akademie weiterentwickelt wurde. Charakteristisch für den Platonismus war in allen Epochen (außer in der »skeptischen Akademie«) die Betonung der Transzendenz des Ursprungs (in der Regel aufgefasst als die Idee des Guten oder als das Gute, identisch mit dem Einen) und der Abhängigkeit der Sinnenwelt von der intelligiblen Welt, folglich eine geringere Wertung der Empirie im Vergleich mit der Metaphysik; ferner der Gedanke des (erotischen) Aufschwungs der unsterblichen Seele zum intelligiblen Bereich, die Annäherung von Ethik und Metaphysik (Tugend ist letztlich Ideenerkenntnis), der Glaube an das Gutsein des Weltschöpfers (des Demiurgos) und an die Vernünftigkeit der Welt. - Die früheste und zugleich exemplarische kritische Reaktion auf den Platonismus stellt die Philosophie des Aristoteles dar, der in der »Metaphysik« die ontologische Trennung (chorismos) von Ideen- und Sinnenwelt tadelte und Platons Prinzipienlehre scharf ablehnte, in der »Nikomach. Ethik« und der »Politik« die Grundgedanken der platonischen Tugendlehre und Staatstheorie teils verwarf, teils modifizierte im Sinne einer größeren Realitätsnähe. - In der älteren Akademie, deren erste und bedeutendste Leiter Speusippos und Xenokrates waren, verstärkten sich die pythagoreischen Neigungen der Altersphilosophie Platons. Das Verhältnis von Ideen und Zahlen stand im Mittelpunkt des Interesses, bald verbanden sich damit mythologische Elemente. Demgegenüber wollten die führenden Männer der mittleren Akademie, Arkesilaos und Karneades von Kyrene, die kritisch-wissenschaftliche Haltung Platons wieder zur Geltung bringen, gelangten aber so zu einem, wenn auch gemäßigten Skeptizismus, der nur wahrscheinliche Erkenntnis für möglich hielt. Die jüngere Akademie (Philon von Larissa, 1. Jahrhundert v. Chr.; Antiochos von Askalon, * um 120 v. Chr., ✝ 68 v. Chr.) schätzte die Kraft der Vernunft wieder positiver ein und verband in eklektischer Weise Elemente verschiedener Systeme, namentlich platonische und stoische Gedanken. Den Platonismus der drei Akademien fasst man als älteren Platonismus zusammen. Den Übergang von diesem zum Neuplatonismus bildet der mittlere Platonismus, dessen Hauptvertreter Plutarch einen religiösen Platonismus mit starker Betonung der absoluten Transzendenz Gottes und Annahme einer Stufenreihe von Mittelwesen zwischen Gott und Welt lehrte.
 
Im Mittelalter kannte man bis zum 12. Jahrhundert nur den »Timaios«, dessen Naturphilosophie von großem Einfluss war. Im 12. Jahrhundert übersetzte Henricus Aristippus (✝ um 1162) »Menon« und »Phaidon«, im 13. Jahrhundert Wilhelm von Moerbeke den »Parmenides«. Stärker wirkte jedoch der Neuplatonismus, dessen Gedanken von denen Platons kaum unterschieden wurden. Die geschichtliche Entwicklung der mittelalterlichen Philosophie ist weithin von der Auseinandersetzung zwischen Platonismus und Aristotelismus bestimmt worden. In der Frühscholastik hatte der Platonismus v. a. durch Augustinus die Führung; insbesondere die Schule von Chartres war platonisch ausgerichtet. In der Hochscholastik bildete der Platonismus auch in den Lehrgebäuden der Aristoteliker (Albertus Magnus, Thomas von Aquino) eine starke Unterströmung; als selbstständige Bewegung trat er bei den mathematisch-naturwissenschaftlich ausgerichteten Denkern (R. Grosseteste, R. Bacon) und den deutschen Mystikern (Meister Eckhart) hervor. Letztere stellten die Verbindung mit dem Platonismus der Frührenaissance (Nikolaus von Kues) her.
 
Der Beginn des modernen Platonismus fällt in die italienische Renaissance. Giovanni Aurispa (* um 1369, ✝ 1459) brachte 1428 den vollständigen griechischen Text der Werke Platons aus Konstantinopel nach Venedig. Bald entstanden lateinische Übersetzungen; die bedeutendste stammt von M. Ficino; sie erschien 1483/84 in Florenz. Platoniker sind auch L. Bruni und der ältere G. Pico della Mirandola, ferner Byzantiner wie M. Chrysoloras, G. G. Plethon und Bessarion. Mittelpunkt war die 1459 von Cosimo de' Medici gegründete und von Ficino geleitete platonische Akademie in Florenz. Von ihr aus verbreitete sich der Platonismus über ganz Europa. Eine eigentliche platonische Schule entstand nur in England (Cambridger Schule). Doch auch in den rationalistischen Systemen von R. Descartes, B. de Spinoza und G. W. Leibniz wirkten Gedanken Platons nach. N. Malebranche wurde geradezu der »christliche Platon« genannt. Eine Neubelebung der platonischen Denkrichtung brachte im 19. Jahrhundert der deutsche Idealismus. G. W. F. Hegel griff allerdings nicht nur auf Platon, sondern mehr noch auf Plotin und den Neuplatonismus zurück. Das Werk A. Schopenhauers setzt sich u. a. aus einer Verknüpfung platonischer Ideen mit buddhistischem Gedankengut zuammen. Von nachhaltigem Einfluss waren die Platonübersetzung F. Schleiermachers (1804 ff.) und die in der Einleitung dazu geäußerten Gedanken zu einer neuen Hermeneutik der platonischen Dialoge. Im 20. Jahrhundert zeigte sich ein tief greifender Einfluss Platons in der Phänomenologie E. Husserls und in der Wertphilosophie. M. Heidegger und K. R. Popper betrachteten die platonischen Grundentscheidungen in Metaphysik beziehungsweise Staatstheorie als grundlegend für die gesamte abendländische Philosophie und erachteten daher deren nachträglichen Korrektur als vordringliches Anliegen. In H.-G. Gadamers Werk spielt der Platonismus und seine exemplarische Kritik durch Aristoteles eine zentrale Rolle. A. N. Whitehead bekannte sich ausdrücklich zum Platonismus; wenn seine Formulierung, fast die gesamte europäische Philosophie bestehe nur aus Fußnoten zu Platon, auch überspitzt ist, so weist sie doch mit Recht auf die gewaltige, alle Jahrhunderte der abendländischen Philosophie durchdringende Fortwirkung des Geistes von Platon hin. Noch beherrschender ist sein Einfluss in der Philosophie und Theologie des christlichen Ostens, in denen die platonische Tradition des Origenes und der griechischen Kirchenväter weiterlebt (W. S. Solowjow, N. A. Berdjajew).
 
Literatur:
 
H. von Stein: Sieben Bücher zur Gesch. des P., 3 Tle. (1862-75, Nachdr. 1965);
 B. Kieszkowski: Studi sul platonismo del rinascimento in Italia (Florenz 1936);
 P. Shorey: Platonism, ancient and modern (Berkeley, Calif., 1938);
 R. Klibansky: The continuity of the Platonic tradition during the Middle Ages (London 1939, Nachdr. München 1981);
 E. Hoffmann: P. u. christl. Philosophie (Zürich 1960);
 
P. in der Philosophie des MA., hg. v. W. Beierwaltes (1969);
 M. Baltes: Die Weltentstehung des platon. Timaios nach den antiken Interpreten, 2 Bde. (Leiden 1976-78);
 
Der Mittel-P., hg. v. C. Zintzen (1981);
 W. Deuse: Unterss. zur mittelplaton. u. neuplaton. Seelenlehre (1983);
 
Der P. in der Antike, begr. v. H. Dörrie, fortgef. v. M. Baltes, auf 12 Bde. ber. (1987 ff.).

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Pla|to|nịs|mus, der; -: Gesamtheit der philosophischen Richtungen in Fortführung der Philosophie Platons.

Universal-Lexikon. 2012.