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Abkürzung SPD, politische Partei, 1890 hervorgegangen aus der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), die ihrerseits 1875 aus der Vereinigung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV; gegründet 1863) mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP; gegründet 1869) entstanden war. Die SPD ist seit 1890 die Organisation der deutschen Sozialdemokratie.
Das Statut von 1891 legte die Grundlagen der Parteiorganisation fest. Beim Wiederaufbau der 1933 vom nationalsozialistischen Regime zerschlagenen Parteiorganisation knüpfte die SPD 1945 an dieses Organisationsschema an und baute es später in der Bundesrepublik Deutschland aus: Oberstes Organ ist heute der alle zwei Jahre tagende Parteitag, der den Vorsitzenden, seine Stellvertreter und alle übrigen Mitglieder des Vorstandes wählt. Dieser bestellt aus seiner Mitte das Parteipräsidium als geschäftsführenden Vorstand. Vertreter der Bezirke und Landesverbände, die sozialdemokratischen Regierungschefs der Länder, die SPD-Fraktionsvorsitzenden in Bund und Ländern und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung bilden den Parteirat. Gliederungen unterhalb der Bezirke, der Grundlage der Organisation, sind Unterbezirke (Kreisverbände) und Ortsvereine. Die Arbeitsgemeinschaften (u. a. für Arbeitnehmerfragen, AfA, der sozialdemokratischen Frauen, AsF, und Jungsozialisten) sind keine selbstständigen Gliederungen.
Seit den 1870er-Jahren war A. Bebel unbestrittener Führer der deutschen Sozialdemokratie. Nach Gründung der SPD (1890) und Verabschiedung ihres Erfurter Programms (1891) bekämpfte er im »Revisionismusstreit« u. a. mit K. Kautsky, Rosa Luxemburg, Clara Zetkin die ideologischen Positionen E. Bernsteins. Besonders unter dem Einfluss der von K. Legien geführten sozialistischen Gewerkschaften setzte sich in der SPD eine gemäßigt reformistische Linie durch. Bei Reichstagswahlen konnte sich die Partei von (1890) 27,2 % der Stimmen auf (1912) 34,8 % steigern und gewann damit zunehmend an Einfluss (1912 stärkste Reichstagsfraktion), zugleich stand ihr die geschlossene Gegnerschaft der anderen Reichstagsfraktionen gegenüber. Gesellschaftlich isoliert, entwickelte sie mit den befreundeten Organisationen (u. a. Arbeitersport- und Arbeitergesangvereine, Bildungs- und Konsumvereine, freie religiöse Gemeinden) eine eigene Subkultur. Mit den sozialistischen Gewerkschaften schuf sie wirtschaftliche Unternehmen (Verlage, Versicherungen). Nach Bebels Tod (1913) übernahm F. Ebert die Führung der Partei.
Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1. 8. 1914) stimmte die SPD im Reichstag für die Gewährung von Kriegskrediten (4. 8. 1914; innenparteiliche Gegner dieser Politik des »Burgfriedens« sammelten sich 1916 in der »Gruppe Internationale« (Spartakusbund) sowie 1916/17 in der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD). Im weiteren Verlauf des Krieges forderte die SPD - nunmehr oft »Mehrheitssozialisten« genannt - nach innen Reformen (besonders Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen), nach außen einen Verständigungsfrieden. Mit dem Zentrum und der Fortschrittlichen Volkspartei verabschiedete sie am 19. 7. 1917 die Friedensresolution des Reichstags. Am 3. 10. 1918 trat sie in die Reichsregierung unter Prinz Max von Baden ein.
Im Zuge der Novemberrevolution errangen SPD und USPD mit der Übernahme des Reichskanzleramts durch Ebert de facto die provisorische Regierungsgewalt in Deutschland; beide bildeten zunächst gemeinsam den Rat der Volksbeauftragten. Mit Billigung der Reichsversammlung der Arbeiter-und-Soldaten-Räte strebte dieses Gremium, in dem die SPD ab 29. 12. allein vertreten war, unter Verzicht auf die Realisierung revolutionärer Gesellschaftskonzepte Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung an. In der Nationalversammlung (1919-20) und im Reichstag (1920-32, mit Unterbrechung 1924) stellte sie die stärkste Fraktion. Ebert war 1920-24 Reichspräsident, P. Löbe 1920-32 Reichstagspräsident. Im Rahmen der Weimarer Koalition trug die SPD bis 1920 maßgebliche Regierungsverantwortung unter dem Ministerpräsidenten P. Scheidemann und den Reichskanzlern G. Bauer (1919-20) und Hermann Müller (1920). 1923 beteiligte sie sich an der Regierung der »großen Koalition«, blieb dann jedoch bis 1928 in der Opposition. In Preußen behielt sie bis 1932 die politische Führung (Ministerpräsident O. Braun). 1928 übernahm Müller als Reichskanzler die Führung einer »großen Koalition«. In der 1929 beginnenden Weltwirtschaftskrise schwankte die SPD zwischen einer Rolle als »Klassenpartei« und einer Funktion als »staatstragende«, d. h. die parlamentarisch-demokratische Republik (im Kampf gegen Kommunismus und Nationalsozialismus) verteidigende Partei. Der innenparteiliche Richtungsstreit führte auch zum Sturz der Regierung Müller. Von der KPD als »Sozialfaschisten« bekämpft, erlitten die Sozialdemokraten bei den Reichstagswahlen starke Einbußen; sie fielen von (1930) 24,5 % über (6. 11. 1932) 20,4 % auf (1933) 18,3 % der Stimmen. Der Staatsstreich der Reichsregierung unter F. von Papen gegen die sozialdemokratisch geführte Landesregierung in Preußen (»Preußenschlag«) schwächte die politische Abwehrkraft der SPD gegen den Nationalsozialismus stark.
Nach dem Regierungsantritt Hitlers (30. 1. 1933) suchte sich die Partei mit der Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes im Reichstag (O. Wels) im März 1933 der sich etablierenden nationalsozialistischen Diktatur entgegenzustellen. Bis 1945 wurden ihre Mitglieder und Anhänger verfolgt oder ins Exil getrieben; viele starben in Konzentrationslagern oder Zuchthäusern. Der Vorstand der Exil-SPD (»SoPaDe«) amtierte 1933-37 in Prag (u. a. »Prager Manifest«; 1934), 1938-40 in Paris, 1940-45 in London. Die im Deutschen Reich illegal tätigen SPD-Gruppen wurden größtenteils 1938/39 zerschlagen; zahlreiche SPD-Mitglieder schlossen sich der Widerstandsbewegung an (u. a. J. Leber, W. Leuschner).
Im Juni 1945 wurde die SPD in den vier Besatzungszonen wiedergegründet sowie zunächst v. a. lokal und regional unter unterschiedlichen Zulassungsbedingungen wieder aufgebaut; der in Berlin gebildete »Zentralausschuss« fungierte 1945/46 als zonales Führungsorgan; ein gesamtdeutsches Leitungsgremium existierte nicht. Die programmatische Entwicklung nahm in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands einerseits und in der SBZ andererseits einen gegensätzlichen Verlauf. In der SBZ sah sich die SPD unter O. Grotewohl im April 1946 zum Zusammenschluss mit der KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) genötigt, auch unter Selbsttäuschungen wie z. B. - bei Berufung auf die »Einheit der Arbeiterklasse« - Illusionen an der Basis über den späteren Parteicharakter und Hoffnungen auf Wiedervereinigung Deutschlands. Später waren ehemalige SPD-Mitglieder bei der Stalinisierung der SED Säuberungswellen unterworfen. Wegweisend für die Programmdiskussion der SPD in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands wurden die politischen Richtlinien K. Schumachers (1945/46; Vorsitzender 1946-52), die eine enge Verbindung von Sozialismus und Demokratie und den Aufbau eines pluralistischen Parteiensystems forderten. Unter Absage an den Gedanken einer Einheitspartei sowie in deutlicher politischer Abgrenzung zur KPD suchte die SPD hier neben der Arbeiterschaft die alten und neuen Mittelschichten anzusprechen; unter Anknüpfung an ihre organisatorische Tradition und ihr früheres Programm nahm sie einen raschen Aufstieg.
Bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat über das GG der Bundesrepublik Deutschland (1948/49) setzte sich die SPD neben gesellschaftspolitischen Fragen stark für eine bundesstaatliche Ordnung ein. Innenpolitisch bekämpfte sie zunächst die soziale Marktwirtschaft und forderte u. a. die Sozialisierung der Grundstoffindustrien. Sie lehnte die Westintegration sowie die mit ihr verbundene Wiederbewaffnung Deutschlands als Hindernis auf dem Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands ab und setzte sich für den Abbau der Paktsysteme sowie den Einbau eines wieder vereinigten Deutschlands in ein kollektives Sicherheitssystem ein. 1952-64 war E. Ollenhauer, 1964-87 W. Brandt Vorsitzender der Partei. Beeinflusst von H. Wehner, wandte sich die SPD im Godesberger Programm von 1959 von marxistischen Denkansätzen ab und der Konzeption einer linken Volkspartei zu. Sie akzeptierte die soziale Marktwirtschaft und bekannte sich zur Westbindung der Bundesrepublik.
Nach Stimmengewinnen bei den Bundestagswahlen 1961 und 1965 beteiligte sie sich 1966-69 an der Regierung einer großen Koalition (CDU/CSU-SPD). Nachdem SPD und FDP im März 1969 die Wahl G. Heinemanns (SPD) zum Bundespräsidenten (1969-74) durchgesetzt hatten, bildeten beide Parteien im Anschluss an die Bundestagswahlen von 1969 die Regierung. Unter den Bundeskanzlern Brandt (1969-74) und Helmut Schmidt (1974-82) nahm die sozialliberale Koalition eine - nicht unumstrittene - Neuorientierung der Deutschland- und Ostpolitik vor und leitete innere Reformen ein; mit der Entspannungspolitik wurden aber auch 1971 die 1946 eingerichteten »Ostbüros« in der DDR, die die SED bekämpften, aufgegeben. Ab Ende der 1970er-Jahre beteiligten sich viele zumeist linke SPD-Mitglieder an Aktionen der Friedensbewegung. Am 1. 10. 1982 geriet die SPD auf Bundesebene in die Opposition. Mit dem heftig kritisierten Dialog der 1980er-Jahre mit der SED (u. a. gemeinsames Dokument »Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit«, 1987) suchte sie die Entspannungspolitik fortzusetzen.
Im Herbst 1989 entstand als Teil der Bürgerbewegung eine Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP; gegründet am 7. 10. 1989); im September 1990 schloss sie sich mit der SPD zu einer gesamtdeutschen Partei zusammen.
Bundesvorsitzende waren 1987-91 H. J. Vogel, 1991-93 B. Engholm, Mai/Juni 1993 amtierend J. Rau, nach einer Mitgliederbefragung (13. 6. 1993) ab 25. 6. 1993 R. Scharping; er wurde am 16. 11. 1995 durch O. Lafontaine abgelöst. Nach dessen Rücktritt im März 1999 wurde am 12. 4. 1999 G. Schröder zum Bundesvorsitzenden gewählt. Am 23. 5. 1999 wählte die gesamtdeutsche Bundesversammlung erstmals wieder den Kandidaten der SPD, J. Rau, zum Bundespräsidenten.
Ab 1945/46 ist die SPD an der Bildung zahlreicher deutscher Landesregierungen beteiligt. Über die von ihr geführten Landesregierungen besaß sie in den 1990er-Jahren im Bundesrat eine starke Stellung. Erstmals mit der Regierungsbildung in Sachsen-Anhalt (1994) gewann ihr Verhältnis zur PDS immer größeres öffentliches Interesse, dieses verstärkte sich mit der Bildung einer ersten SPD-PDS-Koalition in Mecklenburg-Vorpommern (1998). - Auf dem Programmparteitag in Berlin trat am 20. 12. 1989 ein neues Grundsatzprogramm in Kraft (Federführung: O. Lafontaine); geändert auf dem Parteitag in Leipzig am 17. 4. 1998, fordert es den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft, stärkere plebiszitäre Elemente im Verfassungsleben und die Lösung globaler Probleme. Programmatisch gelangte zunehmend der Aufbau einer sozialen und ökologischen Gesellschaft sowie deren Umsetzung (Abbau der Arbeitslosigkeit, ökologische Steuerreform) in den Vordergrund.
Seit 1948 arbeitet die SPD mit den europäischen sozialdemokratischen Parteien zusammen. Bei den Direktwahlen zum Europäischen Parlament errang die SPD 1979 40,8 %, 1984 37,4 %, 1989 37,3 %, 1994 32,2 % und 1999 30,7 % der Stimmen in Deutschland (1994 40, 1999 53 Abgeordnete in der SPE-Fraktion). - Nach den Bundestagswahlen 1998 wurde die SPD zum zweiten Mal nach 1972 stärkste Partei im Parlament (40,9 % der Stimmen) und stellt seither mit G. Schröder wieder den Bundeskanzler. - Über die Zahl der Abgeordneten und der Sitze der SPD im Deutschen Bundestag deutsche Geschichte (Übersicht).
B. Bouvier: Ausgeschaltet! Sozialdemokraten in der sowjet. Besatzungszone u. in der DDR 1945-1953 (1996);
K. Klotzbach: Der Weg zur Staatspartei. Programmatik, prakt. Politik u. Organisation der dt. Sozialdemokratie 1945-65 (Neuausg. 1996);
Deutschland an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Bilanz einer erstarrten Politik. Wege zum Aufbruch. Sozialdemokratische Perspektiven, hg. v. K.-J. Scherer u. H. Tiemann (1998).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Parteien: Anfänge der Arbeiterparteien
Universal-Lexikon. 2012.