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Prag
Praha; Hauptstadt von Tschechien; Goldene Stadt (umgangssprachlich)

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Prag:
Hauptstadt von Tschechien.

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I
Prag,
 
tschechisch Prạha, Hauptstadt der Tschechischen Republik, 176-391 m über dem Meeresspiegel, in einem weiten Talkessel (Prager Becken) beiderseits der Moldau, inmitten des Böhmischen Massivs, 1,19 Mio. Einwohner; bildet verwaltungsmäßig eine eigene Region (496 km2) und ist zugleich Verwaltungssitz des Mittelböhmischen Bezirks. Die Stadt breitet sich auf den Flussterrassen der Moldau, das äußere Stadtrandgebiet auch auf den angrenzenden Hochflächen aus, deren Sporne bis nahe ans linke Moldauufer reichen und dieses bis 140 m überragen. Auf einem dieser Hochflächenausläufer liegen die Burg und der Stadtteil Hradschin (Hradčany), während das zwischen dem Vyšehradfelsen (bis 57 m über der Moldau) und dem Moldauknie gelegene historische Stadtzentrum mit der Altstadt (Staré Město) und der Neustadt (Nové Město) rechts sowie die Kleinseite (Malá Strana) links der Moldau die untersten Flussterrassen einnehmen.
 
Prag ist katholischer Erzbischofssitz sowie Kultur- und Wirtschaftszentrum des Landes, mit der Tschechischen Akademie der Wissenschaft und der Tschechischen Akademie der Landwirtschaftswissenschaft, der Karls-Universität Prag, der Tschechischen TH u. a. Hochschulen, der Akademie der Bildenden Künste, der Akademie für Musik sowie mehreren Forschungsinstituten, Bibliotheken, Museen (darunter Nationalmuseum, Museum der Hauptstadt Prag, Jüdisches Staatsmuseum) und Gemäldegalerien; Goethe-Institut (seit 1990); Planetarium, botanischer und zoologischer Garten, zwei Opernhäuser und 22 ständige Theater; im Stadtteil Barrandov Filmateliers.
 
Wirtschaft:
 
Prag ist das wichtigste Industriezentrum des Landes. Führend sind Maschinen- und Fahrzeugbau, gefolgt von der Nahrungs- und Genussmittel-, der chemischen, pharmazeutischen, elektrotechnischen und elektronischen, feinmechanischen und optischen Industrie, ferner von Textil- und Bekleidungs-, Schuh- und Papierindustrie sowie dem Verlags- und Druckereigewerbe. Prag ist daher auch der wichtigste Verkehrsknotenpunkt mit internationalem Flughafen (Ruzyně, im Nordwesten) und Flusshafen (Beginn der Moldauschifffahrt). Wichtigstes innerstädtisches Verkehrsmittel ist (seit 1974) die U-Bahn.
 
Stadtbild:
 
In der historischen Altstadt (UNESCO-Weltkulturerbe) sind Wohnbauten mit romanischen Kellern, gotischen Überbauungen und barocken Fassaden zu finden. Der gotische Pulverturm ist einer der 13 Türme der alten Stadtbefestigung. Das Altstädter Rathaus (ursprünglich 14. Jahrhundert, mehrmals erweitert, zuletzt 1878) besitzt eine berühmte astronomische Uhr (1410, 1490 von Meister Hanuš z Růže verbessert). Der Teynhof (Ungelt) diente Kaufleuten als Handels- und Lagerplatz; sein Granovskýhaus ist eines der besterhaltenen Häuser im Renaissancestil. Die Teynkirche (1135 gegründet) wurde seit 1365 in gotischem Stil neu erbaut (später zum Teil umgestaltet). Etwa gleichzeitig entstanden die Heiliggeistkirche, das Agneskloster (1234 gegründet; heute Ausstellungsräume der Nationalgalerie) und die Ägidienkirche. Das Haus zur steinernen Glocke (frühgotisch, 1340 und im 17./18. Jahrhundert umgebaut; in seiner ursprünglichen gotischen Form restauriert). Ab 1357 ließ Karl IV. die Karlsbrücke über die Moldau errichten; der Altstädter Brückenturm entstand 1357. Ab 1683 wurde die Brücke mit Heiligenstatuen geschmückt (älteste ist die des Johannes von Nepomuk). Zu den Barockbauten gehören u. a. die Kreuzherrenkirche (1679-88 von J.-B. Mathey) und die Kirche Sankt Franziskus (17. Jahrhundert), ferner die Jakobskirche (1232 gegründet, barock umgebaut) sowie viele Adelspaläste (Palais Kinsky, heute Abteilung der Nationalgalerie; Clam-Gallas; Pachta u. a.). Aus jüngerer Zeit stammen das Ständetheater (1781-83), das Gerichtsgebäude am Obstmarkt, einst Teil des königlichen Münzhofs, und das Rudolfinum (Künstlerhaus, 1876-84; Sitz der Philharmonie und Galerie Rudolfinum). Das erste Hauptgebäude der Universität ist das Carolinum, entstanden aus einem Wohnhaus (1370) mit gotischem Erker. Im Klementinum, ehemaliger Jesuitenkolleg, mit prächtigen Barocksälen, sind heute Bibliotheken untergebracht. Zu den ältesten Siedlungen im Prager Bereich gehört die Josefstadt (Name seit 1850), ursprünglich die Judenstadt, mit Altneusynagoge von 1270 (älteste Europas), Jüdisches Rathaus mit Hoher oder Rathaussynagoge (1568 erbaut, später verändert; nach Restaurierung seit 1996 jüdisches Studienzentrum), Pinkassynagoge (14. Jahrhundert, Umbauten 1536, 1625) mit dem Denkmal der Opfer des Nationalsozialismus sowie dem alten jüdischen Friedhof mit fast 12 000 Grabsteinen (15.-18. Jahrhundert).
 
Zentren der Neustadt sind der Wenzelsplatz mit dem Reiterstandbild des heiligen Wenzel von J. Myslbek (1922 vollendet) und dem ihn im Südosten abschließenden Nationalmuseum (Neurenaissance, 1885-90) sowie der Karlsplatz, der größte Platz der Stadt, mit dem Neustädter Rathaus (im Kern 14. und 15. Jahrhundert). Ebenfalls aus dem 14. Jahrhundert stammen die Kirchen Maria Schnee (1347, nach Einsturz 1611 erneuert), die Heinrichskirche (1348-51) und Sankt Wenzel am Zderas. In der Barockzeit entstanden viele Adelspaläste, u. a. die Palais Swerts-Spork, Schirnding (Kaňkahaus), Sylva-Taroucca und Losinthal, im 18. Jahrhundert das Palais Mac Neven. Das Nationaltheater (am Moldauufer) wurde 1868-81 erbaut. Der Burgkomplex Vyšehrad, als zeitweiliger Fürstensitz die bauliche Entsprechung zum Hradschin auf der anderen Moldauseite, entwickelte sich im 15. Jahrhundert zur selbstständigen Siedlung, in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde er zur Festung mit barocken Torwerken ausgebaut. Die oft umgebaute Kollegiatkapitelskirche Sankt Peter und Paul und die romanische Martinsrotunde stammen aus dem 11. Jahrhundert.
 
Auf der Kleinseite entstanden in der Barockzeit fast 200 Adelspaläste (Auersperg, Buquoy, Fürstenberg, Kolowrat, Liechtenstein, Lobkowitz, Morzin, Nostitz, Rohan, Schönborn u. a.); das Waldstein-Palais mit Reithalle und Sala terrena wurde von italienischen Baumeistern für A. V. E. Valdštejn (Wallenstein, Albrecht Wenzel Eusebius von) errichtet. Die Sankt-Niklas-Kirche, ein Werk von C. und K. I. Dientzenhofer (1703-53), die Thomaskirche der Augustinereremiten (im Kern 13. Jahrhundert, später umgestaltet, 1725-31 von K. I. Dientzenhofer barockisiert) und die Wallfahrtskirche Maria de Victoria (ursprünglich 1611-13 für deutsche Protestanten erbaut, 1624 den Karmelitern übergeben und umgebaut), wo seit 1628 das »Prager Jesuskind« verehrt wird, sind die bedeutendsten Kirchen der Kleinseite.
 
Die Prager Burg auf dem Hradschin war seit dem frühen Mittelalter Sitz der Přemyslidenfürsten, der Kaiser, Könige und Präsidenten. Reste der frühen Burg wurden bei Grabungen aufgedeckt (Holzbauten, Palast u. a.). Unter Karl IV. und Wenzel IV. entstanden gotischen Erweiterungsbauten. B. Ried schuf den Wladislawsaal (1486-1502), einen der bedeutendsten Räume des Königspalastes. Die heutige Gestalt der Burg geht auf den Umbau unter Kaiserin Maria Theresia zurück. Der Sankt-Veits-Dom wurde von Herzog Wenzel dem Heiligen um 925 gestiftet. Die ursprüngliche Rundkirche ersetzte man im 11. Jahrhundert durch eine romanische Basilika und später durch die gotische Kathedrale der Meister Matthias von Arras und P. Parler; erst 1929 kam der Dombau zum Abschluss. In der Wenzelskapelle befindet sich das Hochgrab des Heiligen, eine Nebenkammer birgt die Krönungsinsignien. Das königliche Oratorium, die erzbischöfliche oder Pernsteinkapelle, der Sarkophag des Johannes von Nepomuk (1733-36), das königliche Mausoleum und die Königskrypta unter dem Mausoleum gehören zu den wichtigsten Gedenkstätten des Doms. Bei der romanischen Georgskirche (um 925 geweiht) auf der Burg gründeten die Fürsten 973 das erste Frauenkloster Böhmens (Gebäude aus dem 12. Jahrhundert, beherbergen heute eine Abteilung der Nationalgalerie). In der Allerheiligenkirche (1370-87, Chor von P. Parler) ist Prokop von Sázava, ein Landespatron, bestattet. Das Lustschloss Belvedere der Königin Anna, ein Renaissancebau (1536-63), befindet sich in den Gartenanlagen.
 
Neben der Burg stehen das Erzbischöfliche Palais (1561; 1675-79 von J.-B. Mathey barockisiert) sowie zahlreiche Domherrenhöfe und Adelspaläste (u. a. Palais Schwarzenberg mit Sgraffitoschmuck; Palais Sternberg, heute Haupthaus der Nationalgalerie). Vom Palais Toskana (von Mathey) aus wurden die kaiserlichen Privatgüter verwaltet. Das Loretoheiligtum mit der Kapelle Casa Santa (seit 1626) mit dem Loretoschatz gehört zu den schönsten Barockdenkmälern der Stadt. Das Palais Černín (1669-97) ist heute Außenministerium der Tschechischen Republik Südwestlich der Burg liegt die ehemalige Prämonstratenserabtei Strahov (im 12. Jahrhundert gegründet, barock umgebaut) mit kostbarer Kunstsammlung.
 
In Prag sind auch viele Bauten des Jugendstils erhalten, darunter das prächtige Gemeindehaus (Obecní dům, 1906-11; heute Repräsentationshaus der Hauptstadt Prag, mit Konzertsaal, Salons u. a.) beim Pulverturm, das Grandhotel Europa (1906) am Wenzelsplatz und zahlreiche Wohnhäuser, v. a. in der Pariser Straße (Pařížská), sowie Gebäude im Stil des tschechischen Kubismus (u. a. Villa Vyšehrad von Josef Chochol, 1913; Haus zur Schwarzen Muttergottes von Josef Gočár, 1911/12). Im Stil der klassischen Moderne entstand 1930 die »Villa Müller« im Stadtteil Střesovice (nach Restaurierung Nutzung als Museum vorgesehen).
 
Im Stadtteil Zbraslav (Königsaal), 1268 als königlicher Jagdhof gegründet, befindet sich Schloss Zbraslav, ursprünglich ein 1292 gestiftetes Zisterzienserkloster (1784 aufgehoben), dessen Gebäude um 1709 neu errichtet und Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem Schloss umgestaltet wurden (seit 1976 beherbergt es die Sammlung tschechischer Plastik des 19. und 20. Jahrhunderts der Nationalgalerie).
 
Neben Rekonstruktions- und Restaurierungsmaßnahmen an zahlreichen Gebäuden tragen v. a. die neu entstandenen Hotels, Büro- und Geschäftsbauten zur Veränderung des Stadtbildes bei, u. a. IBC-Gebäude (International Business Center) von Václav Králiček und Martin Kotík (1990-93), Office Centre im Stadtteil Vinohrady von A. D. N. S.—Architekten (1994), Bürohaus Rašín (»Ginger and Fred«) von F. O. Gehry und Vladimir Milunić (1994-96).
 
Geschichte:
 
Prag, das im 9. Jahrhundert aus 40 befestigten Höfen bestand, entwickelte sich aus mehreren Siedlungen zwischen den beiden Burgen Vyšehrad und Hradschin; 973 wurde das Bistum Prag gegründet. Seit Ende des 11. Jahrhunderts ist die jüdische Gemeinde in Prag belegt, eine der bedeutendsten in Europa (Blüte: 16. und 17. Jahrhundert). Durch intensive, auch deutsche Besiedlung, die von König Ottokar II. Přemysl (1253-78) stark gefördert wurde, entstand die Kleinseite, die 1257 Stadtrechte erhielt; die Altstadt besaß Stadtrecht seit 1230. Prag erlebte durch Kaiser Karl IV., unter dem 1344 das Bistum aus der Mainzer Metropolitangewalt gelöst und zum Erzbistum erhoben wurde und der die Stadt 1346 als Residenz gewählt hatte, seine erste Blütezeit. Mit dem Bau der Neustadt und der Gründung der (Karls-)Universität (1348) wuchs die Bedeutung Prags. Von Prag nahm die Bewegung des J. Hus mit dem 1. Prager Fenstersturz (30. 7. 1419 ihren Ausgang, hier endeten die Hussitenkriege mit den Prager Kompaktaten von 1433. Der 2. Prager Fenstersturz (23. 5. 1618 löste den Böhmenen Aufstand und letztlich den Dreißigjährigen Krieg aus. Unter Kaiser Joseph II. wurden 1784 die Magistrate der vier Prager Städte (Altstadt, Kleinseite, Neustadt, Hradschin) vereinigt. Nach dem Bau der Bahnlinie Prag-Wien (1845) setzte die Industrialisierung ein, die Prag als wirtschaftliches Zentrum Böhmens stärkte. Im Juni 1848 war Prag das Zentrum der fehlgeschlagenen nationaltschechischen Revolution (Slawenkongress, »Prager Pfingstaufstand«). Eine Änderung des Wahlmodus brachte der tschechischen Bevölkerungsmehrheit 1861 erstmals auch die Mehrheit im Stadtparlament. - Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war Prag ein Zentrum deutsch-jüdischer Kultur (Prager Kreis). - Von 1918 bis 1992 war Prag (seit 1920 durch zahlreiche Eingemeindungen »Groß-P.«) Hauptstadt der Tschechoslowakei. Nach der Besetzung Prags durch deutsche Truppen (März 1939) wurde Prag Hauptstadt des »Protektorats Böhmen und Mähren« (bis zum Einmarsch sowjetischer Truppen, 9. 5. 1945); der »Prager Maiaufstand« (ab 5. 5.) mündete in die brutale Verfolgung der Sudetendeutschen. Im August 1968 wurde dem Prager Frühling ein gewaltsames Ende gesetzt. Ab Januar 1989 wurde Prag mit Protestkundgebungen zum Ausgangsort der »sanften Revolution« (Bürgerbewegung). Seit 1969 auch Hauptstadt der Tschechischen Republik (innerhalb der Föderation), wurde Prag am 1. 1. 1993 Hauptstadt der unabhängigen Tschechischen Republik
 
Im Siebenjährigen Krieg besiegte König Friedrich II., der Große, von Preußen in der Schlacht bei Prag am 6. 5. 1757 die Österreicher unter Prinz Karl Alexander von Lothringen, musste aber die Belagerung der Stadt nach der Niederlage bei Kolin (18. 6.) abbrechen. - Am 30. 9. 1989 verkündete H.-D. Genscher vom Balkon der deutschen Botschaft im Palais Lobkowitz in Prag die Öffnung der Grenze für etwa 7 000 Botschaftsflüchtlinge aus der DDR, die zum Teil seit Anfang September ihre Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland erwarteten (deutsche Geschichte).
 
Literatur:
 
V. Lorenc: Das P. Karls IV. (a. d. Tschech., 1982);
 J. Janáček: Das alte P. (a. d. Tschech., Leipzig 21983);
 G. Wachmeier: P. Ein Kunst- u. Reiseführer (51990);
 J. Hnízdo u. J. Gruša: Auf der Brücke zum Morgen. P., die goldene Stadt der hundert Türme (Neuausg. 1991);
 
Unvergängl. P. Die Goldene Stadt in Gesch. u. Gegenwart, bearb. v. H. Pleticha u. a. (31991);
 
P., hg. v. J. Chwaszcza (Neuausg. 1994);
 
Prager Palais, bearb. v. L. Pořizka u. a. (a. d. Tschech., 1994);
 
Architekturführer P., bearb. v. R. Sedláková (1997);
 L. Vorel: P. (71997);
 
Barockarchitektur in P., bearb. v. M. Pavlík u. V. Uher (Neuausg. Amsterdam 1998).
 
II
Prag,
 
Friede von,  
 1) Friede vom 30. 5. 1635 zwischen Kaiser Ferdinand II. und Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen mit dem Ziel, über alle politischen und konfessionellen Gegensätze hinweg die kriegerischen Auseinandersetzungen im Reich zu beenden und dessen Integrität gegenüber Frankreich und Schweden zu schützen. Für das Bündnis mit dem Kaiser erhielt Sachsen die Ober- und Niederlausitz sowie die böhmischen Lehen. - Nahezu alle Reichsstände traten dem bilateralen Vertrag bei, dessen Kernstück staatsrechtlich neuartige Bestimmungen für eine Reichsarmee unter kaiserlichem Oberkommando waren; er scheiterte jedoch.
 
 2) auf der Basis des Vorfriedens von Nikolsburg (26. 7.) am 23. 8. 1866 geschlossener Friede, der den Deutschen Krieg von 1866 zwischen Preußen und Österreich beendete und der Neugestaltung Deutschlands unter preußischer Vorherrschaft den Weg ebnete.
 

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Prag: Hauptstadt der Tschechischen Republik.

Universal-Lexikon. 2012.