Kardinaltugenden,
lateinisch Virtutes cardinales, Virtutes principiales, seit Ambrosius die Bezeichnung für die vier Haupttugenden Weisheit (griechisch sophia, lateinisch sapientia), Tapferkeit (griechisch andreia, lateinisch fortitudo), Besonnenheit (griechisch sophrosyne, lateinisch temperantia) und Gerechtigkeit (griechisch dikaiosyne, lateinisch iustitia), die sich in systematischer Ausgestaltung erstmals bei Platon finden, der die Gerechtigkeit über die anderen Kardinaltugenden stellte; von der Stoa an wurden die übrigen Tugenden auf sie zurückgeführt.
Ambrosius berücksichtigte die Kardinaltugenden in der Bibelexegese als Topoi allegorische Schriftdeutung (in ähnlicher Weise auch Hieronymus, Augustinus, Beda und Hrabanus Maurus). Thomas von Aquino integrierte die Kardinaltugenden in die Ausgestaltung seiner Morallehre. In seiner Verknüpfung von antiker Philosophie und christlicher Theologie verband er die antiken Kardinaltugenden mit den drei theologischen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung (1. Korintherbrief 13, 13). Im 17. Jahrhundert fasste A. Geulincx als Kardinaltugenden Fleiß, Gehorsam, Gerechtigkeit und Demut, später F. Schleiermacher Weisheit, Liebe, Besonnenheit und Tapferkeit. Im Thomismus und in der katholischen Moraltheologie blieb die klassische Einteilung bis in unser Jahrhundert erhalten.
O. F. Bollnow: Wesen u. Wandel der Tugenden (1958);
J. Pieper: Das Viergespann (1964).
Universal-Lexikon. 2012.