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Karthago
Kar|tha|go:
phönizische Stadt in Nordafrika.

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I
Karthago
 
Karthago (phoinikisch »Quarthadascht« = »Neu-Stadt«) wurde im 9. Jahrhundert v. Chr. von Phoinikern (Puniern) aus Tyros gegründet. Die Ansiedlung diente zunächst dazu, phoinikische Schiffe auf dem Weg zu den Silberminen Spaniens zu verproviantieren. Karthagos Lage auf einer Halbinsel nahe dem heutigen Tunis bot Schutz vor Feinden, sicherte aber gleichzeitig den Zugang zum wirtschaftlich reichen Hinterland und begünstigte so den raschen Aufstieg. Moderne Schätzungen ergeben eine Einwohnerzahl von 300000 bis 400000 für die Zeit vor dem Beginn der Punischen Kriege.
 
Karthagos Reichtum basierte auf intensiver Landwirtschaft und Fernhandel. Der Machtbereich, den die Stadt seit dem 7. Jahrhundert kontinuierlich aufbaute, umfasste schließlich neben der Nordküste Afrikas (Tunesien, Libyen, Marokko, Algerien) die Küstenregionen von Südostspanien, Korsika, Sardinien, die Balearen und den westlichen Teil Siziliens. Die Karthager beschränkten sich in erster Linie auf die Bildung von Stützpunkten; mit den Völkern des Hinterlandes schlossen sie Verträge ab. Auf Entdeckungsfahrten waren die punischen Seefahrer Himilkon und Hanno, dessen Bericht überliefert ist, bereits vor 450 bis an die Westküsten Europas (bis zur Nordsee) bzw. Afrikas (Guinea) gelangt.
 
Karthago besaß nach den spärlichen Hinweisen vor allem von Aristoteles und des Historikers Polybios (2. Jahrhundert v. Chr.) eine aristokratisch-timokratische Verfassung mit demokratischen Elementen. An der Spitze des Staates, der wohl zunächst monarchisch regiert worden war, standen seit dem 6. Jahrhundert zwei jährlich von der Volksversammlung gewählte Sufeten (Richter). Die wichtigste Institution mit Entscheidungskompetenzen etwa in der Frage von Krieg und Frieden bildete der aus den Aristokraten zusammengesetzte Rat der 300, aus dem sich wiederum ein Rat der 30 Ältesten rekrutierte. Der Staatsgerichtshof mit (nach 396 v. Chr.) 104 auf Lebenszeit gewählten Mitgliedern wachte über die Einhaltung der Verfassung. Den militärischen Oberbefehl übte ein eigens bestimmter Stratege aus; das Amt war auch Nicht-Karthagern zugänglich.
 
Im Kampf um das westliche Mittelmeer errang Karthago nach Herodot seinen ersten großen Erfolg um das Jahr 540. In einer Seeschlacht nahe Alalia auf Korsika besiegte es im Bündnis mit den Etruskern eine ionische Flotte. Auf Sizilien erfolgte 480 jedoch ein Rückschlag, als das karthagische Heer von den Tyrannen Gelon und Theron besiegt wurde. Erst 70 Jahre später wagte Karthago nach dem Niedergang Athens eine erneute Offensive und konnte sich nach langen Kämpfen im Westteil der Insel behaupten. Das Verhältnis zwischen Rom und Karthago wurde durch drei Verträge geregelt. Den ältesten datiert der Historiker Polybios wohl zu früh ins Jahr 508/07. Er grenzte wie der zweite von 348 die Einflusssphären der beiden Mächte voneinander ab. Im Zusammenhang mit der Westexpansion des Königs Pyrrhos steht ein dritter Vertrag aus dem Jahre 279/78.
 
II
Karthago,
 
phönikisch Kart-Hadạscht [»Neustadt«], griechisch Karchedon, lateinisch Carthago, antike Stadt auf einer Halbinsel nordöstlich von Tunis, heute die Ruinenstadt Carthage [kar'ta:ʒ].
 
Karthago wurde nach antiken Quellen im letzten Viertel des 9. Jahrhunderts v. Chr. (814; früheste archäologische Funde aus der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr.), von Phönikern (Puniern) aus Tyros - der Sage nach von der Königin Dido - gegründet. Die Verbindung mit der Mutterstadt blieb durch jährliche Kultgesandtschaften erhalten. Während Tyros durch Kämpfe mit den Assyrern geschwächt war, übernahm Karthago im 7. Jahrhundert v. Chr. den Schutz der phönikischen Kolonien im Westen. Um 540 vertrieben die Karthager im Bund mit den Etruskern die griechischen Phokäer aus Korsika und drängten den Einfluss von Massalia (Marseille) an der spanischen Ostküste zurück. Im 5. Jahrhundert erstreckte sich der Machtbereich Karthagos von der Westgrenze der Cyrenaika bis westlich von Gibraltar, umfasste die Küstengebiete Nordafrikas, das südliche Spanien, den Westteil Siziliens sowie Sardinien und Malta. Durch ein umfassendes System von Verträgen wurde das nordwestliche Mittelmeer den Handelsschiffen anderer Völker verschlossen. Um 450 v. Chr. wurden auch die libyschen Stämme des Hinterlandes unterworfen, denen Karthago bis dahin Tribut gezahlt hatte. Große Expeditionen unternahmen die Karthager an der Westküste Afrikas bis an den Golf von Guinea (Hanno der Seefahrer) und nach Norden bis zur Bretagne und dem südwestlichen Britannien. Auf Sizilien hatten die Karthager den Schutz der phönikischen Kolonien Motye, Solus und Panormos (Palermo) gegen die Griechen übernommen. 480 erlitten die Karthager gegen die Griechen bei Himera eine Niederlage. Seit 409 konnten die Karthager jedoch fast ganz Sizilien erobern und wurden erst von Dionysios I. wieder auf den Westteil der Insel zurückgedrängt, den sie trotz wechselhafter Kämpfe auch gegen Timoleon, Agathokles und Pyrrhos bis zum Eingreifen der Römer behaupteten.
 
Mit diesen hatten die Karthager zunächst in guten Beziehungen gestanden. Schon um 500 v. Chr. war ein Vertrag mit ihnen geschlossen worden, der bis zum Ende des 4. Jahrhunderts mehrmals erneuert wurde. 279 verband sich Karthago mit Rom im Krieg gegen Pyrrhos. Zu einer Wende kam es jedoch 264 mit Beginn der Punischen Kriege. Nach langen Kämpfen musste Karthago 241 auf Sizilien verzichten und 238, durch einen Söldneraufstand in Nordafrika geschwächt, auch Sardinien und Korsika räumen. Dagegen gelang es Hamilkar und Hasdrubal, die karthagische Herrschaft über Spanien (Hauptstadt »Neukarthago«, heute Cartagena) bis zum Ebro zu erweitern (226 Ebrovertrag mit Rom). Die Ausbeutung der spanischen Silbergruben kam der Finanzlage Karthagos zugute. 218 eröffnete Hannibal mit der Zerstörung von Sagunt und dem Übergang über den Ebro den 2. Punischen Krieg. 206 verlor Karthago jedoch Spanien, und im Frieden von 201 musste es auf seine Großmachtstellung verzichten. Sein Gebiet wurde auf das heutige Nordosttunesien begrenzt und faktisch der Kontrolle des mit Rom verbündeten Numiderkönigs Massinissa unterstellt. Dennoch gelang es den Karthagern u. a. durch eine verstärkte Erschließung ihres fruchtbaren Hinterlandes, die ihnen von Rom auferlegten Tribute zu zahlen und wieder zu einem gewissen Wohlstand zu kommen. Damals entstand das Werk des Mago über die Landwirtschaft, das nach 146 auf Beschluss des römischen Senats ins Lateinische übersetzt wurde. Übergriffe Massinissas und die Agitation der Karthagerfeinde in Rom (v. a. Catos des Älteren) führten 149 zum Ausbruch des 3. Punischen Krieges, der 146 v. Chr. mit der Zerstörung Karthagos und der Versklavung seiner Bewohner endete. Das Gebiet um Karthago wurde als Africa (Hauptstadt Utica) römische Provinz.
 
Karthago wurde von einer Oligarchie reicher Kaufleute und Grundherren mit zwei jährlich wechselnden, gewählten »Sufeten« an der Spitze (von den antiken Autoren auch »Könige« genannt) regiert. Daneben gab es einen Rat von 300 Mitgliedern, aus dem ein Ältestenausschuss von 30 Mitgliedern gebildet wurde, und den »Rat der 104«, der als Kontrollorgan und Staatsgerichtshof fungierte. Das Heer setzte sich seit dem 6. Jahrhundert vorwiegend aus Söldnern zusammen, die von gewählten Feldherren, meist aus dem karthagischen Adel, befehligt wurden. Diese besaßen oft eine große Unabhängigkeit (besonders die Barkiden in Spanien) und wurden bisweilen dem Staat gefährlich. Im 3. und 2. Jahrhundert stand Karthago, besonders im Militärwesen, in der Verwaltung und in der Wirtschaft, unter dem Einfluss des Hellenismus. Der Schiffbau und die Belagerungstechnik der Karthager dienten den Römern als Vorbild. - In der Religion hat Karthago seinen phönikischen Charakter stets bewahrt. Hauptgottheiten waren der semitische Baal Hammon und die wohl ursprünglich libysche Tanit. Priesterämter und Opferwesen (u. a. Menschen-, besonders Kinderopfer) spielten auch im Staatsleben eine wichtige Rolle.
 
Nachdem 122 v. Chr. der Versuch des Gaius Sempronius Gracchus, auf dem Boden Karthagos eine römische Bürgerkolonie zu gründen, gescheitert war, machten Caesar und Augustus Karthago als Colonia Iulia Carthago zur Hauptstadt der Provinz Africa. Als solche erlebte die Stadt in der Kaiserzeit eine neue Blüte. Hier wirkten u. a. der Platoniker Apuleius, der Apologet Tertullian, der Bischof Cyprianus und vor seiner Bekehrung eine Zeit lang als Rhetor auch Augustinus. In der Spätantike war der Bischof von Karthago das geistliche Oberhaupt des ganzen lateinischen Nordafrika. 439-533 n. Chr. war Karthago Königssitz der Wandalen und blieb nach der Rückeroberung durch Belisar Residenz des oströmisch-byzantinischen Statthalters bis 698 n. Chr., als es von den Arabern erobert und zerstört wurde.
 
Die Topographie der punischen Stadt ist durch Beschreibungen überliefert und durch Ausgrabungen (1974 ff.) zum Teil rekonstruierbar. Im Süden bestand nur eine schmale Landverbindung, hier lagen ein seit der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. nachweisbares Heiligtum (Tophet) und Hafenanlagen (fassbar erst die Neuanlage mit kreisförmig angeordneten Werften des späten 3. Jahrhunderts v. Chr.) sowie ein Gewerbegebiet (Le Kram; Purpurfärberei). Die archaische Siedlung (8.-7. Jahrhundert) breitete sich radial am terrassierten Südosthang des Burgberges, der Byrsa, aus und reichte bis in die Küstenebene hinab (bis etwa 80 m westlich der antiken Strandlinie; der Meeresspiegel liegt heute rd. 50 cm höher); sie umfasste rd. 40 ha und war damit für ihre Zeit eine der größten Städte des Mittelmeerraums. Am Stadtrand und davor lagen Gewerbegebiete, sie wurden in der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts bei der urbanen Erschließung der Küstenebene zum Teil überbaut; anscheinend ist hier bereits die punische, nicht erst die römische Straßenführung orthogonal. Voraussetzung dieser städtischen Erweiterung war die Errichtung der punischen Seemauer entlang der antiken Strandlinie. Nördlich des Seetors (im 3. Jahrhundert v. Chr. stadtwärts umgebaut) lag vielleicht auch ein Hafen. In römischer Zeit war die Strandlinie hier erheblich weiter ins Meer hinausgeschoben. Der »Tophet« mit einer Reihe punischer Stelen (8.-2. Jahrhundert) ist ein einst ummauerter heiliger Bezirk von etwa 2 ha, in dem Baal Hammon (= El) und der Tanit Kinderopfer gebracht wurden (das Opfer hieß Molkh, woraus Moloch entstand). Nach der totalen Zerstörung 146 v. Chr. wurde das römische Karthago als eine regelmäßig angelegte Stadt neu errichtet. Der berühmte Tempel der Juno (Tanit) wurde 421 n. Chr. von Rom zerstört (nicht ausgegraben). Die Byrsakuppe wurde in augusteischer Zeit planiert, im Nordteil steht die 1890 errichtete Ludwigskathedrale; in dem dazugehörenden Konventsgebäude befindet sich heute das Archäologische Nationalmuseum. Auf der Kuppe lag auch der Gromapunkt für das römische Straßenraster, Schnittpunkt von Decumanus maximus und Cardo maximus. Die meisten Baureste der römischen Stadt stammen aus dem 1.-3. Jahrhundert n. Chr.: ausgedehnte Thermen des Antoninus Pius, Theater, Odeon, Amphitheater, Circus, Zisternen und Villen; Funde zahlreicher Mosaiken, häufig mit Jagdmotiven. Im 4. Jahrhundert entstand die theodosianische Landmauer (3 500 m lang, 13 m hoch und mit Brustwehr, Erdwall und Graben sowie Türmen ausgestattet); ins 4. Jahrhundert gehen die ersten frühchristlichen Kirchen zurück, deren Grundrisse zum Teil ergraben wurden (u. a. die vor den Mauern gelegene neunschiffige Basilika Damous el-Karita, um 400). Die Ruinen von Karthago wurden von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. - 1994 beendete man die seit 1975 im Rahmen des internationalen UNESCO-Projekts »Pour la sauvegarde de Carthage« (Zur Rettung Karthagos) vorgenommenen deutschen Grabungen und Sicherungsarbeiten. Nach Abschluss der ersten deutschen Grabungsphase im Küstenareal und der Einrichtung des archäologischen Parks »Magonviertel« (1975-84) wurden im Stadtinneren verschiedene Grabungen in Angriff genommen, wobei es Friedrich Rakob 1990 glückte, mittels Tiefgrabung nahe der römischen wie der heutigen Hauptstraße bis zu den Überresten eines archaischen punischen Heiligtums des 8. Jahrhunderts v. Chr. (Quaderbau) in 8 m Tiefe vorzustoßen. Nachdem dieses im späten 6. Jahrhundert und frühen 5. Jahrhundert v. Chr. aufgeschüttet und planiert worden war, wurde dann an dieser Stelle im 5. Jahrhundert v. Chr. ein neuer punischer Tempel errichtet (der exakt die überlieferten Maße des zerstörten Jerusalemer Tempels besitzt). Als Tempel ist er nicht nur durch die Konstruktion und Dekorformen, sondern auch durch den Nachweis eines Votivdepots des 3. Jahrhunderts v. Chr. gesichert (1993). Der Lage nach (nahe den Häfen) handelt es sich um den Tempel des Sonnengottes (Baal Schamem), von dem Appian berichtet, der sich auf den Augenzeugen Polybios beruft. Auch ein fragmentarischer Terrakottakopf einer Göttin (Tanit) ist erhalten. Über dieser Kultstätte wurde nach Verschüttung in spätantoninischer Zeit ein großer römischer Saalbau errichtet, in dessen Mitte im 6. Jahrhundert n. Chr. eine byzantinische Rotunde (Durchmesser 22,6 m) erbaut wurde.
 
Literatur:
 
A. Audollent: Carthage romaine (Paris 1901);
 B. H. Warmington: K. Aufstieg u. Untergang einer antiken Weltstadt (a. d. Engl., 1963);
 B. H. Warmington: K. (a. d. Engl., 21964);
 G. Charles-Picard: La Carthage de Saint Augustin (Paris 1965);
 G. Charles-Picard: u. C. Charles-Picard: K. Leben u. Kultur (a. d. Frz., 1983);
 S. Tlatli: La Carthage punique (Paris 1978);
 W. Huß: Gesch. der Karthager (1985);
 
Carthago, hg. v. E. Lipiński (Löwen 1988);
 
Die dt. Ausgrabungen in K., Beitrr. v. J. Holst u. a., 2 Tle. (1991);
 W. Huß: K. (1995).
 

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Kar|tha|go: phönizische Stadt in Nordafrika.

Universal-Lexikon. 2012.