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Brecht
Brẹcht,
 
1) Arnold, amerikanischer Politikwissenschaftler deutscher Herkunft, * Lübeck 26. 1. 1884, ✝ Eutin 11. 9. 1977; ursprünglich Beamter im Dienst des Deutschen Reichs und Preußens, zuletzt (1927-33) im preußischen Staats- und Finanzministerium tätig, zugleich stimmführender Bevollmächtigter Preußens im Reichsrat; trat dort 1933 bei der Antrittsrede A. Hitlers als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus hervor. Aus dem Staatsdienst entlassen, emigrierte er 1933 in die USA und nahm später deren Staatsbürgerschaft an. 1933-54 Professor für Staatswissenschaft, Jura und Finanzwissenschaft an der New School for Social Research in New York. Nach dem Zweiten Weltkrieg wirkte er als Berater bei der Ausarbeitung des GG der Bundesrepublik Deutschland mit.
 
Brecht formulierte 1932 das später nach ihm benannte brechtsche Gesetz der progressiven Parallelität zwischen Ausgaben und Bevölkerungsmassierung, demzufolge die öffentlichen Ausgaben je Einwohner mit zunehmender Bevölkerungsdichte und Verstädterung wachsen. Die Aussage wird heute besonders auf die Gemeinden bezogen und bildet die gedankliche Grundlage für die Verwendung der veredelten Einwohnerzahl im (horizontalen) Finanzausgleich, ist aber theoretisch und empirisch keineswegs abgesichert. Der statistische Nachweis von mit der Gemeindegröße steigenden Ausgaben je Einwohner stellt für sich keinen Beweis des brechtschen Gesetzes dar, da höhere Ausgaben zum einen auf höherer Steuerkraft, zum anderen auf höheren Finanzausgleichszuweisungen gerade infolge Anwendung der veredelten Einwohnerzahl beruhen können (Zirkelschluss).
 
Werke: Reichsreform, warum und wie (1931); Prelude of silence (1944; deutsch Vorspiel zum Schweigen. Das Ende der deutschen Republik); The new German constitution (1949); Political theory (1959; deutsch Politische Theorie); Aus nächster Nähe (1966); Mit der Kraft des Geistes (1967).
 
 2) Bert (Bertolt), eigentlich Eugen Berthold Friedrich Brecht, Schriftsteller und Regisseur, * Augsburg 10. 2. 1898, ✝ Berlin (Ost) 14. 8. 1956; studierte 1917-18 in München Philosophie und Medizin; erbitterter Kriegsgegner, 1918 für kurze Zeit Militärdienst im Lazarett, dann Fortsetzung des Studiums, 1921 Exmatrikulation (ohne Abschluss) und Beginn der Theaterarbeit. Ersten literarischen Erfolg hatte er mit dem Drama »Trommeln in der Nacht« (Kleist-Preis 1922). 1924-26 arbeitete er an M. Reinhardts »Deutschem Theater« in Berlin, dann als freier Schriftsteller. 1922-27 war er verheiratet mit der Sängerin Marianne Zoff, seit 1928 mit der Schauspielerin Helene Weigel. Befreundet war Brecht u. a. auch mit Margarete Steffin, Elisabeth Hauptmann, später auch Ruth Berlau (alle auch Mitarbeiterinnen). - E. Piscators politisches Theater, die Zusammenarbeit mit dem Komponisten K. Weill, v. a. aber das Studium des Marxismus (etwa 1926-30; hier besonders Einfluss von K. Korsch) wurden für seine weitere Arbeit prägend. Brecht unterstützte in politischen Grundfragen die Kommunisten, trat jedoch nicht der KP bei. 1933 verließ er Deutschland. Nach Aufenthalten in der Schweiz und in Dänemark (1933-39) fand er über Schweden, Finnland und die Sowjetunion schließlich im US-Bundesstaat Kalifornien Zuflucht (1941-47). 1948-49 kehrte er über die Schweiz nach Deutschland zurück: in Berlin (Ost) gründete er 1949 mit H. Weigel das Berliner Ensemble, dem bald große Experimentiermöglichkeiten offen standen. Mitarbeiter waren u. a. die Komponisten H. Eisler, P. Dessau, die Bühnenbildner C. Neher, T. Otto, der Regisseur E. Engel; jüngere, später selbstständige Regiemitarbeiter: B. Besson, P. Palitzsch, M. Wekwerth. Die Inszenierungen eigener Stücke und Bearbeitungen erlangten Weltruhm; Brecht verstand sie als Modellinszenierungen.
 
Der frühe Brecht setzte dem Pathos des Expressionismus die Sinnlichkeit und Diesseitigkeit des Menschen entgegen (»Baal«). Die 1920er-Jahre reflektierte er u. a. in der Adaption zeitgenössischer amerikanischer Großstadtkultur, die er im Zwielicht von Parodie und kulinarischem Genießen aufarbeitete (so in dem Welterfolg der »Dreigroschenoper«, nach J. Gays »The beggar's opera«), ähnlich in »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« (ebenfalls als Oper neuen Stils konzipiert). Die Anmerkungen Brechts zu beiden Werken betreffen seine »epische«, »nichtaristotelische« Dramentheorie, später sprach er vom »dialektischen Theater«. Unter dem Einfluss des Marxismus (formal auch nach japanischen Vorbildern) schuf er die strenge Disziplin der Lehrstücke (»Die Maßnahme« u. a.), die als Denk- und Entscheidungsschulung gedacht waren. In »Die heilige Johanna der Schlachthöfe« und »Die Mutter« (nach Gorki) verbindet sich die Lehrhaftigkeit mit einer geschichtsphilosophischen Dimension. In den im Exil entstandenen großen Stücken tritt das Lehrhafte zurück. Sinnlichkeit im Figuren- und Handlungsaufbau erhält breiteren Raum, wodurch ein reicheres Spektrum ästhetischer Beziehungen, eine neue Synthese von Unterhaltung und Belehrung möglich wird. Unterschiedlich strukturierte Parabeln stehen neben geschichtlichen und zeitgeschichtlichen Sujets (»Mutter Courage und ihre Kinder«, »Der gute Mensch von Sezuan«, »Leben des Galilei«, »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui«), zu satirischer Entlarvung und Verhaltensdemonstration gesellt sich die »Verführung« durch Weisheit, Güte und Liebe (»Der kaukasische Kreidekreis«, »Herr Puntila und sein Knecht Matti«). Häufig griff er klassische Vorlagen auf, die er nach seinen Intentionen umarbeitete (u. a. von Sophokles, Marlowe, Shakespeare). - Ein Schlüsselbegriff von Brechts Theater war das Prinzip der Verfremdung (»V-Effekt«), das Einfühlung und Illusion unmöglich machen, jedoch kritisches Bewusstsein wecken sollte.
 
Brechts Lyrik behauptet einen künstlerisch gleichwertigen Rang und reicht von der derben, fast improvisierten Ballade bis zum Kampflied für die proletarische Einheitsfront, vom zarten Liebesgedicht bis zum philosophischen Monolog, vom Reimspruch bis zur bösen Satire. Die Formen, die Brecht oft parodistisch - übernahm und gleichsam von innen heraus verwandelte, entstammen der gesamten weltliterarischen Tradition, von chinesischer und japanischer Lyrik über F. Villon, Luther bis zu A. Rimbaud und F. Wedekind.
 
Unter den erzählerischen Prosaarbeiten haben die verschiedenen, häufig parabolischen Kurzformen gegenüber den Romanen (»Dreigroschenroman«; »Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar«, Fragment) das größere Gewicht. Das für Brecht so bezeichnende satirisch-parodistische Sprechen provoziert auch hier das Bewusstsein zur Kritik. Bei den »Keuner-Geschichten« und den »Flüchtlingsgesprächen« entwickelte Brecht diese listige Art des Philosophierens in der Form von Gleichnisrede und Beispielerzählung. Brecht schrieb mehrere Filmskripte. Bei »Kuhle Wampe« führte er mit S. Dudow auch Regie (1929). Brechts poetische und theaterpraktische Arbeit war stets von theoretischer Reflexion begleitet, in deren Mittelpunkt die in Jahrzehnten weitergebildete Dramaturgie des epischen Theaters steht.
 
In der Bundesrepublik Deutschland war Brecht bis in die 1970er-Jahre als marxistischer Autor umstritten, die Bühnenwirksamkeit seiner Stücke setzte sich jedoch gegen alle politischen Vorbehalte durch. Sein Werk wurde schulebildend und vermittelt ungebrochen Denkanstöße auch für Film, Musik und bildende Kunst.
 
Werke: (Erstdruck von Einzelwerken seit 1930 häufig in Brechts Reihe »Versuche«, 1930 folgende; andere Erstdrucke zum Teil innerhalb größerer Ausgaben): Stücke (Jahreszahlen ohne nähere Bezeichnung: Erstausgabe): Baal (1922; Uraufführung 1923; entstanden 1. Fassung 1918, 2. Fassung 1919, 3. Fassung 1926); Trommeln in der Nacht (Uraufführung 1922; Erstausgabe 1923; entstanden 1919); Im Dickicht der Städte (Uraufführung 1923; Erstausgabe 1927); Leben Eduards II. von England (1924; nach C. Marlowe; mit L. Feuchtwanger); Mann ist Mann (Uraufführung 1926; Erstausgabe 1927); Dreigroschenoper (Uraufführung 1928; Erstausgabe 1929; nach J. Gay; Musik von K. Weill); Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (1929; Uraufführung 1930; Musik von K. Weill); Das Badener Lehrstück vom Einverständnis (1929); Die Maßnahme (Uraufführung 1930; Erstausgabe 1931; Musik von H. Eisler); Die Ausnahme und die Regel (1930); Der Jasager und der Neinsager (1930); Die heilige Johanna der Schlachthöfe (1932; Uraufführung 1959; entstanden 1929-30); Die Mutter (1932; nach M. Gorki); Die Rundköpfe und die Spitzköpfe (1933); Die Gewehre der Frau Carrar (1937); Furcht und Elend des Dritten Reiches (1938; entstanden 1935-38); Das Verhör des Lukullus (als Hörspiel 1939; als Oper 1951, Musik von P. Dessau; geändert 1951 als: Die Verurteilung des Lukullus); Mutter Courage und ihre Kinder (Uraufführung 1941, Erstausgabe 1949; entstanden 1938-39; 2. Fassung Uraufführung 1947; 3. Fassung Uraufführung 1957; Erstausgabe 1955 folgende); Der gute Mensch von Sezuan (Uraufführung 1943; Erstausgabe 1953); Herr Puntila und sein Knecht Matti (Uraufführung 1948; Erstausgabe 1950; entstanden 1940-41; nach H. Wuolijki); Schweyk im Zweiten Weltkrieg (Uraufführung 1957; Erstausgabe 1959; entstanden 1941-44; nach J. Hašek; Musik von P. Dessau); Der kaukasische Kreidekreis (Uraufführung 1948; Erstausgabe 1954; entstanden 1944-45); Die Antigone des Sophokles nach der Hölderlinschen Übersetzung (Uraufführung 1948; Erstausgabe 1955); Die Tage der Commune (1949); Der Hofmeister (Bearbeitung des gleichnamigen Stückes von J. M. R. Lenz; 1951; Uraufführung 1955); Pauken und Trompeten (Bearbeitung von G. Farquhar »The recruiting officer«; Uraufführung 1955); Die Gesichte der Simone Machard (1956; entstanden 1941-43); Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui (herausgegeben 1957; entstanden 1941); Coriolan von Shakespeare (herausgegeben 1959; Uraufführung 1962; entstanden 1952-53); Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher (Fragment, herausgegeben 1967; Uraufführung 1969; entstanden 1953-54); Das wirkliche Leben des Jakob Gehherda (ungedruckt; Uraufführung 1983).
 
Lyrik: Hauspostille (1927); Aus dem Lesebuch für Städtebewohner (1930); Svendborger Gedichte (1939); Buckower Elegien (1954).
 
Romane, Erzählungen, Dialoge u. a.: Dreigroschenroman (1939); Kalendergeschichten (1949); Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar (Fragment, herausgegeben 1957; entstanden 1937-39); Geschichten von Herrn Keuner (herausgegeben 1958; entstanden 1930-56); Flüchtlingsgespräche (herausgegeben 1961; entstanden 1940-41); Der Tui-Roman (Fragment, herausgegeben 1973); Me-ti, Buch der Wendungen (herausgegeben 1974).
 
Sonstige Prosa: Dreigroschenprozeß (1921); Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit (1935); Kleines Organon für das Theater (1948); Der Messingkauf (herausgegeben 1963; entstanden 1937-51; mit Gedichten und Dialogen).
 
Ausgaben: Stücke, 15 Bände (1953-67); Gedichte, 10 Bände (1961-76); Schriften zum Theater, herausgegeben von W. Hecht, 7 Bände (1964); Prosa, 5 Bände (1965); Schriften zur Literatur und Kunst, 3 Bände (1967); Schriften zur Politik und Gesellschaft (1968); Texte für Filme, 2 Bände (1969); Arbeitsjournal, herausgegeben von W. Hecht, 3 Bände (1973); Tagebücher 1920-1922. Autobiographische Aufzeichnungen 1920-1954, herausgegeben von H. Ramthun (Neuausgabe 1978); Briefe, herausgegeben von G. Glaeser, 2 Bände (1981); Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, herausgegeben von W. Hecht u. a., auf zahlreiche Bände berechnet (1988 folgende).
 
Literatur:
 
W. Benjamin: Versuche über B. (21967);
 R. Grimm: B. B. Die Struktur seines Werkes (61972);
 R. Steinweg: Das Lehrstück. B.s Theorie einer politisch-ästhet. Erziehung (21976);
 Hans Mayer: B. in der Gesch. 3 Versuche (6.-7. Tsd. 1976);
 
B. B., hg. v. H. L. Arnold, 2 Bde. (21978-79);
 
B. B. Sein Leben in Bildern u. Texten, hg. v. W. Hecht (1978);
 Klaus-Detlef Müller: B.-Kommentar zur erzählenden Prosa (1980);
 P. P. Schwarz: B.s frühe Lyrik. 1914-1922 (21980);
 F. N. Mennemeier: B. B.s Lyrik (1982);
 K. Völker: B.-Komm. zum dramat. Werk (1983);
 J. K. Lyon: B. B. in Amerika (a. d. Amerikan., 1984);
 R. Berlau: B.s Lai-Tu. Erinnerungen u. Notate (1985);
 J.-W. Joost u. a.: B. B. Epoche - Werk - Wirkung (1985);
 J. Knopf: B.-Hb., 2 Bde. (Neuausg. 1986);
 W. Mittenzwei: Das Leben des B. B. oder der Umgang mit den Welträtseln, 2 Bde. (41989);
 
B.s Theorie des Theaters, hg. v. W. Hecht (21992);
 M. Kesting: B. B. (360.-363. Tsd. 1995).
 
 3) [brekt], George, amerikanischer Künstler, * Blomkest (Minnesota) 7. 3. 1924; lebt seit 1972 in Köln; in den 60er-Jahren eng mit der Fluxus-Bewegung verbunden; schuf intellektuell anspruchsvolle, betont unaufwendige Filme und neodadaistische Objektassemblagen. Seit Jahren fasst Brecht seine Arbeit in einem enzyklopädischen »Buch«-Projekt zusammen.
 
 4) Ulrich, Regisseur und Theaterleiter, * Wertheim 8. 10. 1927; war Intendant in Ulm, Kassel, Düsseldorf, Essen (1976-83); 1983-89 in Freiburg im Breisgau.

Universal-Lexikon. 2012.