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Finanzwissenschaft
Fi|nạnz|wis|sen|schaft 〈f. 20; unz.〉 Lehre von der Finanzwirtschaft der öffentl. Körperschaften

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Fi|nạnz|wis|sen|schaft, die:
Gebiet der Wirtschaftswissenschaften, das die öffentliche Finanzwirtschaft zum Gegenstand hat.

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Finạnzwissenschaft,
 
Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaft, deren Untersuchungsobjekt die ökonomischen Aktivitäten der Gebietskörperschaften und Parafiski sind. Die Finanzwissenschaft betraf ursprünglich v. a. die finanzielle Seite der öffentlichen Aktivitäten, die in Form von öffentlichen Ausgaben, Einnahmen, Schulden und Vermögen im öffentlichen Haushalt unmittelbar sichtbar wird. Die sich in der angelsächsischen Wirtschaftswissenschaft in letzter Zeit immer mehr durchsetzende Bezeichnung der Finanzwissenschaft als Lehre von der Wirtschaft des öffentlichen Sektors (»public economics«) bringt hingegen zum Ausdruck, dass heute nicht allein die öffentlichen Finanzen, sondern alle wirtschaftliche Aspekte der Staatstätigkeit zum Untersuchungsgegenstand der Finanzwissenschaft gehören, von dem Zustandekommen der kollektiven Entscheidungen bis zur Analyse der Wirkungen und zur Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Maßnahmen.
 
Im deutschen Sprachgebiet werden als Teilgebiete der Finanzwissenschaft traditionell Finanztheorie, Finanzpolitik und Steuerlehre unterschieden. Die Finanztheorie analysiert als positive Theorie insbesondere die Ursachen und die einzelwirtschaftlichen (mikroökonomischen) und gesamtwirtschaftlichen (makroökonomischen) Wirkungen der ökonomischen Aktivitäten des öffentlichen Sektors im Hinblick auf Allokation der Ressourcen, Distribution der Einkommen und Stabilisierung des Wirtschaftsablaufs (Theorie der öffentlichen Ausgaben und Einnahmen, Theorie der öffentlichen Verschuldung). Die normative Finanztheorie hingegen beschäftigt sich v. a. mit der ökonomischen Begründung staatlicher Einflussnahme auf Allokation, Distribution und wirtschaftliche Entwicklung. Die Finanzpolitik (als Teilgebiet der Finanzwissenschaft) untersucht insbesondere die Frage nach dem zweckmäßigen Instrumenteneinsatz zur Erreichung wirtschaftspolitischer Ziele; sie baut damit auf den Erkenntnissen der Finanztheorie auf. Gegenstand der allgemeinen Steuerlehre sind die Grundlagen und die Wirkungen der Besteuerung (Steuertechnik, Steuerwirkungslehre u. a.). Ein traditioneller Schwerpunkt ist dabei die Analyse der »gerechten« oder »richtigen« Verteilung der Steuerlast auf die Individuen (Steuerverteilungslehre). Die besondere Steuerlehre analysiert die einzelnen Steuerarten unter ökonomischen Aspekten, wobei enge Bezüge zur betriebswirtschaftlichen Steuerlehre und zur Steuerrechtswissenschaft bestehen. Zudem behandelt die Finanzwissenschaft auch Wesen und Funktionen des Haushaltsplans (Budgetlehre).
 
Die moderne Finanzwissenschaft bedient sich in starkem Maße der Methoden der Wirtschaftstheorie und ist ebenso wie diese durch die Anwendung mathematischer Analysetechniken geprägt. Traditionell enge Beziehungen bestehen zur Verwaltungs- und Rechtswissenschaft, ferner zur Soziologie, zur Politikwissenschaft und zur Sozialpsychologie. Zumindest in Deutschland (A. E. F. Schäffle, Rudolf Goldscheid [* 1931], F. K. Mann u. a.) und in Italien (Ugo Mazzola [* 1863, ✝ 1899], A. de Viti de Marco) hat die Finanzsoziologie eine große Tradition. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich in Deutschland ferner eine spezifische Finanz- und Steuerpsychologie (G. Schmölders u. a.), die mit den Methoden der empirischen Verhaltensforschung u. a. die Einstellungen und Verhaltensweisen der Bürger als Steuerzahler untersucht (Steuermentalität, -moral und -widerstand). Starke Impulse auf die Finanzwissenschaft gehen seit dem Beginn der 70er-Jahre von den Ansätzen einer ökonomischen Analyse der (finanz-)politischen Entscheidungsprozesse und der ihnen zugrunde liegenden Entscheidungsregeln (Wahlverfahren) aus. Es gilt nun, nicht nur den Einfluss der Finanzpolitik auf die Wirtschaft zu analysieren, sondern auch die finanzpolitischen Entscheidungen (z. B. über die Bereitstellung öffentlicher Güter) aus den Präferenzen der Beteiligten und Betroffenen (Wähler, Bürokraten, Politiker) zu erklären, sie also nicht mehr als exogen anzusehen, wie dies in der älteren Finanzwissenschaft für die Ausgabenseite galt.
 
Geschichte:
 
Die Anfänge der Finanzwissenschaft im deutschen Sprachgebiet sind in den Schriften der Kameralisten zu sehen. Unter den älteren Kameralisten ist in erster Linie Kaspar Klock (* 1583, ✝ 1655; »Tractatus de aerario«, 1651) zu nennen. Im Spätkameralismus ragen v. a. hervor J. H. G. von Justi (z. B. »System des Finanzwesens«, 1766), der die Finanzwissenschaft als Teil der Wirtschaftspolitik einordnete, und J. von Sonnenfels, dessen »Grundzüge der Polizey, Handlung und Finanz« (1763/67) an den österreichischen Universitäten bis etwa 1846 offizielles Lehrbuch waren. Auch in der Finanzwissenschaft der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts überwog die Analyse der Einnahmen, während die Ausgaben als politisch gegeben betrachtet oder aber als weitgehend unproduktiv angesehen wurden (Minimalbudgetforderung). Die für die deutsche Nationalökonomie bis heute kennzeichnende Dreiteilung der Volkswirtschaftslehre in Wirtschaftstheorie, Wirtschaftspolitik und Finanzwissenschaft wurde v. a. durch das entsprechend gegliederte »Lehrbuch der politischen Oekonomie« (1826 ff.) von Karl Heinrich Rau (* 1792, ✝ 1870) verankert. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erlebte die deutsche Finanzwissenschaft eine Blütezeit mit dem Wirken von L. von Stein, A. E. F. Schäffle und A. Wagner. Die Entwicklung der englischen Finanzwissenschaft war seit D. Ricardo v. a. durch die theoretische Wirkungsanalyse bestimmt. Im 20. Jahrhundert nahm im Anschluss an die Weltwirtschaftskrise und die Lehren von J. M. Keynes die Erörterung der Stabilisierungspolitik mit öffentlichen Finanzen für lange Zeit eine zentrale Stellung in der finanzwissenschaftlichen Analyse ein (Fiskalpolitik). Erst in letzter Zeit zeichnet sich eine stärkere Hinwendung zu Fragen der Allokation und Distribution ab, während (zumindest im angelsächsischen Schrifttum) die Analyse der Stabilisierungsfunktion nunmehr der Wirtschaftstheorie und -politik zugewiesen wird. Als wichtige Merkmale der jüngeren Entwicklung der Finanzwissenschaft sind neben der Public-Choice-Theory (politische Ökonomie), der Theorie der öffentlichen Güter und der zunehmenden Integrierung von Elementen der Wohlfahrtsökonomik (Welfare-Economics) u. a. zu nennen: die Erweiterung der traditionellen Partialanalyse der Steuerwirkungen durch allgemeine Gleichgewichtsmodelle, die Einbeziehung der öffentlichen Unternehmen (Theorie der Regulierung staatlicher Preise, Privatisierungstheorie) und der Sozialversicherung, die Analyse der Steuerhinterziehung und der Schattenwirtschaft sowie die Theorie des Staatsversagens.
 
Literatur:
 
R. A. Musgrave: Finanztheorie (a. d. Engl., Neuausg. 1974);
 
Hb. der F., hg. v. F. Neumark u. a. 4 Bde. 3(1977-83);
 W. Koch u. a.: F. I—III, in: Hwb. der Wirtschaftswiss., Bd. 3 (1981);
 
Handbook of public economics, hg. v. A. J. Auerbach u. a., 2 Bde. (1985-87);
 J. E. Stiglitz: F. (a. d. Engl., 1989);
 E. Nowotny: Der öffentl. Sektor. Einf. in die F. (21991);
 N. Andel: F. (31992);
 R. A. Musgrave u. a.: Die öffentl. Finanzen in Theorie u. Praxis, 3 Bde. (a. d. Engl., 4-61992-94);
 H. S. Rosen u. R. Windisch: F., auf 2 Bde. ber. (a. d. Engl., 1992 ff.);
 H. Zimmermann u. K.-D. Henke: F. Eine Einf. in die Lehre von der öffentl. Finanzwirtschaft (71994);
 D. Brümmerhoff: F. (71995).
 
Zeitschriften: Finanzarchiv N. F. (1933 ff.);
 
Public finance (1950 ff.).

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Fi|nạnz|wis|sen|schaft, die: Gebiet der Wirtschaftswissenschaften, das die öffentliche Finanzwirtschaft zum Gegenstand hat.

Universal-Lexikon. 2012.