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Konservativismus
Fortschrittsfeindlichkeit; Rückschrittlichkeit; Restauration

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Kon|ser|va|ti|vis|mus 〈[ -vativı̣s-] m.; -; unz.〉 geistige od. polit. Haltung, die die bestehende Ordnung bejaht u. zu erhalten sucht

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Kon|ser|va|ti|vịs|mus, der; -:
1.
a) am Hergebrachten, Überlieferten orientierte Einstellung:
der K. in der Mode;
b) (Politik) politische Grundhaltung, die auf weitgehende Erhaltung der bestehenden Ordnung gerichtet ist.
2. (Politik) Gesamtheit der konservativen politischen Bewegungen, Parteien o. Ä.:
der österreichische K.

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Konservativịsmus
 
der, -, Konservatịsmus, im allgemeinen Sprachgebrauch eine geistige, soziale und politische Haltung, die überlieferte Werte und überkommene Ordnungen bejaht und zu erhalten sucht, am Althergebrachten zäh festhält und sich nur ungern auf Neuerungen einlässt (K. Mannheim). M. Weber brachte diese Grundhaltung in Zusammenhang mit dem Traditionalismus, da sie dem Vertrauten vor dem Neuen, dem behutsamen Wandel vor der radikalen Veränderung, dem konkreten Zustand vor jeder Utopie grundsätzlich den Vorrang einräumt. In seiner begrifflichen Entstehung geht Konservativismus auf die von F. R. de Chateaubriand herausgegebene Zeitschrift »Le Conservateur« (1818-20) zurück. Konservativismus ist eine politische Richtung, die sich gegen Liberalismus und Sozialismus wendet.
 
Von extremen Ausprägungen abgesehen, kennzeichnet Konservativismus i. w. S. eine Grundhaltung, die gegenüber dem sozialen Wandel das Bedürfnis nach Kontinuität, Identität und Sicherheit zur Geltung bringt. Der Konservativismus lehnt Neuerungen nicht schlechthin ab, verlangt jedoch von jedem, der sie fordert, den Beweis der Notwendigkeit. Konservativismus zielt auf Evolution, nicht auf Revolution, auf Tradition, nicht auf Reaktion. Im engeren Sinn ist Konservativismus ein Sammelbegriff zur Kennzeichnung aller Bewegungen, Parteien und Organisationen, die ein auf Erhaltung des bestehenden gesellschaftlichen Zustandes und Wertesystems gerichtetes Programm verkünden. Ohne gesellschaftlichem Wandel schlechthin abzulehnen, sind ihnen Staat, Gesellschaft, Recht und Kultur geschichtlich gewachsene, sich organisch weiterentwickelnde Gebilde, deren Institutionen (Kirche, Familie, Eigentum u. a.) Dauerhaftigkeit verkörpern und Sicherheit gegen gesellschaftliche Auflösung und Nivellierung verbürgen.
 
 Bedeutungsebenen und Erscheinungsformen
 
Zwei gegensätzlichen Funktionen konservativen Denkens können unterschieden werden: 1) als Rechtfertigungsideologie bestehender, auch überkommener Herrschaftsverhältnisse (sozialapologetische Grundhaltung), 2) als Erinnerung an die (für unabdingbar gehaltenen) Grundlagen menschlicher Existenz (transzendentalsoziologische Grundhaltung).
 
In sozialapologetischer Grundhaltung setzen sich bestimmte herrschende Klassen und Gruppen gegen neue, sie bedrohende gesellschaftliche Kräfte zur Wehr. In diesem Sinne erscheint Konservativismus in einem ablehnenden Verhältnis zum gesellschaftlichen Fortschritt. Historisch gesehen zeigt sich diese Haltung z. B. in der Verteidigung der feudalagrarischen Ordnung gegen den bürgerlichen Kapitalismus (frühes 19. Jahrhundert), im Widerstand des liberalen Bürgertums gegen die Ausdehnung des Wahlrechts (bis zum Ende des Ersten Weltkriegs) oder in der Auflehnung sozial unterschiedlichen Gruppen gegen eine »multikulturelle« Gesellschaft (Ende des 20. Jahrhunderts).
 
Im transzendentalsoziologischen Sinne ist der Konservativismus nicht an die Interessen bestimmter sozialer Gruppen gebunden, sondern erinnert an die Angewiesenheit des Menschen auf institutionelle Bindungen besonders in Staat, Recht, Familie und Religion. Diese Bindungen sind für den Konservativen die normativ-sittlichen Voraussetzungen für gesellschaftliche Stabilität und Sicherheit sowie für den Frieden. In diesem Sinne steht der Konservativismus im Brennpunkt zwischen anarchistischer Staatsfeindschaft, liberaler Staatskritik und autoritärer Staatsallmacht. Der Konservativismus begegnet der Möglichkeit zur sich ständig steigernden Vervollkommnung des Menschen und seiner Gesellschaft mit historisch oder religiös motivierten Zweifeln. Konservatives Denken verwirft den Individualismus ebenso wie den Kollektivismus; es achtet die Autorität und fordert die Einordnung des Individuums in ein umgreifendes Ganzes. Mit dem Nationalismus ist der konservative Gedanke nicht gleichzusetzen, ist mit ihm jedoch Bindungen eingegangen.
 
In Großbritannien öffnete sich der Konservativismus schon früh demokratisch-liberalen Tendenzen (»Tory-Democracy«), in den USA war er von Anfang an demokratisch orientiert, betonte aber - in konservativer Absicht - die liberale Komponente (z. B. in der sozialen Frage). Im kontinentalen Europa dagegen hat der Konservativismus besonders legitimistisch orientiert - seine Verbindungen zur Monarchie und zu feudalen Gesellschaftsstrukturen lange (bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts) beibehalten. In Deutschland hat sich der Konservativismus mit dem Föderalismus verbunden. Die christlich-sozialen Bewegungen in Europa verbanden konservatives Ideengut mit sozialreformerischen Zielen. Insgesamt betrachtet, möchte der Konservativismus gesellschaftlicher Strukturen so wenig wie möglich »reißbrettartig« konstruieren; konservative Denker zweifelten lange Zeit an der Notwendigkeit und dem Sinn der Planung gesellschaftlicher Abläufe.
 
 Von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg
 
Der Konservativismus kam auf als Korrelat und Gegenbewegung zur politisch-sozialen Revolution; er entstammt demselben geistigen Umbruch, dessen Folge Philosophie und Politik der Aufklärung waren. In Auseinandersetzung mit den Ideen der Französischen Revolution von 1789 entfaltete sich der Konservativismus. In Großbritannien vertrat E. Burke die »geschichtliche Kontinuität« als Grundgesetz konservativer Gesinnung; gegen die »Willkür der Mehrheitsherrschaft« vertrat er das »historische Recht«. J. de Maistre und L. G. A. de Bonald entwickelten die konservativen Grundgedanken der kirchlichen Autorität, der monarch. Legitimität und der altständischen Ordnung. Als Sozialwissenschaftler beschrieb C. A. de Tocqueville die Auswirkungen der »Großen Französischen Revolution« auf die französische Gesellschaft auf der Grundlage der konkreten Wirklichkeit. In Deutschland wandte sich schon vor der »Französischen Revolution« J. Möser gegen den rationalistisch strukturierten »aufgeklärten Absolutismus«. Der Schweizer C. L. von Haller übte mit seinem patrimonialstaatlichen Denken starken Einfluss aus. F. Gentz verbreitete in Deutschland die Ideen Burkes. Die Romantik wirkte durch ihre Lehren vom naturhaften Wachstum und vom organischen Wesen der sozialen und geistigen Gebilde (»Organismuslehre«), vom universalen Aufbau der Gesellschaft (Novalis, F. W. J. Schelling, Adam Heinrich Müller). Die Bedrohung durch die liberalen, nationalen und demokratischen Tendenzen führte die auf Bewahrung des Bestehenden ausgerichteten Kräfte - Königtum, Aristokratie, Armee, Bürokratie und Klerus - zu einem Verteidigungsbündnis für »Thron und Altar« zusammen. Im politischen Raum festigte Fürst Metternich sein »konservatives System« durch die Heilige Allianz, durch das »monarch. Prinzip«, aber auch durch polizeiliche und militärische Maßnahmen. In Preußen sammelte sich, gefördert von König Friedrich Wilhelm IV., der »christlich-germanische Kreis« um die Brüder L. F. L. und E. L. von Gerlach. In enger Verbindung mit ihm schuf F. J. Stahl die Grundlagen der konservativen Staatstheorie (»Autorität, nicht Majorität«).
 
Während der Konservativismus besonders in Großbritannien seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Tendenzen der Demokratisierung in sich aufnahm und nach Gründung der Dritten Republik in Frankreich (1870/75) Konservativismus und Republikanismus nach und nach verschmolzen, entwickelte sich der Konservativismus in Deutschland - in Auseinandersetzung mit der sich entfaltenden Industriegesellschaft - zu einer politischen Interessenvertretung des Großgrundbesitzes. In Preußen, getragen von Teilen der protestantischen Geistlichkeit sowie von Adel und hohem Beamtentum, suchte der Konservativismus durch völkische, antisemitische und antikapitalistische Programmatik Massenwirkung zu erzielen. Nach dem Scheitern der bürgerlich-liberalen Revolution (1848/49) passten sich große Teile des liberalen Bürgertums in Abwehr der nach gesellschaftlicher und politischer Emanzipation drängenden Industriearbeiterschaft dem Konservativismus an; sie (v. a. die Nationalliberalen) gaben der obrigkeitsstaatlichen Autokratie nach und suchten (auch im Hinblick auf die Lösung der nationalen Frage) bei der »Krone« Zuflucht. Infolge dieser Verbindung nahm der Konservativismus allmählich den nationalstaatlichen Gedanken auf. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde es immer schwieriger, die »Konservativ-Nationalen« von den »Nationalliberalen« zu unterscheiden. Schließlich wurde die ursprünglich konservative Verbindung von »Thron und Altar« zu einer nationalliberalen Maxime.
 
 20. Jahrhundert
 
Nach dem Zusammenbruch der Monarchie in Deutschland und Österreich-Ungarn (1918) entwickelte der (legitimistisch orientierte) Konservativismus eine vielfach radikale antirepublikanische und antiparlamentarische Haltung, besonders in Gegnerschaft zur Weimarer Republik. In Konkurrenz zu dieser Form des Konservativismus artikulierte sich ein »revolutionärer Konservativismus«; dieser zeigte sich - letztlich das Wesen des Konservativismus aufgebend - als Gegenideologie zu Liberalismus und Sozialismus. Der Schriftsteller A. Moeller van den Bruck vertrat die Idee der »konservativen Revolution«; nach ihm ist es konservativ, »Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt«. A. Mohler spricht von einer »Achsenzeit« des Konservativismus in Deutschland, nach deren Eintritt (1918) es nicht mehr um die reine Bewahrung, sondern um die Schaffung bewahrenswerter gesellschaftlicher Zustände gegangen sei. Die »dezisionistischen« (d. h. auf Entscheidungsfähigkeit ausgerichteten) Denkansätze M. Heideggers, E. Jüngers und Carl Schmitts tragen revolutionär-konservative Züge.
 
Die Frage, inwieweit der Konservativismus in Deutschland den Nationalsozialismus gefördert hat, wird kontrovers diskutiert. Die Haltung der Konservativen im Einzelnen reicht von der Ablehnung der nationalsozialistischen Massenbewegung und ihrer kleinbürgerlichen Führerschaft bis hin zur ideologischen Annäherung. Die konservative Kritik am liberal-parlamentarischen Verfassungsstaat, der Gedanke der Vorrangigkeit politischer Führung vor politische Kontrolle, die Vorliebe des Konservativismus für organisch-ständische Gesellschaftsmodelle und das Postulat eines herkunftsorientierten Volksbegriffs leistete der revolutionär-totalitären Ideologie des Nationalsozialismus Vorschub. Der »Tag von Potsdam« (21. 3. 1933 zeigt, in welchem Maße die nationalsozialistische Propaganda Repräsentanten des Konservativismus zur Festigung der nationalsozialistischen Diktatur instrumentalisieren konnte. Im Gegensatz dazu wurde aber auch die Opposition gegen Hitler und sein totalitäres Regime stark von Persönlichkeiten des deutschen Konservativismus mitgetragen.
 
Die Zuordnung von Inhalten und Trägern zu einem zeitgenössischen Konservativismus ist schwieriger als beim historischen Konservativismus. Die Frage der Monarchie, auch in parlamentarisch-demokratischen Staaten mit monarch. Spitze, trat in den Hintergrund, ebenso die Affinität zu Kirche und Armee als unverrückbaren Größen der Gesellschaft. Unter dem Eindruck terroristischer Herrschaftssysteme (v. a. Nationalsozialismus und Stalinismus) sah sich der Konservativismus nunmehr auch über die angelsächsischen Staaten hinaus gezwungen, von der Demokratie als staatliches Grundmodell auszugehen. Gesellschaftspolitisch rückten die Positionen des Konservativismus und des Liberalismus (besonders im Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialordnung) zusammen (z. B. Neoliberalismus); unter dem Eindruck des Ost-West-Konfliktes entwickelten beide eine scharfe Gegnerschaft zum Kommunismus und seinen Herrschaftsformen in Europa und Asien. Während der Konservativismus in den angelsächsischen Ländern und Frankreich stärker an nationalen Traditionen anknüpfen konnte, musste der Konservativismus in Deutschland, der sich nach 1945 nur in der Bundesrepublik Deutschland artikulieren konnte, einen tiefen Kontinuitätsbruch hinnehmen; durch seinen realhistorischen Bezug zum Nationalsozialismus war er weitgehend diskreditiert, auch war seinen agrarisch-feudalen Positionen im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs die soziale Grundlage weitgehend entzogen worden. Als politische Eigenqualifizierung verschwand die Bezeichnungen »konservativ« lange Zeit weitgehend aus dem Sprachgebrauch.
 
Gegen Ende der 50er-Jahre trat - zunächst in den USA, später auch in den Demokratien Europas - ein »neuer Konservativismus« hervor (Neokonservativismus). Am Ende des 20. Jahrhunderts ringen der neoliberale Konservativismus (marktkonforme Gestaltung von Gesellschaft und Wirtschaft) und der ökologische Konservativismus (Bewahrung der natürlichen Umwelt) miteinander um eine zeitgemäße Perspektive des Konservativismus. Konservative Denkstrukturen lassen sich nun auch in politischen Lagern nachweisen, die sich selbst eher als progressiv verstehen, z. B. in der Frage der Bewahrung sozialer Besitzstände. Neben den ökologischen (wertkonservativen) Sichtweisen zeigt sich auch die antiliberale Variante des Konservativismus mit fließenden Übergängen zur Theorie und Praxis der neuen Rechten.
 
Literatur:
 
L. von Stein: Gesch. der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, 3 Bde. (Neuausg. 21921, Nachdr. 1972);
 K. Mannheim: Das konservative Denken (1927);
 S. Neumann: Die Stufen des preuß. Konservatismus (1930, Nachdr. 1965);
 H. Barth: Die Idee der Ordnung (1958);
 K. von Klemperer: Konservative Bewegungen. Zw. Kaiserreich u. Nationalsozialismus (a. d. Engl., 1962);
 H. Grebing: Konservative gegen die Demokratie (1971);
 H. Grebing: Aktuelle Theorien über Faschismus u. Konservatismus (1974);
 K. Epstein: Die Ursprünge des K. in Dtl. (a. d. Engl., 1973);
 
Rekonstruktion des Konservatismus, hg. v. G.-K. Kaltenbrunner (21973);
 
Die Herausforderung der Konservativen, hg. v. G.-K. Kaltenbrunner: (1974);
 
Die Utopie der Konservativen, hg. v. F. Grube u. a. (1974);
 M. Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus in Dtl. (1977);
 
Conservative politics in Western Europe, hg. v. Z. Layton-Henry (London 1982);
 
Dt. Konservatismus im 19. und 20. Jh., hg. v. D. Stegmann (1983);
 
Neokonservative u. »Neue Rechte«, hg. v. I. Fetscher (1983);
 H. G. Schumann: K. als analyt. Strukturbegriff, in: Konservatismus - eine Gefahr für die Freiheit?, hg. v. E. Hennig u. a. (1983);
 
K., hg. v. H. G. Schumann (1984);
 L. Filler: Dictionary of American conservatism (New York 1987);
 
Nationalismus u. neue Rechte, Beitrr. v. K. Bullan u. a. (1993);
 P. Maerker: Konservatismus - wieder modern? Studien zu einer philosoph. Grundlegung des konservativen Denkens (1993);
 G. Rohrmoser: Zur inneren Lage der Nation (21994);
 M. Grossheim: Ökologie oder Technokratie? Der Konservatismus in der Moderne (1995).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Ideologien des 19. Jahrhunderts: Liberalismus, Konservativismus, Nationalismus
 

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Kon|ser|va|ti|vịs|mus, der; -: 1. a) am Hergebrachten, Überlieferten orientierte Einstellung: gerade jetzt, wo die Mode die engen Schranken eines starren K. durchbrochen hat (Herrenjournal 1, 1966, 70); b) politische Grundhaltung, die auf weitgehende Erhaltung der bestehenden Ordnung gerichtet ist: Er hielt, trotz seines geeichten K., Distanz zum Rechtsradikalismus (W. Brandt, Begegnungen 33). 2. konservative politische Bewegung[en], Parteien o. Ä.: der K. in Österreich will nichts kennen, was nach dem Biedermeier kommt (Welt 25. 1. 66, 7).

Universal-Lexikon. 2012.