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Stress
(psychische) Belastung; Aufregung; Nervosität; Hektik

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Stress [ʃtrɛs], der; -es:
1. erhöhte körperliche oder seelische Anspannung, Belastung, die bestimmte Reaktionen hervorruft und zu Schädigungen der Gesundheit führen kann:
körperlicher, seelischer Stress; der Stress eines Arbeitstages, beim Autofahren; im Stress sein, stehen; unter Stress stehen.
Syn.: Anstrengung, Strapaze.
2. (ugs.) Ärger:
sie hat ständig Stress mit ihren Eltern.
Syn.: Krach (ugs.), Probleme <Plural>, Schwierigkeiten <Plural>, Zoff (ugs.).

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Strẹss 〈m. 1
1. Belastung von Körper u./od. Psyche durch zu lang dauernde od. unangemessene Reize u. schädigende Einflüsse
2. 〈umg.〉 Ärger, Streit
● \Stress abbauen, haben; mit jmdm. \Stress haben 〈umg.〉 [<engl. stress <distress „Not, Bedrängnis, Erschöpfung“; zu lat. strictus „verwundet“]

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Strẹss [ʃt… , auch: st… ], der; -es, -e <Pl. selten> [1936 gepr. von dem österr.-kanad. Biochemiker H. Selye (1907–1982)]:
1. erhöhte Beanspruchung, Belastung physischer od. psychischer Art:
der S. einer Reise, beim Autofahren;
das erzeugt körperlichen, psychischen S.;
im S. sein;
im/unter S. stehen.
2. (ugs.) Ärger:
S. mit den Eltern;
S. machen.

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I
Strẹss
 
[englisch »Druck«, »Anspannung«, gekürzt aus distress »Sorge«, »Kummer«, letztlich zu lateinisch distringere »beanspruchen«, »einengen«] der, -es/-e, Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Einzelphänomene, für die ein Zustand erhöhter Aktivierung des Organismus (verbunden mit einer Steigerung des emotionalen Erregungsniveaus) kennzeichnend ist; im neutralen Sinn bezeichnet Stress die unspezifische Anpassung des Organismus an jede Anforderung, d. h. eine Anpassungsleistung. Die meisten Definitionen verstehen Stress als einen Zustand des Organismus, bei dem als Resultat einer inneren oder äußeren Bedrohung das Wohlbefinden als gefährdet wahrgenommen wird und deshalb der Organismus alle seine Kräfte konzentriert und zur Bewältigung der »Gefährdung« schützend einsetzt. Stress hat es wohl zu allen Zeiten gegeben; er kann in evolutionärer Sicht als eine für die Reaktion des Organismus auf Reize und seine Anpassung an veränderte Umweltbedingungen überlebensrelevante Reaktion angesehen werden. Dabei bezeichnet Stress ein ambivalentes Phänomen, für das der Stressforscher H. Selye die Unterscheidung zwischen Eustress und Disstress eingeführt hat. Eustress ist eine notwendige Aktivierung des Organismus (»Würze des Lebens«) in Form einer günstigen, gesundheitsfördernden Belastung, die den Menschen zur Nutzung seiner Energien führt und damit auch eine Weiterentwicklung eigener Fähigkeiten ermöglicht, d. h., Stress kann eine leistungsstimulierende Funktion haben und dadurch als mobilisierender Faktor wirken. Disstress beinhaltet demgegenüber ein schädigendes Übermaß an Anforderungen an den Organismus. In den letzten Jahrzehnten ist der Stressbegriff v. a. unter diesem Gesichtspunkt zur Bezeichnung für komplexe Reizkonstellationen und Reaktionszusammenhänge als Folge des Leistungs- und Zeitdrucks in der modernen Industriegesellschaft verwendet worden, denen erhebliche Auswirkungen auf das individuelle Wohlbefinden, die Leistungsfähigkeit, soziale Funktionsfähigkeit und Gesundheit zugeschrieben werden. Stress findet auf allen Ebenen des Organismus seinen Ausdruck: physiologisch z. B. in Schweißausbruch, Herzklopfen, veränderter Durchblutung an der Körperperipherie, im Verhalten z. B. in Aggressionen, Erregung oder Unruhe, im Erleben z. B. in der Bewertung des eigenen Zustands. Er kann sich in allen Lebensbereichen und Situationen sowie in allen Altersstufen manifestieren. Dabei sind das Stresserleben wie auch das Bewältigungsverhalten (»Coping«) - in Abhängigkeit vom Individuum, seiner Situation und Verfassung - unterschiedlich.
 
Auch im Pflanzen- und Tierreich findet sich das Stressphänomen. Stressreaktionen bei Tieren sind besonders gut an Säugetieren untersucht; auslösende Faktoren sind u. a. Verletzungen, Krankheiten, soziale Belastungen (z. B. Bedrohung durch Artgenossen oder Feinde, hohe Populationsdichte); die ausgelösten Reaktionen entsprechen dem in der biopsychologischen Stresskonzeption für den Menschen beschriebenen allgemeinen Adaptationssyndrom, wobei viele dieser Reaktionen zuerst in Tierversuchen untersucht und die Ergebnisse anschließend auf den Menschen übertragen wurden. - Bei Pflanzen sind Stress auslösende Faktoren u. a. Parasitenbefall, Konkurrenz um Nährstoffe und Licht, Wassermangel, hohe Salzkonzentrationen, starke Temperaturschwankungen oder Temperaturextreme, Nährstoffmangel oder -überangebot, Sauerstoffmangel, mechanische Beanspruchung (z. B. durch Wind). Anpassungsleistungen können morphologischer (z. B. Sukkulenz, starke Behaarung) oder physiologischer Art sein, so z. B. die Ausbildung von Frostresistenz, von Hitzeschockproteinen oder der Übergang in Ruhestadien, die durch Hemmung oder Einstellung von Stoffwechsel- und Wachstumsprozessen gekennzeichnet sind (u. a. Ausbildung von Winterknospen, Blattfall); eine wichtige Rolle spielt hierbei v. a. das Phytohormon Abscisinsäure, das auch als pflanzliches Stresshormon bezeichnet wird.
 
In der psychologischen Stressforschung haben sich drei Verfahrensweisen als nützlich erwiesen. In situationsspezifischen Konzepten werden Stress auslösende Bedingungen analysiert, reaktionsbezogene Konzepte untersuchen das Verhalten des Organismus nach Stressreizen (biopsychologische Stresskonzepte), und interaktionistische sowie transaktionale Konzepte befassen sich mit Störungen des Gleichgewichts der Person-Umwelt-Beziehung.
 
 Situationsspezifische Konzepte
 
In den situationsspezifischen Konzepten der Stressforschung konzentriert man sich v. a. auf die auslösenden Reizsituationen (Stressfaktoren, Stressoren). Eine gängige Einteilung unterscheidet: 1) äußere Stressfaktoren wie Überflutung mit Sinnesreizen und Informationen (Lärm, Licht, Vibration) oder deren Entzug (Deprivation), Schmerzreize (chemische oder mechanische Reizung), reale oder simulierte Gefahrensituationen (Unfälle, Operationen, Kampfsituationen); 2) Entzug von Nahrung, Wasser, Schlaf, Bewegung, sodass primäre Bedürfnisse nicht mehr befriedigt werden können; 3) Leistungsstressfaktoren, z. B. Überforderung (Zeitdruck, Mehrfachbelastung, Ablenkung oder Mangel an ausreichender Erholungsmöglichkeit), Unterforderung (Monotonie), Prüfungen, Versagen, Kritik; 4) soziale Stressfaktoren (z. B. Isolation); 5) vornehmlich psychische und psychosoziale Stressfaktoren wie Konflikte, Unkontrollierbarkeit oder Ungewissheit. Darüber hinaus hat die Analyse »kritischer Lebensereignisse« Bedeutung gewonnen. Zu den besonderen Krisenzeiten gehören Pubertät, Wechseljahre oder der Eintritt in das Rentenalter. Größere Veränderungen der Lebensumstände wie der Verlust eines Angehörigen, Scheidung, Umzug, Arbeitslosigkeit oder Krankheit können ebenso als Stressfaktoren erfahren werden wie Widrigkeiten des Alltags (Termindruck u. a.).
 
 Biopsychologische Stresskonzeptionen
 
Basierend auf Arbeiten des Physiologen W. B. Cannon, geht die Stresskonzeption von H. Selye, der die moderne Stressforschung maßgeblich geprägt hat, davon aus, dass Stressfaktoren unabhängig von ihrer Qualität ein Syndrom körperlicher Anpassungsreaktionen, das allgemeine Adaptationssyndrom, auslösen. Dabei werden drei aufeinander folgende Phasen unterschieden: die Alarmreaktions-, die Widerstands- und die Erschöpfungsphase.
 
In der Phase der Alarmreaktion bestehen physiologische Reaktionen in einem Zusammenspiel neuronaler und hormonaler Prozesse. Von einer Aktivierung des Hypothalamus gehen zwei Achsen physiologischer Stressreaktionen aus. Beim ersten Weg wird über Releasinghormone der Hypophysenvorderlappen mit der Folge einer erhöhten Ausschüttung des adrenocorticotropen Hormons (ACTH) stimuliert. Das ACTH veranlasst eine Sekretion von Hormonen der Nebennierenrinde, den Corticoiden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Glucocorticoiden (Cortisol und Corticosteron) zu, die u. a. zu einer Blutzuckererhöhung führen und dem Organismus damit Energie bereitstellen, um sich den Anforderungen stellen zu können. Ein zweiter Weg der Stressreaktion ist die durch den Hypothalamus hervorgerufene Aktivierung des Nebennierenmarks mit der Folge der Freisetzung von Catecholaminen wie Adrenalin und Noradrenalin. Adrenalin führt u. a. zu höherer Herzfrequenz, Erweiterung der Luftröhre, vermehrter Durchblutung der Skelettmuskulatur und Beschleunigung der Blutgerinnung, Noradrenalin zu einer Blutdruckerhöhung.
 
In der zweiten Phase ist der Widerstand gegenüber dem Stressfaktor (z. B. Lärmbelastung am Arbeitsplatz) erhöht und gegenüber anderen Stressfaktoren herabgesetzt, sodass die Anpassung beziehungsweise der Bewältigungsversuch auf Kosten der Widerstandsfähigkeit gegenüber den anderen Stressfaktoren erkauft wird. Dies kann z. B. zu einer Schwächung des Immunsystems und damit zu einer Herabsetzung der Infektionsabwehr führen.
 
In der Phase der Erschöpfung kann der Organismus einem Stressfaktor, an den er sich angepasst hat, der aber fortwirkt, nicht länger standhalten. Je nach konstitutioneller Disposition, erworbenen Organschäden oder anlagemäßiger beziehungsweise entwicklungsbedingter Charakterstruktur kommt es jetzt zu psychosomatischen oder psychischen Störungen beziehungsweise Krankheiten mit psychosozialen Folgen. Die Symptome der Alarmreaktion stellen sich wieder ein, sind jetzt aber irreversibel. Die Folgen des Stress sind hormonell bedingte Beeinträchtigungen des vegetativen Nervensystems (psychovegetatives Syndrom). Dies kann im Zusammenwirken mit anderen Risikofaktoren beim weiblichen Geschlecht besonders zu erschöpfungsdepressiven Zuständen, beim männlichen eher zu psychosomatisch interpretierbaren Beschwerden wie Magengeschwüren, Bluthochdruck, Arteriosklerose oder Herzinfarkt führen.
 
 Interaktionistische und transaktionale Stresskonzeptionen
 
Störungen des Gleichgewichts zwischen zwei unabhängigen Systemen - den Anforderungen der Umgebung und den Reaktionsmöglichkeiten eines Individuums - werden in interaktionistischen Konzeptionen für die Auslösung von Stress verantwortlich gemacht. Richard S. Lazarus, der bedeutendste Vertreter dieser kognitiven Stresskonzeption, weist zusätzlich auf die wechselseitige Veränderung von Umwelt und aktiv handelnder Person hin und spricht deshalb von transaktionaler Stresskonzeption.
 
Zwei Prozesse sind in der Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt wirksam: die kognitive Bewertung und die Bewältigung. Im Prozess der primären Bewertung wird eine Situation als potenzieller Stressfaktor bewertet. Bei stressbezogener Bewertung wird nach den Kategorien Schaden/Verlust (durch den Stressfaktor ist eine Beeinträchtigung bereits real erfolgt), Bedrohung (eine Beeinträchtigung wird erwartet) und Herausforderung (in der stressbezogenen Auseinandersetzung liegt die Möglichkeit eines Gewinns) eingeteilt. Im Prozess der sekundären Bewertung, welcher der primären weder zeitlich noch bedeutungsgemäß nachgeordnet ist, wägt das Individuum seine Möglichkeiten ab, wie es eine stressbezogene Auseinandersetzung erfolgreich bewältigen kann. Schließlich kann es im Verlauf der Auseinandersetzung mit der Umwelt über ein Rückmeldesystem zu einer Neubewertung kommen, insbesondere dann, wenn neue Informationen über die Umwelt oder die eigene Reaktion herangezogen werden.
 
 Formen der Stressbewältigung
 
Die Art und Weise der individuellen Stressbewältigung scheint für die soziale Funktionstüchtigkeit und die Gesundheit genauso wichtig zu sein wie die Häufigkeit und Intensität von Stresserleben. Unterschieden werden problem- und emotionsbezogene Bewältigungsversuche. Problembezogen ist Bewältigung dann, wenn sich eine Person direkt mit den Bedingungen befasst, die eine Schädigung, Bedrohung oder Herausforderung auslösen. Bei der emotionsbezogenen Bewältigung wird versucht, die bei Stress auftretenden Emotionen (z. B. Angst) zu regulieren und zu kontrollieren. Hierzu dienen Abwehrmechanismen wie Verleugnung oder Bagatellisierung, aber auch Einnahme von Drogen oder Psychopharmaka. Andere Formen der Stressbewältigung betreffen die zeitliche Orientierung (vergangenheits-, gegenwarts- oder zukunftsorientiert) und das Ziel von Bewältigungsbemühungen (die eigene Person oder die Umgebung). Zur Bewältigung können Informationssuche, direkte Handlungen oder Unterlassen von Handlungen und intrapsych. Bewältigen gewählt werden.
 
Die Tatsache, dass Stress nur bei manchen, nicht aber bei allen Menschen zu negativen Folgen wie Versagen oder Erkrankungen führt, hat die Forschung angeregt, von einem Zusammenhang zwischen Stress und Persönlichkeit auszugehen. Sehr ängstliche Personen scheinen gegenüber weniger Ängstlichen für Stress anfälliger zu sein und entwickeln möglicherweise auch ungünstigere Bewältigungsstrategien. Gesichert ist, dass es Faktoren gibt, die Stress abfangen oder den Bewältigungsprozess erleichtern beziehungsweise beschleunigen. In diesem Sinn sind ein intaktes soziales Stützsystem (etwa zuverlässige Freunde), die Kompetenzerwartung, kritische Situationen meistern zu können, sowie die generalisierte Erwartung eines positiven Handlungsausgangs (Optimismus) nützlich.
 
 Stress in verschiedenen Lebensbereichen und seine Folgen für die Gesundheit
 
Auswirkungen von Stress auf Verhalten und Leistungsfähigkeit werden u. a. in Schule, Ausbildung und Beruf, zum Teil auch, auf einer individuellen »Stressbereitschaft« beruhend, in der Freizeit beobachtet.
 
In Schule und Ausbildung wird Stress meist infolge zu hoher oder unüberschaubarer Anforderungen bei mangelnder Leistungsfähigkeit und nicht ausreichender sozialer Unterstützung, gelegentlich auch bei Unterforderung, auftreten. Dabei spielen nicht nur schulische Einflussfaktoren eine Rolle, sondern auch Stress auslösendes Verhalten vonseiten der Eltern oder anderer Bezugspersonen wie Überforderung (etwa Leistungsehrgeiz der Eltern), Widersprüchlichkeit im Erziehungsstil, Probleme im Elternhaus (übermäßiger Alkoholkonsum u. a.) sowie mangelnde Unterstützung und Anregung (etwa bei »Schlüsselkindern«).
 
In der Arbeitswelt gelten besonders solche Berufe als stressrelevant, die entweder mit extremer körperlicher Belastung (z. B. durch Hitze, Kälte und Lärm) oder mit einer Selbstgefährdung verbunden sind oder aber eine konzentrierte Bewältigung von Mehrfachaufgaben bei hohen Anforderungen an Aufmerksamkeit und Reaktionsvermögen sowie erhebliche Verantwortung für das Leben und Wohlergehen anderer erfordern, insbesondere dann, wenn diese Tätigkeiten zusätzlich unter Zeitdruck durchgeführt werden müssen (z. B. komplexe Überwachungstätigkeiten bei Fluglotsen, Manageraufgaben in Großkonzernen, Frauen mit Mehrfachbelastung durch Haushalt und Beruf). Auch die Anpassung an zeitlich wechselnde Arbeitseinsätze mit Veränderung der Tageszeitrhythmik (z. B. Schichtarbeit) stellt ein hohes Stresspotenzial dar. Zumeist wird in diesem Zusammenhang von einer leistungsbeeinträchtigenden Wirkung, auch von einem erhöhten Unfallrisiko (etwa am Ende eines langen Arbeitstages) ausgegangen, weil durch Stress die Aufmerksamkeit von den zu lösenden Aufgaben abgelenkt wird. Je nach Bewertung der Stress auslösenden Situation können Leistungssituationen auch als persönliche Herausforderungen betrachtet werden, und die Aktivierung von Bewältigungsmöglichkeiten kann Leistungseinbußen verhindern. Wird dagegen eine Situation als Überforderung der eigenen Kapazitäten bewertet, kann dies dazu führen, dass das befürchtete Versagen tatsächlich eintritt (Selffulfilling Prophecy). Die meisten der in der Psychologie entwickelten Stressbewältigungsstrategien basieren deshalb auf Maßnahmen zur Veränderung der Bewertung Stress auslösender Ereignisse und auf der Aktivierung geeigneter Bewältigungsmöglichkeiten. Außerdem können auch verschiedene Entspannungsverfahren angewendet werden (z. B. autogenes Training oder Meditation).
 
Bereits seit langem werden die Folgen von Stress für die Gesundheit beziehungsweise die Entstehung von Krankheiten diskutiert. Wahrscheinlich kommt es zu einer Beeinträchtigung des Immunsystems und in deren Folge zu einem gehäuften Auftreten von Infektionskrankheiten. So sind Virusinfektionen gehäuft bei Personen mit hoher psychosozialer Belastung (Berufsstress, etwa als Burn-out-Syndrom, das Sich-ausgebrannt-Fühlen) zu beobachten. Eine Beteiligung am Entstehen von Tumoren wird ebenfalls untersucht. So deuten zahlreiche Untersuchungen auf eine Schwächung des Immunsystems bei länger einwirkendem Stress, doch sind die genauen psychophysiologischen Zusammenhänge noch nicht vollständig aufgeklärt. Erklärungsmodelle beschäftigen sich u. a. mit der durch Aktivierung der Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse erfolgenden Ausschüttung von Cortisol mit der Folge einer immunsuppressiven Wirkung. Zumindest kann von einer indirekten Stressauswirkung ausgegangen werden, wenn bei Stressbelastungen nicht für den erforderlichen Ausgleich gesorgt wird (z. B. bei Berufsstress: ausreichende Bewegung und Erholungsmöglichkeiten, Ruhe, Abwechslung, Lösung anstehender zwischenmenschlicher Probleme), womit sich langfristig gesehen ein zusätzliches Belastungspotenzial ergibt. Gegenstand intensiver Forschung ist die Bedeutung von Stress bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck. Für diese Krankheiten prädisponiert scheinen insbesondere von Stress betroffene Menschen, die sich durch Ehrgeiz, Leistungsstreben, Hast, Ungeduld, Konkurrenzdenken, aber auch durch häufiges Auftreten negativer Emotionen wie Feindseligkeit, aggressives Rivalitätsverhalten, Angst, Ärger und Depression auszeichnen. Auch bei Entstehung und Verlauf von Magen-Darm-Erkrankungen, Bronchialasthma, Arthritis, Migräne, Spannungskopfschmerz und Allergie sind Stressfaktoren von Bedeutung, besonders bei lang andauerndem, chronischem Stress.
 
Erhebliche praktische Bedeutung haben Erkenntnisse über die vielfältigen Stressfaktoren, die im Zusammenhang mit medizinischen Maßnahmen (z. B. Operationen, unangenehme beziehungsweise schmerzhafte diagnostische Untersuchungen) auftreten können. Zu der primären körperlichen Beeinträchtigung kommt die Erfahrung der verminderten Kontrolle durch die Abhängigkeit vom Können anderer sowie die Ungewissheit über den Ausgang der Maßnahme hinzu. Deshalb besitzen eine vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung und geeignete Informations- und Aufklärungsmaßnahmen, aber auch psychologische Vorbereitungs- und Begleitprogramme, die in Abhängigkeit von der Persönlichkeit differenziert angewendet werden, eine erhebliche Stress reduzierende Wirkung und damit zugleich Bedeutung für den positiven Ausgang der medizinischen Maßnahmen und für den Heilungsprozess. Dabei sind sowohl subjektive wie objektive Kriterien des Krankheits- und Genesungsverlaufs betroffen (z. B. das subjektive Befinden, Erfahrung von Lebensqualität, positive Einstellung zu den medizinischen Maßnahmen; Krankenhausaufenthalts- beziehungsweise Arbeitsunfähigkeitsdauer).
 
Allgemeine Aussagen zum Zusammenhang zwischen Stress und Krankheit können nicht getroffen werden; durch vorschnelle Verallgemeinerung von Einzelbefunden entsteht die Gefahr, dass das Stresskonzept bequeme Krankheitserklärungen nahe legt, die von anderen gesundheitsbezogenen Risikoverhaltensweisen ablenken können. Unbestritten ist allerdings, dass auf indirektem Weg Stress zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt, wenn als Stressbewältigungsmaßnahmen gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen wie Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum und falsche Ernährungsgewohnheiten gewählt werden.
 
 Stress in soziologischer und gesellschaftspolitischer Perspektive
 
Aus sozialpsychologisch-soziologischer Sicht stellt sich die Frage, ob gesellschaftliche Faktoren die Entstehung von Stress begünstigen, so z. B. die Lebensbedingungen der Massengesellschaft (hohe Bevölkerungsdichte, Bürokratisierung), der Industriegesellschaft (Automatisierung, Lärm- und Klimabelastung) und der Leistungsgesellschaft (einseitige Orientierung an optimaler Funktionstüchtigkeit), aber auch kulturelle oder geographische Bedingungen (z. B. Stadt-Land-Unterschied; Industrienationen im Vergleich zu Entwicklungsländern). In Lebensumständen, wie sie in unserer Leistungsgesellschaft dominieren, kumulieren Stressfaktoren wie Zeitdruck, Mehrfachbelastung, Auseinandersetzung mit komplexen Lebensumständen, während in unterentwickelten Ländern die mangelnden Möglichkeiten zur Befriedigung primärer Bedürfnisse, häufig verbunden mit Überbevölkerung und Naturkatastrophen sowie politischer und wirtschaftlicher Instabilität, zentrale Stressfaktoren darstellen. Aus diesem Grund scheint es nicht gerechtfertigt zu sein, von prinzipiell unterschiedlichen Ausmaßen der Stressbelastung auszugehen.
 
Die Stressphänomene in ihrer Vielfalt betreffen nicht allein die individuelle Existenz, sondern beinhalten zugleich eine gesellschafts- und gesundheitspolitische Aufgabe. Nicht nur das Individuum ist aufgefordert, schädigende Stresserfahrungen, die in der zunehmenden Komplexität und zugleich Instabilität des Lebens in der Industriegesellschaft eine zunehmende Bedrohung darstellen, durch eine Stress vermeidende Lebensführung zu verringern beziehungsweise durch geeignete Strategien zu bewältigen. Gesellschaftlich kann dem Stress durch eine gute Arbeitsplatzgestaltung, Einflussnahme auf Lärm-, Licht-, Klimaverhältnisse, Farb- und Formgebung in Raum- und Gebäudegestaltung, Stadtplanung und Straßenführung wie auch durch Berücksichtigung zwischenmenschlicher, kommunikativer Aspekte auf breiter Ebene entgegengewirkt werden.
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Aggressivität · Angst · Gesundheit · Lärm · Leistungsgesellschaft · psychisches Trauma · Psychosomatik · Zeit
 
Literatur:
 
R. S. Lazarus u. S. Folkman: Stress, appraisal, and coping (New York 1984, Nachdr. ebd. 1996);
 H. Selye: S. Bewältigung u. Lebensgewinn (a. d. Engl., Neuausg. 1988);
 R. Schwarzer: Streß, Angst u. Handlungsregulation (31993);
 K. Hurrelmann: Familienstreß, Schulstreß, Freizeitstreß (21994);
 
Krit. Lebensereignisse, hg. v. S.-H. Filipp (31995).
II
Strẹss,
 
Geologie: einseitiger, gerichteter Druck bei tektonischen Vorgängen, wobei es zur Bildung bestimmter, schiefriger Gefüge kommt. Die frühere Annahme, dass bestimmte gesteinsbildende Minerale (Stressminerale, z. B. Disthen, Staurolith, Chloritoid) nur unter Stress entstehen, hat sich nicht bestätigt; allenfalls wird ihr Wachstum in einer bestimmten Richtung begünstigt.

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Strẹss [ʃt..., auch: st...], der; -es, -e <Pl. selten> [1936 gepr. von dem österr.-kanad. Biochemiker H. Selye (1907-1982) mit engl. stress = Druck, Anspannung, gek. aus distress = Sorge, Kummer, dies über gleichbed. afrz. destresse letztlich zu lat. distringere = beanspruchen, einengen]: 1. erhöhte Beanspruchung, Belastung physischer od. psychischer Art (die bestimmte Reaktionen hervorruft u. zu Schädigungen der Gesundheit führen kann): körperlicher, seelischer S.; der S. eines Arbeitstages, beim Autofahren; der S. des Lebens in der Großstadt; S. erzeugen; jmdm. S. ersparen; vorzeitiger Tod ... infolge S. (MM 26. 3. 66, 3); angesichts des vermehrten Stresses, welchem das Betriebspersonal ... ausgesetzt ist (NZZ 9. 12. 82, 28); im S. sein, stehen; unter S. stehen. 2. (ugs.) Ärger: sie hat ständig S. mit ihren Eltern; Was in Hannover abgegangen ist, war, dass so zehn Leute ... halt ein bisschen S. gemacht haben (Zeit 19. 8. 94, 7).

Universal-Lexikon. 2012.