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Esoterik
Eso|te|rik 〈f.; -; unz.〉
1. (mystische, religiöse, philosophische) Geheimlehre, die nur Eingeweihten zugänglich ist
2. Lehre von den nicht rational zu erfassenden (außersinnlichen, okkulten) Phänomenen
3. esoterische Geisteshaltung, esoterische Beschaffenheit
[→ esoterisch]

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Eso|te|rik, die; -:
1.
a) Grenzwissenschaft (2);
b) weltanschauliche Bewegung, Strömung, die durch Heranziehung okkultistischer, anthroposophischer, metaphysischer u. a. Lehren u. Praktiken auf die Selbsterkenntnis u. Selbstverwirklichung des Menschen abzielt.
2. (bildungsspr.)↑ esoterische (2) Geisteshaltung, Beschaffenheit, ↑ esoterisches (2) Denken.

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I
Esoterik,
 
New Age.
II
Esoterik
 
[zu griechisch esōterikós »innen«, »innerlich«] die,-, gegenwärtig in doppeltem Sinn gebrauchter Begriff: 1) als Sammelbezeichnung für okkulte Praktiken, Lehren und Weltanschauungsgemeinschaften (Okkultismus), 2) für »innere Wege», bestimmte spirituelle Erfahrungen zu erlangen, die von einer bloß »äußeren» Befolgung von Dogmen und Vorschriften zu unterscheiden sind. Wenn diese allerdings selbst auf Geheimlehren und okkulte Praktiken zurückgreifen, liegt wieder die erste Bedeutungsvariante vor.
 
Dieser doppelte Esoterikbegriff spiegelt sich in den heutigen Stellungnahmen zum Thema wider: Nach dem durch zahlreiche Veröffentlichungen bekannten H.-D. Leuenberger (* 1931) ist Esoterik der heutige Ausdruck »für ein Gebiet, das man früher mit den Begriffen Okkultismus, Grenzwissenschaft oder auch Theosophie bezeichnet hat«. Demgegenüber ist Esoterik nach dem Religionswissenschaftler und Theologen Georg Schmid (* 1940) v. a. »die Liebe zum überall verborgenen inneren Geheimnis alles Wirklichen«. Die Vertreter dieser Bedeutungsvariante stehen häufig der »analytischen Psychologie« C. G. Jungs nahe und versuchen, sich von der ersten Begriffsvariante abzugrenzen, indem sie zwischen »neuer Esoterik« und »klassischer Esoterik« unterscheiden (Schmid) und die enge Beziehung zwischen Esoterik und Okkultismus weitgehend bestreiten. Dies ist aber sachlich nicht gerechtfertigt, wie die Begriffsgeschichte zeigt.
 
Der Begriff taucht zuerst um 1870 bei dem französischen Okkultisten Eliphas Lévi (kabbalistisches Pseudonym von Alphonse Louis Constant, * 1810, ✝ 1875) in der französischen Form als »ésotérisme« auf; vermutlich hat er auch das Substantiv »occultisme« geprägt, das 1881 von dem Theosophen Sinnett ins Englische übertragen wurde und sich seither auch im Deutschen als »Okkultismus« verbreitet hat. Esoterik gilt dabei als Sammelbegriff für die verschiedensten geheimen, magischen »Künste« wie: Alchimie, Astrologie, Kabbala, Rosenkreuzertum. Während Esoterik einen weitgehend okkultistischen Bedeutungsinhalt trägt, wurde das bereits in der Antike gebräuchliche griechische Adjektiv esōterikós ursprünglich in einem von beiden heutigen Bedeutungsvarianten unabhängigen Sinn zur Bezeichnung der nur für den engeren Schülerkreis bestimmten Lehren des peripatetischen Schulbetriebs (esoterisch) verwendet. Ist bei Aristoteles selbst nur das Adjektiv exōterikós im Blick auf Platons Lehrbetrieb nachweisbar (C. Bochinger), taucht das Gegensatzpaar esoterisch/exoterisch zum ersten Mal im 3. Jahrhundert n. Chr. bei Lukian auf (H. Cancik). Das moderne Verständnis von Esoterik bahnt sich erst im Renaissance- und Barockzeitalter in Abgrenzung von der sich herausbildenden exakten Naturwissenschaft an (F. A. Yates). Seine Wurzeln liegen nicht in der klassischen antiken Philosophie, sondern in der Gnosis (H.-J. Ruppert), wie auch heutige Esoteriker ihrerseits das Fortbestehen einer »perennen Gnosis« in der modernen Esoterik postulieren.
 
 Erscheinungsformen
 
Praktiken und Anschauungen, die heute vollständig oder teilweise für die Esoterik in Anspruch genommen werden, kommen aus Alchimie, Astrologie, Gnosis, Magie und Theosophie, man greift zurück auf (unhistorische) Zeremonien von Druiden und Hexen, der Templer und Rosenkreuzer; auch alternative Therapien, Selbsterfahrungsriten (Feuerlauf) sowie Elemente aus orientalischen Religionen werden vielfach einbezogen. Mit der Zusammenfassung dieser bis dahin zeitlich und räumlich getrennten Phänomene durch die neuen Oberbegriffe »Esoterik« und »Okkultismus« seit Lévi kündigt sich an, dass man diese seit etwa 1870 in ihrer Gesamtheit als Ausdruck einer neuen Weltanschauung auffasst - mit einer ihnen gemeinsamen Frontstellung gegenüber den vorherrschenden Welt- und Menschenbildern (Bochinger). Gemeinsam ist allen Praktiken und Überzeugungen die Ablehnung der modernen Wissenschaft und der traditionellen christlich-kirchlichen Religion. Die Esoterik ist seit dem 19. Jahrhundert eine Gegenströmung gegen die moderne Welt und deren »Entzauberung« durch die Technik (M. Weber), ein »dritter Weg« über die exakte Naturwissenschaft und die christliche Religion hinaus.
 
Das Grundlagenwerk der modernen Esoterik ist die »Geheimlehre« (1888) der Helena P. Blavatsky, der Begründerin der Theosophischen Gesellschaft. Darin wird dieser »dritte Weg« entwickelt; Grundlagen und Ziele, die bis heute in ähnlicher Weise verkündet werden, sind ein »erweitertes« Verständnis von Wissenschaft (»Geheimwissenschaft«) zur Reformierung der Naturwissenschaft auf der Basis eines monistischen Weltbildes (Studium der okkulten Naturkräfte und der östlichen monistisch-pantheistischen Religionen) sowie die Vereinigung der Weltreligionen (Schaffung der universellen Bruderschaft der Menschheit) auf der Basis einer angeblich allen Religionen zugrunde liegenden esoterischen »Ur-Weisheit«; sie sind bis heute nicht nur die Hauptziele der »Theosophischen Gesellschaft«, sondern in vielfach abgewandelter Form der Esoterik überhaupt. R. Steiners Anthroposophie hatte eine ihrer Hauptwurzeln in der Theosophie Helena P. Blavatskys.
 
Die neue Esoterikwelle am Ende des 20. Jahrhunderts wurde in den USA durch das seit etwa 1968 von Kalifornien ausgehende, weitgehend esoterisch-theosophisch beeinflusste New Age ausgelöst, mit dem Versuch einer Gesellschafts- und Weltveränderung auf der Basis eines mystisch-esoterischen Utopismus (R. Hofmann). Inzwischen hat diese subkulturelle Strömung den kulturellen Hauptstrom der westlichen Gesellschaften erreicht: Bereits 1989 glaubten 12 % der Westdeutschen an Reinkarnation (Seelenwanderung). Zwischen 1986 und 1990 hat die führende Esoterikzeitschrift »Esotera« ihre monatliche Auflage von 60 000 auf 120 000 Exemplare verdoppelt. Nach Schätzungen werden in Deutschland jährlich bis zu 3 Millionen Bücher esoterischen Inhalts verkauft.
 
Die Popularisierung der Esoterik seit den 80er-Jahren ist allerdings im Zusammenhang mit umfassenderen religiös-weltanschaulichen Wandlungsprozessen zu sehen, die sich ganz unabhängig von ihr in der modernen Gesellschaft vollziehen. Die Esoterik wird von ihnen beeinflusst, sie stellt aber zugleich auch einen Ausdruck dieser Entwicklung dar. Bezeichnend ist v. a. der mit Popularisierung der Esoterik verbundene Wandel vom ursprünglichen okkulten Schulungsweg für einen »inneren Kreis« von »Eingeweihten« zu einem »Angebot« für breite Bevölkerungsschichten.
 
Die amerikanischen Religionssoziologen R. Stark und W. S. Bainbridge haben im Blick auf die allgemeinen religiösen Wandlungsprozesse in der säkularen Gesellschaft drei Formen oder Stufen der geringeren oder stärkeren »Organisiertheit« von »Religion« in der Gesellschaft unterschieden: »audience cult«, »client cult« und »cult movement« (d. h. etwa: »Publikum(skult)«, »Kundschaft« und »Kultbewegung«). Diese Differenzierung kann man insbesondere auch auf die Erscheinungsformen heutiger Esoterik übertragen, z. B. mit der Unterscheidung von Gebrauchs-, Auswahl- und System-E. (B. Grom). Die erste Kategorie heutiger Erscheinungsformen von Esoterik besteht demzufolge aus der unorganisierten Masse von Konsumenten derselben esoterischen »Angebote« z. B. an Büchern, Videos oder Fantasyspielen, die sie zu ihrem persönlichen Gebrauch konsumieren. Mit einer zweiten, stärker organisierten Dimension der Esoterik bekommt es der Einzelne zu tun, wenn er sich z. B. als »Klient« in die Beratung eines »Reinkarnationstherapeuten« begibt oder an einem »Feuerlaufseminar« teilnimmt. Ein regelrechter »Markt des Übersinnlichen« hat sich herausgebildet, mit spezifischen Organisationsformen wie Workshops oder Seminaren mit Anleitung zu außergewöhnlichen »Erfahrungen« (Kontaktaufnahme mit dem Geistführer, Blüten- und Kristalltherapie, Rebirthing, indianische Schwitzhütten, Chakra-Öffnungen u. a.), oft an exotischen Plätzen (Lanzarote, Peru, Mexiko, Hawaii). »Esoteriktage«, die in verschiedenen Großstädten stattfinden, sind Märkte und Messen für viele Tausend Besucher, bei denen das Kommerzielle im Vordergrund steht. Der Übergang zum alternativen Psychomarkt mit seinen fachlich umstrittenen Therapien ist fließend. Im Gegensatz zu den kommerziellen Großveranstaltungen, die weder eine feste Mitgliedschaft noch ein bestimmtes Weltanschauungssystem der Teilnehmer voraussetzen, sind die organisierten Kultbewegungen meist älterer Herkunft und an eine Führergestalt und seine Auffassungen gebunden. Mit ihrem Anspruch, das traditionelle Christentum durch das Ur-Wissen der Esoterik zu überbieten (Helena P. Blavatsky), sind sie weithin eine nachchristliche Erscheinung. Zu den wichtigsten Gemeinschaften mit okkult-esoterischem Hintergrund gehören: der theosophische Synkretismus (angloindische theosophische Gesellschaften; Anthroposophie; Alice-Bailey-Gruppen; I-AM-Bewegung), der rosenkreuzer. Synkretismus (»Alter Mystischer Orden vom Rosenkreuz« [AMORC]; »Internationale Schule des Rosenkreuzes e. V./Lectorium Rosicrucianum«), spiritistische und spiritualistische Gemeinschaften und »Kirchen« (Geistige Loge Zürich; Universelles Leben; Umbanda; der Spiritismus Allan Kardecs [druidisches Pseudonym von Hippolyte Léon Denizard Rivail, * 1804, ✝ 1869]), die UFO-Bewegung sowie okkulte Orden und Logen wie der Ordo Templi Orientis (O. T. O.) und neuheidnisch-esoterische Orden und Gemeinschaften (Armanenschaft; Goden-Orden).
 
 Esoterik und gesellschaftlicher Wandel
 
Die esoterische Religiosität ist nicht mehr »religiös« im traditionellen Sinn (Religion). Sie beansprucht einerseits zu »wissen« und nicht bloß zu »glauben« (»Geheimwissenschaft«); andererseits versucht sie mit ihrem »Wissen« zugleich auch, auf die »religiösen Fragen« des modernen Menschen zu antworten und gewinnt für diesen daher - ohne selbst »Religion« im Vollsinn zu sein - die Bedeutung einer »freien Religiosität«. Die Esoterik ist damit eines der wichtigsten Medien, mit denen die säkulare Gesellschaft sich auch der »letzten«, bisher von den traditionellen Religionen beantworteten »religiösen Fragen« bemächtigt. Beim überwiegenden Teil der »Esoterikwelle« handelt es sich dementsprechend um kommerzielle Angebote von Firmen, Verlagen, Veranstaltern oder Einzelpersonen, die auf einem freien »Religions- und Weltanschauungsmarkt« spirituell-therapeutische und esoterische, fachlich meist nicht anerkannte Psycho- und Beratungstechniken oder Heilweisen anbieten und verkaufen (wobei oft mit deren exotischen Herkunft geworben wird), sowie um ein auf diese Angebote zugeschnittenes Publikum. Die freie esoterische Szene hat »Markt-Form«. Von feststehenden Mitgliedschaften in einer Weltanschauungsgemeinschaft oder Loge ist nur bei relativ wenigen die Rede, während wohl einige Hunderttausende von der gesellschaftlich »frei schwebenden« esoterischen Spiritualität erfasst wurden.
 
Der Zulauf, den die »Esoterikwelle« hat, ist ein Ausdruck der so genannten »neuen Religiosität« in der modernen Gesellschaft. Diese hat man vorrangig mit den Begriffen Individualismus, Pluralismus und Erlebnisgesellschaft zu umschreiben versucht (T. Luckmann; G. Schulze). Ähnlich wie die von der »Krise der Institutionen« erfassten christlichen Kirchen profitieren im Rahmen dieser Prozesse auch die traditionellen esoterischen »Schulen« und Weltanschauungsgemeinschaften nur wenig vom »Esoterikboom«. Auf großes Interesse stoßen jedoch diejenigen Anbieter, die unverbindlichen Empfehlungen im Sinne der Individualisierungs- und Erlebnistendenzen von »Religiosität« in der modernen Gesellschaft geben.
 
Der Pluralismus der Angebote führt zu einem Nebeneinander an konkurrierenden Deutungsversuchen philosophischer, religiöser und weltanschaulicher Ideen, die - ihres ursprünglichen Kontexts beraubt - nunmehr einen oft völlig veränderten, »esoterischen« Sinn erhalten. Hinzu kommt, dass viele als »esoterisch«, »spirituell« oder »religiös« geltende Ideen und Methoden rein praktischer Natur sind - etwa als Mittel der Stressbewältigung oder zu beruflichem Erfolg (z. B. »positives Denken« als säkularisierte Form des Gebets).
 
Schließlich ist die Esoterikwelle auch ein besonderer Ausdruck der Erlebnisgesellschaft, die nach dem Soziologen G. Schulze (* 1944) durch eine »Innenorientierung« gekennzeichnet ist, die der zweiten Bedeutungsvariante von Esoterik (als spirituelle Erfahrung) entgegenzukommen scheint: Es ist der »Erlebniswert«, der nach Umfrageergebnissen bei den meisten Menschen das entscheidende Motiv für die Wahl einer bestimmten Sache, eines Konsumartikels, einer Fernsehsendung oder auch beim Treffen von »Lebensentscheidungen« darstellt. Der »innenorientierte« Mensch wählt aus, um damit eine innere Befriedigung bei sich selbst zu erlangen. So expandiert der Erlebnismarkt immer mehr in Bereiche, die früher noch erlebnisneutral waren, wie Arbeitswelt, Bildung und Politik.
 
 Esoterik als Alternative zu Wissenschaft und Religion
 
Die »Erlebnisorientierung« ist zwar eine gegenwärtig besonders typische, jedoch nicht die einzige Orientierung, die Menschen aus der Esoterik zu gewinnen versuchen. Esoterik ist - zumindest in ihrer okkultistischen Bedeutungsvariante als »Geheimwissen(schaft)«- von Anfang an ein Versuch, die Vielheit der Erscheinungen auf religiösem wie auf naturwissenschaftlichem Gebiet zu einer Gesamtschau zu verbinden und ein Einheitsbild der Wirklichkeit vorzulegen: Auf religiösem Gebiet erfolgt dies v. a. durch die Behauptung esoterischer Kreise, im Besitz der allen Religionen angeblich zugrunde liegenden einen, geheimen »Ur-Weisheit« zu sein, die erst von den »exoterischen« Kirchen verfälscht worden sei, die die »Geheimlehre« der großen Religionsstifter absichtlich unterdrückt und eliminiert hätten. Auf naturwissenschaftlichem Gebiet möchte die Esoterik einen Geist und Natur, Mensch und Welt übergreifenden Monismus einführen, der angeblich auch durch neuere wissenschaftliche Entwicklungen, z. B. durch Denker wie F. Capra oder H.-P. Dürr, »bestätigt« werde. Die Esoterik versteht sich damit als Verbündete eines »neuen, ganzheitlichen Denkens« sowie der politischen »Alternativbewegung«. Viele religiöse und wissenschaftliche Fragen erhalten jedenfalls in der modernen Esoterik eine »alternative« Beantwortung im Blick auf die herrschende Religion und Naturwissenschaft. Die Frage der Wiedergeburt (Reinkarnation) z. B. ist in der Esoterik eigentlich keine Frage der Religion, sondern des Wissens: Sie gilt nicht als Glaubensfrage, sondern als Tatsache. Diese »Zwischenstellung« zwischen Religion und Wissenschaft ist der heutigen Esoterik seit ihren Ursprüngen (z. B. im Programm der »Theosophischen Gesellschaft« oder in der sich als »Geisteswissenschaft« verstehenden Anthroposophie) eigentümlich.
 
Obwohl man die »uralte Weisheit« der Esoterik weder als religösen Glauben im Sinne der traditionellen Religionen und Kirchen noch als Wissenschaft im Sinne akademischer Schulwissenschaften anzusehen hat, steht dieses »geheime Wissen« nach dem Philosophen Peter Sloterdijk (* 1947) allerdings dem mit moderner Wissenschaft und Technik oft verbundenen Macht- und Erlösungsstreben des Menschen näher, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag: »Wenn schon technisches Wissen Macht ist, so ist magisches Wissen absolute Macht«, die dem »Eingeweihten« den Aufstieg zur Vollkommenheit gewährt. Der moderne Okkultismus hat deshalb nach Sloterdijk von Anfang an versucht, seinen »Anspruch auf außernormales Wissen mit dem Nimbus der Normalwissenschaft zu verbinden«, gewissermaßen eine »Naturwissenschaft der geistigen, okkulten Welt« zu entwickeln. Der österreichische Theologe Adolf Holl (* 1930) konstatierte: »Im New Age ist das Wunderbare wissenschaftlich gestylt. Der Schamane mit Psychologiedoktorat gibt den Ton an. .. Das Irrationale kommt ebenso rechthaberisch daher wie die Wissenschaft. Es ist lediglich unverlässlicher.« In Zeiten eines schweren Ansehensverlustes der Schulwissenschaften infolge Atom- und Ökokatastrophen stabilisiert die Esoterik als »Geheimwissenschaft« die angeschlagene Wissenschaftsgläubigkeit vieler Menschen nur in anderer Form. Dies ist ein kaum zu unterschätzendes Motiv ihrer Faszinations- und Orientierungskraft.
 
Mit dieser Eigenart des esoterischen Geheimwissens, mit seinem Anspruch auf Wissen und Erkenntnis sowohl über die Naturwissenschaft als auch über die Sphäre des religiösen Glaubens hinaus, hängt es auch zusammen, dass die religionswissenschaftliche und theologische Auseinandersetzung mit der Esoterik bisher zu keiner einheitlichen Deutung und Kritik gefunden hat: Auf der einen Seite wird Esoterik als Ausdruck heutiger »religiöser Individualkultur« akzeptiert (Bochinger) oder sogar als Andeutung einer »kommenden Weltzivilisation« begrüßt (H. Timm). Andererseits wird ihr als »nachchristlicher« oder »postreligiöser« (W. Thiede) Erscheinung ein Rückfall hinter den christlichen Gottes- und Heilsglauben attestiert. Nach H. Hemminger ergibt sich die Frage, ob man angesichts des esoterischen »Markts des Übersinnlichen« überhaupt noch »von einer religiösen Haltung sprechen sollte« oder nicht besser von »profaner Magie«. Denn das Kennzeichen der Esoterik, auch über diesen »Markt« hinaus, ist nach dem katholischen Parapsychologen und Theologen Andreas Resch (* 1934) ihr »Immanentismus«, d. h. »die Deutung von Welt, Leben und Religion mit naturimmanenten Kräften. .. unter Verzicht auf die Transzendenz«. Damit nimmt die Esoterik nach Resch »immer mehr die Form einer alternativen Lebensgestaltung zu Wissenschaft und Religion, v. a. zum Christentum ein, zumal der Stellenwert der Person durch die kosmische Einheit und den Kreislauf der Dinge völlig relativiert wird. Der Wert der Person ist nur zeitlich gegeben und hat keine transzendente Bedeutung. Das Ich ist im All verklungen.« Auch J. Sudbrack sieht den »maßgebende(n) Gegensatz zur religiös(-christliche) Weltdeutung« darin, »dass die Esoterik versucht. .. zu wissen und über die Sache zu verfügen. Religion aber gründet in einem Vertrauens-Glauben, der weder durch Wissen noch durch Erfahrung überholt werden kann.« Es handelt sich bei der Esoterik nicht nur um eine postreligiöse, sondern im Grunde um eine nichtreligiöse, vielfach sogar dezidiert irreligiöse Erscheinung, in der eine religiöse Transzendenz keine Rolle spielt, der Mensch sich nicht in die Arme eines rettenden Gottes fallen lässt, sondern seine Erlösung selbst zu inszenieren versucht.
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Alchimie · Anthroposophie · Astrologie · Druiden · Geheimwissenschaften · Gnosis · Hexe · Kabbala · Magie · Mandala · neue Religionen · Neuheidentum · New Age · Okkultismus · Pansophie · Rosenkreuzer · Seelenwanderung · Spiritismus · Theosophie · Theosophische Gesellschaft
 
Literatur:
 
H.-J. Ruppert: Durchbruch zur Innenwelt. Spirituelle Impulse aus New Age u. E. in krit. Beleuchtung (1988);
 
Hb. religionswiss. Grundbegriffe, hg. v. H. Cancik u. a., Bd. 2 (1990);
 H. Werner: Lex. der E. (1991);
 F. A. Yates: Die okkulte Philosophie im elisabethan. Zeitalter (a. d. Engl., Amsterdam 1991);
 Georg Schmid: Im Dschungel der neuen Religiosität. E., östl. Mystik, Sekten, Islam, Fundamentalismus, Volkskirchen (1992);
 E. Schuré: Die großen Eingeweihten. Geheimlehren der Religionen (a. d. Frz., 201992);
 H.-D. Leuenberger: Das ist E. Einf. in esoter. Denken (71994);
 H. Blavatsky: Theosophie u. Geheimwiss. (a. d. Engl., 1995);
 C. Bochinger: »New Age« u. moderne Religion. Religionswiss. Analysen (21995);
 
Lex. für Theologie u. Kirche, begr. v. M. Buchberger, hg. v. W. Kasper u. a., Bd. 3 (31995);
 W. Thiede: E. - die postreligiöse Dauerwelle. Theolog. Betrachtungen u. Analysen (1995);
 T. Luckmann: Die unsichtbare Religion (31996).

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Eso|te|rik, die; -: 1. Grenzwissenschaft (2): Ein Bücherstand mit einem vielfältigen Angebot von Schriften aus dem Bereich der Grenzwissenschaften ... Das Interesse für E. soll ... geweckt werden (NZZ 14. 4. 85, 9). 2. (bildungsspr.) esoterische Geisteshaltung, esoterisches Denken: dass er sich immer nur verständlich machen kann, wenn er sich nicht in E. flüchtet (Welt 6. 11. 65, Film). 3. (bildungsspr.) esoterische Beschaffenheit (z. B. einer Lehre): indem sie gegen die „bourgeoise avantgardistische Musik“ und deren E. zu Felde ziehen (MM 16. 3. 74, 72).

Universal-Lexikon. 2012.