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Umweltpolitik
Ụm|welt|po|li|tik 〈f.; -; unz.〉 Maßnahmen des Staates od. der Umweltschutzorganisationen auf dem Gebiet des Umweltschutzes

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Ụm|welt|po|li|tik, die:
Umweltfragen betreffende, dem Umweltschutz dienende Politik.

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Umweltpolitik,
 
Umweltschutzpolitik, die Gesamtheit der Maßnahmen zur Verbesserung der Umweltqualität oder zur Aufrechterhaltung einer gegebenen Umweltqualität. Durch die Tätigkeit öffentlicher und gesellschaftlicher Institutionen auf dem Gebiet des Umweltschutzes sollen Umweltschäden möglichst beseitigt oder vermieden werden, um ein regionales, nationales, kontinentales oder globales »ökologisches Gleichgewicht« wiederherzustellen.
 
Einerseits ist U. kein isolierter Politikbereich, sondern eher ein Querschnittsbereich. So bestehen enge Zusammenhänge mit Wirtschafts- und Finanzpolitik, mit Forschungs- und Technologiepolitik, mit Energie-, Verkehrs-, Entwicklungs- und Außenpolitik. Andererseits wird der staatliche U. der gleiche Rang eingeräumt wie anderen öffentlichen Aufgaben.
 
Prinzipiell können an eine »rationale U.« folgende Anforderungen gestellt werden: 1) Verwirklichung grundlegender umweltpolitischer Prinzipien; 2) Bestandsaufnahme der Umweltsituation unter Berücksichtigung ökonomischer, sozialer und gesellschaftlicher Belange im Sinne eines umfassenden »Umweltqualitätsberichts« über eine umweltökonomische Gesamtrechnung hinaus; 3) Vorgabe eindeutig definierter, operationaler, nach Prioritäten geordneter umweltpolitischer Ziele in den einzelnen Aktionsfeldern der U., die auch das Erreichen anderer wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Ziele ermöglicht; 4) Einsatz ökologisch und ökonomisch effizienter umweltpolitischer Instrumente; 5) Messung des ökologischen, aber auch des ökonomischen und sozialen Erfolgs der durchgeführten umweltpolitischen Maßnahmen im Sinne einer Evaluierung oder eines öffentlichen Umweltcontrollings.
 
 Träger und Adressaten
 
Umweltpolitische Maßnahmen können auf verschiedenen Handlungsebenen vom kommunalen bis zum internationalen Bereich ergriffen werden. Auf staatlicher Ebene sind in Deutschland die Handelnden Bundesregierungen, Bundestag und Bundesrat, auf der Ebene der Bundesländer die Länderregierungen und Landtage, auf kommunaler Ebene die Verwaltungen und Parlamente der Städte, Gemeinden und Landkreise. Ausgeführt wird die U. von der Umweltverwaltung.
 
Die meisten umweltpolitischen Aufgaben des Bundes sind beim 1986 als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl eingerichteten Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (»Bundesumweltministerium«) konzentriert, doch auch andere Ministerien sind für umweltpolitisch relevante Teilbereiche (z. B. Landwirtschaft, Rohstoffpolitik) zuständig, weshalb auch Koordinierungsgremien geschaffen wurden: Kabinettsausschuss für Umweltfragen (»Umweltkabinett«), ständiger Abteilungsleiterausschuss für Umweltfragen, Interministerielle Arbeitsgruppe CO2-Reduktion. Wichtigste Bundesbehörde für umweltpolitische Belange ist das Umweltbundesamt, Gremien der Politikberatung sind der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen und der 1993 eingesetzte wissenschaftliche Beirat »Globale Umweltveränderungen« (WBGU). Auf der Länderebene wird die Umweltverwaltung von den Landesumweltministerien und den ihnen nachgeordneten Behörden wahrgenommen. Bei ihnen sowie den Kommunen liegen die Schwerpunkte der Umweltverwaltungstätigkeit.
 
Akteure der internationalen U. sind zunächst die einzelnen Staaten, die miteinander Verträge abschließen oder Konventionen aushandeln. In jüngster Zeit agieren sie verstärkt im Rahmen internationaler Konferenzen wie der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED, »Erdgipfel«) in Rio de Janeiro 1992, der ersten Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention in Berlin 1995 (»Berliner Klimagipfel«) und der Folgekonferenzen in Genf (1996) und Kyōto (1997), Buenos Aires (1998), Bonn (1999), Den Haag (2000), Bonn (2001), Marrakesch (2001) oder der United Nations Conference on Human Settlements (Habitat II) 1996 in Istanbul. Daneben spielen verschiedene internationale Organisationen in der U. eine Rolle wie die EU, die OECD mit ihrem Umweltausschuss oder die Vereinten Nationen mit ihrem Entwicklungsprogramm (UNDP) und Umweltprogramm (UNEP).
 
U. ist nicht nur Aufgabe des kommunalen oder staatlichen Bereichs, sondern auch Aufgabe gesellschaftlicher Gruppen, die politischen Druck ausüben, um entweder Umweltschutzmaßnahmen zu verhindern oder um mehr umweltpolitische Maßnahmen durchzusetzen: Unternehmen und Wirtschaftsverbände, Berufsverbände und Gewerkschaften, Umweltschutzorganisationen und Bürgerinitiativen (ökologische Bewegung). Der Einfluss dieser Nichtregierungsorganisationen nimmt mit wachsendem öffentlichen Bewusstsein und verstärkter Medienpräsenz zu. Die öffentliche U. richtet sich neben den Gebietskörperschaften selbst (auch Behörden und öffentliches Unternehmen müssen Umweltschutzgesetze einhalten) und gesellschaftliche Institutionen und Gruppen v. a. an Unternehmen und Verbraucher (Bürger), die letztlich durch ihr Verhalten dazu beitragen, ob und wie umweltpolitische Ziele erreicht werden. Hier greifen öffentliche U., betriebliche U. (Umweltmanagement) und eine ökologische Verbraucherpolitik ineinander.
 
 Ziele und Prinzipien
 
In Deutschland wurde der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Verantwortung für künftige Generationen 1994 als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Durch den Einsatz umweltpolitischer Instrumente soll nach dem Umweltprogramm der Bundesregierung erreicht werden, dass bestehende Umweltschäden vermindert und beseitigt, Schäden für Mensch und Umwelt abgewehrt, Risiken für Menschen, Tiere und Pflanzen, Natur und Landschaft, Umweltmedien und Sachgüter minimiert werden sowie Freiräume für die Entwicklung der künftigen Generationen und der Vielfalt von wild lebenden Arten erhalten bleiben und erweitert werden. Solche allgemeinen Zielvorstellungen, die nicht mehr nur den Menschen allein in den Mittelpunkt der U. stellen, bedürfen der Konkretisierung. So nennt die Bundesregierung auch weitere qualitative Rahmenziele (z. B. ökologische Ausrichtung der sozialen Marktwirtschaft, Förderung von Umweltbewusstsein und umweltverträglichem technischem Fortschritt) und spezielle Ziele für einzelne Umweltbereiche (Natur und Landschaft, Abfallbeseitigung, Wasser, Luft und Lärm, Umweltchemikalien und Biozide). Allerdings bleibt offen, welche konkret formulierte, quantitativ messbare Umweltqualität angestrebt werden soll. Dies gestaltet sich nicht selten auch schwierig, da theoretisch sämtliche Kosten und Nutzen umweltpolitischer Maßnahmen gegenübergestellt werden müssen. Während die Kosten von Umweltschutzmaßnahmen in der Regel leicht zu messen sind (v. a. Ausgaben für den Einsatz von Produktionsfaktoren), ist der Nutzen in Gestalt verhinderter Umweltschäden nur schwer empirisch zu bestimmen. Grundsätzlich sollen umweltpolitische Maßnahmen nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül so lange durchgeführt werden, wie sie für die Gesellschaft einen größeren Nutzen stiften als sie Kosten verursachen. Schon dieser allgemeine Grundsatz lässt die Schwierigkeiten im umweltpolitischen Willensbildungsprozess deutlich werden. Als Leitlinie der U. gilt das Verursacherprinzip. Wer für das Entstehen einer Umweltbelastung verantwortlich ist, muss die Kosten für die Vermeidung oder Beseitigung tragen. In einer Marktwirtschaft sollen dadurch die ermittelten Umweltschäden als externe Kosten oder soziale Zusatzkosten von Produktion und Konsum den Wirtschaftsrechnungen der Unternehmen und privaten Haushalte zugeschlagen werden. Geschieht dies mit Erfolg, weisen die privaten Wirtschaftsrechnungen alle der Gesellschaft entstehenden Kosten von Produktion und Konsum aus. Anwendungsprobleme ergeben sich allerdings u. a. bei dem Bemühen, die jeweiligen Verursacher von Umweltschäden festzustellen, die Kosten exakt zu berechnen und gerecht aufzuteilen, da Umweltschäden oft durch komplexe Ursachen (z. B. chronische Toxizität und weitgehend unbekannte Wechselwirkungen einer Vielzahl umweltschädigender Stoffe) und viele Verursacher gekennzeichnet sind. Deshalb fungiert als Notbehelf das Gemeinlastprinzip, nach dem die Allgemeinheit die Umweltschutzkosten trägt: Der Staat sorgt mit öffentlichen Mitteln für die Verminderung der Umweltbelastung.
 
Gemäß dem Vorsorgeprinzip wird U. als Gefahrenabwehr verstanden. Der Staat greift präventiv ein, wenn menschliche Handlungen geeignet erscheinen, Schäden für Mensch und Umwelt herbeizuführen, um Umweltgefahren und -risiken so gering wie möglich zu halten (Vermeidung von Umweltschäden). U. als Zukunftsvorsorge kann auch neue umweltverträgliche Entwicklungen sowie Innovationen aufzeigen. - Letztlich sollen umweltpolitische Ziele möglichst einvernehmlich im gesellschaftlichen Konsens zwischen Staat, Wirtschaft, Wissenschaft, Umweltschutzorganisationen und Bürgern erreicht werden. Zu diesem Kooperationsprinzip zählen Mitverantwortung und Mitwirkung der Betroffenen von umweltbeeinträchtigenden Aktivitäten an den geplanten umweltpolitischen Maßnahmen. Der politische Druck auf die Staaten, verbindliche Umweltziele festzusetzen, ist seit dem Rio-Gipfel 1992 gewachsen. Die dort unterzeichnete Agenda 21 ruft die Staaten zur Formulierung von Aktionsplänen für die Umsetzung des Konzepts einer nachhaltigen Entwicklung auf.
 
 Instrumente
 
Zu den umweltpolitischen Instrumenten zählen alle Maßnahmen des Staates, seiner Untergliederungen sowie der gesellschaftlichen Akteure, durch die das Verhalten im Bereich Umwelt gesteuert wird. Bei der Gestaltung der Instrumente werden in der Regel Kompromisse gesucht zwischen der ökologischen und ökonomischen Wirksamkeit einer Maßnahme (ökologische Zielgenauigkeit zu möglichst niedrigen Kosten), ihren wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen (z. B. Förderung oder Beeinträchtigung der Beschäftigung) sowie ihrer v. a. verwaltungsbezogenen und rechtlichen Praktikabilität und politische Realisierbarkeit. In der umweltpolitischen Praxis herrschen bisher eindeutig umweltbezogene Verhaltensvorschriften (Umweltauflagen) vor. Vornehmlich marktwirtschaftlich orientierte Instrumente wie Umweltlizenzen und Umweltabgaben (im engeren Sinn) spielen noch eine untergeordnete Rolle. Das Umweltaudit (Ökoaudit) wird zunehmend zu einem Instrument staatlicher Umweltpolitik.
 
Aus der Vielfalt der getroffenen Maßnahmen sind zunächst ordnungsrechtliche und planungsrechtliche Instrumente zu nennen. Zu Ersteren gehören Verbote und Gebote (z. B. sind naturschutzrechtlich Eingriffe in die Umwelt verboten, immissionsschutzrechtlich kann der Einbau von Filtern geboten sein), Erlaubnispflichten (z. B. für die Nutzung von Gewässern) sowie Anzeigepflichten (z. B. von Messergebnissen in Bezug auf den Betrieb einer Anlage). Ferner können das Führen von Nachweisbüchern (z. B. hinsichtlich des Verbleibs von Sondermüll) gefordert, Verpackungs- und Kennzeichnungspflichten vorgeschrieben, eine Umwelthaftpflicht verankert sowie Ersatz- oder Ausgleichsmaßnahmen auferlegt werden.
 
Planungsrechtliche Instrumente sind bedeutsam, da sie der Vermeidung von Umweltbelastungen dienen können. Hier sind die verschiedenen Pläne im Bereich der Raumordnung und Landesplanung bis zur regionalen Entwicklungs- und kommunalen Bauleitplanung zu nennen, einschließlich der Umweltverträglichkeitsprüfung. Andere verwaltungsrechtliche Maßnahmen sind der Aufbau einer wirkungsvollen, hinreichend mit Personal und Sachmitteln ausgestatteten Umweltverwaltung, die Bürger- und Verbandsbeteiligung, Aufklärungs- und Beratungstätigkeiten sowie besonders im Interesse der Durchsetzbarkeit das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (Umweltstrafrecht). Weiterhin kann der Staat darauf hinwirken, dass mit Verbänden und Wirtschaftsbranchen Abkommen zur Durchsetzung umweltpolitischer Ziele geschlossen werden. Im Einklang mit Forderungen nach Deregulierung und Verschlankung des Staates kommt dieses Instrument der »Freiwilligen Selbstverpflichtung« in jüngster Zeit verstärkt zum Einsatz (z. B. Selbstverpflichtung der Industrie zur CO2-Reduktion). Die Wirksamkeit ist jedoch aufgrund bisher mangelnder Kontroll- und Sanktionsmechanismen umstritten.
 
Finanzwirtschaftliche und finanzpolitische Instrumente sind u. a. eine umweltbewusste Beschaffungspolitik im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe, direkte Umweltschutzmaßnahmen (auch öffentliche Umweltschutzinvestitionen) mit Finanzierung über Gebühren und Beiträge (z. B. bei Abfall- und Abwasserbeseitigung) oder über allgemeine Steuermittel sowie die finanzielle Förderung von Umweltschutzorganisationen. Eine besondere Bedeutung hat letztlich die Schaffung finanzieller Anreize für umweltverbessernde privatwirtschaftliche Aktivitäten (z. B. umweltfreundliche Produkte und Produktionsverfahren, umweltfreundliche Forschung und Entwicklung) durch Finanzhilfen, Steuervergünstigungen (Umweltschutzsubventionen) oder die Besteuerung umweltschädlicher Aktivitäten (z. B. Energie-/CO2-Steuer). Angesichts wachsender Staatsverschuldung und hoher Arbeitslosigkeit kommt letztgenanntem Instrument in Verbindung mit einer Senkung der Lohnnebenkosten eine besondere Bedeutung zu (aufkommensneutrale ökologische Steuerreform).
 
Mit dem Einsatz umweltpolitischer Instrumente sind oft auch Ausgaben verbunden, die in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zum Teil ausgewiesen werden. Diese laufenden Ausgaben und Investitionen für den Umweltschutz haben inzwischen Größenordnungen erreicht, die nicht unerheblich Produktion und Investitionen, Konsum und Arbeitsmarkt beeinflussen. In Deutschland haben sich die Betriebsausgaben und Umweltschutzinvestitionen von Staat und produzierendem Gewerbe von (1975) 13,4 Mrd. DM über (1980) 20,6 Mrd. DM, (1985) 26,6 Mrd. DM und (1990) 38,1 Mrd. DM auf (1995) 43,1 Mrd. DM mehr als verdreifacht (Angaben nur für alte Länder). Bis 1981 entfiel der Großteil dieser Ausgaben auf den Staat; seither sind Staat und produzierendes Gewerbe annähernd gleich beteiligt. Die staatlichen Ausgaben betreffen überwiegend die Abfallbeseitigung und den Gewässerschutz, die Ausgaben des produzierenden Gewerbes besonders die Luftreinhaltung und den Gewässerschutz. 1998 investierte das produzierende Gewerbe 18,9 Mrd. DM in den Umweltschutz. Auf der Habenseite stehen diesen Aufwendungen eine deutliche Verbesserung der Umweltqualität (v. a. von Luft und Gewässern), eine wachsende Zahl von Beschäftigten im Umweltschutz sowie einer der weltweit größten und modernsten Umweltschutzmärkte gegenüber.
 
 Perspektiven
 
U. setzt oft am Ende einer Ursachenkette an, obwohl eine ursachenadäquate Maßnahme ökologisch effizienter und volkswirtschaftlich günstiger wäre. U. müsste künftig von diesem »End-of-the-Pipe-Prinzip« Abschied nehmen. Damit einhergehen sollte eine Umorientierung des Maßstabs der U. Bisher dominierte das technisch und v. a. kurzfristig wirtschaftlich Machbare. Die Orientierung am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung erfordert jedoch eine stärkere Orientierung am ökologisch Notwendigen.
 
U. wirkt oft kurzsichtig und trotz vielfältiger Aktivitäten konzeptionslos hinsichtlich der umweltgerechten Gestaltung des künftigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. So werden z. B. trotz absehbarer Verknappung fossiler Energieträger und drohender Klimafolgen aus ihrer ungebremsten Verbrennung Forschungsmittel bisher nicht in ausreichendem Maße auf Technologien des Energiesparens und der Nutzung erneuerbarer Energien umgeschichtet. Eine vorausschauende U. steht auch im Gegensatz zur heute oft anzutreffenden reaktiven U. (»U. als Reparaturwerkstatt«): Sind die Mülldeponien gefüllt, wird über Recycling und vermehrte Müllverbrennung nachgedacht. Was U. bisher zu wenig leistet, sind Antworten auf die Fragen: Wie viel Umweltverschmutzung können oder wollen wir uns noch erlauben? Welches Recht hat die »Natur« gegenüber dem Menschen? Mit welchen (negativen) Folgen für die Umwelt sind Wohlstand, Fortschritt und Freiheit verbunden? Die Zurückhaltung gegenüber solchen Grundsatzfragen steht in krassem Widerspruch zur krisenhaften Situation der Umwelt.
 
Unterstützt wird eine Hinwendung zu einer mehr vorausschauenden U. durch einen Wandel im Bewusstsein vieler Menschen hin zu einer modernen Umweltethik (Umweltschutz), nach der u. a. der Mensch nicht mehr als befugt angesehen wird, sich die Erde untertan zu machen. Gefordert wird, die Rechte künftiger Generationen stärker zu berücksichtigen. Dazu gehört, die natürlichen Lebensgrundlagen für diese Generationen zu erhalten und nicht durch Entscheidungen, die nicht mehr umkehrbare Prozesse auslösen, zu gefährden. Gefordert ist eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development) als eine Form von Fortschritt, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne künftigen Generationen die Grundlage für deren Bedürfnisbefriedigung zu nehmen. Diese von der Staatengemeinschaft 1992 in Rio de Janeiro in den Rang eines gemeinsamen politischen Leitbildes erhobene Maxime wird bisher in internationalen und nationalen Maßnahmen nicht ausreichend umgesetzt.
 
Häufig wird Umweltschutz als Einschränkung des Wohlstands empfunden. So habe U. dazu beigetragen, die industrielle Produktion zu verteuern, erhebliche Mittel seien in Umweltschutzinvestitionen gebunden. Dies berge die Gefahr, der Standort Deutschland könne aufgrund der im internationalen Vergleich strengen Umweltschutzgesetzgebung an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Allerdings könnte sich auch herausstellen, dass die bisherige Wirtschaftsweise zu einer »Wohlstandslüge« geführt hat. Denn der Verbrauch natürlicher Ressourcen ist kostengünstig; d. h., die heutige Produktion wird auf Kosten künftiger Generationen subventioniert. Der jetzt vorhandene Wohlstand ist somit teilweise von den künftigen Generationen geliehen; diese werden große Anstrengungen aufbringen müssen, die Altlasten ihrer Vorfahren zu beseitigen. Die U. sollte berücksichtigen, dass sich die Bedeutung der Begriffe Wohlstand und Fortschritt geändert hat oder ändern wird. Fortschrittlich wird eine Gesellschaft in Zukunft sein, die z. B. ihre Güter und Dienstleistungen mit möglichst wenig Energie- und Rohstoffverbrauch herstellt, Reststoffe wieder verwendet, Abfälle vermeidet; wohlhabend wird sie sein, wenn sie über gesundes Klima mit reiner Luft, sauberes Wasser, intakten Boden, menschengerechte Städte und Dörfer sowie naturnahe und artenreiche Landschaften verfügt. Länder, die diesen Weg konsequent beschreiten, haben gute Chancen, auch im traditionellen Sinne ökonomisch erfolgreich zu sein, indem sie sich auf den zukünftig wachsenden Märkten für Ressourcen schonende Technologien eine Vorreiterposition verschaffen.
 
Beschränkungen der Freiheit durch U. werden mit dem Begriff Ökodiktatur verknüpft. Umgangssprachlich bezeichnet dieser Begriff die Regeln einer staatlich kontrollierten, strikt umweltbewussten Lebensweise. Im politischen und wissenschaftlichen Sprachgebrauch wird damit ein Staat gekennzeichnet, der zwar die natürlichen Lebensgrundlagen erhält, aber nicht rechtsstaatlich und demokratisch organisiert ist. Der Vorstellung einer Ökodiktatur liegt die Befürchtung zugrunde, ein demokratischer Staat könne kein hinreichendes Durchsetzungsvermögen für die notwendige U. besitzen. Aus der umweltpolitischen Not könne eine staatliche Notstandssituation werden, die den Nährboden für ein totalitäres Regime bildet. Der Begriff Ökodiktatur wird sowohl von Gegnern als auch von Befürwortern einer strengeren U. benutzt. Die Gegner berufen sich v. a. darauf, dass U. die bürgerlichen Freiheiten über Gebühr einschränke. Zudem wachse die staatliche Macht (z. B. durch Sammlung umweltrelevanter Daten) an. Die Befürworter einer strengeren U. legen demgegenüber dar, dass der Mensch gerade dann, wenn er seine bürgerlichen Freiheiten uneingeschränkt wahrnimmt, seine natürlichen Lebensgrundlagen zerstört.
 
Reine Luft, sauberes Wasser, intakte Böden gelten als Voraussetzung menschlichen Lebens. Zu schaffen sind sie nur durch Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten. Um die natürlichen Lebensgrundlagen zu sichern, wird deshalb eine ökologische Grundrechtsschranke gefordert. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit soll nicht mehr nur durch die Rechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz begrenzt werden, sondern nur gewährleistet sein, soweit sie nicht die Lebensgrundlagen in ihrer Nachhaltigkeit beeinträchtigt.
 
Die internationale U. wird in den letzten Jahren von der Erkenntnis geprägt, dass Umweltbeeinträchtigungen nicht nur grenzüberschreitende regionale oder kontinentale (z. B. saurer Regen), sondern weltweite Auswirkungen haben können (z. B. Treibhauseffekt, Ozonloch, Desertifikation). Internationale U. muss also als »Erdpolitik« begriffen werden. Das strukturelle Problem der globalen U. liegt dabei im »Allmende-Dilemma«: Wer die eigenen Kühe auf der von allen benutzten Dorfweide (Allmende) weiden lässt, neigt dazu, eine Überweidung in Kauf zu nehmen, selbst wenn er weiß, dass das allen schadet, letztlich auch ihm selbst. Aber einer allein kann die Wiese nicht retten, wenn sich alle anderen weiterhin rücksichtslos egoistisch verhalten. Versucht er es dennoch, z. B. indem er seine Kuhherde verkleinert, hat er neben dem Schaden der langfristig zerstörten Wiese den unmittelbaren Nachteil des geringeren Ertrags. Auf die globale U. übertragen, bedeutet dies: Wirksamer internationaler Umweltschutz ist nur möglich, wenn er von allen Staaten getragen wird. Ziel einer globalen U. muss es also sein, verbindliche Umweltschutzvereinbarungen mit möglichst vielen Staaten zu treffen. Alleingänge und Vorreiterrollen einzelner Staaten sind sinnvoll, wenn sie Vorbildcharakter für andere Staaten haben.
 
Als eines der schwierigsten Probleme der globalen U. erweist sich der Nord-Süd-Konflikt: Die in den reichen Industrieländern des Nordens lebenden 20 % der Weltbevölkerung verursachen in vielen Fällen (beim Treibhauseffekt und beim Rohstoffverbrauch) 80 % der globalen Umweltbelastung. Die ökologischen Folgen dieses Fortschrittsmodells treten verstärkt in den Entwicklungsländern des Südens auf (Dürren, Überschwemmungskatastrophen, Überfischung), deren notwendige wirtschaftliche Entwicklung dadurch gefährdet wird. Seit Vorlage des »Brundtland-Berichts« durch die UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung unter Vorsitz der norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland (1987), spätestens jedoch seit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 (»Erdgipfel«), herrscht in der internationalen Politik Einigkeit darüber, dass Umwelt- und Entwicklungspolitik untrennbar zusammengehören. Diese Erkenntnis kam im internationalen Verhandlungsprozess in der Nachfolge der Rio-Konferenz bisher jedoch nicht zum Tragen. Die Konventionen zum Schutz des Erdklimas und der biologischen Vielfalt konnten in den Jahren seit ihrer Unterzeichnung in Rio de Janeiro nur teilweise und zögerlich durch konkrete Verpflichtungen der Industrieländer zur Reduktion ihrer Umweltbelastung konkretisiert werden. Ein deutlich gesteigerter Finanzmitteltransfer in die Entwicklungsländer ist noch nicht erfolgt. Dennoch stellt die Fortentwicklung internationaler Umweltvereinbarungen die wichtigste Chance zur Bewahrung der globalen Gemeinschaftsgüter dar.
 
Literatur:
 
Zur Lage der Welt. Daten für das Überleben unseres Planeten, hg. v. Worldwatch Institute (1987 ff.);
 
Humanökologie. Grundlagen präventiver U., hg. v. B. Glaeser (1989);
 L. Wicke u. J. Hucke: Der ökolog. Marshallplan (1989);
 
Basiswissen U., hg. v. U. E. Simonis (1990);
 H. Weinzierl: Ökologische Offensive. U. in den 90er Jahren (1991);
 
Kurswechsel. Globale unternehmer. Perspektiven für Entwicklung u. Umwelt, bearb. v. S. Schmidheiny (a. d. Amerikan., Neuausg. 1993);
 
U. der Industrieländer. Entwicklung - Bilanz - Erfolgsbedingungen, hg. v. M. Jänicke (1996);
 U. E. Simonis: Globale U. Ansätze u. Perspektiven (1996);
 
Weltumweltpolitik. Grundr. u. Bausteine eines neuen Politikfeldes, hg. v. U. E. Simonis: (1996);
 E. U. von Weizsäcker: u. a.: Faktor Vier. Doppelter Wohlstand - halbierter Naturverbrauch (Neuausg. 1997);
 E. U. von Weizsäcker: Erdpolitik. Ökolog. Realpolitik als Antwort auf die Globalisierung (51997);
 
Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitr. zu einer global nachhaltigen Entwicklung, Beitrr. v. R. Loske u. a. (Basel 51998).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Umweltabgaben: Ökosteuer
 
Umweltpolitik: Grundlagen
 
Umweltpolitik: Umweltnutzung und Verursacherprinzip
 
Luftreinhaltung: Technische Maßnahmen
 
Umweltpolitik im 21. Jahrhundert
 
Umweltschutz: Aufgaben der Umweltschutzpolitik
 

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Ụm|welt|po|li|tik, die: Umweltfragen betreffende, dem Umweltschutz dienende Politik.

Universal-Lexikon. 2012.