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Schubert
Schubert,
 
1) Franz Peter, österreichischer Komponist, * Lichtental (heute zu Wien) 31. 1. 1797, ✝ Wien 19. 11. 1828; Sohn eines Volksschullehrers, wurde 1808 als Sopranist in das Internat (Konviktschule) der Wiener Hofkapelle aufgenommen. Seine früh erkennbare Hochbegabung wurde hier u. a. von A. Salieri intensiv gefördert, und die zahlreichen Kompositionen des 13- bis 16-Jährigen zeigen bereits eine beeindruckende Erfindungsvielfalt und technische Gewandtheit. 1814 wurde Schubert Schulgehilfe seines Vaters. Unterstützt von seinem Freund Franz von Schober (* 1796, ✝ 1882), lebte er ab 1818 ohne Anstellung als freier Komponist in Wien. In den Sommern 1818 und 1824 war er Hausmusiklehrer beim Grafen Karl Johann Esterházy (* 1775, ✝ 1834) in Ungarn. 1819 und 1825 unterbrachen Reisen mit dem Sänger J. M. Vogl nach Oberösterreich sein von materiellen und gesundheitlichen Sorgen überschattetes, oft unter dürftigen Verhältnissen geführtes Leben. Schuberts Herkunft aus kleinbürgerlicher Enge und die restriktiven politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse der Restaurationszeit erklären zum Teil die in der Romantik nicht seltene Innenwendung seiner künstlerischen Existenz. Auf Fremde wirkte er oft unbeholfen und scheu. Im Kreise seiner Freunde (u. a. die Maler M. von Schwindt und L. Kupelwieser, die Dichter F. Grillparzer und J. Mayrhofer) war er jedoch aufgeschlossen und gesellig, bei deren geistvoll-fröhlichen Zusammenkünften (»Schubertiaden«) stand er als die impulsgebende künstlerische Persönlichkeit sogar eher im Mittelpunkt. Zweimal bewarb er sich vergeblich um Kapellmeisterstellen. Auch Versuche, als Bühnenkomponist Fuß zu fassen, schlugen fehl. Dennoch wurde Schuberts Musik allmählich einem breiteren Publikum durch Aufführungen, Drucke und Rezensionen bekannt. Das einzige öffentliche Konzert mit eigenen Werken am 26. März 1828 war ein eindeutiger künstlerischer und finanzieller Erfolg. Trotz seiner sich verschlechternden Gesundheit komponierte Schubert besonders im letzten Lebensjahr zahlreiche bedeutende Werke. Späte sinfonische Skizzen lassen sogar den Beginn völlig neuer Stiltendenzen erkennen. Er starb an einer Typhusinfektion. Sein Geburtshaus ist seit 1912 Museum.
 
Schuberts Musik, die anfangs an J. Haydn und W. A. Mozart anknüpft und bestimmte Form- und Gattungskriterien der Wiener Klassik auch später durchaus bewahrt, bildet zugleich einen entschiedenen Neuansatz und ersten Höhepunkt deutscher romantischer Musik. Spätestens seit 1820 ist seine stilistische Entwicklung geprägt von hoher Bewunderung und deutlicher Distanz zu L. van Beethoven und gelangt zunehmend, im Lied sogar sehr früh, zu ganz eigenständigen, neuartigen Gestaltungen. In den letzten beiden Sinfonien, in den späten Streichquartetten und Klaviersonaten sowie im Streichquintett C-Dur (1828) werden klassische Strukturen durch romantische Gehalte in ihrem Wesen verändert. Im Gegensatz zum dramatisch-dialektischen Prozesscharakter beethovenscher Musik sind Schuberts Kompositionen eher auf lyrische Zuständlichkeit, auf flächige Klangbewegungen und ruhige Themenentfaltung hin angelegt und oft auf eine sogleich einsetzende Grundtönung gestellt, die das Ganze umschließt und trägt. Entspannte Reihung größerer Formkomplexe, weit schwingende Melodiebögen, farbige, Entferntes nebeneinander rückende Harmonik (Dur-Moll-Wechsel, kreisende Modulationen, subdominante und mediante Wendungen) und eine vorwiegend gleichmäßig fließende Rhythmik sind hierfür bezeichnend. Auch die vollendete Ausprägung kleinerer Formen (Impromptus, Moments musicaux, Tänze) zum geschlossenen Stimmungsgebilde und die Tendenz zu volkstümlich einfachen Wendungen entspringen Schuberts eminenter lyrischer Begabung. Dementsprechend steht die Liedkomposition, Beginn und erster Höhepunkt des modernen Klavierliedes, im Zentrum seines Schaffens. Von der Lyrik Goethes inspiriert, vertonte er über 60 von dessen Gedichten, u. a. »Gretchen am Spinnrade« (1814) und »Erlkönig« (1815), die zu Schuberts ersten meisterhaften Schöpfungen gehören. Schon in diesen Liedern zeigt sich die neue tragende Rolle des Klaviers bei Schubert, das malend und ausdeutend in unerschöpflichen Nuancen der Bilder, Stimmungen und Symbole der Singstimme bereichernd und ergänzend gegenübertritt. Kaum klassifizierend zu beschreiben ist die Fülle poetisch interpretierender Erfindung und formaler Gestaltung in Schuberts Liedern, vom strophischen bis zum durchkomponierten, vom volksliedhaften bis zum dramatischen und deklamatorischen Lied, inhaltlich vom spielerisch Naiven bis zum schicksalhaft Düsteren, von hellster Farbgebung bis zu erschütterndsten Aussagen, etwa in der »Winterreise« (1827) oder den späten Heine-Liedern (z. B. »Der Doppelgänger«, 1828). Außer im Lied gehört Schubert auch in der Sinfonik, in der Kammer- und Klaviermusik zu den bedeutendsten Komponisten der klassisch-romantischen Epoche. Seine wenig erfolgreichen Opern und Singspiele sind heute nahezu vergessen. Dagegen ist sein übriges Vokalwerk reichgestaltig und prägend für die jeweiligen Gattungen geworden. Seine Messen und anderen kirchenmusikalischen Werke vermitteln eine neue, individuell eingefärbte Religiosität. In seiner weltlichen Chormusik, die heiter-gesellige wie dichterisch anspruchsvolle Texte gleichermaßen eindringlich interpretiert, gewinnt das volkslied- und naturnahe Klangidiom der Romantik erstmals gültige Gestalt.
 
Schuberts Nachwirkung auf die Komponisten des 19. Jahrhunderts ist bedeutend v. a. auf dem Gebiet des Liedes (R. Schumann, J. Brahms, H. Wolf), aber auch auf dem der Klaviermusik (R. Schumann, F. Chopin) und der Sinfonik (A. Bruckner, A. Dvořák). Seine Einfühlung in das dichterische Wort, sein warmer, fülliger, teils orchestraler Klaviersatz, seine tiefsinnige Orchestersprache, seine kühne, ausdrucksvolle Harmonik und seine freie, neuartige Formbehandlung in einigen Werken der letzten Jahre (z. B. in der »Wandererfantasie«) haben die stilistische Entwicklung der Hoch- und Spätromantik bis zu F. Liszt und in mancher Hinsicht bis zu G. Mahler entscheidend beeinflusst.- Der thematische Katalog seiner Kompositionen von O. E. Deutsch (Abkürzung: D) enthält 998 Nummern.
 
Werke: Orchesterwerke: 8 Sinfonien, Nummer 1 D-Dur D 82 (1813), Nummer 2 B-Dur D 125 (1815), Nummer 3 D-Dur D 200 (1815), Nummer 4 c-Moll (»Tragische«) D 417 (1816), Nummer 5 B-Dur D 485 (1816), Nummer 6 C-Dur D 589 (1818), Nummer 7 (früher Nummer 8) h-Moll (»Unvollendete«) D 759 (1822), Nummer 8 (früher Nummer 7 oder Nummer 9) C-Dur D 944 (1826, revidiert 1828?); 6 Ouvertüren.
 
Kammermusik: Oktett für Blas- und Streichinstrumente F-Dur D 803 (1824); Streichquintett C-Dur D 956 (1828); Klavier-(»Forellen«-)Quintett A-Dur D 667 (1819); 15 Streichquartette, Nummer 13 a-Moll D 804 (1824), Nummer 14 d-Moll (»Der Tod und das Mädchen«) D 810 (1824), Nummer 15 G-Dur D 887 (1826), Streichquartett-Satz in c-Moll D 703 (1820); 2 Streichtrios; 2 Klaviertrios B-Dur D 898 (1827) und Es-Dur D 929 (1827); 4 Sonaten für Violine und Klavier D 383, 385, 408 (1816; »Sonatinen«), 574 (1817); Sonate für Arpeggione und Klavier a-Moll D 821 (1824); 20 (zum Teil unvollständige) Klaviersonaten, die 3 letzten in c-Moll, A-Dur und B-Dur (1828); Fantasie C-Dur (»Wandererfantasie«) D 760 (1822); Impromptus D 899, 935 (1827); Moments musicaux D 780 (1823-27); Tänze; vierhändige Sonaten, Märsche.
 
Vokalmusik: 6 Messen, Nummer 5 As-Dur D 678 (1822, revidiert 1826), Nummer 6 Es-Dur D 950 (1828); Deutsches Requiem D 621 (1818); Deutsche Messe D 872 (1827); kleinere Kirchenwerke; Kantaten; Chormusik mit und ohne Begleitung; über 600 Klavierlieder auf Texte u. a. von M. Claudius, Goethe, F. Grillparzer, H. Heine, J. G. Herder, L. Hölty, J. G. Jacobi, F. G. Klopstock, T. Körner, F. Matthisson, Novalis, J. Mayrhofer, Ossian (J. Macpherson), L. Rellstab, F. Rückert, Schiller, F. und A. W. Schlegel, Franz von Schober, C. F. D. Schubart; Liederzyklen »Die schöne Müllerin« D 795 (1824), »Winterreise« D 911 (1827), »Schwanengesang« (postum zusammengestellt) D 957 (1828).
 
Bühnenwerke: Opern, u. a. »Alfonso und Estrella« D 732 (1822); Singspiele, u. a. »Die Verschworenen« (später »Der häusliche Krieg«) D 787 (1823); Bühnenmusiken, u. a. zu »Rosamunde« D 797 (1823).
 
Ausgaben: Werke, 40 Bände und 2 Supplementbände (1884-97, Nachdruck 1965-69, 19 Bände); Neue Ausgabe sämtlicher Werke, herausgegeben von W. Dürr, auf 75 Bände berechnet (1964 ff.).
 
Literatur:
 
Gesamtdarstellungen:
 
A. Orel: F. S., 1797-1828. Sein Leben in Bildern (1938);
 A. Einstein: S. (Zürich 1951);
 W. Vetter: Der Klassiker S., 2 Bde. (Leipzig 1953);
 W. Marggraf: F. S. (ebd. 1967);
 
F. S., hg. v. H.-K. Metzger u. a. (1979);
 H. Osterheld: F. S. (Neuausg. 1981);
 
S. Die Erinnerungen seiner Freunde, hg. v. O. E. Deutsch (Neuausg. 1983);
 P. Gülke: F. S. u. seine Zeit (1991);
 H. J. Fröhlich: S. (Neuausg. Wien 1996);
 M. Stegemann: »Ich bin zu Ende mit allen Träumen«. F. S. (1996);
 E. Hilmar: F. S. (11.-16. Tsd. 1997);
 
S.-Lex., hg. v. E. Hilmar: u. M. Jestremski (Graz 21997);
 
S.-Hb., hg. v. W. Dürr u. A. Krause (1997).
 
Einzeluntersuchungen:
 
H. Haas: Über die Bedeutung der Harmonik in den Liedern F. S.s (1957);
 
S. Kunze: F. S. Sinfonie h-moll, Unvollendete (1965);
 
W. Riezler: S.s Instrumentalmusik, Werkanalysen (Zürich 1967);
 
F. S. Die Texte seiner einstimmig komponierten Lieder u. ihre Dichter, hg. v. M. u. L. Schochow, 2 Bde. (1974);
 
A. Feil: F. S. Die schöne Müllerin. Winterreise (1975);
 
G. Moore: S.s Liederzyklen (a. d. Engl., Neuausg. 1978);
 
F. Neumann: Musikal. Syntax u. Form im Liederzyklus »Die schöne Müllerin« von F. S. (1978);
 
S. im Wiener Vormärz. Dokumente 1829-1848, hg. v. O. Brusatti (Graz 1978);
 
S.-Studien, hg. v. F. Grasberger u. a. (Wien 1978);
 
T. Georgiades: S. Musik u. Lyrik (21979);
 
S. studies, problems of style and chronology, hg. v. E. Badura-Skoda u. a. (Cambridge 1982);
 
F. S. Jahre der Krise 1818-1823, hg. v. W. Aderhold u. a. (1985);
 
A. Godel: S.s letzte drei Klaviersonaten (1985);
 
H. Jaskulsky: Die lat. Messen F. S.s (1986);
 
Neue Dokumente zum S.-Kreis. Aus Briefen u. Tagebücher seiner Freunde, hg. v. W. Litschauer (Wien 1986);
 
C. Osborne: S. Leben in Wien (a. d. Engl., 1986);
 
B. Eckle: Studien zu F. S.s Orchestersatz (1988);
 
F. S. - Der Fortschrittliche, hg. v. E. W. Partsch (1989);
 
W. Dürr: Zykl. Form u. »Poet. Idee«. S.s große C-Dur-Symphonie, in: Probleme der symphon. Tradition im 19. Jh., hg. v. S. Kross (1990);
 
W. Thomas: S.-Studien (1990);
 
D. Fischer-Dieskau: S. u. seine Lieder (1996).
 
 2) Gotthilf Heinrich von (seit 1853), Naturforscher und Philosoph, * Hohenstein (heute zu Hohenstein-Ernstthal) 26. 4. 1780, ✝ Laufzorn (heute zu Grünwald, Kreis München) 1. 7. 1860; war Arzt, 1809-16 Direktor der Realschule in Nürnberg, seit 1819 Professor für Naturgeschichte in Erlangen, seit 1827 in München; entwickelte im Anschluss an F. W. J. Schelling und F. von Baader eine von der universalen, harmonischen, organischen Gesetzlichkeit des Weltganzen ausgehende Natur- und Geschichtsphilosophie, die v. a. auch durch die Berücksichtigung des Unbewussten starke Wirkung auf die Romantik ausübte (so u. a. auf H. von Kleist und E. T. A. Hoffmann).
 
Werke: Ahndungen einer allgemeinen Geschichte des Lebens, 3 Bände (1806-21); Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften (1808); Die Symbolik des Traumes (1814); Altes und Neues aus dem Gebiet der innern Seelenkunde, 3 Bände (1816-33); Allgemeine Naturgeschichte. .. (1826, erweitert unter dem Titel Die Geschichte der Natur, 3 Bände, 1835-37); Die Geschichte der Seele (1830); Die Krankheiten und Störungen der menschlichen Seele (1845); Biographien und Erzählungen, 3 Bände (1847-48).
 
 3) Johann Andreas, Ingenieur, * Wernesgrün (heute zu Steinberg, Vogtlandkreis) 19. 3. 1808, ✝ Dresden 6. 10. 1870; 1832-69 Professor an der Technischen Bildungsanstalt in Dresden; förderte die Industrialisierung Sachsens, baute 1837-39 die erste deutsche Lokomotive (»Saxonia«), die ersten Personen-Elbedampfschiffe (»Königin Maria«, 1837, »Prinz Albert«, 1838) und konstruierte 1845 die Göltzschtalbrücke.
 
 4) Kurt, Judaist, * Wien 4. 3. 1923; war 1959-65 außerordentlicher Professor und ist seit 1966 ordentlicher Professor für Judaistik in Wien. Schubert setzte die Judaistik in Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland als Universitätsfach durch und wirkte führend im katholischen Akademikerverband, im Katholischen Bibelwerk und im Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Österreich sowie im Österreichen Jüdischen Museum in Eisenstadt. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Tätigkeit sind die Texte von Qumran, Judentum und frühes Christentum sowie jüdische Kunst.
 
Werke: Die Religion des nachbiblischen Judentums (1955); Israel, Staat der Hoffnung (1957); Die Gemeinde vom Toten Meer (1958); Die Kultur der Juden, 2 Teile (1970-79); Jesus im Lichte der Religionsgeschichte des Judentums (1973); Jüdische Buchkunst, Teil 1 (1983, mit U. Schubert); Die Religion des Judentums (1992).

Universal-Lexikon. 2012.