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Mussolini
Mussolini,
 
Benito, italienischer Politiker, * Predappio (Provinz Forlì-Cesena) 29. 7. 1883, ✝ (erschossen) Giulino di Mezzegra (Provinz Como) 28. 4. 1945; Sohn eines republikanisch-sozialistisch engagierten Lokalpolitikers (von Beruf Schmied) und einer kirchlich orientierten Lehrerin. 1902 ging Mussolini als Lehrer in die Schweiz, agitierte dort bei italienischen Arbeitern für die Sozialisten und besuchte Vorlesungen an verschiedenen Schweizer Universitäten, u. a. bei V. Pareto in Lausanne. Ideologisch verband er den Klassenkampfgedanken nach L. Blanqui und K. Marx mit der Idee vom »Übermenschen« (F. Nietzsche) und der Verherrlichung aktionistischer Gewalt bei G. Sorel zu einem voluntaristisch geprägten Sozialismus.
 
1904 in Abwesenheit wegen Fahnenflucht verurteilt, kehrte Mussolini nach seiner Amnestierung 1905 zur Ableistung seines Militärdienstes (bis 1906) nach Italien zurück. 1909 ging er in das österreichische Trentino. Er bekämpfte dort die Verfechter des politischen Katholizismus unter A. De Gasperi und schloss sich der von C. Battisti geführten Irredenta an. Nach seiner Ausweisung aus Österreich organisierte Mussolini in seiner Heimatprovinz den Partito Socialista Italiano (PSI) und schuf sich eine eigene Machtbasis. Wegen seines Eintretens gegen den italienischen Kolonialkrieg in Libyen (1911/12) war er zeitweilig in Haft. Auf dem Parteitag des PSI in Reggio nell'Emilia 1912 gelang es der von ihm geführten internationalistischen Richtung, die Parteispitze unter L. Bissolati zu stürzen. Mussolini wurde Chefredakteur der sozialistischen Parteizeitung »Avanti«, deren Auflage er von 20 000 auf 100 000 steigerte.
 
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte zum Bruch mit den Sozialisten: Da er - im Zuge seines militanten revolutionären Aktionismus - den Eintritt Italiens in den Krieg forderte, schloss ihn der für die strikte Neutralität des Landes eintretende PSI aus. Im November 1914 gründete Mussolini seine (u. a. von der italienischen Industrie finanzierte) Zeitung »Il Popolo d'Italia«. Seit dem Kriegseintritt Italiens (1915) verband er immer stärker nationalistisch-sozialrevolutionäre Stimmungen mit annexionistischen Ambitionen.
 
1917 wurde Mussolini bei einer militärischen Übung verletzt und aus der Armee entlassen. Am 23. 3. 1919 gründete er die Bewegung Fascio di combattimento, die im November 1921 zum Partito Nazionale Fascista (PNF) umgewandelt wurde. Als Parteiführer trat er aus dem Schatten G. D'Annunzios heraus, der in den unmittelbaren Nachkriegsjahren die nationalistischen und antidemokratischen Kräfte in Italien gelenkt hatte. In der Symbolik des Faschismus und dem Mythos vom »Duce«, ein Titel, den sich Mussolini zugelegt hatte, fand die weit verbreitete Sehnsucht nach Autorität, Führertum und Gefolgschaft emotionalen Ausdruck. Im Bündnis mit den Liberalen gelangte Mussolini 1921 an der Spitze von 21 faschistischen Abgeordneten ins Parlament. Diese erfolgreichen Bemühungen, im politisch-parlamentarischen Raum Fuß zu fassen, waren begleitet von antisozialistischen Gewaltakten faschistischer Terrorgruppen (»Squadre d'azione«) in ganz Norditalien. Unter Hinwendung zur Monarchie und im Bündnis mit etablierten Kräften in Wirtschaft, Armee, Verwaltung und Kirche errang Mussolini im Oktober 1922 die Macht im Staat.
 
Unter dem Eindruck des faschistischen Marsches auf Rom ernannte König Viktor Emanuel III. am 31. 10. 1922 Mussolini zum Ministerpräsidenten. Mussolini bildete eine Regierung, in der die konservativ-bürgerlichen Elemente überwogen, jedoch die Faschisten die Schlüsselpositionen besetzten. Mussolini nutzte seine weitgehenden Vollmachten zur Disziplinierung der freien Presse, zu einer Amnestie für faschistische Gewaltakte und zu neuen Übergriffen. Unter Ausnutzung des Gegensatzes zwischen den radikalen Kräften seiner Bewegung, die auf die Errichtung einer faschistischen Diktatur drängten, und den bürgerlichen Koalitionspartnern, die eine »Normalisierung« der innenpolitischen Verhältnisse und eine »Konstitutionalisierung« des Faschismus unter Beibehaltung eines begrenzten Parteienpluralismus erwarteten, baute Mussolini zielbewusst seine persönliche Machtstellung aus. So setzte er sich Ende 1922 an die Spitze des von ihm ernannten Gran Consiglio del Fascismo, der seit 1928 sogar die Krone als Staatsorgan neutralisieren sollte.
 
Die schwere innenpolitische Krise nach der Ermordung des sozialistischen Abgeordneten G. Matteotti (Juni 1924) zwang Mussolini, am 3. 1. 1925 vor dem Parlament (bei Auszug der Aventinianer) propagandistisch die Verantwortung für die Rechtsbrüche zu übernehmen. Unter dem Druck des radikalen Flügels der faschistischen Bewegung schritt Mussolini jedoch tatsächlich zum Aufbau einer Einparteiendiktatur (seit dem 5. 1. 1925): Die nichtfaschistischen Parteien und Gewerkschaften wurden ausgeschaltet, die persönliche Vormachtstellung Mussolinis wurde institutionell abgesichert. Die im Parlament verbliebenen Abgeordneten stimmten 1925/26 den entsprechenden Gesetzen zu. Mussolini war nun »Capo del Governo« (Haupt der Regierung), Kommandant der Miliz und Präsident des Gran Consiglio del Fascismo; unter Instrumentalisierung der Massenmedien kultivierte er einen Mythos um seine Person als »Duce del Fascismo« und begann den Aufbau einer Staats- und Gesellschaftsordnung auf korporativer Grundlage (Korporativismus). In seiner »Dottrina del Fascismo« (1932; deutsch »Lehre des Faschismus«) fasste Mussolini seine - stark schwankenden - ideologischen Vorstellungen vom korporativ gegliederten Gesellschaftssystem und vom totalitären Staat zusammen. Im Gegensatz zum Machtanspruch Mussolinis fand seine Herrschaft Grenzen v. a. im Bereich der Krone (und dem von ihr ernannten Senat), des Militärs sowie der katholischen Kirche, der er 1929 in den Lateranverträgen autonome Organisationsmöglichkeiten beließ.
 
Seit Beginn der 30er-Jahre, als Mussolini auf dem Höhepunkt seiner persönlichen Machtentfaltung als Diktator stand, verfolgte er zunehmend eine imperialistische Außenpolitik. Nach der Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers E. Dollfuss (1934) konnte er Hitler von der gewaltsamen Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich noch zurückhalten. Nach einem Kolonialabkommen mit Frankreich (1935) ließ er 1935 italienische Truppen in Äthiopien einmarschieren, um die Grundlage eines italienischen Reiches im Mittelmeerraum zu legen. Unter dem Eindruck der Sanktionen des Völkerbundes gegen seine expansionistische Politik näherte sich Mussolini dem nationalsozialistischen Deutschland; gemeinsam intervenierten Hitler und Mussolini im Spanischen Bürgerkrieg (Juli 1936 bis März 1939) und begründeten im Oktober 1936 die Achse Berlin-Rom. Vor dem immer mächtiger werdenden Deutschen Reich musste Mussolini im März 1938 den »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich hinnehmen. Die Vermittlung Mussolinis in der Sudetenkrise (September 1938) bei Abschluss des Münchener Abkommens blieb für ihn ein kurzlebiger persönlicher Propagandaerfolg. Seine Politik geriet seitdem immer stärker in die Abhängigkeit vom nationalsozialistischen Deutschland (auch innenpolitisch: Übernahme der nationalsozialistischen Rassengesetze). Weitere Bündnisabschlüsse (Stahlpakt, Mai 1939; Dreimächtepakt, September 1940) sowie der Eintritt Italiens an der Seite Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg (Juni 1940) vertieften die politische Abhängigkeit Mussolinis von Hitler.
 
In Verbindung mit militärischen Misserfolgen Italiens im Zweiten Weltkrieg führten innere Krisen zum Ende der Herrschaft Mussolinis. Nach Massenstreiks im März 1943 und der Invasion der Westalliierten in Sizilien (9./10. 7.) stürzte der Gran Consiglio del Fascismo auf Initiative D. Grandis am 25. 7. den Diktator und übergab den militärischen Oberbefehl an den König. Dieser ließ Mussolini noch am selben Tage verhaften.
 
Aus der Haft auf dem Campo Imperatore am Gran Sasso d'Italia am 12. 9. 1943 von deutschen Fallschirmjägern befreit, führte Mussolini in völliger Abhängigkeit von Deutschland die Repubblica Sociale Italiana (auch Republik von Salò genannt), deren Staatsgebiet angesichts des Rückzuges der deutschen Truppen in Norditalien ständig schrumpfte. Kurz vor Kriegsende 1945 wurde Mussolini mit seiner Geliebten Clara Petacci auf der Flucht von italienischen Widerstandskämpfern gefangen genommen und erschossen.
 
Ausgaben: Carteggio Arnaldo - B. Mussolini, herausgegeben von D. Susmel (1954); Opera omnia, herausgegeben von E. und D. Susmel, 35 Bände und 9 Ergänzungs-Bände (1-51955-80); Carteggio D'Annunzio - Mussolini (1919-1938), herausgegeben von R. De Felice u. a. (1971); Mussolini e Hitler. I rapporti segreti 1922-1933, herausgegeben von demselben (21983).
 
Literatur:
 
I. Kirkpatrick: M. (a. d. Engl., 1965);
 A. Cassels: M.'s early diplomacy (Princeton, N. J., 1970);
 J. Petersen: Hitler - M. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom (1973);
 D. Mack Smith: M.'s Roman empire (London 1976);
 D. Mack Smith: M. (a. d. Engl., 1983);
 G. Bocca: La repubblica di M. (Rom 31977);
 G. Bocca: M. socialfascista (Mailand 31983);
 R. De Felice: Der Faschismus (a. d. Ital., 1977);
 R. De Felice: M., 4 Bde. in 7 Tlen. (Neuausg. Turin 1995-96);
 G. Bozzetti: M. direttore dell'»Avanti!« (Mailand 1979);
 L. Preti: M. giovane (ebd. 1982);
 D. Grandi: 25 luglio, quarant'anni dopo, hg. v. R. De Felice (Bologna 1983);
 E. Nolte: Die faschist. Bewegungen. Die Krise des liberalen Systems u. die Entwicklung der Faschismen (91984);
 E. Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche. Action française, ital. Faschismus, Nationalismus (Neuausg. 41995);
 G. Scheuer: Genosse M.? Wurzeln u. Wege des Ur-Faschismus (Wien 1985);
 G. De Luna: B. M. (a. d. Ital., 17.-19. Tsd. 1993);
 K. Mittermaier: M.s Ende. Die Rep. von Salò 1943-45 (1995);
 R. Collier: M. Aufstieg u. Fall des Duce (a. d. Engl., Neuausg. 1995).

Universal-Lexikon. 2012.