Rassengesetze,
allgemeine Bezeichnung für Gesetze, die der Diskriminierung, Ausgrenzung und Vernichtung ethnischer, nationaler, religiöser und sozialer Gruppen dienen, denen bestimmte ethnische oder rassische Merkmale zugeschrieben werden; im engeren Sinn die Gesetze der nationalsozialistischen Reichsregierung zur Verwirklichung ihrer Rassenideologie und Genozidpolitik. Sie betrafen die so genannten Nichtarier, d. h. v. a. jüdischer Staatsbürger, aber auch andere stigmatisierte gesellschaftliche Minderheiten, die als »rassisch minderwertig« (z. B. Sinti und Roma) beziehungsweise »erbkrank« (psychisch Kranke, geistig Behinderte; Euthanasie) oder »gemeinschaftsfremd« (u. a. »Asoziale«, Prostituierte, Homosexuelle) galten. Die gesetzliche Durchsetzung der Rassenideologie vollzog sich stufenweise in einer von Nationalsozialisten angeheizten Atmosphäre der isolierenden Anfeindung. Nach den reichsweiten Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte vom 1. bis 3. 4. 1933 wurden mit dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« (»Arierparagraph«, 7. 4. 1933) und verschiedenen Durchführungsverordnungen Juden aus dem öffentlichen Dienst entlassen (ausgenommen: Weltkriegsteilnehmer, Beamte vor dem 1. 8. 1914; Ariernachweis). Weitere Gesetze schlossen sie auch aus freien Berufen (z. B. Rechtsanwälte, Kassenärzte, Steuerberater) und Ehrenämtern (z. B. Schöffen) aus, beschränkten die Zulassung von jüdischen Schülern und Studenten (Ende 1938 völlig verboten). Zahllose Verbände, Vereine und öffentlich-rechtliche Organisationen übernahmen den Arierparagraphen. Die Nürnberger Gesetze (15. 9. 1935 bewirkten eine umfassende Entrechtung und Isolierung der »Nichtarier«. Die Ausnahmeregelungen des Berufsbeamtengesetzes wurden endgültig aufgehoben und weitere Berufsverbote erlassen, bis 1938 auch eine Existenzsicherung durch Hausieren nicht mehr möglich war. Ab Ende 1936 zielte die Gesetzgebung auf die Enteignung der Juden: Nach der Registrierung aller jüdischer Unternehmen im Juni 1938 wurden im Dezember die letzten noch bestehenden Betriebe geschlossen oder »arisiert«, Grundeigentum ebenfalls »arisiert«, Kapitalvermögen (seit April 1938 anmeldepflichtig) mussten auf Sperrkonten festgelegt, ab Februar 1939 Schmuck, Kunstgegenstände u. Ä. abgeliefert werden. Hinzu kam eine große Zahl von persönlichen Rechtsbeschränkungen für Juden wie Verbot von Besuchen öffentlicher Veranstaltungen oder Sportstätten, Verbot des Haltens und Führens von Kraftfahrzeugen, Einführung von Sperrbezirken (»Judenbann«, November 1939). Eine besondere Kennzeichnung erhielten die Juden in Reisepässen und Kennkarten, durch zusätzlich verordnete Zwangsvornamen (Israel, Sara), seit September 1941 durch das Tragen des »Davidsterns« in Deutschland (Judenkennzeichen; Antisemitismus). Die Rassengesetze stellten eine erste Phase in der nationalsozialistischen Rassen- und Genozidpolitik dar, der im Zweiten Weltkrieg die Deportation und Vernichtung der europäischen Juden, der Slawen (in den besetzten Gebieten im Osten) und Angehörigen anderer verfolgter Gruppen folgte (Holocaust).
D. Kenrick u. G. Puxon: Sinti u. Roma - die Vernichtung eines Volkes im NS-Staat (a. d. Engl., 1981);
Die Juden im natsoz. Dtl., hg. v. A. Paucker u. a. (1986);
K. Scherer: »Asozial« im Dritten Reich. Die vergessenen Verfolgten (1990);
L. Poliakov: Der arische Mythos. Zu den Quellen von Rassismus u. Nationalismus (a. d. Frz., Neuausg. 1993);
A. Rethmeier: »Nürnberger R.« u. Entrechtung der Juden im Zivilrecht (1995);
M. Zimmermann: Rassenutopie u. Genozid. Die natsoz. »Lösung der Zigeunerfrage« (1996).
Universal-Lexikon. 2012.